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Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Berkeley-Frage

Philosophie

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Basiswissen


George Berkeley (1685-1753) spitzte die Frage nach der Wirklichkeit der Welt mit dem Gedanken zu, dass sie vielleicht nur ein Traum sein könnte und wir dies nicht herausfinden könnten. Das ist hier mit Berkeleys originalen Worten und Zitaten anderer Denker kurz vorgestellt.



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Gibt es eine Wirklichkeit außerhalb unserer Vorstellung? Der Philosoph George Berkeley hielt diese Idee für abwegig. © Gunter Heim (ChatGPT, DALL) ☛


Das Original-Zitat von George Berkeley


Das folgende Zitat wurde erstmals im Jahr 1710 veröffentlicht[1]. Zu dieser Zeit lebten auch Newton und Leibniz. George Berkeley zweifelt an, dass es überhaupt Dinge außerhalb unserer Wahrnehmun geben soll:

ZITAT:

It is indeed an opinion strangely prevailing amongst men, that houses, mountains, rivers, and in a word all sensible objects have an existence natural or real, distinct from their being perceived by the understanding. But with how great an assurance and acquiescence soever this principle may be entertained in the world; yet whoever shall find in his heart to call it in question, may, if I mistake not, perceive it to involve a manifest contradiction. For what are the forementioned objects but the things we perceive by sense, and what do we perceive besides our own ideas or sensations; and is it not plainly repugnant that any one of these or any combination of them should exist unperceived?

Sinngemäß auf Deutsch übersetzt: Es ist in der Tat eine seltsam vorherrschende Meinung, dass Häuser, Berge, Flüsse, kurz alle wahrnehmbaren Dinge eine natürliche oder reale Existenz abseits von der bloßen Wahrnehmung durch die Vernunft haben sollten. Doch ganz gleich mit welch großer Sicherheit und Anerkennung dieses Prinzip in der Welt auch gehandhabt wird: wer es anzweifeln wolle, wird darin wohl einen Widerspruch erkennen. Denn was sind die oben erwähnten Gegenstände anderes als die Dinge aus unserer Wahrnehmung, und was abseits unserer Ideen und Sinneseindrücke nehmen wir überhaupt wahr? Und ist es nicht offensichtlich widersinnig, dass irgendetwas davon alleine oder zusammengefügt ohne Wahrnehmung existieren sollte?

Esse est percipi


Kennzeichnend für die Sicht ist auch Berkeleys Antwort auf die Frage ob sein Schreibtisch den existiere, wenn er gerade nicht in seiner Studierstube sei. Berkeley vermeidet die Antwort hin zu einer eigenständigen Existenz des Schreibtischs indem er die Existenz konsequent gleichsetzt mit Wahgenommen-Werden (esse est percipi):

ZITAT:

"Befände ich mich außerhalb meiner Studierstube, so hätte meine Behauptung, dass mein Schreibtisch existiert, den Sinn, dass ich, wenn ich in meiner Studierstube wäre, ihn wahrnehmen könnte oder dass irgenein anderer ihn gegenwärtig wahrnimmt."[1, §3]

Diese Sichtweise Berkeleys lässt zwei Deutungen offen: entweder wir setzen a) die Existenz von Dingen an sich radikal gleich mit einer Existenz ausschließlich in unserer Wahrnehmung oder b) wir lassen eine reale Existenz von Dingen außerhalb unserer Wahrnehmung als möglich gelten, halten sie aber für unbeweisbar und ziehen beschränken uns methodisch darauf, nur dann von einer Existenz zu sprechen, wenn wir auch tatsächlich etwas Wahrnehmen. Siehe mehr dazu unter Esse est percipi ↗

Was manche für eine Spitzfindigkeit aus überholten Zeiten philosophischer Weltfremdheit halten mögen, hat aber gerade auch Physiker immer wieder beschäftigt. Das zeigt das folgende Beispiel von Einsteins Mond-Frage.

Einsteins berühmte Mond-Frage


Berkeleys Vorsicht gegenüber der Existenz seines Schreibtischs auch wenn er diesen nicht gerade wahrnimmt, ist auch der Kern eines kurzen Wortwechsels zwischen Albert Einstein und Abraham Pais. Der Wissenschaftshistoriker und Weggefährte von Einstein, Abraham Pais (1918 bis 2000) erinnert sich:

ZITAT:

“We [Pais, Einstein und Bohr] often discussed his notions on objective reality. I recall that during one walk Einstein suddenly stopped, turned to me and asked whether I really believed that the moon exists only when I look at it."[2]

Einstein vermutet, dass Pais den Mond nur dann für existent betrachtet, wenn jemand ihn ansieht. Einstein konnte diesen Gedanken nie akzeptieren. Einsteil galt als sogenannter Realist, der an die eigenständige Existenz einer Wirklichkeit außerhalb unserer Wahrnehmung fest glaubte. Einsteins Position ist also der Skepsis Berkeleys direkt entgegengesetzt.[5]

Die Berkeley-Frage in der Physik


Einstein hatte also die Frage nach der Realität damit auf die Spitze getrieben, dass er anzweifelte, ob der Mond existiere, wenn niemand ihn ansieht. Der Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger war sich Einsteins Position bewusst. Zeilinger fasste das erkenntnistheoretische Dilemma wie folgt zusammen: „Das Universum ist ein harter Knochen. Weil, offenkundig das Universum existiert und es existierte bereits vor unserer Beobachtung und es macht natürlich keinen Sinn, vom ganzen Universum zu behaupten, das kommt nur dadurch in Existenz, dass wir mal hinsehen. Auf der anderen Seite, bei Quantenphänomenens gibt es dieses Problem. Wie das jetzt miteinander zu vereinigen ist, das weiß ich nicht, das ist eine wirklich wichtige Frage.[2]“ Anton Zeilinger sah mehrere Probleme mit dem Konzept einer objektiven Realität. Siehe dazu Zeilingers Kant-Forderung ↗

Die harte Berkeley-Frage


Existiert überhaupt eine eigenständige Welt außerhalb unserer Wahrnehmung? Hier ist die Berekely-Frage ist so gestellt, dass eine Verneinung möglich ist. Das Sein, die Realität ist möglicherweise nichts anderes als Wahrnehmung (esse est percipi). Diese Formulierung passt gut auf Berkeleys strenge Ablehnung einer Welt außerhalb der Wahrnehmung. Eine solche Position, dass die Welt im Wesentlichen nur Vorstellung ist, bezeichnet man in der Philosophie auch als Idealismus ↗

Die weiche Berkeley-Frage


Ist das Sein wesentlich durch unserer Wahrnehmung geformt? So formuliert, geht die Berkeley-Frage von der Realität einer Welt außerhalb unserer Wahrnehmung aus, betrachtet sie aber weitgehend als formbar und gestaltbar durch die Art, wie wir sie wahrnehmen. Wie das Subjekt auf die Wirklichkeit blickt, formt das Objektive dieser Wirklichkeit. Tatsächlich äußern sich gerade Physiker immer wieder in dieser Richtung[4], berühmt als Metapher ist hier das Bild von Schrödingers Katze[5]. Dass die physikalische Realität, die vermeintliche Außenwelt, möglicherweise untentrinnbar durch unsere Psyche, unsere Wahrnehmung geformt wird wird unter anderem nahegelegt durch das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon ↗

Die Außenwelthypothese


In der Physik wird die Frage, ob es eine für sich selbst existierende Welt gibt mit dem Begriff der Außenwelthypothese verbunden. Eine Physik ganz ohne Außenwelthypothese konzipierte der Österreicher Ernst Mach im 19ten Jahrhundert. Machs Gedanken hatten eine starke Wirkung auf einige der auf ihn folgenden Quantenphysiker. Siehe auch Außenwelthypothese ↗

Die Simulationshypothese


Seit den 1970er Jahren zunächst als Motiv von Science Fiction Filmen populär geworden, gewann die Metapher einer computergenerierten Welt in den 1990er Jahren mit dem Aufkommen des Internets an Popularität. Eine ausformulierte Präzisierung solcher Gedanken ist die sogenannte Simulationshypothese ↗

Fußnoten


  • [1] George Berkeley: Treatise on the Principles of Human Knowledge. 1710: "It is indeed an opinion strangely prevailing amongst men, that houses, mountains, rivers, and in a word all sensible objects have an existence natural or real, distinct from their being perceived by the understanding. But with how great an assurance and acquiescence soever this principle may be entertained in the world; yet whoever shall find in his heart to call it in question, may, if I mistake not, perceive it to involve a manifest contradiction. For what are the forementioned objects but the things we perceive by sense, and what do we perceive besides our own ideas or sensations; and is it not plainly repugnant that any one of these or any combination of them should exist unperceived?"
  • [3] Anton Zeilinger: Einstein auf dem Prüfstand. In: Sternstunde Philosophie. Interview des Schweizer Rundfunks. 14.05.2006. Siehe auch Zeilingers Kant-Forderung ↗
  • [4] Der Blick formt das Gesehene: "Modern quantum theory reinforces Bohr's conclusion that what you see depends on how you choose to look." In: F. Wilczek: The enigmatic electron. Nature 498, 31–32 (2013). https://doi.org/10.1038/498031a
  • [5] Albert Einstein glaubt fest an die Existenz einer objektiven, realen Außenwelt: "die Begriffe der Physik beziehen sich auf eine reale Außenwelt, d. h. es sind Ideen von Dingen gesetzt, die eine von den wahrnehmenden Subjekten unabhängige >reale Existenz< beanspruchen (Körper, Felder etc.), welche Ideen andererseits zu Sinneseindrücken in möglichst sichere Beziehung gebracht sind. Charakteristisch für diese physikalischen Dinge ist ferner, daß sie in ein raum-zeitliches Kontinuum eingeordnet gedacht sind. Wesentlich für diese Einordnung der in der Physik eingeführten Dinge erscheint ferner, daß zu einer bestimmten Zeit diese Dinge eine voneinander unabhängige Existenz beanspruchen, soweit diese Dinge >in verschiedenen Teilen des Raumes liegen<. Ohne die Annahme einer solchen Unabhängigkeit der Existenz (des >So-Seins<) der räumlich distanten Dinge voneinander, die zunächst dem Alltags-Denken entstammt, wäre physikalisches Denken in dem uns geläufigen Sinn nicht möglich." Albert Einstein in einem Brief an Max Born, geschrieben am 5. April 1948. In: Albert Einstein Max Born Briefwechsel 1916-1955. Geleitworte von Bertrand Russell und Werner Heisenberg. Ullstein Buch, Frankfurt am Main, 1986. ISBN: 3-548-3445-7. Dort die Seite 231. Siehe auch Außenwelthypothese ↗