Spekulative Evolution
Biologie
Basiswissen
Als spekulative Evolution bezeichnet man denkbare Entwicklungen des Lebens, die hätten alternativ zur tatsächlichen Evolution sein können oder die sich in Zukunft ereignen können.
Was heißt spekulativ an sich?
Als Spekulation bezeichnet man etwas Denkbares, das aber so nicht eingetreten sein muss oder eintreten wird. Die Spekulation hält sich aber in der Regel an feste Denklogiken wie etwa die Kausalität oder den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Sie unterscheidet sich damit von der reinen Phantastik, in der auch sehr unwahrscheinliche Ereignisse ohne weitere Begründung auftreten dürfen. Von der Zukunftsforschung oder Prognostik unterscheidet sich die Spekulation dadurch, dass die beschriebenen Möglicheiten nicht mit Wahrscheinlicheiten bewertet werden müssen. Für eine Spekulation genügt es, eine denkmögliche Realität zu entwerfen. Siehe auch Spekulation ↗
Eine nicht-biologische Evolution in Sternen?
Der englische Philosoph und Science-Fiction Schriftsteller Olaf Stapledon hat einen evolutiven Prozess innerhalb von Sternen beschrieben. Bei diesen Stapledon-Sternen sind die inneren Gas- und Plasmaströme die materiellen Träger der Evolution. Dass Flüssigkeiten Träger von Rechen- und damit alogrithmischen Denkoperationen sein können, wurde mehrfach am Beispiel flüssiger Computer gezeigt[18], was dem Szenario einer nicht-biologischen Evolution eine gewisse Plausiblität verleiht. Zu Stapledons Visionen beseelter Himmelskörper siehe zum Beispiel Nebula Maker ↗
Eine abiotische technologische Evolution
Der Polnische Autor Stanislaw Lem schilderte in seinem Roman Der Unbesiegbare[19] einen Planeten, auf dem aus dem Schrott einer vormals biologischen Hochzivilisation eine neue evoluierende Lebensform entstanden ist: hochaggressive Schwärme kleinster abiotischer Metallteile. Der Gedanke evolutionsfähiger Hardware wird in der Forschung durchaus untersucht[22]. Siehe auch Schwarmintelligenz ↗
Wirtschaftsprozesse als Evolution
Seit den Anfängen der Evolutionstheorie im mittleren 19ten Jahrhundert wurden vielfältige Parallelen zwischen der Biologie und der Wirtschaft beschrieben. Was in der Biologie ein Organismus ist, ist in der Wirtschaft ein Unternehmen. In beiden Bereichen wirken Selektionsdrücke, Variation und Adaption. Man spricht heute konsequenterweise auch von Unternehmens-DNA. Siehe mehr dazu im Artikel zur Evolutionsökonomik ↗
Die Menschheit an der Schwelle einer Metasytsem-Transition
Von Molekülen über Zellen, Organismen, Staaten bis hin zu einem möglichen neuen Superorganismus aus menschlichen und/oder technologischen Komponenten: eine Reihe von Befunden aus der Evolutionsbiologie deutet darauf hin, dass die Menschheit zur Zeit einen Übergang, eine Transition hin zu einem Überorganismus macht. Siehe mehr unter HMST [Human Metasystem-Transition] ↗
Fußnoten
- [1] Herbert George Wells: Die Zeitmaschine. 1895. [Eloi und Morlocks]
- [2]Francis Galton: The possible improvement of the human breed under existing conditions of law and sentiment. Nature 64:659-665. 1901. [Eugenik]
- [3] Arthur Conan Doyle: When the World Screamed. In: Liberty Magazine. February 28th, 1928. [Weltgehirn]
- [4] H. P. Lovecraft: At the Mountains of Madness. 1931. First published by "Astounding" in 1937.
- [5] William Olaf Stapledon: Last and First Men. 1930 [Evolution der Menschheit über Jahrmilliarden]
- [6] William Olaf Stapledon: Star Maker. 1937. [Phantastische Formen im Universum]
- [7] Hans Hass: Energon. Das verborgene Gemeinsame. Fritz Molden (Verlag). 1970.
- [8] Mayer-Kress, G.; Barczys, C. (1995). "The global brain as an emergent structure from the Worldwide Computing Network, and its implications for modeling". The Information Society. 11 (1): 1–27.
- [9] Stanislaw Lem: Solaris [Roman]. Übersetzung von Irmtraud Zimmermann-Göllheim. Marion-von-Schröder-Verlag, Hamburg & Düsseldorf 1972. Siehe auch Solaris ↗
- [10] Gregory Stock: Metaman: The Merging of Humans and Machines into a Global Superorganism. Simon and Schuster (1993). Kapitel 5: The Mind of Metaman. An evolving global brain. Mehr unter Metaman ↗
- [11] Joel de Rosnay: Le cerveau planétaire. 1986, Editions Olivier Orban.
- [12] Kazem Sadegh-Zadeh: Als der Mensch das Denken verlernte: Die Entstehung der Machina sapiens. Burgverlag, Tecklenburg. 2000. ISBN: 3-922506-99-2. Siehe auch Machina sapiens ↗
- [13] Alan Weisman: Die Welt ohne uns: Reise über eine unbevölkerte Erde. Piper Verlag. 2008. ISBN: 978-3492051323.
- [14] Yuval Harari: Homo deus: eine Geschichte von Morgen. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C.H.Beck, München 2017 (1. Auflage) bis 2018 (2. Auflage), ISBN 978-3-406-7040
- [15] Dougal Dixon: After Man. A Zoology of the Future. Book Club Assoc, London, 1981.
- [16] Dougal Dixon: Man After Man. An Anthropology of the Future. Blandford Press. 1990. ISBN 978-0713720716. Zukünftige Menschen bis 5 Milliarden Jahre in die Zukunft.
- [17] Nick Bostrom: The Future of Humanity. In: J.-K. B. Olsen, S. A. Pedersen & V. F. Hendricks (Eds.), Companion to philosophy of technology, pp. 551-558. Wiley-Blackwell. 2010. Wissenschaftliche Veröffentlichung.
- [18] Adamatzky Andrew 2019A brief history of liquid computers. In: Phil. Trans. R. Soc. B3742018037220180372. http://doi.org/10.1098/rstb.2018.0372
- [19] Stanislaw Lem: Der Unbesiegbare. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967. ISBN 3-518-38959-9.
- [20] J. D. Bernal: The World, the Flesh & the Devil. An Enquiry into the Future of the Three Enemies of the Rational Soul. Foyle Publishing. 1929. Zum Beispiel: sich vermehrende Weltraumkolonien und der mechanisierte Mensch.
- [21] I. Stengers, T. S. Hammer: Toward a Speculative Approach to Biological Evolution. Environmental Philosophy, 6(1). 2009. 77–112. http://www.jstor.org/stable/26168006
- [22] N. Segev, Eshel Ben-Jacob: Evolvable Hardware: Genetic Search in a Physical Realm. In: Physica A Vol. 326, pp 265-285 (2003).
- [23] Dass der Mensch am Ende seiner Entwicklung angekommen ist, vermutet der Physiker und Nobelpreistäger Erwin Schrödinger. Er argumentiert mit der fehlenden biologischen Auslesefunktion von Krieg und Medizin: "Er [der Krieg] ist ein wahlloes Morden, ebenso wie unsere fortgeschrittene Heilkunde und Chirurgie auf wahllose Lebenserhaltung abzielt. Krieg und ärztliche Kuunst, verdienterweise Antipoden in unserer Achtung, treffen sich darin, daß sie für die Auslese wertlos sind. […] All das weist darauf hin, daß unsere Entwicklung als Art zum Stillstand gekommen ist und uns wenig Aussicht auf weiteren biologischen Fortschritt verheißt." Schrödinger sieht dennoch einen Weg zu einer Höherentwcklung, und zwar in Form des Lamarckismus. In: Erwin Schrödinger: Geist und Materie. Friedrich Vieweg & Sohn Braunschweig, 1961. Deutsche Ausgabe der Tanner Lectures vom Trinity College Oxford aus dem Jahr 1956 (Mind and Matter). Dort die Seite 13. Siehe auch Transhumanismus ↗
- [10] Eine (englischsprachige) Fachzeitschrift für spekulative Evolution (research aimed at developing the new paradigm of cosmos, life, consciousness and society emerging at the cutting edge of contemporary research): World Futures. The Journal of New Paradigm Research. URL: https://www.tandfonline.com/journals/gwof20