Phänomenologie
Physik
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Basiswissen|
Nach Newton, 1713|
Nach Lambert, 1764|
Gustav Robert Kirchhoff|
Ludwig Boltzmann|
In der Didaktik|
Persönliche Einschätzung|
Fußnoten
Basiswissen
Wörtlich genommen ist die Phänomenologie die Wissenschaft vom Zusammenhang und den Übergängen zwischen Erscheinungen.[11] Phänomen heißt dabei so viel wie Erscheinung oder überhaupt etwas Wahrnehmbares[11], speziell von Bewusstseinszuständen[13], des Geistigen[14]. Oft wird mit Phänomenologie auch eine vorwiegend beschreibende[9][13] und nicht so sehr bereits erklärende und nach Ursachen forschende Haltung[10] bezeichnet. In der Didaktik der Naturwissenschaftlichen schließlich findet man in Verbindung mit dem Wort phänomenologisch oft Betrachtungen dazu, inwiefern den Lernenden zunächst nur Phänomene[15] nahe gebracht werden sollte, oft in beschreibender Weise, oder ob bereits näher nach Theorien gefragt werden soll, die hinter den Phänomenen stehen.[16]
Nach Newton, 1713
Schon Isaac Newton drückte klar aus, dass für ihn die Phänomene den Vorrang haben gegenüber Hypothesen, zumindest was die experimentelle Physik angeht. Im Jahr 1713 schreibt er in der Ausgabe seiner Principia aus diesem Jahr:
ZITAT:
"Was nämlich nicht aus den Erscheinungen folgt, ist als Hypothese zu bezeichnen, und Hypothesen, ob sie nun metaphysisch oder physikalisch oder über verborgene Eigenschaften oder mechanisch sind, haben in der Experimentalphysik keinen Platz. In dieser Physik werden Aussagen aus Erschheinungen abgeleitet und durch Induktion verallgemeinert."[9]
"Was nämlich nicht aus den Erscheinungen folgt, ist als Hypothese zu bezeichnen, und Hypothesen, ob sie nun metaphysisch oder physikalisch oder über verborgene Eigenschaften oder mechanisch sind, haben in der Experimentalphysik keinen Platz. In dieser Physik werden Aussagen aus Erschheinungen abgeleitet und durch Induktion verallgemeinert."[9]
Newton sagt nicht, dass Hypothesen in der Physik an sich keinen Platz hätten. Er beschränkt seine Aussage ausdrücklich auf die experimentelle Physik. Interessant ist hier, dass auch die heutige, moderne Physik sich in eine experimentelle und eine theoretische Physik teilt. Am Beispiel der Anziehungskraft macht Newton deutlich, wie er das genau versteht:
ZITAT:
"Ich habe bisher die Erscheinungen der Himmelskörper und die Bewegungen des Meeres durch die Kraft der Schwere erklärt, aber ich habe nirgends die Ursache der letzteren angegeben. Diese Kraft rührt von irgend einer Ursache her, welche bis zum Mittelpunkte der Sonne und der Planeten dringt, ohne irgend etwas von ihrer Wirksamkeit zu verlieren. Sie wirkt nicht nach Verhältniss der Oberfläche derjenigen Theilchen, worauf sie einwirkt (wie die mechanischen Ursachen), sondern nach Verhältniss der Menge fester Materie, und ihre Wirkung erstreckt sich nach allen Seiten hin, bis in ungeheure Entfernungen, indem sie stets im doppelten Verhältniss der letzteren abnimmt. Die Schwere gegen die Sonne ist aus der Schwere gegen jedes ihrer Theilchen zusammengesetzt, und sie nimmt mit der Entfernung von der Sonne genau im doppelten Verhältniss der Abstände ab, und dies geschieht bis zur Bahn des Saturns, wie die Ruhe der Aphelien der Planeten beweist; sie erstreckt sich ferner bis zu den äusseren Aphelien der Kometen, wenn diese Aphelien in Ruhe sind."[10]
"Ich habe bisher die Erscheinungen der Himmelskörper und die Bewegungen des Meeres durch die Kraft der Schwere erklärt, aber ich habe nirgends die Ursache der letzteren angegeben. Diese Kraft rührt von irgend einer Ursache her, welche bis zum Mittelpunkte der Sonne und der Planeten dringt, ohne irgend etwas von ihrer Wirksamkeit zu verlieren. Sie wirkt nicht nach Verhältniss der Oberfläche derjenigen Theilchen, worauf sie einwirkt (wie die mechanischen Ursachen), sondern nach Verhältniss der Menge fester Materie, und ihre Wirkung erstreckt sich nach allen Seiten hin, bis in ungeheure Entfernungen, indem sie stets im doppelten Verhältniss der letzteren abnimmt. Die Schwere gegen die Sonne ist aus der Schwere gegen jedes ihrer Theilchen zusammengesetzt, und sie nimmt mit der Entfernung von der Sonne genau im doppelten Verhältniss der Abstände ab, und dies geschieht bis zur Bahn des Saturns, wie die Ruhe der Aphelien der Planeten beweist; sie erstreckt sich ferner bis zu den äusseren Aphelien der Kometen, wenn diese Aphelien in Ruhe sind."[10]
Jetzt kommt das Wesentliche:
ZITAT:
: "Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht. Alles nämlich, was nicht aus den Erscheinungen folgt, ist eine Hypothese und Hypothesen, seien sie nun metaphysische oder physische, mechanische oder diejenigen der verborgenen Eigenschaften, dürfen nicht in die Experimentalphysik aufgenommen werden."[10]
: "Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht. Alles nämlich, was nicht aus den Erscheinungen folgt, ist eine Hypothese und Hypothesen, seien sie nun metaphysische oder physische, mechanische oder diejenigen der verborgenen Eigenschaften, dürfen nicht in die Experimentalphysik aufgenommen werden."[10]
Wesentlich ist, dass es nicht nötig ist, ja man es sogar nicht machen soll, nach tieferen Ursachen zu suchen, hier etwa für die Gravitationskraft. Es ist für die Experimentalphysik ausreichend, wenn man mathematische Gesetze angeben kann, die das Phänomen beschreiben. Heute würde man vielleicht auch sagen, dass man mit einem mathematischen Modell (das Gravitationsgesetz) Vorhersagen machen können muss, die dann im Experiment auch bestätigt werden.
Nach Lambert, 1764
Johann Heinrich Lambert, 1728 bis 1777, formulierte eine von ihm so genannte Phänomenologie als eine von vier Wissenschaften mit deren Hilfe man zu Wahrheiten vordringen könnte. Die Phänomenologie Lamberts sollte vor allem vor nur scheinbar gültigen Urteilen und Eindrücken schützen:
ZITAT:
"Endlich ist die Phänomenologie, oder die Lehre von dem Schein [...] und diese soll den Schein kenntlich machen, und die Mittel angeben, denselben zu vermeiden, und zu dem Wahren durchzudringen."[1]
"Endlich ist die Phänomenologie, oder die Lehre von dem Schein [...] und diese soll den Schein kenntlich machen, und die Mittel angeben, denselben zu vermeiden, und zu dem Wahren durchzudringen."[1]
ZITAT:
"Von der Phänomenologie ist bisher in den Vernunftlehren noch wenig vorgekommen, so nothwendig es auch ist, das Wahre von dem Schein zu unterscheiden. Sie geht zwar auch nicht durchaus unmittelbar auf die sogenannte logische, sondern mehr auf die metaphysische Wahrheit, weil der Schein mehrentheils dem Realen entgegengesetzt wird. Indessen ist es immer auch ein Irrthum, wenn man das, was eine Sache zu seyn scheint, mit dem verwechselt, was sie wirklich ist".[1]
"Von der Phänomenologie ist bisher in den Vernunftlehren noch wenig vorgekommen, so nothwendig es auch ist, das Wahre von dem Schein zu unterscheiden. Sie geht zwar auch nicht durchaus unmittelbar auf die sogenannte logische, sondern mehr auf die metaphysische Wahrheit, weil der Schein mehrentheils dem Realen entgegengesetzt wird. Indessen ist es immer auch ein Irrthum, wenn man das, was eine Sache zu seyn scheint, mit dem verwechselt, was sie wirklich ist".[1]
Lambert legt großen Wert darauf, die Phänomene sorgfältig zu beschreiben und sich gegen allerlei (Selbst)Täuschungen zu wappnen. Das ist die erste Bedeutung von Phänomenologie, nämlich nicht zu schnell zu Theorien vorzudringen, sondern erst einmal lange bei der Beschreibung dessen bleiben, was man sinnlich direkt wahrnimmt.
Gustav Robert Kirchhoff
Für Kirchhoff war die Mechanik die eigentliche Grundlage moderner Naturwissenschaft. Was Kirchhoff hier über die Mechanik, sagt gilt dann auch für die Naturwissenschaft insgesamt.
ZITAT:
"Mechanik ist die Wissenschaft von der Bewegung; als ihre Aufgabe bezeichnen wir: die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben."[4]
"Mechanik ist die Wissenschaft von der Bewegung; als ihre Aufgabe bezeichnen wir: die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben."[4]
ZITAT:
"Aus diesem Grunde stelle ich es als die Aufgabe der Mechanik hin, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben. Ich will damit sagen, daß es sich nur darum handeln soll, anzugeben, welches die Erscheinungen sind, die stattfinden, nicht aber darum, ihre Ursachen zu ermitteln."[5]
"Aus diesem Grunde stelle ich es als die Aufgabe der Mechanik hin, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben. Ich will damit sagen, daß es sich nur darum handeln soll, anzugeben, welches die Erscheinungen sind, die stattfinden, nicht aber darum, ihre Ursachen zu ermitteln."[5]
Bei Kirchhhoff wird die zweite Bedeutung von Phänomenologie deutlich: die Wissenschaft soll sich auf die Phänomene beschränken und nicht nach tieferen Ursachen hinter diesen Erscheinungen suchen. Dieser Ansatz wurde später von dem Physiker Ernst Mach ins Extreme getrieben.[8]
Ludwig Boltzmann
Ludwig Boltzmann war einer der herausragenden Physiker des späten 19ten Jahrhunderts. Gleichzeitig dachte er als Naturphilosoph auch über die Bedeutung der physikalischen Ergebnisse und ihrer Grundlagen nach. Ihm und einigen ihm nahe stehenden Denker wird eine Deutung der Phänomenologie zugeschrieben, die in etwa lauten könnte: um uns den ständigen Wechsel der Dinge um uns herum beherrschbar oder nachvollziebar zu machen, sollten wir gute innere Denkbilder, Modelle entwickeln. Doch diese Bilder sind nur praktischer Natur, sie sind kein Abbild der Wirklichkeit. Was hinter der Welt der Erscheinungen steht oder was sie letztend Endes versursacht, darüber müssen die Denkbilder nichts sagen. Hier sind einige Zitate Boltzmanns, die diese Sicht wieder geben.
Zunächst: was heißt Phänomenologie im Sinne Boltzmanns? Ich fand bisher noch keine explizite Definition bei ihm, die beginnt mit: "Phänomenologie ist" oder "als Phänomenologie bezeichne ich". Man muss in seinen Texten nach verstreuten Hinweisen suchen und dann ein Bild seiner Vorstellung daraus zusammenbauen.
ZITAT:
"Außer der Atomistik in ihrer heutigen Form ist noch eine zweite Methode in der theoretischen Physik üblich, nämlich die Darstellung eines möglichst eng begrenzten Tatsachengebietes durch Differentialgleichungen. Wir wollen sie die Phänomenologie auf mathematisch-physikalischer Grundlage nennen."[7]
"Außer der Atomistik in ihrer heutigen Form ist noch eine zweite Methode in der theoretischen Physik üblich, nämlich die Darstellung eines möglichst eng begrenzten Tatsachengebietes durch Differentialgleichungen. Wir wollen sie die Phänomenologie auf mathematisch-physikalischer Grundlage nennen."[7]
ZITAT:
"Ich bin der Meinung, daß die Aufgabe der Theorie in der Konstruktion eines rein in uns existierenden Abbildes der Außenwelt besteht, das uns in allen unseren Gedanken und Experimenten als Leitstern zu dienen hat, also gewissermaßen in der Vollendung des Denkprozesses, der Ausführung dessen im großen, was sich bei Bildung jeder Vorstellung im kleinen in uns vollzieht."[6]
"Ich bin der Meinung, daß die Aufgabe der Theorie in der Konstruktion eines rein in uns existierenden Abbildes der Außenwelt besteht, das uns in allen unseren Gedanken und Experimenten als Leitstern zu dienen hat, also gewissermaßen in der Vollendung des Denkprozesses, der Ausführung dessen im großen, was sich bei Bildung jeder Vorstellung im kleinen in uns vollzieht."[6]
Das "Ding an sich" oder die "wahren Ursachen" zu finden, ist nicht Aufgabe der Theorie in der Physik:
ZITAT:
"Ich bin der Meinung, daß die Aufgabe der Theorie in der Konstruktion eines rein in uns existierenden Abbildes der Außenwelt besteht; daß wir, wenn wir die Erscheinungen auf die einfachste Weise ordnen und vollständig darstellen, das Ziel erreicht haben; nicht, daß die Theorie die Dinge an sich oder ihre wahren Ursachen erkennen lasse."[6]
"Ich bin der Meinung, daß die Aufgabe der Theorie in der Konstruktion eines rein in uns existierenden Abbildes der Außenwelt besteht; daß wir, wenn wir die Erscheinungen auf die einfachste Weise ordnen und vollständig darstellen, das Ziel erreicht haben; nicht, daß die Theorie die Dinge an sich oder ihre wahren Ursachen erkennen lasse."[6]
Und noch einmal:
ZITAT:
"Andere Denker paraphrasiert Boltzmann dahingehend, "daß es nicht Aufgabe der Theorie sein könne, den Mechanismus der Natur zu durchschauen, sondern bloß von möglichst einfachen Voraussetzungen ausgehend (daß gewisse Größen lineare oder sonst einfache Funk-
"Andere Denker paraphrasiert Boltzmann dahingehend, "daß es nicht Aufgabe der Theorie sein könne, den Mechanismus der Natur zu durchschauen, sondern bloß von möglichst einfachen Voraussetzungen ausgehend (daß gewisse Größen lineare oder sonst einfache Funk-
Was er unter den "Mäntelchen" versteht, die die "Phantasie" den beobachteten Erscheinungen", den Phänomenen umhängt, macht er ebenfalls deutlich. Es ist zum Beispiel die mechanistische Weltvorstellung, wie sie um die Zeit der französischen Revolution von französischen Denkern erschaffen worden sei:
ZITAT:
"Es wurden mechanische Voraussetzungen gemacht, woraus mittels der zu einer Art von geometrischer Evidenz gelangten Prinzipien der Mechanik eine Gruppe von Naturerscheinungen erklärt wurde. Man war sich zwar bewußt, daß die Voraussetzungen nicht mit apodiktischer Gewißheit als richtig bezeichnet werden konnten, aber man hielt es doch bis zu einem gewissen Grade für wahrscheinlich, daß sie der Wirklichkeit genau entsprächen und nannte sie deshalb Hypothesen. So dachte man sich die Materie, den zur Erklärung der Lichterscheinungen notwendigen Lichtäther und die beiden elektrischen Fluida als Summen mathematischer Punkte. Zwischen je zwei solchen Punkten dachte man sich eine Kraft wirksam, deren Richtung in ihre Verbindungslinie fällt und deren Intensität eine noch zu bestimmende Funktion ihrer Entfernung sein sollte (Boscovic). Ein Geist, dem alle Anfangspositionen und Anfangsgeschwindigkeiten aller dieser materiellen Teilchen, sowie alle Kräfte bekannt wären, und der auch alle daraus resultierenden Differentialgleichungen zu integrieren verstünde, könnte den ganzen Weltlauf voraus berechnen, wie der Astronom eine Sonnenfinsternis (La Place). Man stand nicht an, diese Kräfte, welche man sich als das ursprünglich Gegebene, nicht weiter Erklärbare dachte, als die Ursachen der Erscheinungen, die Berechnung derselben aus den Differentialgleichungen als ihre Erklärung zu bezeichnen."[6]
"Es wurden mechanische Voraussetzungen gemacht, woraus mittels der zu einer Art von geometrischer Evidenz gelangten Prinzipien der Mechanik eine Gruppe von Naturerscheinungen erklärt wurde. Man war sich zwar bewußt, daß die Voraussetzungen nicht mit apodiktischer Gewißheit als richtig bezeichnet werden konnten, aber man hielt es doch bis zu einem gewissen Grade für wahrscheinlich, daß sie der Wirklichkeit genau entsprächen und nannte sie deshalb Hypothesen. So dachte man sich die Materie, den zur Erklärung der Lichterscheinungen notwendigen Lichtäther und die beiden elektrischen Fluida als Summen mathematischer Punkte. Zwischen je zwei solchen Punkten dachte man sich eine Kraft wirksam, deren Richtung in ihre Verbindungslinie fällt und deren Intensität eine noch zu bestimmende Funktion ihrer Entfernung sein sollte (Boscovic). Ein Geist, dem alle Anfangspositionen und Anfangsgeschwindigkeiten aller dieser materiellen Teilchen, sowie alle Kräfte bekannt wären, und der auch alle daraus resultierenden Differentialgleichungen zu integrieren verstünde, könnte den ganzen Weltlauf voraus berechnen, wie der Astronom eine Sonnenfinsternis (La Place). Man stand nicht an, diese Kräfte, welche man sich als das ursprünglich Gegebene, nicht weiter Erklärbare dachte, als die Ursachen der Erscheinungen, die Berechnung derselben aus den Differentialgleichungen als ihre Erklärung zu bezeichnen."[6]
Hat man Formeln gefunden, mit denen man alles vorausberechnen oder vorhersagen könnte, dann hat die Physik ihren Zweck erfüllt:
ZITAT:
"Es muß auch zugegeben werden, daß der Zweck jeder Wissenschaft, und daher auch der Physik, in der vollkommensten Weise erreicht wäre, wenn man Formeln gefunden hätte, welche die Naturerscheinungen vollständig darstellen.“[6]
"Es muß auch zugegeben werden, daß der Zweck jeder Wissenschaft, und daher auch der Physik, in der vollkommensten Weise erreicht wäre, wenn man Formeln gefunden hätte, welche die Naturerscheinungen vollständig darstellen.“[6]
Die Bilder von der Wirklichkeit, die man sich machte, galten jetzt nur noch als Analogien:
ZITAT:
"die alten Hypothesen [die der Wirklichkeit entsprechen sollten] konnten nur aufrecht erhalten werden, so lange
"die alten Hypothesen [die der Wirklichkeit entsprechen sollten] konnten nur aufrecht erhalten werden, so lange
es nicht übel nehmen, wenn sie in einzelnen Punkten hinkt. Daher wurden bald auch die alten Theorien, so die elastische Theorie des Lichtes, die Gastheorie, die Schemata der Chemiker für die Benzolringe usw., nur mehr als mechanische Analogien aufgefaßt, und endlich generalisierte die Philosophie Maxwells Ideen bis zur Lehre, daß die Erkenntnis überhaupt nichts anderes sei, als die Auffindung von Analogien. Damit war die alte wissenschaftliche Methode wieder hinwegdefiniert und die Wissenschaft sprach nur mehr in Gleichnissen." Alle diese mechanischen Modelle bestanden vorerst freilich nur im Gedanken, es waren dynamische Illustrationen in der Phantasie, und sie konnten auch in dieser Allgemeiheit nicht praktisch ausgeführt werden."[6]
Boltzmann erwähnt dann einige Zeitgenossen die mit der Methode der bloßen Analogien große Erfolge erzielten. Dabei macht Boltzmann das Zwiespältige passend deutlich:
ZITAT:
"Sie alle zeigen, wie die neue Richtung den Verzicht auf vollständige Kongruenz mit der Natur durch um so schlagenderes Hervortreten der Ähnlichkeitspunkte wettmacht. Ihr gehört ohne Zweifel die nächste Zukunft".[6]
"Sie alle zeigen, wie die neue Richtung den Verzicht auf vollständige Kongruenz mit der Natur durch um so schlagenderes Hervortreten der Ähnlichkeitspunkte wettmacht. Ihr gehört ohne Zweifel die nächste Zukunft".[6]
Was Boltzmann so ausführlich und treffend an Beispielen der klassichen Physik des 19ten Jahrhunderts diskutierte entspricht sehr weitgehend dem, was man heute als Modelldenken beschreibt: für das Modell genügt es, wenn es einige nützliche Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit hat. Siehe mehr unter Modell (Wissenschaft) ↗
In der Didaktik
In der Didaktik findet man weniger das Wort Phänomenologie selbst als vielmehr das Adektiv phänomenologisch. In Bezug auf den Unterricht steht phänomenologisch dann meist für einen Ansatz, zunächst mehr beschreibend bei den Dingen zu bleiben, die man sinnlich, etwa mit dem Auge oder Ohr direkt wahrnehmen kann, bis hin zu der extremen Position, dass das sinnlich Wahrgenommen auch das (fast alleinig) Wesentliche sei. Ähnlich wie bei Newtons Ablehnung von Hypothesen in der Experimentalphysik, soll auch bei einem phänomenologischen Zugang zu den Naturwissenschaften auf eine Theoriebildung verzichtet werden.[16] In diesem Verständnis spielt dann auch das eigene psychische Erleben als Teil des Phänomens eine wichtige Rolle. Es wird - anders als in den klassischen Wissenschaften - nicht ausgeschlossen. Wie ein phänomenologischer Unterricht aussehen könnte, wurde unter anderem am Beispiel der Optik vorgestellt.[17]
Persönliche Einschätzung
Über die Jahrhunderte scheinen die Begriffe Phänomen, Phänomenologie und das Adjektiv phänomenologisch so etwas wie ein Stamm zu sein, um den sich windend verschiedene Positionen ranken, miteinander verweben und sich doch gerne auch voneinander lösen möchten. Der Kern der Auseinandersetzung zielt erstens darauf ab, ob es hinter der Welt der Bewusstseinsinhalte eine uns eigentlich verborgene Wirklichkeit, eine tiefere Wahrheit gibt oder nicht. Und zweitens zielt der Diskurs durch die Jahrhunderte auch auf die Frage ab, ob das Psychische des Beobachters eine wichtige oder eine zu vernachlässigende Rolle spielen. Mein Eindruck ist, dass die seit etwa 100 Jahren angehäuften Erkennntnisse der Quantentheorie hervorragendes Material für eine weitere Prüfung solcher Vorstellungen liefer. Speziell für die Physik bündeln sich diese verschiedenen Gedankentriebe um den sogenannten Beobachtereffekt ↗
Fußnoten
- [1] Johann Heinrich Lambert: Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung vom Irrthum und Schein. Leipzig 1764.
- [2] Das Metzler Philosophie Lexikon gibt keine ausdrückliche Definition von Phänomenologie. Stattdessen verweist das Lexikon auf den Begriff des Phänomens als "das Erscheindende", als einen "Grundbegriff der Erkenntnistheorie". "Ursprünglich", so das Lexikon "diente er [der Begriff des Phänomens] zur Bezeichnung der Erscheinungen der Wirklichkeit, wie sie in Raum und Zeit, in ihrer Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit dem menschlichen Bewusstsein gegeben sind, in Abgrenzung zur eigentlichen Wirklichkeit, wie sie in den hinter diesen Erscheinungen waltenden Ideen, der eigentlichen und unveränderlichen Wesenheit, begründet liegt (Platon)." Im 20ten Jahrhundert habe sich der Begriff der Phänomenologie dann mit dem Namen des Maschinenbauingenieurs Edmund Husserl verbunden. In: der Artikel "Phänomenologie". Metzler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Dort auf den Seiten 435 und 436.
- [3] Auch das Dorsch Lexikon der Psychologie gibt keine explizite Definition von Phänomenologie, sondern weicht aus auf den Begriff des Phänomens: "als Phänomen wird bez., was sich dem Wahrnehmenden, Fühlenden oder Denkenden unmittelbar präsentiert: ein Gegenstand, eine Stimmung, ein Einfall sowie die gesamte erlebte Welt." Die Phänomenologie, so das Lexikon weiter, gehe auf Edmund Husserl zurück. Es wird aber nicht weiter definiert, was die Phänomenologie an sich ist. Die Etymologie wird in dem Lexikon zurückgeführt auf das altgriechische "φαινόμενον", was man ausspricht als phainomenon und auf Deutsch Erscheinung heißt; sowie auf λόγος, gesprochen asl logos) und was so viel heißt wie Wort oder Lehre. In: der Artikel "Phänomenologie". Dorsch Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 17. August 2025. Online: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/phaenomenologie
- [4] Gustav Robert Kirchhoff, Vorlesungen über mathematische Physik. Mechanik, 1. Aufl., Leipzig: B. G. Teubner, 1876, S. 1.
- [5] Gustav Robert Kirchhoff, Vorlesungen über mathematische Physik. Mechanik, 1. Aufl., Leipzig: B. G. Teubner, 1876, Vorwort.
- [6] Ludwig Boltzmann: "Über die Entwicklung der Methoden der theoretischen Physik in neuerer Zeit". Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 8 (1900): 71-95. Ursprünglich verfasst im Jahr 1892 in München.
- [7] Ludwig Boltzmann: Über die Unentbehrlichkeit der Atomistik in der Naturwissenschaft. Als Manuskript verfasst im Jahr 1897. Veröffentlicht zum Beispiel in: Populäre Schriften. Ludwig Boltzmann. Verlag Ambrosius Barth. Leipzig. 1905.
- [8] Ernst Mach schwebte eine Physik vor, die letzten Endes nur mathematische Formeln bereit stellt, die vorhersagt, welche sinnliche Erscheinung mit welcher Wahrscheinlichkeit auf eine andere sinnliche Erscheinung folgt. Sein dazu passend betiteltes Buch wurde zu einem vielgelesenen Klassiker: Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. Ersterscheinung: 1886. Siehe dazu auch Ernst Mach ↗
- [9] Das kurze Zitat Newtons stammt aus der Principia aus der Ausgabe von 1713. Zitiert nach der Übersetzung ins Deutsche in: I. Schneider: Isaac Newton. Beck'sche Reihe Großer Denker. Band 514. München. 1988. Dort die 85.
- [10] Das längere Zitat, mit dem Beispiel der Schwerkraft stammt aus: Mathematische Principien der Naturlehre (1872) von Isaac Newton, übersetzt von Jakob Philipp Wolfers (1872). Buch III. Abschnitt V. Von den Kometen. §. 61. Allgemeine Anmerkungen. Seite 511.
- [11] 1894, Phänomenologie eng an der eigentlichen Wortbedeutung definiert: "Phänomēn, ein dem Griechischen entlehnter Ausdruck, heißt überhaupt etwas Wahrnehmbares, also jede Erscheinung, die Phänomenologie aber ist die Lehre vom Zusammenhange und dem Übergange der Erscheinungen ineinander." Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 484. Online: http://www.zeno.org/nid/20000853364
- [12] 1859, gedankliche Nähe zur Idee von Bildern, Denkbilder (und auf diesem Umweg auch zu Denkmodellen?): "Idōl (v. gr.), 1) Gestalt, Erscheinung, Gespenst; 2) Götzenbild; 3) abgöttisch verehrtes Wesen. Daher Idololătrie, Bilder-, Götzendienst; Idololater, Bilder-, Götzendiener Idololŏgié, 1) Bilderlehre; 2) so v.w. Phänomenologie. Idolopŏie, Redefigur, wodurch man verstorbene Personen redend einführt." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 776. Online: http://www.zeno.org/nid/20010162690
- [13] 1904: "Phänomenologie: Erscheinungslehre: 1) Lehre von den Phänomenen als solchen, von den Bewußtseinserscheinungen. 2) Lehre von dem Werden, den Entwicklungsstufen des Bewußtseins. 3) Beschreibung, Darstellung, Classification: von Tatsachen, Phänomenen eines Gebietes, besonders des Psychischen. KANT nennt Phänomenologie den Teil der Metaphysik der Natur, welcher die Bewegung oder Ruhe »bloß in Beziehung auf die Vorstellungsart oder Modalität, mithin als Erscheinung äußerer Sinne, bestimmt« (Met. Anf. d: Naturwiss., Vorr. S. XXI). HEGEL versteht unter Phänomenologie die Lehre, welche »das Werden der Wissenschaft überhaupt oder des Wissens« darstellt[95] (Phänomenol. S. 22). Die Phänomenologie des Geistes ist die »Darstellung des Bewußtseins in seiner Fortbewegung von dem ersten unmittelbaren Gegensatz seiner und des Gegenstandes bis zum absoluten Wissen« (Log. I, 33. Encykl. §. W. HAMILTON nennt »Phenomenology« einen Teil der Psychologie (s. d.). Nach LAZARUS ist die Phänomenologie »eine darstellende Schilderung, die Psychologie eine zerlegende Erklärung der Erscheinungen des Seelenlebens jene sucht die Teile, diese die Elemente, jene die Tatsachen, diese die Ursachen und Bedingungen derselben« (Leb. d. Seele II2, 346). E. v. HARTMANN versteht unter »Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins« »eine möglichst vollständige Aufnahme des empirisch gegebenen Gebiets des sittlichen Bewußtseins nebst kritischer Beleuchtung dieser innern Daten und ihrer gegenseitigen Beziehungen und nebst speculativer Entwicklung der sie zusammenfassenden Principien« (Phänomenol. d. sittl. Bewußts., Vorw. S. V). HUSSERL gibt (Log. Unt. II, 3 ff.) eine »descriptive Phänomenologie der innern Erfahrung, welche der empirischen Psychologie und, in ganz anderer Weise, zugleich der Erkenntniskritik zugrunde liegt« (l. c. I, 212. vgl. Logik). Sie hat die Aufgabe, »die logischen Ideen, die Begriffe und Gesetze, zu erkenntnistheoretischer Klarheit und Deutlichkeit zu bringen« (l. c. II, 7). Nach P. STERN ist eine Phänomenologie des Bewußtseins im Sinne der »Beschreibung« nicht möglich, da schon die Wortwahl durch einen »Proceß der Umformung des Vorstellungsmaterials« vorbereitet wird (Probl. d. Gegebenh. S. 26 f.)." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 95-96. Online: http://www.zeno.org/nid/20001799045
- [14] "Phänomenologie ist die Lehre von den Erscheinungen, wie Hegel eine Phänomenologie des Geistes schrieb als Darstellung von den Erscheinungsweisen des Geistes in seiner stufenweisen Herausbildung, E. v. Hartmann eine Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins etc." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 759. Online: http://www.zeno.org/nid/20007244746
- [15] Als Phänomen bezeichnet man oft eine Erscheinung, mit einem Moment des Überraschenden, des Staunens oder auch der Täuschung: "1) phenomenon₁: Eine Sache, die erscheint, oder wahrgenommen oder beobachtet wird; vor allem angewendet auf Fakten oder Ereignisse, deren Ursache in Frage steht („glaciers are interesting natural phenomena“). 2) phenomenon₂: Das, wovon die Sinne oder der Verstand unmittelbar Notiz nehmen; ein(e) unmittelbar gegebene(r) Gegenstand oder Wahrnehmung; in diesem Sinn das Gegenstück oder Gegenteil des Gedachten: Kant verwendet „Phainomenon“ als Gegenbegriff zum „Noumenon“. 3) phenomenon₃: ein außergewöhnliches oder Erstaunen hervorrufendes Faktum oder Ereignis („the band was a pop phenomenon just for their sales figures alone“). Wir ergänzen: oft gebraucht im Sinne von „nicht wirklich“, „nicht tatsächlich“, oder von (Sinnes-)Täuschung" In: Phänomenologische Naturwissenschaftsdidaktik. Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Positionierung und erziehungswissenschaftliche Folgerungen. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften (ZfDN), 19 (2013), S. 397–416. Online: https://www.pedocs.de/volltexte/2024/31716/pdf/ZfDN_2013_Theilmann_et_al_Phaenomenologische_Naturwissenschaftsdidaktik_Erkenntnis.pdf
- [16] Die Position, dass der individuell wahr genommene Inhalt des Bewusstseins selbst das Wesentliche ist, klingt zum Beispiel so: "Gegenüber den bisher explizierten Varianten von Phänomenologie [sc. licet: Kant, Hegel, Mach] basiert Husserls Phänomenologie auf dem entgegengesetzten Typ von Phänomenverständnis, nämlich jenem, das die Koinzidenz von Etwas und Erscheinungsweise unterstellt und davon ausgeht, dass sich in der Erscheinung die Sache voll und ganz und ohne jede Einschränkung zeigt. Hinter den Phänomenen steht nicht noch irgendein verborgenes Etwas, sondern dieses Etwas entbirgt sich totaliter in der Erscheinung" In: Gloy, K. (2006). Grundlagen der Gegenwartsphilosophie. Paderborn: Wilhelm Fink. Dort die Seiten 42 und 43.
- [17] Am Beispiel der Optik wurde gezeigt, dass die heute im Schulunterricht vermittelten Theorien fast alle mechanistische Modelle verwenden, was zu Problemen führt. Ein phänomenologischer Zugang wäre es, nur Bezug auf "Observablen" zu nehmen. Das ist detalliert ausgearbeitet in: Grebe-Ellis, Johannes (2006): Phänomenologische Optik: eine „Optik der Bilder“. Teil 1 — Erkenntnistheoretische, experimentiermethodische und didaktische Merkmale eines nichtreduktionistischen Zugangs zur Optik. (chimica didactica 32 (2006), Nr. 97). Humboldt-Universität zu Berlin; Univ. Wuppertal (Physikdidaktik). Online: https://www.physikdidaktik.uni-wuppertal.de/fileadmin/physik/didaktik/Forschung/Publikationen/Grebe-Ellis/Grebe-Ellis_Phaeno_Optik_1.pdf