Modularität (Biologie)
Evolution
Basiswissen
Komplexe Systeme bestehen aus Teilen, auch Komponenten genannt. Beispielhaft kann man die Gesamteit von Genotyp und Phänotyp einer Population von Organismen als ein solches komplexes System auffassen. In der Evolution solcher Systeme beobachtet man, dass die Teile unter Umstände eher stabil bleiben, während das System als Ganzes sich stark verändert. Der US-amerikanische Biologe Stuart Alan Kauffmann (geboren 1939) spricht in diesem Zusammenhang auch von Frozen Components[1].
Modularitäten in der Biologie
Das Konzept der Modularität im Zusammenhang mit einer Optimierung in einer Erfolgslandschaft wurde bereits 1990 von dem Biologen Stuart Kauffmann formuliert[1]. Kaufmann hat anhand von Computersimulationen festgestellt, dass sich komplexe Organismen innerlich eher dann modular aufbauen, wenn die Erfolgslandschaft flachhügelig ist. 1996 untersuchte Günter Wagner dann, wie die interne Modularität mit der Fähigkeit einer evolutionären Anpassung unter ständigem Evolutionsdruck zusammenhängt[3]. Später wurde dann die Fokussierung auf den Evolutionsdruck als alleiniger Faktor für eine Modularisierung aufgegeben. Forscher konnten anhand der Verbindungen in neuronalen Netzwerken zeigen, dass die Anzahl der Verbindungen zwischen Komponenten selbst eine Einfluss auf die Netzwerkeffektivität hat: zu viele Verbindungen können ein Netzwerk weniger effizient machen[4]. Der Effekt davon ist, dass Netzwerke oft eine Tendenz hin zu einer Modularisierung oder Kompartmentalisierung zu evoluieren und damit eine zu große Anzahl von effizienzhemmenden Verbindungen zwischen den Teilkomponenten (z. B. Neuronen) vermeiden.
Modularität in der Soziologie
Auch die Soziologie betrachtet Populationen von Individuen (Menschen, Gruppen) die in einem evolutionären Kontext (Soziobiologie) konkurrieren und die einem Selektionsdruck (z. B. Unternehmen in der Wirtschaft) unterliegen. Analoge Strukturen zu Modulen in der Biologie entstehen dabei zum Beispiel in Unternehmen (Abteilungen, Bereiche) als auch in Bereichen der Gesellschaften (soziale Differenzierung, soziale Felder, Kompartmentalisierung). Interessant wäre hier, ob sich verallgemeinert Gesetzmäßigkeiten finden lassen, die für Systeme aus verschiedenen Fachgebieten gelten. Für die Soziologie siehe zum Beispiel unter soziale Differenzierung ↗
Kompartimentierung von Einzellnern
Ein ähnlicher Effekt wie die Kompartmentalisierung innerhalb einer Population ist die sogenannte Kompartimentierung von Einzellern: es bilden sich Zellorganellen aus, die als Module verstanden werden können. Siehe dazu unter Kompartimentierung [Einzeller] ↗
Fußnoten
- [1] Stuart Alan Kauffmann: Requirements for evolvability in complex systems: Orderly dynamics and frozen components. In: Physica D: Nonlinear Phenomena. Volume 42, Issues 1–3, June 1990, Pages 135-152. https://doi.org/10.1016/0167-2789(90)90071-
- [2] Greg Paperin, David G. Green, Suzanne Sadedin: Dual-phase evolution in complex adaptive systems. In: Journal of the Royal Society. Published:19 January 2010. Dort vor allem das Kapitel 4.6 "Models of Modularity". https://doi.org/10.1098/rsif.2010.0719
- [3] Günter P. Wagner: Homologues, natural kinds and the evolution of modularity. In: Integr. Comp. Biol. 36, 36–43. 1996. doi:10.1093/icb/36.1.36 (doi:10.1093/icb/36.1.36)
- J. Clune, J. B. Mouret, H. Lipson. 2013. "The evolutionary origins of modularity". Proceedings of the Royal Society B. 280: 20122863.
- [4] A. S. Yang: Modularity, evolvability, and adaptive radiations: a comparison of the hemi- and holometabolous insects. In: Evol. Dev. 3, 59–72.2001. doi:10.1046/j.1525-142x.2001.003002059.x (doi:10.1046/j.1525-142x.2001.003002059.x).
- [5] Stefan Bornholdt, Kim Sneppen: Robustness as an Evolutionary Principle. In: Proceedings: Biological Sciences. Vol. 267, No. 1459 (Nov. 22, 2000), pp. 2281-2286. 6 Seiten. Herausgegeben von der: Royal Society.
- [6] Mikhail Makarov: Early Selection of the Amino Acid Alphabet Was Adaptively Shaped by Biophysical Constraints of Foldability. Department of Cell Biology, Faculty of Science, Charles University, BIOCEV, Prague 12843, Czech Republic. In: Journal of the American Chemical Society. 2023, 145, 9, 5320–5329. DOI: https://doi.org/10.1021/jacs.2c12987 (frühe evolutionäre Entstehung des kanonische Alphabets aus 20 Aminosäuren)
- [7] Robert P. Bywater: Why twenty amino acid residue types suffice(d) to support all living systems. PLoS ONE 13(10): e0204883. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0204883