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Volkskörper


Soziobiologisch


Basiswissen


Das Wort Volksörper, auch sozialer Körper[1], stand im 19ten Jahrhundert zunächst für die metaphorische Idee, dass ein Staat als Ganzes analog zu einem Körper gedacht werden könne. Passend dazu spricht man auch heute noch von Staatsorganen. Insbesondere in der Ideologie des Nationalsozialismus stand der Volkskörper für das Ideal einer innigen Volksgemeinschaft[7]. Nach einem kurzen Blick auf die Geschichte wird der Begriff des Volkskörpers im Sinne einer spekulativen Philosophie aus Sicht aktueller biologischer Forschungen gedeutet.

Das Volk und der Staat als organischer Körper


Schon im 14ten Jahrhundert wurden menschliche Gesellschaften detailreich mit menschlichen Körpern verglichen[45]. Später, auf der Titelseite von Thomas Hobbes' Buches Leviathan aus dem Jahr 1652 ist ein gezeichner Mensch zu sehen, der aus unzählig vielen kleinen Menschen besteht. Der französische Soziologie Rene Worms formulierte diese Analogie zwischen Gesellschaft und Organismus ausdrücklich mit dem Bild von Zellen die einen Organismus aufbauen und setzte die Regelhaftigkeit auf den zwei Stufen der Komplexität gleich (Les relations qui existent entre les elements d'organisme existent aussi entre les elements de la societe[1, Seite 7]).

1.0 Die Metapher vom Staat als Körper reicht weit in die Geschichte zurück.

Vor allem im 19ten Jahrhundert und vor allem (aber nicht nur) im deutschen Sprachraum entstanden dann viele Theorien, die den Staat als Organismus sahen. Den gedanklichen Hintergrund bildeten oft Juristen, Historiker und Sozialwissenschaftler, seltener Naturkundler. Seit dem Ende des 19ten Jahrhunderts bis zum Nationalsozialismus wurde die Idee eines Staates als Körper dann immer stärker politisiert. Eingängig war zum Beispiel die Metapher kranken Volkskörper und dem Befall durch Parasiten. Zur Ideengeschichte des Staates als Körper im 19ten und frühen 20ten Jahrhundert lies mehr unter organische Theorie ↗

Der Volkskörper in Hitlers „Mein Kampf“


In den 1920er war der Begriff des Volkskörpers zu einer gesellschaftlichen Vision gereift. Im Jahr 1925 veröffentlichte der spätere deutsche Diktator Adolf Hitler sein Buch „Mein Kampf“. Darin entwickelte er seine sozialdarwinistische Sicht der Welt: so wie es in der Natur einen ewigen Wettkampf zwischen Individuen und Arten gibt, so müsse es auch zwischen den Völkern einen ewigen Kampf der Nationen geben. Sein Volkskörper sollte an diesem Kampf teilnehmen.

2.0 Der Volksörper in der NS-Ideologie war auch ein Kampfkörper.

Das Wort nationalisozialistisch steht dabei für die Idee, dass man nach außen national denkt und nach innen sozialistisch. Der Begriff Volkskörper kommt in "Mein Kampf" mindestens 43 mal vor[44]. Aufällig ist dabei, wie oft das Wort Volkskörper in Verbindung mit körperlichen Krankheiten genannt wird. Hier stehen einige beispielhafte Sätze[2]:


Der Volkskörper der NS-Zeit war das Versprechen echter Gemeinschaft


Der Volkskörper war vor allem das Versprechen eines fürsorglichen Staates, in dem der einzelne sich einbringt und von dem er umgekehrt Wertschätzung erhält[46]. Adolf Hitler hob kurz nach seiner Wahl zum Reichskanzler in seiner Rede vom 10. Februar 1933 hervor, dass er die Trennung der einzelnen Menschen in Gruppen wie Arme und Reiche oder Gebildete und Ungebildete überwinden möchte. Er versprach "ein größeres Ideal", "eine größere Erkenntnis"[22].

3.0 Der Volkskörper versprach echte Gemeinschaft statt Zersplitterung in Einzelinteressen.

Der Volkskörper oder die Volksgemeinschaft war ein Versprechen[7]. Erst in der Gemeinschaft aller Deutschen könne der einzelne Deutsche Erfüllung erlangen. Die emotionale Bindung an den "Führer", an eine "verbindende, Leidenschaft stiftende Idee oder Ideologie“ und ein Gefühl des Einzelnen, aktiv den großen Zielen "entgegenzuarbeiten" mögen starke Anreiz gewesen sein[13].

Der Volkskörper als biologische Notwendigkeit


Aus verschiedenen Anlässen musste in der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) ein Nachweis über die erbbiologisch einwandfreie eigene Herkunft erstellt werden, der sogenannte Ariernachweis[47]. In einem solchen Ariernachweis wird die Notwendigkeit des Denkens in Rassen untermauert: "Die im nationalsozialistischen Denken verwurzelte Auffassung, daß es oberste Pflicht eines Volkes ist, seine Rasse, sein Blut von fremden Einflüssen rein zu halten und die in den Volkskörper eingedrungenen fremden Blutseinschläge wieder auszumerzen, gründet sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Erblehre und Rassenforschung. Dem Denken des Nationalsozialismus entsprechend, jedem anderen Volke volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist dabei niemals von höher- oder minderwertigem, sondern stets nur von f r e m d e n Rasseneinschlägen die Rede."[5]

4.0 Volkskörper-Theorien sehen eine biologisch begründete Notwendigkeit für reine Rassen.

Der Wunsch nach rassischer Reinheit ist zwar auch in den 2020er Jahren noch vereinzelt vorhanden[39]. Während aber in den Sozialwissenschaften die biologistische Deutung menschlicher Gesellschaften oft noch als Irrweg gilt[14] und die Mehrheit der Deutschen im Jahr 2022 die Idee ablehnte, dass sich im sozialen Leben "wie in der Natur, die Stärkeren" durchsetzen sollten[15], betrachten Evolutionsbiologen weiterhin die Frage, ob homogene Gruppen nicht doch einen evolutionären Vorteil bieten[16] und ob kulturelle Abgrenzung zu einer evolutionär vorteilhaften Artenbildung auch bei Tieren beitragen könnte[17]. Zwei Fragen muss man hier auseinander halten: a) ob eine genetische Schranke zwischen Individuen[18] einen evolutionären Vorteil bringt[19], und b) ob wir überhaupt Befunde aus der Biologie in den Bereich des menschlichen Zusammenlebens übertragen wollen[20]. Bemerkenswert ist immerhin, dass alle Lebensformen die eine sogenannte Eusozialität[48] ausbilden, ein strenges Regime bezüglich der Weitergabe ihrer Gene haben[49]. Dazu passend sind politische Strömungen des Völkischen und der Konservativen oft besessen von der Kontrolle der Sexualität anderer[59]. Biologistisch gedeutet könnte die kontrollierte Sexualität zwei Funktionen erfüllen: a) einen zellulären Flaschenhals ausbilden und b) die Förderung einer Artbildung ↗

Konrad Lorenz: der Volkskörper bedarf der Hygiene


Der Verhaltensbiologe Konrad Lorenz (1903 bis 1989) sieht den Volkskörper bedroht durch ethisch Minderwertige: „Versagt diese Auslese, mißlingt die Ausmerzung der mit Ausfällen behafteten Elemente, so durchdringen diese den Volkskörper in biologisch ganz analoger Weise und aus ebenso analogen Ursachen wie die Zellen einer bösartigen Geschwulst […] Sollte es mutationsbegünstigende Faktoren geben, so läge in ihrem Erkennen und Ausschalten die wichtigste Aufgabe des Rassepflegers überhaupt […]"

5.0 Volkskörper-Ideologen nutzen oft Metaphern von Krankheit und Parasitismus.

Und weiter in den Worten Lorenz': "Sollte sich dagegen herausstellen, daß unter den Bedingungen der Domestikation keine Häufung von Mutationen stattfindet, sondern nur der Wegfall der natürlichen Auslese die Vergrößerung der Zahl vorhandener Mutanten und die Unausgeglichenheit der Stämme verschuldet, so müßte die Rassenpflege dennoch auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger bedacht sein, als sie es heute schon ist.[4]“ Die Angst, dass ein Ausbremsen darwinstischer Evolution zu einer Rückentwicklung der Rasse oder Art führt, wird hier weiter betrachtet im Artikel zur Bernhardi-Barriere ↗

Die Idee des Volkskörpers nach 1945: technosoziale Visionen


Auch in der Frühzeit der Bundesrepublik wurden die Worte vom Volkskörper, von den Volksgenossen und von der Volksgemeinschaft weiterhin verwendet, und zwar auch von konservativen, linken und liberalen Abgeordneten im Bundestag[21]. Doch bildete "Das Volk" nicht mehr den Kern einer mehrheitsfähigen politischen Ideologie der Nachkriegszeit. Die biologisch motivierte Vision jedoch, dass der Einzelne in einem Größeren aufgehen soll, tauchte an ganz anderer Stelle erneut auf. Der deutsche Molekulargenetiker Carsten Bresch etwa glaubte, dass mit der Entstehung eines Globalen Überwesens, das er MONON nannte, eine Zeit eines fürsorglichen Miteinanders anbrechen wird: "Das Monon ist ein gigantisches, historisch gewachsenes Muster, aufgebaut auf biologisch-organisierter Materie. Es ist eine überindividuelle Ganzheit, deren Organe (Teilmuster) untereinander und zum Ganzen in kooperativer Beziehung stehen."[23]

6.0 Ab etwa 1970 trat der Volkskörper frei von politischem Gedankengut als technosoziale Vision neu auf.

Ähnlich wie Bresch in den 1970er Jahren zeichnete der Franzose Joel de Rosnay in den 1990er Jahren das Bild eines entstehenden globalen Überorganismus, des Kybionten. In diesem Überwesen lebt der Mensch sinnerfüllt als Homo Symbioticus[24]. Der Amerikaner Gregory Stock nannte seinen visionären Volkskörper Metaman und sah dabei vor allem wirtschaftliche Prozesse als Antrieb[25]. Seit den 1990er Jahren sind solche Visionen immer stärker getragen von evolutionsbiologischen Theorien, dass sich das Leben auf der Erde in sprunghaften Schüben zu immer höherer Komplexität entfaltet. Was man im 19ten und 20ten Jahrhundert als Volkskörper bezeichnete, ist in der Theorie der evolutionären Transitionen[26] heute ein Metasystem. Siehe dazu auch Metasystem-Transitionen ↗

Der Volkskörper konsequent biologisch gedacht


Das Vorbild für einen Volkskörper ist der biologische Körper. Nun ist der gegenwärtige Mensch nicht schon bereits Zelle eines Überkörpers. Aber das Wort Volkskörper weist in die Richtung. Bleiben wir bei der Natur als Vorbild. Im Übergangsbereich zwischen einer losen Gesellschaft und einem stark integrierten Superorganismus[53] liegt die sogenannte Eusozalität[48]. Eusozial nennt man zum Beispiel Algenzellen, die zwar noch eigenständig leben könnten, gleichzeitig aber auch eng verbundene Kolonien bilden. Eusozial sind alle auch alle staatenbildenden Insekten, manche Krustentiere und - als einziges Säugetier - der Nacktmull sowie teilweise auch der Mensch[57]. Viele dieser Lebensformen sind inzwischen gut studiert. Daei sind einige verblüffende Merkmale herausgearbeitet worden, die typisch zu sein scheinen. Diese möchte ich hier spekulativ auf einen hypothetischen eusozialen menschlichen Volkskörper übertragen.


7.0 Die biologische Metapher vom Volkskörper führt in letzter Konsequenz zu konkreten aber zum Teil bizarren Vorstellung.

Bemerkenswert ist, dass sich Vertreter einer Volkskörper-Ideologie zwar reichlich der Sprache der Biologie (Parasiten ausmerzen, Survival of the fittest[56]) bedienen, aber nicht wirklich konsequent die Befunde der aktuellen biologischen Forschung untersuchen. Schon gar nicht erstellen sie klar ausformulierte und prüfungsfähige Theorien. Damit werden aber für unkritische Leser weder die Widersprüche noch die bizarren Konsequenzen soziobiologischen Denkens sichtbar. Dass akademische Wissenschaftler die hier angesprochenen biologischen Befunde tatsächlich als Modell für die zukünftige Entwicklung der Menschen verwenden, wird vorgestellt im Artikel HMST [Human Metaystem-Transition] ↗

Kritikpunkt I: der Volkskörper als falsches Versprechen


Gab es jemals einen echten Volkskörper, eine gelebte, freiwillige Gemeinschaft verschiedener Menschen, vereint durch ein höheres Ideal?[37] Oder ist die Idee vom Volkskörper nur eine demagogische Täuschung?[9]. Ich neige Letzerem zu. Persönliche Erzählungen aus den Kriegsgenerationen zeichnen gerade von der NS-Zeit das Bild von Egoismus[10], von Günstlingswirtschaft[11] oder einer weiter starken Trennung der Menschen in Klassen[12]. Wer in Kriegserinnerungen über den Zweiten Weltkrieg liest, wird dort immer wieder auf das Motiv der "Etappenschweine"[28], der "Bonzenwirtschaft", der "Goldfasane"[29] sowie des sinnlosen Verheizens der Frontsoldaten stoßen[43]. Während die einfache Bevölkerung litt, hielten sich die Eliten in Sicherheit und lebten in Wohlstand[31]. Von einer gelebten Volksgemeinschaft scheint das weit entfernt. Die Skepsis ist: Gruppen, die eine Volksgemeinschaft versprechen, tendieren früher oder später zu Korruption und Günstlingswirtschaft.

Kritikpunkt II: der Volkskörper als Phrase


Solange man unscharfe Worte wie Freiheit, Souveranität, Volk, Gemeinschaft oder Solidarität verwendet, überdeckt man die Probleme in der Umsetzung[52]. Wie genau soll man sich den Lebensalltag in einer Volksgemeinschaft vorstellen? Soll es im Winter zwangsweise eingelagertes Gemüse aus der letzten Ernte vom lokalen Bauern geben? Sind Südfrüchte im Dezember dann verboten? Sollen landschaftsuntypische Bauweisen für Eigenheime erlaubt bleiben? Darf ein Bauherr in Ostfriesland genauso genauso wie im Odenwald billige Standardeigenheime bauen oder soll er zur Nutzung teurerer heimischer Materialien gezwungen werden? Sollen Anglizismen in der Schule verboten werden? Soll man etwas gegen Worte wie "lost", "cancelln" oder "networking" unternehmen? Soll Sauerkraut in Frankfurt Teil einer verbindlichen Leitkultur werden? Soll es für das Rhein-Main-Gebiet ein Gebot für die Gastronomie geben, dass Sauerkraut, Grüne Soße und Rindswurst auf der Speisekarte angeboten sein müssen? Was soll geschehen, wenn eine große Anzahl von Menschen die Leitkultur nicht attraktiv findet? Man denke hier an die Versuche der DDR westliche Kultureinflüsse fernzuhalten. Soll Menschen mit nachweislichen Erbschäden (was immer das sein soll) oder geringen Fähigkeiten das Kinderkriegen verboten werden? Falls ja, ab welchem IQ darf man Kinder kriegen, ohne dass der Volkskörper leidet? Was soll mit "Dauerdepressiven" oder "nicht ins Arbeitsleben integrierbaren" Menschen geschehen? Genügt eine drastische Kürzung von Zuwendungen oder soll da mehr möglich sein? Ich kann mir unter einem gelebten Volkskörper nicht wirklich etwas Konkretes vorstellen, was nicht letztendlich in Bevormundung, Gängelung oder schaler Diktatur endet. Wie so viele Visionen leidet auch die Vision vom Volkskörper letztendlich an der Unvorstellbarkeit der Utopie ↗

Kritikpunkt III: der Volkskörper ist kein Wohlfahrtsstaat


Befürworter eines Volksörpers sollten sich die oft mitklingenden rassenhygienischen Töne und den Vorrang des Kollektivs vor dem Individuum genau anöhren. Die Fürsorge der Gemeinschaft ist eng an den Nutzen gebunden, den man der Gemeinschaft bieten kann. Wer diesen Nutzen nicht aufzeigen kann, etwa wer psychisch von der gewollten Norm abweicht[32] oder wirtschaftlich schwach ist[32], wurde im in der NS-Zeit umgebracht oder in Konzentrationslager gesteckt. Erschütternd sind auch die Beispiele von geopferten verwundeten Soldaten im Zweiten Weltkrieg[43]. Dieses Denken ist aber auch konsequent, wo der Volkskörper das oberste Ideal ist[50]. Konsequent vorangetrieben ist die Idee von biologischen Organismen. Dort gibt es den sogenannten freiwilligen Zelltod, bei dem sich nutzlose Zellen von alleine beseitigen[41]. Siehe dazu auch Apoptose (Soziologie) ↗

Kritikpunkt IV: der Volkskörper neigt zum Krieg


Die meisten politischen Strömungen, die einen Volkskörper oder eine Volksgemeinschaft beschwören definieren diesen weit überwiegend durch Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen. Die Abrenzung kann die Form einer Herabsetzung anderer Völker (Rassismus) oder Gruppen von Menschen (Antisemitismus) beinhalten oder eine Überhöhung der eigenen Gruppe[27] (Deutschland zuerst, America first). Wohin führt ein solches Denken? Wenn das eigene Wohlbefinden der Herabsetzung anderer Völker -real oder eingebildet - bedarf, so müssen "die Völker" in ständiger Angst voreinander leben. Erfahrungsgemäß führt das früher oder später zu Krieg ↗

Kritikipunkt V: der Volkskörper wird autoritär


Der Russe Valentin Turchin entwickelte in den 1970er Jahre ein biologistisch motiviertes Konzept von einem Überorganismus[61]: die einzelnen Menschen integrieren sich dabei zu einem Super-Wesen (super-being). Das Super-Wesen hat dabei eigene Interesse, die den Interessen der individuellen Mensch zuwiderlaufen können. Faschistoide Grundzüge wären, so Turchin, dabei eher die Regel als die Ausnahme[36]. Turchin hatte in der Sowjetunion eine Diktatur von innen kennengelernt. Auch lag die Zeit faschistischer Diktaturen in Europa nicht lange zurück. Wenn nicht alle "Volksgenossen" von sich aus "auf Linie" sind und den "Volkskörper" wollen, wie anders als mit Zwang soll man dann mit ihnen umgehen? Der Idee des Volkskörpers eingeboren sind Zwang und Kontrolle []. Siehe auch Super-Wesen ↗

Kritikpunkt VI: drohende Degeneration des Individuums


Alle geschichtlichen Vorbilder in denen ein Volkskörper, eine Gemeinschaft oder ein Ideal beschworen wurden endeten in Totalitarismus[42] oder Zerfall. Jede reale Gesellschaft hat Mechanismen sozialer Kontrolle, die den Zusammenhalt der Gruppe fördern und die Gruppe auf ein gemeinsames Ziel ausrichten[34]. Komplexer organisierte Gruppen bilden dabei oft eine starke Arbeitsteilung aus[35]. Gruppenzwang und Arbeitsteilung können aber für sich einzeln oder zusammen dazu führen, dass der Einzelne immer mehr an Freiheit und an Autonomie verliert. Der polnische Autor Stanislaw Lem (1921 bis 2006) spitzte diesen Gedanken zu. Er sah Tendenzen, dass die Gruppe, das Kollektiv, gerade dann an Stärke gewinnt, wenn das Individuum degeneriert. Siehe dazu soziointegrative Degeneration (Soziologie) ↗

Persönliche Wertung


Auch ich wäre gerne Teil einer Gemeinschaft wäre, in der alle Menschen an einem Strang ziehen und sich einander wirklich zuwenden. Dennoch überwiegt bei mir die Skepsis was den Volkskörper angeht. Erstens traue ich es keiner politischen Bewegung, keiner religiösen Gemeinschaft und keiner Ideologie zu, eine gleichzeitig freie wie auch solidarisch verbundene Gemeinschaft aufzubauen. Die Geschichte spricht dagegen. Am Ende degenertierte (fast) alle gelebten Utopie zu freudlosen Schweinwelten mit viel Zwang und Doppelmoral.

8.0 Persönlich halte ich die Idee von einem Volkskörper weder für überzeugend noch für verlockend. Ich sehe dort zu viele Widersprüche zur Idee individueller Freiheit.

Und zweitens, finde ich auch die Befunde der Evolutionsforschung als bedrohlich. Dort glaube ich ein evolutionäres Prinzip zu erkennen, demnach Individuen letztendlich nur Bausteine für eine nächsthöhere Stufe der Komplexität sind. Und was dann? Interessant finde ich den Gedanken von großen Habitaten im Weltraum, in denen soziale Utopien getrennt voneinander ausprobiert werden könnten.[51]

Quaestiones



Fußnoten


Leipziger Autoritarismus Studie 2022. Psycho-Sozial Verlag. ISBN: ISBN 978-3-8379-3175-4. Dort die Seite 38. Online: https://www.boell.de/sites/default/files/2022-11/decker-kiess-heller-braehler-2022-leipziger-autoritarismus-studie-autoritaere-dynamiken-in-unsicheren-zeiten_0.pdf