Ontologie (Philosophie)
Wissenschaft
Definition
Innerhalb der wissenschaftlich betriebenen Philosophie ist Ontologie definiert als eine Disziplin, die sich mit Grundbegriffen des Seins beschäftigt, mit Worten also wie Realität, Existenz, Werden und Sein selbst. Die moderne Ontologie deckt damit ab, was man zuvor in etwa auch als Metaphysik bezeichnete. Die aufgeworfenen Fragen sind keineswegs trivial. Hier stehen beispielhaft einige ontologische Fragen der Physik.
Beispiel I: gibt es ausdehnungslose Körper?
Der Mathematiker Rene Descartes formulierte eine sehr folgenreiche Einteilung der Welt in zwei grundlegende Phänomene: die res cogitans (denkende Substanz) und res extensa (ausgedehnte Substanz). Die res extansa steht für das, was wir heute am ehesten physikalische Körper oder auch Objekte mit Masse nennen würden. Aber muss jeder Körper wirklich Ausdehnung haben? Bei Elektronen ist die Sache unklar. Lies mehr dazu unter Ausdehnungslos ↗
Beispiel II: woraus besteht Licht?
Was ist Licht? Besteht aus kleinsten Teilchen, also Lichtatomen? Oder sind es Strahlen die sich ausdehnen? Die scheinbar harmlose Frage zur Natur des Lichts ist bis heute ungeklärt. Sie führte Physiker im frühen 19ten und 20ten Jahrhundert an die Grenzen menschlicher Begriffsbildung: seit Albert Einstein das Quantenprinzip auch auf Photonen, also hypothetisch gedachte Lichtteilchen, übertrug, ordnet man diesen Lichtteilchen rechnerisch eine Wellenlänge zu. Die Frage ist dann erlaubt, was einen einem gedachten Lichtteilchen wellenartig sein soll. Bewegt es sich in Schlängellinien (tut es sicher nicht), führt es ein physikalisches Feld mit sich, in dem etwas wellenartiges vor sich geht (wird diskutiert) oder ist der Wellencharakter eine reine Rechenvorschrift? Einfache Phänomene von Licht, wie etwa am Doppelspaltexperiment zu erkennen, werfen ferner die Frage auf, ob Licht zwischen zwei Beobachtungsvorgängen oder physikalischen Ereignissen überhaupt existiert. Man spricht zum Beispiel von einer Außenwelthypothese und meint damit die begründbare Annahme, dass die Außenwelt möglicherweise gar nicht für sich existiert sondern nur ein Denkmodell ist. Mehr dazu unter Außenwelthypothese ↗
III Was heißt sein, was ist Existenz?
Dass ein großer Stein "ist" und damit existiert scheint zunächst offensichtlich zu sein. Was aber sind die notwendigen Bedingungen für etwas Seiendes oder Existierendes? Muss die Sache durchweg in der Zeit sein? An manchen Bergkuppen bilden sich zum Beispiel Wolken, die zwischendurch verschwinden und später wieder erscheinen. Handelt es sich dabei um ständig dieselbe Wolke? Falls ja, in welcher Form hat sie existiert als sie nicht vorhanden war? Die Frage nach der Existenz wird in scharfer Form auch von der experimentellen Physik aufgeworfen, unter anderem durch das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon ↗
Was ist der Zweck der Welt?
Die Naturwissenschaften beschränken sich auf eine reine Beschreibung der sinnlich wahrnehmenbaren und messbaren Eigenschaften der Welt. Ihre Grundbegriffe sind Länge, Zeit, Anzahl und ähnliche Begriffe. Sinnstragende Begriffe wie das Gute, Sinn, Endzweck, Freiheit oder Gerechtigkeit sind ihr fremd. Doch im Grenzgebiet zwischen Physik und Philosophie werden die Fragen nach dem Wesen des Seins und einem dazugehörigen Sinn zusammengebracht: ist die Welt vielleicht so beschaffen, dass sie einen eher geistig-spirituellen Zweck erfüllt? Siehe dazu unter Anthropismus ↗
Fußnoten
- [1] 1796, die Ontologie als Grundwissenschaft: "Die Grundwissenschaft, plur. die -en, derjenige Theil der Grundlehre oder Metaphysik, worin die allgemeine Erkenntniß der Dinge abgehandelt wird; mit einem Griechischen Ausdrucke, die Ontologie. Andere belegen die ganze Grundlehre oder Metaphysik mit dem Nahmen der Grundwissenschaft." In: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 837. Online: http://www.zeno.org/nid/20000207802
- [2] 1809, die Ontologie behandelt Grundeigenschaften: "Die Ontologie, (Philos.) ein Theil der Metaphysik, welcher sich mit den Grundeigenschaften der Dinge beschäftigt. In: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 299. Online: http://www.zeno.org/nid/20000762970
- [3] 1837, die Ontologie als Wesenslehre: "Ontologie, Wesenlehre, ein Theil der Metaphysik (s. d.), welcher das Wesentliche eines Dinges, dessen Eigenschaften, nachweist, wornach man also auf dessen Dasein schließen muß." In: Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 17. Online: http://www.zeno.org/nid/20001755358
- [4] 1857, auch als Gottesbeweis: "Ontologie, griech. = Lehre vom Seienden, die reine Metaphysik zum Unterschied von der angewandten; s. Metaphysik, Philosophie. – Der ontologische Beweis für das Dasein Gottes, von Anselm von Canterbury (s. d.) aufgebracht, läuft auf den Gedanken hinaus: Gott müsse nothwendig vorhanden sein, weil Er das allervollkommenste Wesen, das Dasein aber auch eine Vollkommenheit sei. Obwohl von Descartes in Schutz genommen u. dahin ausgeführt: unserer Seele sei die Idee eines absolut vollkommenen Wesens, dessen erstes Attribut das Dasein sei, angeboren – sah man schon längst vor Kant ein, der ontologische Beweis tauge wenig, weil das Sein keineswegs eine Vollkommenheit ist." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 402. Online: http://www.zeno.org/nid/20003455157
- [5] 1861, Lehre vom Seienden: "Ontolŏgie (v. gr.), die Lehre von dem wahrhaft Seienden als dem, was den wechselnden Erscheinungen zu Grunde liegt, u. den allgemeinsten Bestimmungen desselben. Aristoteles bezeichnete sie, ohne den Namen zu gebrauchen, als die erste Philosophie; in den späteren Systemen der Metaphysik, namentlich dem der Wolf'schen Schule, bildete sie den ersten Theil der Metaphysik; es wurden in ihr abgehandelt die Begriffe des Dings überhaupt, der Möglichkeit, Wirklichkeit u. Nothwendigkeit, der Substanz u. Accidenz, der Ursache u. Wirkung, des Raumes u. der Zeit, des Einfachen u. Zusammengesetzten etc. Da die durch Kant herrschend gewordene kritische Richtung der Philosophie die Erkenntniß der Dinge an sich für unmöglich erklärte, so konnte bei ihm von einer O. nicht die Rede sein; in Systemen, welche eine objective Erkenntniß dessen was ist als die Aufgabe der Metaphysik festhalten, wie z. B. bei Herbart, findet sich für die Untersuchung des Begriffs des Seienden auch der alte Name der O. wieder. Daher Ontologischer Beweis, Beweis für das Dasein Gottes, s.u. Gott A) c)." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 301-302. Online: http://www.zeno.org/nid/2001055551X
- [6] 1904, Suche nach Gemeinsamen hinter allen Dingen: "Ontologie (ontologia): Wissenschaft vom Sein, vom Seienden (on) als solchem, von den allgemeinsten, fundamentalen, constitutiven Seinsbestimmungen (=allgemeine Metaphysik, s. d.. prôtê philosophia des ARISTOTELES). Bei CLAUBERG tritt »Ontologie« zuerst (auch als »Ontosophie«) auf. »Sicuti autem theosophia vel theologia dicitur quae circa Deum occupata est scientia: ita haec, quae non circa hoc vel illud ens speciali nomine insignitum vel proprietate quadam ab aliis distinctum, sed circa ens in genere versatur, non incommode ontosophia vel ontologia dici posse videatur« (Opp. p. 281). Bei CHR. WOLF ist die Ontologie der erste Teil der Metaphysik. »Ontologia seu philosophia prima est scientia entis in genere, seu quatenus ens est« (Ontolog. § 1). »Ea demonstrare debet, quae entibus omnibus sive absolute, sive sub data quadam constitutione conveniunt« (l. c. § 8). Es gibt eine »ontologia naturalis« und »artificialis« (l. c. § 21). »Ontologia est pars illa philosophiae, quae de ente in genere et generalibus entium affectionibus agit« (Philos. rational. § 73). Nach BAUMGARTEN ist die Ontologie »scientia praedicatorum entis generaliorum« (Met. § 41). BILFINGER erklärt: »Ontologia generales habitudines considerat ut entia sunt,« »explicat ens qua ens, sive essentiam, et quae ad illam pertinent, generaliter« (Dilucidat. § 4, 6). Nach J. EBERT werden in der Ontologie »die Eigenschaften, welche allen Dingen gemein sind«, erklärt (Vernunftlehre S. 9). KANT setzt an die Stelle der früheren Ontologie die Transcendentalphilosophie (s. d.). »Die Ontologie ist diejenige Wissenschaft (als Teil der Metaphysik), welche ein System aller Verstandesbegriffe und Grundsätze, aber nur sofern sie auf Gegenstände gehen, welche den Sinnen gegeben und also durch Erfahrung belegt werden können, ausmacht, Sie berührt nicht das Übersinnliche, welches doch der Endzweck der Metaphysik ist, gehört also zu dieser nur als Propädeutik, als die Halle oder der Vorhof der eigentlichen Metaphysik, und wird Transcendentalphilosophie genannt, weil sie die Bedingungen und ersten [53] Elemente aller unserer Erkenntnis a priori enthält« (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 98). – Bei J. J. WAGNER (Org. d. menschl. Erk.) ist die Ontologie das System der Kategorien. HEGEL erneuert die Ontologie, die bei ihm Logik und Metaphysik zugleich ist, als »die Lehre von den abstracten Bestimmungen des Wesens« (Encykl. § 33). Von Bedeutung ist die Ontologie bei ROSMINI, besonders bei GIOBERTI, MAMIANI (Sull' ontologia e del metodo) u. a. Bei HERBART ist sie wieder ein Teil der Metaphysik (Allgem. Met. § 199 ff.). Als Seinslehre tritt sie auf bei BRANISS (Syst. d. Met. S. 215 ff.), TRENDELENBURG, ULRICI, CHALYBAEUS (Wissenschaftslehre S. 95 ff.) u. a., als Teil der Erkenntnistheorie bei vielen Philosophen. Nach RIEHL, ist sie »die Wiesenschaft der Dinge aus Begriffen« (Philos. Kriticism. I 1, 266), nach SCHUPPE »Erkenntnis der Grundzüge des Wirklichen« (Log. S. 4). Vgl. Philosophie, Metaphysik, Ontologismus." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 53-54. Online: http://www.zeno.org/nid/20001797840
- [7] 1908, geistig oder materiell: "Ontologie (v. griech. on, »das Seiende«), die Lehre vom Sein und dem Seienden. Nach dem Sprachgebrauche der Scholastiker der Teil der Philosophie und speziell der Metaphysik, der sich mit den allgemeinen Eigenschaften des Seienden überhaupt, unabhängig davon, ob es geistiger oder materieller Art sei, beschäftigt. Über den ontologischen Beweis für das Dasein Gottes" In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 66-67. Online: http://www.zeno.org/nid/20007184972
- [8] 1911, Teil der Metaphysik: "Ontologīe (grch.), Wesenlehre, Lehre vom Seienden, Teil der Metaphysik. Ontolōgischer Beweis, der Beweis für das Dasein Gottes aus dem Gottesbegriff." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 310. Online: http://www.zeno.org/nid/20001408364
- [9] 1923, befreit von Theologie: "Die Alten und die Scholastiker, wenn man von den griechischen Skeptikern und von den mittelalterlichen Nominalisten absieht, behandelten die Frage nach der Realität der Dinge – man achte auf die Tautologie – in einer Disziplin, welche nacheinander die Namen: erste Philosophie, Metaphysik, Ontologie bekam. Man flüchtete vor dem sich unmittelbar aufdrängenden naiven Realismus in die ideale Welt, in einen Ideal-Realismus hinein und war noch nicht imstande, zwischen Objektivität und Subjektivität, zwischen Wirklichkeit und Scheinbarkeit der Gedankendinge zu unterscheiden. Die Bezeichnung Ontologie für diese ganze Disziplin hat aber erst, wie schon einmal erwähnt, Clauberg erfunden, der nach Klarheit ringende Cartesianer, welcher endlich einmal deutlich Theologie und Welterkenntnis auseinander halten wollte und darum eine Wissenschaft vom Wesen, von der Dingheit, von der Wirklichkeit also, forderte. Wie es eine Wissenschaft der Theosophie oder Theologie gebe, so könne man die Wissenschaft vom Wesen im allgemeinen (circa ens in genere) nicht unpassend (non incommode) ontosophia oder ontologia nennen." Der Artikel geht dann weiter noch sehr ausführlich und kritisch auf einzelne Position zur Ontologie ein. In: der Artikel "Realismus". Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 2 1923, Band 3, S. 20-22. Online: http://www.zeno.org/nid/20006181422
- [10] 1995, Namensherkunft: "Namenserklärung: Der Name »O.«, den Goclenius (1613) neu gebildet hatte, setzte sich als Bezeichnung für den aristotelischen Titel »erste Philosophie« in der deutschen Schulmetaphysik des 17. Jh. nur zögernd durch, bis ihn Ch. Wolff allgemein zum Disziplinbegriff ausgestaltete." Heute, so das Lexikon, werden Ontologie nicht mehr der Rang einer "ersten Philosophie" zugestanden. In: der Artikel "Ontologie". Metzler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Dort die Seiten 415 bis 419 (sehr ausführliche Behandlung). Siehe auch Metzler Philosophie Lexikon ↗
- [11] Bernhard Kastrup: The Idea of the World. A rigorous case for the primacy of mind in nature, from philosophy to neuroscience, psychology and physics. 2019. ISBN: 978-1-78535-739-8. Die Kernaussage des Buches ist, dass die Welt im Wesentlichen mental ist.
- [12] Der Physiker Franz Serafin Exner zeigt am Beispiel der Äthertheorie, wie manche Physiker die ontologische Frage zugunsten einer rein formalen Handhabung ignorieren. Exner fügt seine Gedanken in die Betrachtung von elektromagnetischen Wellen im Vakuum ein. Wellen sind dabei Schwingungen von schwingenden Dingen, den Oszillatoren: "Die von dem Oszillator ausgehende periodisch wechselnde Kraft, sowohl die elektrische wie natürlich auch die magnetische, durchsetzen den Äther oder, wie viele, die die Existenz des Äthers leugnen, glauben, den absolut leeren Raum […] Mathematisch läßt sich der Vorgang allerdings so auffassen, ohne Zuhilfenahme des Äthers, physikalisch aber wohl kaum,; wir kennen nur die Entstehung von Magnetfeldern durch wirkliche elektrische Ströme, also durch die Bewegung von Elektrizitätsmengen und so werden wir auch hier ein Medium, den Äther, annehmen - selbst wenn sonst keine Gründe für seine Existenz da wären …" In: Franz Serafin Exner: Vorlesungen über die physikalischen Grundlagen der Naturwissenschaften. Deuticke, Wien 1919, OBV. Dort die "68. Vorlesung", Seite 510. Siehe auch Äthertheorie ↗