Freier Wille
Physik
Grundidee
Ob der Mensch einen freien Willen hat oder nicht beschäftigt Philosophen[1] und Naturwissenschaftler[2][3] spätestens seit der griechisch-römischen Antike[14]. Bis heute[8] zählt der Freie Wille zu den großen ungeklärten Rätseln des Seins. Ein guter Einstieg, um sich selbst mit dem Thema zu beschäftigen, sind Fragen wie etwa die, was überhaupt ein Wille sein soll, wer der Träger des Willens ist und dann auch, was in diesem Zusammenhang frei oder unfrei bedeuten können. Zum Ende dieses Artikels hier wird vor allem der Beitrag der modernen Physik zu solchen Fragen aufgezeigt.
Was ist ein Wille?
Als Wille kann man eine bewusst wahrnehmbaren Drang bezeichnen, etwas zu verändern oder beizubehalten. Oft wird mit einem Willen auch die Idee des inneren oder äußeren Widerstandes zur Erreichung eines Zieles verbunden. Für die Betrachtungen hier soll Wille zunächst ganz allgemein nur als bewusst wahrnehmbarer Drang verstanden werden. Wir müssen diese Definition später aber etwas aufweichen.
Sieben Selbst-Versuche zum Freien Willen
Die Idee eines Freien Willens kann in erstaunlich viele, voneinander unabhängige Deutungen aufgefächert werden. Mit jeder Deutung verbindet sich dann auch ein jeweils ganz anderer Aspekt der Philosophie oder der Physik, erlaubt ganz verschiedene Spekulationen. Einige einfache Selbstversuche zeigen solche unterschiedlichen Deutungen auf.
I) Willen gewahr werden
Man spreche sich das Wort "Start" ins innere Ohr. Dann beobachte man, was der erste spürbare Wille in einem ist, der aufkommt. Ist es ein Wille sich zu kratzen, weil irgendeine Stelle des Körpers juckt? Ist es der Wille, die Sehnsucht, an einen bestimmten Urlaubsort zu fahren, jemanden zu treffen? Es ist ganz gleich, was dieser erste Wille ist. Wesentlich ist zunächst nur, dass man das erste Aufkommen eines Willens im eigenen Bewusstsein wahrnimmt. Bemerkenswert dürfte hier sein, dass man sich die Willensregungen nicht vorher aussucht. Vielmehr scheinen sie von irgendwoher ins Bewusstsein einzutreten. Dieser erste Versuch führt zu zwei ersten Befunden:
- 1) Willensregungen haben einen oft unbekannten Ort oder Grund der Entstehung.
- 2) Man selbst kann sich nur schwerlich als bewusster Urheber bezeichnen.
II) Willen festhalten
Hat man nun eine Willensregung in sich wahrgenommen, so kann man aktiv versuchen, diese möglichst lange im eigenen Bewusstsein zu halten. Dabei wird man wahrscheinlich oft feststellen, dass die Willensregung von anderen Inhalten des Bewusstseins, etwa von einem Denkzwang[58], bedrängt oder sogar verdrängt wird. Ist man nicht in einem äußerst emotionalen Zustand (Rachegefühle, Habgier) oder unter einem körperlichen Drang (juckende Stelle, volle Blase, Gähnreiz), so sind Willenregungen oft erstaunlich kurzlebig (wennauch oft beharrlich wiederkehrend). Interessant zu fragen wäre hier:
- 3) Die Möglichkeit einen Willen aktiv längere Zeit im Bewusstsein zu halten, erlaubt einen gewissen Anspruch, einen Willen als den eigenen zu betrachten. Man macht ihn zumindest sich zu eigen.
III) Willen verdrängen
Man stelle sich eine möglichst emotionale Situation vor, die begehrenswert erscheint: man kann einem alten Widersacher etwas Heimzahlen, eine verbotene Liebe in Erfüllung bringen oder sich einen anderen großen Lebenstraum erfüllen. Man male sich das zunächst möglichst lebendig und anschaulich aus. Dann Versuche man die Rückkehr dieses Gedankens, die Willensregung hin zu Erfüllung, für eine längere Zeit der Stille so stark zu unterdrücken, dass sie überhaupt nicht wiederkehrt. Oder: man versuche, über mehrere Tage hinweg einen ansonsten nagenden Willen in sich nicht aufkommen zu lassen. Hier können die meisten Menschen als Ergebnis wahrscheinlich festhalten, dass sich manche Willensregungen einer Unterdrückung erfolgreich widersetzen können. Interessante Fragen hier sind:
- 4) Die Unfähigkeit eine unerwünschte Willensregung erfolgreich aus dem eigenen Bewusstsein fern zu halten, verlegt die Urheberschaft solcher Willen in einen Bereich außerhalb des eigenen, bewussten Egos.
- 5) Möglicherweise kann das Bewusstsein einen Willen an der Ausführung hindern, sozusagen ein Veto einlegen.[37]
IV Kämpfende Willen
Man erinnere sich an eine Situation, in der man hin- und her gerissen war zwischen zwei widerstreitenden Richtungen zu handeln. Man sieht einen Bettler mit fehlenden Gliedmaßen auf der Straße. Man ist innerlich gespalten, ihm etwas Geld zu geben. "Niemand begibt sich freiwillig in diesen Zustand, der Mann hat eine Geschichte" sagt die eine Stimme, während die andere mahnt: "Wenn du heute mit dem spenden anfängst, wo willst du aufhören. Und überhaupt, warum wendet sich der Mann nicht an die Fürsorge?" Man stelle sich nun also eine ähnlich schwer entscheidbare innere Zerissenheit vor.
- 6) Es gibt unvereinbare Willen, die gleichzeitig in einem auf Wirkung drängen.
V Unbewusste Willen
Wir hatten eingangs Willen als eine bewusste Regung, einen spürbaren Drang im eigenen psychischen Erleben definiert. Tatsächlich aber scheint unser Körper auch komplexe Handlungen zu vollführen, die manchmal willentlich hervorgebracht zu sein scheinen, manchmal aber auch unwikllkürlich, reflexhaft ablaufen. Das klassische Beispiel sind Minutenschläfe, etwa beim Wandern oder Reisen: man fährt auf dem Fahrrad und ist in Gedanken versunken. Plötzlich wacht man aus diesen Gedanken auf und nimmt wahr, dass man gerade eine gefährliche Straßenkreuzung erfolgreich überquert hat und sich wohl auch instinktiv für den richtigen Weg entschieden hat. Gleichzeitig hat man keinerlei Erinnerung mehr daran. Irgendetwas in einem hat die Steuerung übernommen.
- 7) Es gibt komplexe Handlungen, die wir wie fremdgesteuert, zumindest aber ganz unbewusst ausführen können.
VI Willen auführen
Man krümme die Finger der rechten Hand leicht nach innen hin zu Handinnenfläche. Dann wähle man einen der fünf Finger aus und strecke ihn möglichst gerade. Wer eine gesunde Hand hat, wird das meistens hinbekommen. Es gibt also Willensregungen, die problemlos in eine Aktion in der physikalischen Welt übersetzt werden können.
- 8) Es gibt Willensregungen, die erfolgreich in die physikalische Welt hineinwirken können.
VII Frustrierte Willen
Nun versuche man mit den Ohren zu wackeln, die Zungen der Länge nach zu rollen oder einen Bleistift, der vor einem auf dem Tisch liegt, durch eine Anstrenung der eigenen Willenskraft zu bewegen. Spätestens der dritte Versuch dürfte bei den meisten Probanden zu einer Frustration führen.[25]
- 9) Es gibt Willensregungen, die nicht direkt in die physikalischen Welt hineinwirken können.
Neun Tatsachen zum Willen
Bringen wir zunächst die neun Befunde aus den sieben Selbstversuchen in eine knappe Übersicht. Diese Befunde werden gleich zu drei fundamentalen Fragen führen.
- 1) Die Herkunft von Willen liegt außerhalb des Bewusstseins.
- 2) Das Bewusstsein ist nicht (immer) Urheber von Willen.
- 3) Man kann manche Willensregungen etwas festhalten.
- 4) Es gibt unabweisbare, unerwünschte Willen.
- 5) Man kann vielleicht die Ausführung verhindern.
- 6) Es gibt innerlich widerstreitende Willen.
- 7) Es gibt Wirkungen scheinbar unbewusster Willen.
- 8) Es gibt Willen, die direkt physikalisch wirken.
- 9) Es gibt Willen, die physikalisch wirkungslos bleiben.
Diese Befunde stehen für psychische Vorgänge, die mit hoher Sicherheit seit unserer frühesten Kindheit ununterbrochen ablaufen, manche Phasen von Schlaf oder einer Narkose vielleicht ausgenommen. Möglicherweise ist diese Alltäglichkeit einer der Gründe, warum sie bei nur wenigen Menschen zu einem Gegenstand immer wiederkehrender Grübelei [William James] oder systematischer Bearbeitung[1] anregen.
Die Grübler und Sucher haben vielleicht ein inneres Gespür für das tief Geheimnisvolle, das Mysterium, rund um den Willen ins uns. Dazu zählen sicherlich viele Mystiker und vielleicht auch manchen Typen am Rand oder jenseits allgemein akzeptierter Normalität [The Varieties of Religious Experience]. Wie dem auch sei, ein gutes Mittel für (fast) jedermann, um sich dem Schwer-Greifbaren zu nähern, ist der der nüchtern intellektuelle Weg über Begriffe, speziell Definitionen.
Drei nötige Definitionen
Je schwieriger sich etwas definieren lässt, desto flüchtiger scheint doch das Unbekannte, das Unfassbare, eben das was man nicht packen, nicht be-begreifen kann, zu sein. Die acht Befunde von oben führen zu drei nötigen Definitionen.
WILLENSTRÄGER
Die Befunde 1 bis 7 drängen die Frage auf, wer denn überhaupt der Urheber oder der Träger von Willen sein soll. Das alltägliche Gefühl, in Übereinstimmung mit dem üblichen Sprachgebrauch[55], sagt uns, dass wir das als Einzelpersonen seien. Mögliche Bezeichnungen dafür sind das Ich, eine Person, das Ego unser Selbst. Aber wie passt die Urheberschaft dazu, dass man die Herkunft der Willen nicht spürt, und das sich immer wieder auch unerwünschte Willen aufdrängen? Hilft hier die Unterscheidung weiter, dass eine Person vielleicht nicht der Urheber des Willens sein muss, sich aber einen Willen durch eine bewusste Entscheidung sozusagen aneignet?[15] Eine Definition des Trägers eines Willens sollte mindestens für die folgenden Fragen klare Kriterien liefern:
- Muss der Träger eines Willens materiell existieren?[16]
- Muss der Träger eines Willens ein psychisches Bewusstsein haben?[17]
- Muss der Träger eines Willens echter Urheber sein, also Willen aus sich heraus erzeugen können?[1]
- Muss der Träger eines Willens einen Willen dauerhaft völlig zum Schweigen bringen können?
- Ist Wille sein eigener Träger, sozusagen ein eigenes nach Handlung drängendes Subjekt?
Es sei hier angemerkt, dass manche Philosophien[29] die Existenz eines Ichs grundsätzlich in Frage stellen. Auch Begriffe wie Ich, Person, Ego oder Bewusstsein[30] sind naturwissenschaftlich sehr schwer zu definieren. Zuspitzen kann man diese erste Gruppe von Fragen auf den Gegensatz, ob der Wille frei ist gegenüber möglichen seiner Träger oder ob die Träger frei gegenüber den von ihnen getragenen Willen.
FREIE ENTSTEHUNG
Mit Entstehung ist hier die Gewahrwerdung eines Willens im Bewusstsein gemeint. Das lässt offen, ob der Wille vorher schon außerhalb des Bewusstseins existierte oder nicht. Für die Freiheit der Entstehung eines Willens sind dann mindestens zwei Dinge zu präzisieren: erstens, was heißt frei und zweitens, wer hat diese Freiheit, der Wille oder sein Träger? Ein guter Ausgangspunkt für die Idee von des Freien sind zwei eng verwandte aber nicht notwendigerweise identische Konzepte: Determiniertheit und Vorhersagbarkeit. Etwas ist frei, wenn es nicht determiniert (vorherbestimmt) ist. Ein Indiz für die Freiheit wäre dann die Unmöglichkeit die Entstehung eines konkreten Willen vorherzusagen.
- Passt ein frei entstehender Wille in eine deterministische Welt?[19]
- Passt ein frei entstehender Wille in eine probabilistische Welt?[21]
- Kann der Wille sich selbst bestimmen?[23]
Die letzte Frage, die zum Träger des Willens, scheint mir besonders bedeutsam zu sein. Ist es der Wille selbst, der sich seine Gegenstände ständig neu wählt? Und ist dann der Mensch, der diesen Willen in sich als Regung empfindet nur ein passiver Beobachter?[1] Oder ist der Mensch als Träger des Willens auch gleichzeitig sein Urheber? Um die Tiefe des Problems zu erspüren kann man einmal versuchen, selbst zu bestimmen, welcher Wille als nächstes im eigenen Bewusstsein entstehen soll.
FREIE WIRKUNG
Freiheit der Wirkung meint so viel wie die Fähigkeit einen Ablauf oder Zustand so zu beeinflussen, dass es einen Unterschied macht, ob der Wille gewirkt hat oder nicht. Hier muss man unterscheiden, ob diese Wirkung sich nur auf den Willen selbst bezieht, er also nur darauf einwirkt, was sein eigener nächster Zustand ist, oder die Wirkung auf Bereiche außerhalb des Willens abzielt, etwa indem er einen Finger bewegt und darüber den Schalter einer technischen Anlage betätigt. Da der erste Aspekt, die Wirkung auf sich selbst aber bereits in der Definition der Freiheit der Entstehung des Willens abgedeckt werden muss, ist es hier zweckmäßig, die Freiheit einer Wirkung von Willen auf die Welt außerhalb des Willens zu beschränken. Damit aber kommt eine Trennung zwischen Subjekt (der Wille) und Objekt (etwas außerhalb des Willens) ins Spiel. Eine Definition eines zur freien Wirkung fähigen Willens muss mindestens folgende Punkte klären:
- Woran erkennt man die Grenze zwischen dem Inneren eines Willens und seiner Außenwelt?[24]
- Was passiert, wenn gleichzeitig mehrere Willen auf dasselbe Objekt der Realitität einwirken?[27]
- Welche Regeln bestimmen die offensichtlichen Grenzen der Freiheit?[28]
Neben der beharrlichen Frage, wer das Subjekt von Willen sein soll, drängt sich hier vor allem die Frage auf, wie und wozu die Wirksamkeit von Willen beschränkt sein soll.[56]
Der Freie Wille aus Sicht verschiedener Fachgebiete
Der Freie Wille nimmt in vielen Fachgebieten einen oft großen Raum ein. Praktisch bedeutsam ist das Thema im Zusammenhang mit Konzepten von Schuld. Hier werden beispielhaft einige Gebiete von Wissenschaft und Forschung kurz vorgestellt.
Der Freie Wille im Rechtswesen
Eine überragende Bedeutung hat der Freie Wille im Zusammenhang mit der Idee eines schuldhaften Handelns. Denn nur wenn ein Mensch sich aus freien Stücken zu einer Tag entschieden hat, so die gängige Auffassung, kann man von Schuld sprechen. Wie ist dann aber die Schuldfähigkeit eines Parkinson-Patienten einzuschätze, der infolge einer tiefen Hirnstimulation (Gehirnschrittmacher) krankhaft zum Diebstahl getrieben wird?[31] Muss man eine genetische Veranlagung[32] oder starke soziale Faktoren als Einschränkung der Willensfreiheit deuten? Sollte das dann das Strafmaß mildern? Der Freie Wille nimmt einen großen Raum in der Literatur rund um Kriminalität, Schuldfähigkeit und Resozialisierung ein.[22] Siehe auch Schuld ↗
Der Freie Wille in der Theologie
Ähnlich wie für das Rechtswesen, ist der Freie Wille auch für die christliche Theologie seit dem ersten Jahrhundert nach Christus vor allem für die Schuldfähigkeit von Bedeutung.[9] Die grundlegende Frage ist, ob der Mensch einen Freien Willen hat. Betrachtet man Gott etwa als allwissend[40], so ist ja schon heute festgelegt, ob man morgen eine Sünde begehen wird (Prädestinationslehre): "der Mensch denkt, Gott lenkt".[6] Die Reaktionen auf solche Spekulationen fallen unterschiedlich bis gegensätzlich aus. Als Tendenz kann man sagen, dass der Katholizismus dem Menschen mehr Freien Willen zugesteht[12] als protestantische Strömungen.[13] Siehe beispielhaft auch den Artikel zur Prädestinationslehre ↗
Der Freie Wille in den historischen Wissenschaften
"Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf" - dieser Spruch der Arbeiterbewegung bringt den Gedanken auf den Punkt, dass es geschichtliche Tendenzen oder Bewegungen gibt, die sozusagen mit historischer Notwendigkeit eintreten werden. Kein einzelner Mensch könne sich dagegen stemmen. Der Philosoph Karl Marx hatte genau darauf seine Weltanschauung gegründet, dass nämlich am Ende der zwingenden Abfläufe der Geschichte der Kommunismus stünde. Damit könnte zwar einzelne Menschen durchaus ihr näheres Lebensumfeld frei gestalten, aber umfassendere Abfläufe wären letztendlich doch determiniert. Die Grenze der Freiheit ist gesetzt durch den Weltprozess.[48] Siehe auch Historizismus ↗
Der Freie Wille in der Soziobiologie
Die Soziobiologie ist eine (umstrittene) Richtung innerhalb der Biologie. Die Grundannahme ist, dass soziales Verhalten stark oder ganz durch unsere eovlutionäre Vergangenheit geprägt ist. Kurz gesagt; wir verhalten uns so, dass unsere Gene eine möglichst große Chance haben, in die Zukunft getragen zu werden. So würde man etwa an Affen und auch Löwen beobachten, dass siegreiche Männchen in einem Zweikampf mit den Weibchen des unterlegenen Gegners zusammengehen und dann deren Kinder töten[34]. Offen diskutiert wird, ob solche "evolutionäre Strategien" auch auf Menschen übertragen werden können.[35] Falls ja, so läge hier wiederum eine Beschränkung des Freien Willens vor, da die Richtung des Willens durch die eigene Art und dessen Gene mitbestimmt sind. Siehe mehr unter Soziobiologie ↗
Der Freie Wille in der Neurobiologie
Die Neurobiologie liefert Indizien dafür, dass menschliche Entscheidung kurze Zeit vor ihrer Bewusstwerdung im Individuen über physikalische Messungen des sogenannten Bereitschaftspotentials an Gehirnzellen vorhergesagt werden können.[36] Das wird so gedeutet, dass unsere Wille nicht das Ergebnis bewusster Tätigkeit ist, sondern eine Folge von biologisch-chemisch-physikalischen Prozessen, wobei dem Bewusstsein aber noch ein Veto-Recht eingeräumt werden könnte.[37] Andere Neurowissenschaftler hingegen deuten manchen Strukturen im Gehirn, so dass sie als Schaltstelle für ein frei entscheidenden Bewusstsein in die materielle Welt hinein dienen könnten.[38] Der Kern solcher Spekulationen ist es, dass das Bewusstsein Strukturen oder Prozesse im Gehirn beeinflusst, dabei aber keine quantenphysikalische Wahrscheinlichkeitsverteilungen auffällig verletzt und dennoch eine Art Hebelwirkung von der Mikro- in die Makrowelt ausübt.[39][57]
Der Freie Wille in der Physik
Spätestens seit dem späten 17ten Jahrhundert vertraten Naturphilosophen - die damalige Bezeichnung auch für Physiker - die Vorstellung, dass alle Abläufe in der Natur auf rein mechanischen Vorgängen beruhten.[41] Dies führte dann zu der konsequenten Folgerung, dass sich die ganze Welt nur abspult wie das Räderwerk einer Uhr, den Menschen eingeschlossen.[42] Diese Denkweise gipfelte in der Metapher des Laplaceschen Dämons, der als idealisierte naturwissenschaftliche Intelligenz in der Zeit beliebig weit zurück und nach vorne alle Zustände der Welt berechnen können sollte.[43] In solchen mechanischen, materialistischen oder determinstischen Weltbildern hatte der Freie Wille keinen Platz.[44]
Mit der Quantenphysik der 1920er Jahre kam dann der große Bruch mit jeder materialistischen oder determinstischen Sicht auf die Physik. Physiker stellten unmissverständlich das Kausalitätsprinzip, also den festen Zusammenhang von Ursache und Wirkung in Frage.[45] An dessen Stelle traten dann der Zufall in Form reiner Wahrscheinlichkeitsgesetze.[46] Wer einen strengen Determinismus für unverträglich mit einem Freien Willen gehalten hatte[53], konnte jetzt im Fehlen von eben jeder Vorhersagbarkeit von Einzelereignissen wieder die Möglichkeit für einen frei wirkenden Willen sehen.
Sieht man nun im Fehlen einer strengen Determiniertheit der Quantenphysik die Möglichkeit für einen frei entstehenden und frei wirkenden Willen[48], so muss als nächstes plausibel gemacht werden, dass a) hinter vermeintlich zufälligen Einzelereignissen (radioaktiver Zerfall, chemische Reaktionen etc.) tatsächlich ein zielgerichtet wirkender Wille als Ursache steckt[49] und dass b) ein so auf meist mikroskopischer Ebene wirkenden Wille die Geschehnisse der makroskopischen Welt mit einem Mindestmaß an Zuverlässigkeit steuern kann.[50][57]
Manche Physiker gehen sehr viel weiter. Sie deuten die Quantenphysik fast im Sinne einer kopernikanischen Wende nicht nur als Schlupfloch für einen Freien Willen sondern geradezu als Ausdruck einer unlösbaren innigsten Verbindung physikalischer Zustände mit unseren willentlichen psychischen Vorgängen.[51] Die Welt nimmt ihre konkreten Zustände erst dann an, wenn ein Beobachter seine Aufmerksamkeit auf sie richtet. Siehe dazu den Artikel zu Archibald Wheelers partizipatorisches Universum ↗
Fußnoten
- [1] Arthur Schopenhauer: Preisschrift über die Freiheit des Willens. 1838. Dort enthalten ist auch die Paradoxie: "Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.
- [2] Max Planck: Vom Wesen der Willensfreiheit. 1. Auflage 1936, 11. Auflage 1967. Verlag Johann Ambrosius Barth, Leipzig. Planck setzte sich unter anderem damit auseinander, ob ein Freier Wille verträglich ist mit einem strengen Determinismus ↗
- [3] Erwin Schrödinger: Das Paradoxon der Willensfreiheit. In: Was ist ein Naturgesetz? Beiträge zum naturwissenschaftlichen Weltbild. Scientia nova, 5. Auflage, Oldenbourg, München 1997, ISBN 978-3-486-56293-4. Seite 68 ff.
- [4] Thomas S. Sheidl et al.: Violation of Local Realism With Freedom of Choice. In: Procceedings of the National Academy of Sciences, USA, 107, 46, p. 19708-19713, 2010.
- [5] Andrew Friedman: The Universe Made Me Do It? Testing “Free Will” With Distant Quasars. In: NOVA, The Nature of Reality, PBS, WGBH Boston, March 19, 2014 (Blogs).
- [6] Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt. So lautet das Originalzitat aus der Lutherbibel (2017), Sprüche 16:9.
- [7] Gregory L. Matloff: Can Panpsychism Become an Observational Science? In: Journal of Consciousness Exploration & Research. Volume 7, Number 7. 2016. ISSN: 2153-8212. Siehe Gregory Matloff ↗
- [8] Sabine Hossenfelder: The Free Will Function. Free will from the perspective of a particle physicist. 2012. https://arxiv.org/abs/1202.0720
- [9] Der Freie Wille in der Geschichte der Theologie: "Freier Wille, 1) s.u. Freiheit; 2) (Arbitrium li berum), das sittliche Vermögen, sich selbständig u. unabhängig zu seinen Handlungen zu bestimmen. Die Lehre von der Natur u. Gnade hat u. der christlichen Kirche viel Streit veranlaßt. Nachdem schon in den ersten Jahrhunderten die griechischen Kirchenväter mehr die Selbstthätigkeit des Menschen, die lateinischen aber mehr die Gnade Gottes betont hatten, trat Augustinus mit der Behauptung auf, daß der Mensch seit Adams Fall das Vermögen, Gutes zu thun, d.h. den F. W-n, gänzlich verloren habe, während Pelagius eine moralische Einwirkung der göttlichen Gnade auf den Willen lehrte u. die Vermittler (Semipelagianer) die sittliche Willenskraft u. die göttliche Gnade in nähere Verbindung brachten. Dieser Streit zog sich durch die scholastische Zeit hindurch u. ging in die Protestantische Kirche über, indem diese dem Augustinus, die Katholische Kirche aber den Semipelagianern folgte. Luther stritt darüber 1519 mit Eck u. später mit Erasmus von Rotterdam; wobei jener das Servum arbitrium, dieser das Liberum arbitrium vertheidigte. Auch in der Katholischen Kirche, obschon sie in Trident für den Semipelagianismus sich erklärte, dauerten durch die Dominikaner u. Jansenisten diese Streitigkeiten fort. In der Protestantischen Kirche dachte Melanchthon milder u. veranlaßte dadurch die Synergistischen Streitigkeiten (s.d.); in der Reformirten Kirche neigten sich Calvin u. Beza zu Luther u. die Dordrechter Synode sanctionirte ihre Ansicht zu Gunsten der Gomaristen gegen die Arminianer. Diese verschiedenen Ansichten haben bis auf die neueste Zeit ihre Vertreter gefunden, u. während die rationalstische Periode den lutherischen strengen Lehrbegriff abschwächte, ist er neuerlich von den streng lutherischen Theologen mit allen Consequenzen wieder vertreten worden." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 676. Online: http://www.zeno.org/nid/20009950737
- [10] Der Philosoph Arthur Schopenhauer bezeichnete das Ding an sich sinngemäß als unbedingt Quelle eines freien Willens Schopenhauers Begriff verbindet die zwei Ideen eines frei entstandenen und eines frei wirkenden Willens zum Ding an sich. In: Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 3, Zürich 1977, S. 372-382. Online: http://www.zeno.org/nid/20009267212
- [11] Der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) formuliert zunächst zwei Prämissen, die er dann zum Widerspruch führt: "1. Mein Körper funktioniert als reiner Mechanismus in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen. 2. Doch weiß ich auf Grund unbestreitbarer unmittelbarer Erfahrung, daß ich seine Bewegungen leite und deren Folgen voraussehe, die entscheidend und höchst bedeutsam sein können; in diesem Falle empfinde und übernehme ich die volle Verantwortung für sie." Das ist auf den Punkt gebracht das Problem des Freien Willens. Seine Lösung geht dahin, dass die Naturgesetze letztendlich in Übereinstimmung mit dem Freien Willen funktionieren müssen. Er schreibt weiter: "Die einzig mögliche Folgerung aus diesen zwei Tatsachen ist die folgende: Ich – Ich im weitesten Sinne des Wortes, d. h. jedes bewußt denkende geistige Wesen, das sich als »Ich« bezeichnet oder empfunden hat – ist die Person, sofern es überhaupt eine gibt, welche die »Bewegung der Atome« in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen leitet." In: Erwin Schrödinger: Was ist Leben?: Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987. ISBN: 3-492-11134-3. Dort im Epilog das Kapitel "Determinismus und Willensfreiheit" auf Seite 121. Siehe auch Determinismus ↗
- [11] Ein Freier Wille kann in Einklang mit Kausalität stehen: "The chapters in this book on freedom constitute a defence of compatibilism, that is, the thesis that human freedom is compatible with the claim that everything that occurs is caused or that there are antecedent sufficient conditions for everything that occurs, including human thought and action." In: Keith Lehrer: Einführung (introduction) des Buches: Metamind (Oxford, 1990; online Ausgabe, Oxford Academic, 3 Oct. 2011). Abgerufen am 27. Februar 2024. DOI: https://doi.org/10.1093/acprof:oso/9780198248507.003.0001
- [12] Der Humanist Erasmus von Rotterdam kam in theologischen Betrachtungen zu dem Schluss, dass der Mensch durch seine Taten die Entscheidung Gottes über sein Seelenheil letztendlich mitbestimmen könne (was etwa Luther ablehnt). In: Erasmus von Rotterdam: De libero arbitrio diatribē. Basel 1524. doi:10.3931/e-rara-1062.
- [13] Martin Luther ging davon aus, dass das Seelenheil des Menschen alleine von Gottes Gnade abhänge. In: De servo arbitrio. 1525. Auf Deutsch etwa: „Über den geknechteten Willen“ oder „Vom unfreien Willen“.
- [14] Der antike Philosoph Lukrez (99 bis 55 v. Chr.) sah die Seele dazu in der Lage, kleinste Änderung am Ablauf der Naturgeschehnisse vorzunehmen, und damit ihre Geschicke doch zumindest teilweise zu lenken. Siehe mehr dazu unter im Artikel zum sogenannten Clinamen ↗
- [15] Die Idee, dass ein Wille zunächst irgendwie entsteht und dann erst in einer zweiten Stufe der bewussten Wahrnehmung zur Ausführung gelangen können wird diskutiert in: James, Bob Doyle: Jamesian free will, the two-stage model of William James. William James Studies. 5. 1-28. 2010. (behandelt auch Physiker mit ähnlichen Ideen). Siehe auch Zwei-Stufen-Modell (Freier Wille) ↗
- [16] Ob der Träger eines Willens ein körperlich-materielle Existenz haben sollte, muss man für sich selbt festlegen. Nicht wenige Lehrmeinungen, etwa die der katholischen Kirche, gehen von der Existenz körperloser Wesenheiten (Engel, Seelen, Gott) aus, denen sie auch einen Willen zuordnen. Fordert man vom Träger eines Willens, dass er materiell existiert, begibt man sich in das zunehmend problematische Gebiet, was denn überhaupt Materie ist. Spätestens seit der Entstehung der Quantenphysik in den 1910er und 1920er Jahren können auch Physiker immer weniger diese Frage als bedeutungslos abweisen. Siehe dazu im Artikel Materie ↗
- [17] Bejaht man, dass der Träger eines Willens auch ein Bewusstsein haben muss, bürdet man sich einen wieteren großen Problemkreis auf. Trotz angestrengter Bemühungen gibt es bis heute keine Möglichkeit zu entscheiden, ob ein komatöser Mensch oder eine künstliche Intelligenz ein Bewusstsein haben, ob in einem Kopf unterschiedliche Bewusstseine tätig sein können und ob Menschen ganz generell nicht vielleicht philosphische Zombies, das heitß sich abspulende Reflexmaschinen sind. Siehe mehr dazu unter Bewusstsein ↗
- [18] Manchen scheint es offensichtlich, dass ein vorhersagbare Wille nicht wirklich frei entstanden sein kann. Wenn ein Computer elektrische Zustände in einem Gehirn misst und dann zehn Sekunden vor der bewussten Wahrnehmung eines spürbaren Willens durch den Menschen die Entstehung von genau diesem Willen bei beliebig häufiger Wiederholung zuverlässig voraussagen kann, dann würden viele daraus schließen, dass der Wille von irgendwelchen physikalischen Zuständen des Gehirns entsteht. Wer hierüber mehr erfahren möchte gehe dem Stichwort Libet-Versuch nach. Andere wiederum halten die Vorhersagbarkeit von Willen für durchaus verträglich mit der freien Entstehung dieses Willens. Zu diesem Ergebnis kommen unter anderem Theologen, wenn sich gleichzeitig das Allwissen Gottes mit mit frei entscheidungsfähigen - und damit auch schuldfähigen - Menschen bringen. Fremdworte wie Prädestionslehre, libero arbitrio oder auch Omniszienz führen hin zu diesem Problemkreis. Eine höchste Zuspitzung erfährt das Widersprüchliche solcher Betrachtungen in der Frage, ob ein allwissender Gott, ein Gott, der also heute schon weiß, was er morgen wollen wird, morgen noch frei in seinen Entscheidungen ist. Zum theologischen Aspekt des Freien Willen siehe zum Beispiel den Artikel zur Prädestinationslehre ↗
- [19] Determiniert heißt, dass etwas vorherbestimmt ist. Etwas Determiniertes tritt immer nur dann und dann auch zuverlässig immer auf, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Determiniertheit ist damit eng verbunden mit dem Konzept von Kausalität. Siehe mehr unter Determiniertheit ↗
- [20] Wenn etwas vorhersagbar ist, dann ist es auch determiniert. Der Umkehrschluss gilt aber nicht: es gibt determinierte Vorgänge, die ganz prinzipiell nicht vorhersagbar sind. Diese Unterscheidung arbeitete der Mathematiker Roger Penrose in seinem Buch Computerdenken klar an vielen konkreten Beispielen heraus. Siehe auch Vorhersagbarkeit ↗
- [21] Probabilistisch heißt so viel wie zufällig, a-kausal (ohne Ursache). Eine Wille wäre in seiner Entstehung ganz frei, wenn es dafür keinerlei Ursache gäbe. Der Physiker Anton Zeilinger (geboren 1945) sieht in der Welt der Quanten echten Zufall: "… dass wir für ein einzelnes Quantenteilchen heute sagen, dass für sein Verhalten keine kausale Erklärung angegeben werden kann. Nur für viele gemeinsam, aber das einzelne verhält sich rein zufällig.“ In: Anton Zeilinger: Einstein auf dem Prüfstand. In: Sternstunde Philosophie. Interview des Schweizer Rundfunks. 14.05.2006. Siehe auch Zufall ↗
- [22] Inwiefern ein Mensch die Gegenstände seines Willens frei bestimmen kann hat unter anderem im Rechtswesen eine große praktische Bedeutung. So sind gelten vollbetrunkene Menschen nicht als schuldfähig, da man ihnen keinen freien Willen mehr zuspricht. Siehe dazu etwa: Hans Schanda (Herausgeber): Der freie Wille und die Schuldfähigkeit in Recht, Psychiatrie und Neurowissenschaften. Medizinisch wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. 2010. ISBN 978-3-95466-014-8. Online: https://library.oapen.org/bitstream/id/f881410c-7aac-46af-a13f-ea854f9f6fb8/external_content.pdf
- [23] Wenn ein Wille frei von äußeren Einflüssen selbst bestimmen kann, wie er sich weiter entwickelt, so werden die Fragen nach Determiniertheit, Zufall und Freiheit nicht gelöst. Sie werden vielmehr auf einen Bereich eingegrenzt, den man als Ort des Willens bezeichnen kann. Es ist für dort ein Prinzip jenseits von determinierender Kausalität und jenseits von ziellosen Zufall zu definieren, dass sowohl Freiheit wie auch eine sinnvolle Zielfindung vereint.
- [24] Die Trennung zwischen einer Innen- und Außenwelt von Willen, ihren Trägern, Menschen oder sonstigen Wesen spitzt sich unter anderem in der Philosophie rund um die Quantenphysik seit den 1920er Jahren zu. Es scheint nämlich unmöglich zu sein, eine scharfe Trennung zwischen einem Beobachter und den beobachteten Objekten zu ziehen. Objekte der Außenwelt scheinen untrennbar mit den psychischen Zuständen der vermeintlich wirkungslosen Beobachten zu existieren. Siehe dazu den Artikel zum Subjekt-Objekt-Dualismus ↗
- [25] Gegenstände außerhalb ihres Körpers ohne direkte materielle Verbindungen durch reine Willenskraft zu bewegen ist als Fähigkeit von Menschen bis heute nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Mehr dazu unter Telekinese ↗
- [26] Das Problem, einen frei wirkenden Willen in der Welt zu erkennen ist ähnlich gelagert wie die Frage, wie ein Test für einen Nachweis von Bewusstsein aussehen könnte (Turing-Test). Da die physikalische Realität in der heute erfolgreichsten Beschreibung, der Quantenhysik, grundsätzlich stochastischer Natur ist, also auf Zufall fußt, könnte jede vermeintliche Wirkung eines Willens zumindest der Theorie nach auch ein Produkt des Zufalls sein. Vorschläge für Testverfahren sind heute noch im Bereich der Parapsychologie angesiedelt. Siehe dazu beispielhaft etwa den Artikel zur Mikropsychokinese ↗
- [27] Das Problem tritt ganz ähnlich auch bei sogenannten Mehrbenutzersystemen auf Computern auf: wenn zwei verschiedene Benutzer gleichzeitig eine Textdatei bearbeiten, muss es Regeln geben, wessen Änderungen wann wirksam werden.
- [28] Gesteht man die Existenz eines frei wirkenden Willens zu (man kann seinen Finger willentlich bewegen), so muss man doch auch dessen Grenzen anerkennen (Unmöglichkeit der Telekinese). Nach welchen Kriterien sind diese Grenzen dann gezogen? Wird die Reichweite des Willens als räumliche Entfernung definiert (3 cm im Gehirn?), über Energieänderungen pro Zeit (0,0000001 Joule pro Sekunde?) oder über stochastische Kriterien (maximale Flächenänderung in einer Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion?)
- [29] So ist es ein Ziel meditativer Übungen im Buddhismus, die Illusion des Ichs zu überwinden. Siehe auch Buddhismus ↗
- [30] Der Physiker Erwin Schrödinger weist darauf hin, dass es das Wort Bewusstsein nur in der Einzahl gibt. Schrödinger hinterfragt, inwiefern es überhaupt getrennte Bewusstseine geben kann. In: Erwin Schrödinger: Geist und Materie. Friedrich Vieweg & Sohn Braunschweig, 1961. Deutsche Ausgabe der Tanner Lectures vom Trinity College Oxford aus dem Jahr 1956 (Mind and Matter). Dort das Kapitel "4. Das arithmetische Paradoxon. Die Einheit des Bewusstseins". Ab Seite 39. Siehe auch Bewusstseinsinsel ↗
- [31] Gehirnschrittmacher werden erfolgreich unter anderem bei Parkinson-Patienten eingesetzt. Man beobachtet jedoch Persönlichkeitsänderungen wie etwa eine Neigung zur Apathie, Halluzinationen und Depressionen bis zu Leichtsinn, Kleptomanie und dem Verlust moralischer Urteilsfähigkeit. Das wird ausführlich betrachtet in: Arne Manzeschke, Michael Zichy (Herausgeber): Therapie und Person: Ethische und anthropologische Aspekte der tiefen Hirnstimulation. Brill | mentis. 2013. 320 Seiten. ISBN: 978-3897858053.
- [32] Bogerts, B., Möller-Leimkühler, A. Neurobiologische Ursachen und psychosoziale Bedingungen individueller Gewalt. In: Nervenarzt 84, 1329–1344 (2013). https://www.researchgate.net/publication/263345287_Neurobiologische_Ursachen_und_psychosoziale_Bedingungen_individueller_Gewalt#fullTextFileContent" target="_new">https://doi.org/10.1007/s00115-012-3610-x. Dort vor allem das Kapitel: "Phylogenese und Genetik aggressiven Verhaltens". Online: https://www.researchgate.net/publication/263345287_Neurobiologische_Ursachen_und_psychosoziale_Bedingungen_individueller_Gewalt#fullTextFileContent
- [33] Günter Albrecht: Soziale Ungleichheit, Deprivation und Gewaltkriminalität. In: Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität. Suhrkamp Verlag. 2001. ISBN: 3518122223. Dort ab Seite 195. Online: https://www.researchgate.net/publication/320705493_Soziale_Ungleichheit_Deprivation_und_Gewaltkriminalitat
- [34] Infanticide among Animals: A Review, Classification, and Examination of the Implications for the Reproductive Strategies of Females. In: Ethology and Sociobiology. Band 1, Nr. 1, 1979, S. 13–40, doi:10.1016/0162-3095(79)90004-9. Online: https://www.researchgate.net/publication/222438680_Infanticide_among_Animals_A_Review_Classification_and_Examination_of_the_Implications_for_the_Reproductive_Strategies_of_Females#fullTextFileContent
- [35] Christian Vogel: Vom Töten zum Mord. Das wirkliche Böse in der Evolutionsgeschichte. Hanser Verlag. München/Wien 1989.
- [36] Benjamin Libet: Do we have a free will? In: Journal of Consciousness Studies, 5, 1999, S. 49.
- [37] Benjamin Libet: Unconscious Cerebral Initiative and the Role of Conscious Will in Voluntary Action. In: Behavioral and Brain Sciences 8, 529-566. Zum Veto-Recht siehe die Seite 538.
- [38] Popper, Karl R. und Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn. Piper Verlag, München 1997. Siehe auch Interaktiver Dualismus ↗
- [39] Die Idee, dass kleine Einflussnahmen eines freien Willen physikalisch zwar sozusagen in den Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Quantenphysik unaufällig bleiben, letztendlich aber doch makroskopische Effekte erzielen wird als Spekulation behandelt im Artikel Weichenereignis ↗
- [40] Drews Friedemann: Menschliche Willensfreiheit und göttliche Vorsehung bei Augustinus, Proklos, Apuleius und John Milton. De Gruyter. 2009. ISBN: 978-3110330076. Dort das Kapitel: Allwissen statt Vorherwissen als Grundlage für Augustins Begriff der Prädestination? oder: Weshalb das überzeitliche Bestimmtsein in Gottes Erkennen keinen geschichtlichen Determinismus erzeugt.
- [41] Christiaan Huygens (1629 bis 1695) argumentiert, dass Wärme Ausdruck bewegter Teilchen sein muss, und fährt dann fort: "This is assuredly the mark of motion, at least in the true Philosophy, in which one conceives the causes of all natural effects in terms of mechanical motions. This, in my opinion, we must necessarily do, or else renounce all hopes of ever comprehending anything in Physics." In: Treatise on light In which are explained the causes of that which occurs in reflexion, & in refraction and particularly in the strange refraction of Iceland crystal. Aus dem Französischen übersetzt von Silvanus P. Thompson. Französisches Original aus dem Jahr 1690: Traite de la Lumiere. Siehe auch Christiaan Huygens ↗
- [42] Der Franzose La Mettrie formulierte seine mechanistischen Thesen derart provokant für seine Zeit, dass er aus zwei Ländern fliehen musste und letztendlich am Hofe des weltanschaulich toleranten Königs von Preußen eine Zuflucht fand. Siehe dazu zu La Mettries Buch Der Mensch eine Maschine ↗
- [43] Der Laplacesche Dämon trat 1814 zum ersten Mal in die Welt und hielt sich als Ausdruck der Weltanschauung vieler Naturforscher bis mindestens ins frühe 20te Jahrhundert. Siehe auch Laplacescher Dämon ↗
- [44] Noch im Jahr 1936 vertrat der Londoner Arzt John Yerbury Dent (1888 bis 1962) die Ansicht, der Mensch sei im Wesentlichen eine Reflex-Maschine, ohne echten Willen: "The more is learnt about the physiology of any action, the less it is seen to depend upon 'Will'". Siehe mehr dazu im Artikel zu Dents Buch Reactions of the Human Machine ↗
- [45] Werner Heisenberg zufolge verletzt die Quantenmechanik das Kausalitätsprinzip: "Weil alle Experimente den Gesetzen der Quantenmechanik […] unterworfen sind, so wird durch die Quantenmechanik die Ungültigkeit des Kausalgesetzes definitiv festgestellt." In: Werner Heisenberg Zeitschrift für Physik. 1927. Dort auf Seite 197. Siehe auch Kausalitätsprinzip ↗
- [46] Dass die moderne Physik nur noch Wahrscheinlichkeitsaussagen trifft, betonte unter anderem der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman (1918 bis 1988): "Von Philosophen wurde die Behauptung aufgestellt, daß, wenn die gleichen Umstände nicht immer zu den gleichen Resultaten führen, Vorhersagen unmöglich sind, was das Ende der Naturwissenschaften bedeuten müßte." Am Beispiel der sogenannten partiellen Reflexion von Licht an einer Glasplatte zeigt Feynman, dass dieses Prinzip nicht mehr gilt. Richtet man zum Beispiel ein Photon in immer derselben Richtung auf dieselbe Glasscheibe müsste das Photon auch immer am selben Zielort A oder B ankommen. Dazu Feynman weiter: "Wir können nicht vorhersagen, ob ein bestimmtes Photon in A oder B anlangen wird. Wir können einzig voraussagen, daß von 100 Photonen, die auf dem Glas landen, durchschnittlich 4 an der Oberfläche reflektiert werden. Heißt das nun, daß die Physik, eine Wissenschaft mit großer Genauigkeit, sich damit zufriedengeben muß, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses zu berechnen, und außerstande ist, genau vorherzusagen, was passieren wird? Ja, das heißt es." In: Richard Feynman: QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie. Piper Verlag. 1. Auflage 1992. ISBN: 3-492-21562-9. Dort die Seite 30. Ein Grundzug der modernen Physik der Quanten ist die sogenannte Bornsche Wahrscheinlichkeitsinterpretation ↗
- [47] Dass es eine Art geschichtlich erkennbaren Megatrend gesellschaflticher Entwicklung gäbe, war im 19ten Jahrhundert ein weit verbreiteter Gedanke. In Form des Organizismus (Gesellschaft als Lebewesen) wurde er biologisch untermauert, in Form des Marxschen Kommunismus philosphisch. Siehe mehr dazu unter Historizismus ↗
- [48] Der Nobelpreisträger der Physik, Anton Zeilinger ist nach dem Bezug von Quantenphysik und Freiem Willen gefragt, skeptisch, sieht aber einen Wegfall der Determiniertheit als wesentlich: „Das ist eine Frage, die schon lange diskutiert wird. […] Einer der ersten, die das diskutiert haben war meines Wissens nach Pasqual Jordan, einer der Mitbegründer, der frühen Pioniere der Quantenphysik. Die Frage, ob der Zufall letztlich dazu führen könnte, dass man eine physikalische Möglichkeit der Begründung eines freien Willens hätte. Weil dann eben nicht mehr alles deterministisch abläuft.“ In: Anton Zeilinger: Einstein auf dem Prüfstand. In: Sternstunde Philosophie. Interview des Schweizer Rundfunks. 14.05.2006. Siehe dazu Zeilingers Kant-Forderung ↗
- [49] In den 1970er Jahren sollte die sogenannte Schmidt-Maschine bewiesen haben, dass der radioaktive Zerfall von Atomen willentlich beeinflussbar sei. Der vermeintliche Beweis wurde nie wirklich anerkannt. Aber in eine genau solche Richtung müssen die Versuche der Vertreter eines Freien Willens gehens. Siehe mehr unter Schmidt-Maschine ↗
- [50] Dass die Einflüsse auf die mikroskopische Welt sozusagen hochskaliert werden könnten auf die makroskopische Welt verneint unter anderem der Physiker Erwin Schrödinger in seinem berühmten Vortrag Do Electrons Think ↗
- [51] Der Physiker John Archibald Wheeler (1911 bis 2008) sah bestimmte physikalisch messbaren Zustände in der Welt unlösbar verbunden mit den Entscheidungen der messenden Experimentatoren. Die klassische Trennung einer Welt in beobachtendes Subjekt und unbeeinflusst beobachtete Objekte hält er für überholt. Zu Wheelers Konzept siehe den Artikel partizipatorisches Universum ↗
- [52] Astronomen glauben in der Bewegung mancher Himmelskörper eine unerklärliche Abweichung von den bekannten physikalischen Gesetzen der Bewegung zu erkennen. So zeigen zum Beispiel Weiße Zwerge, eine Art von Stern, Bewegungsmuster, die nur schwer zu erklären sind. Das wird dann von manchen Denkern als Ausdruck einer aktiven Willensregung der Sterne selbst gedeutet. Siehe dazu als Beispiel unter Gregory Matloff ↗
- [53] Der Physiker Ernst Mach (1838 bis 1916) forderte für einen (freien) Willen jedes Fehlen von irgendwelchen einengenden Gesetzmäßigkeiten. Mach schrieb: "Wenn ein so überzeugter Determinist wie Laplace, der von einer Weltformel träumen konnte, sich gelegentlich zu der Äußerung verleiten läßt, daß aus der Kombination von Zufälligkeiten die wunderbarste Regelmäßigkeit sich ergeben kann, so darf dies nicht so verstanden werden, als ob z. B. die statistischen Massenerscheinungen mit dem keinem Gesetz unterliegenden Willen vereinbar wären. Die Sätze der Wahrscheinlichkeitsrechnung gelten nur dann, wenn Zufälligkeiten durch Komplikationen verdeckte Regelmäßigkeiten sind." In: Ernst Mach: Erkenntnis und Irrtum. Leipzig 1917, S. 275-287. Online: http://www.zeno.org/nid/20009213511
- [54] Ein Maß für die Zufälligkeit und damit auch den Informationsgehalt ist die "information entropy" nach Claude Shannon.
- [55] Die mir bekannten Sprachen sind grammatisch und von ihrem Vokabular her alle so aufgebaut, dass sie Menschen als Urheber von freiem Willen unterstellen. Pronomen wie "du", "ich", "er", "sie" oder "es" zeigen meist auf menschliche Individuen, die man dann mit Verben wie "wollen", "tun", "machen" verbinden kann, worüber dann auch eine Wirkung auf Objekte ausgedrückt werden kann. Ein Satz wie "Sie schrieb das Märchen" legt nahe, dass die Schreibering auch die Urheberin des Gedanken war.
- [56] Der Philosoph Slavoj Zizek (geboren 1949) schildert den Fall des Helden aus dem Film "Die Maske", der sich mit dem Aufsetzen einer grünen Maske jeden Wunsch erfüllen kann, sozusagen allmächtig in seiner Wirkung wird, für den die "Plastizität der Körperoberfläche keinen physischen Gesetzen mehr unterliegt." Wenn er "von einem Hochhaus auf die Straße stürzt und dort wie platt gewalzt liegt, setzt er sich einfach wieder zusammen und geht davon." Die Absurdität dieser Form von Allmacht spürt auch der Held des Film "Die Maske" als er etwa sagt: "Wenn ich die Maske anlege, verliere ich die Kontrolle über mich - ich kann dann machen, was ich will." Bemerkenswert ist hier, dass die Allmacht nicht mit totaler Kontrolle sondern gerade mit einem Verlust von Kontrolle überhaupt gleich gesetzt wird. In: Slavoj Zizek: Liebe Deinen Nächsten? Nein, Danke!. Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne. Verlag Volk & Welt. Berlin. 1999. ISBN: 3-353-01156-0. Dort im Kapitel "Über fools und knaves" auf Seite 86. Siehe auch Allmacht ↗
- [57] Unter welchen physikalischen Bedingungen der Geist (mind) einen kausalen Einfluss sowohl auf der Ebenen kleiner Quantenereignisse wie auch auf der Ebene makroskopischer Systeme haben könnte, soll mit Hilfe der Thermodynamik plausibel gemacht werden in: Terrence Deacon: Incomplete Nature: How Mind Emerged from Matter. W. W. Norton & Company. 2011. ISBN: 978-0393049916.
- [58] Fasst man einen Denkzwang als eine Beschränkung der Inhalte oder Abfolgen des Denkens auf, so ist jeder solcher Denkzwang immer auch eine Beeinträchtigung des Freien Willens. Siehe mehr unter Denkzwang ↗
- [59] Die Frage, ob der Wille oder sein Träger frei sein soll, formulierte die Physikerin Sabine Hossenfelder (geboren 1976) in Anlehnung an Friedrich Nietzsche so: "Damit der Wille frei sein kann, sollte er durch nichts anderes verursacht werden. Aber wenn er durch nichts verursache wurde - wenn er eine »unverursache Ursache« ist, wie Friedrich Nietzsches es ausdrückte -, dann wurde er nicht durch Sie verursche, unabhängig davon, was Sie mit Sie genau meinen. Wie Nietzsche es zusammenfasste, ist die »der beste Selbst-Widerspruch, der bisher erdacht worden ist.« Das Problem ist von der eines unendliches Regresses. In ähnlicher Form wie beim Freien Willen trat ein ganz ähnliches bei der scholastischen Vorstellung Gottes als einem unbewegten Beweger auf. Siehe auch unbewegter Beweger ↗