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Volkskörper


Organizismus


Basiswissen


Das Wort Volksörper, auch sozialer Körper [1], bezeichnete stand im 19ten Jahrhundert zunächst für die metaphorische Idee, dass ein Staat als Ganzes analog zu einem Körper gedacht werden könne: der Kopf als Regierung (z. B. Capitol = Kopf), das Transportwesen als Blutkreislauf, die Leber als Energiespeicher und so weiter. Im Deutschen spricht man noch heute von Staatsorganen. Das ist hier kurz vorgestellt.

Das Volk und der Staat als organischer Körper


Auf der Titelseite von Thomas Hobbes' Buches Leviathan aus dem Jahr 1652 ist ein gezeichner Mensch zu sehen, der wiederum aus einer Fülle kleinster Menschen gezeichnet war. Der französische Soziologie Rene Worms formulierte diese Analogie zwischen Gesellschaft und Organismus ausdrücklich mit dem Bild von Zellen die einen Organismus aufbauen und setzte die Regelhaftigkeit auf den zwei Stufen der Komplexität gleich (Les relations qui existent entre les element d'organisme existent aussi entre les elements de la societe [1, Seite 7]). Seit dem Ende des 19ten Jahrhunderts hin bis zum Nationalsozialismus wurde die Idee eines Staates als Körper dann immer mehr rassenhygienisch aufgeladen. Der Volkskörper wurde dann von Krankheiten und Parasiten befallen, die es zu entfernen gelte. Dieses naiv-biologistische Denken führte letzten Endes zu den deutschen Greueltaten der Zeit von 1933 bis 1945. Zur Geschichte des Staates als Körper im 19ten und frühen 20ten Jahrhundert lies mehr unter => organische Theorie

Der Volkskörper in Hitlers Hetzwerk „Mein Kampf“


Im Jahr 1925 veröffentlichte der spätere deutsche Diktator Adolf Hitler sein Buch „Mein Kampf“. Darin entwickelte er seine sozialdwarinistische Sicht der Welt: so wie es in der Natur einen ewigen Wettkampf zwischen Individuen und Arten gibt, so muss es auch zwischen den Völkern einen ewigen Wettkampf geben. Das Wort Volkskörper kommt in dem Werk insgesamt mindestens 37 mal vor. Aufällig ist dabei, wie oft das Wort Volkskörper in Verbindung mit körperlichen Krankheiten genannt wird. Hier stehen einige beispielhafte Sätze aus dem Buch [2]:


Der Volkskörper als Rassentoleranz im Dritten Reiches


Aus verschiedenen Anlässen musste in der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) ein Nachweis über die erbbiologisch einwandfreie eigene Herkunft erstellt werden, der sogenannte Ariernachweis. In einem solchen Ariernachweis wird die Notwendigkeit des Denkens in Rassen untermauert: "Die im nationalsozialistischen Denken verwurzelte Auffassung, daß es oberste Pflicht eines Volkes ist, seine Rasse, sein Blut von fremden Einflüssen rein zu halten und die in den Volkskörper eingedrungenen fremden Blutseinschläge wieder auszumerzen, gründet sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Erblehre und Rassenforschung. Dem Denken des Nationalsozialismus entsprechend, jedem anderen Volke volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist dabei niemals von höher- oder minderwertigem, sondern stets nur von f r e m d e n Rasseneinschlägen die Rede." [6]

Der Volkskörper des Verhaltensbiologen Konrad Lorenz


Der Verhaltensbiologe Konrad Lorenz (1903 bis 1989) sieht den Volkskörper bedroht durch ethisch Minderwertige: „Versagt diese Auslese, mißlingt die Ausmerzung der mit Ausfällen behafteten Elemente, so durchdringen diese den Volkskörper in biologisch ganz analoger Weise und aus ebenso analogen Ursachen wie die Zellen einer bösartigen Geschwulst […] Sollte es mutationsbegünstigende Faktoren geben, so läge in ihrem Erkennen und Ausschalten die wichtigste Aufgabe des Rassepflegers überhaupt […] Sollte sich dagegen herausstellen, daß unter den Bedingungen der Domestikation keine Häufung von Mutationen stattfindet, sondern nur der Wegfall der natürlichen Auslese die Vergrößerung der Zahl vorhandener Mutanten und die Unausgeglichenheit der Stämme verschuldet, so müßte die Rassenpflege dennoch auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger bedacht sein, als sie es heute schon ist. [4]“ Die Idee, dass ein Anhalten darwinstischer Evolution zu einer Rückentwicklung wird hier weiter betrachtet im Artikel zur => Bernhardi-Barriere

Valentin Turchins Super-Wesen als Volkskörper


Der Russe Valentin Turchin entwickelte in den 1970er Jahre ein biologistisch motiviertes Konzept von einem Überorganismus: die einzelnen Menschen integrieren sich dabei zu einem Super-Wesen (super-being). Das Super-Wesen hat dabei eigene Interesse, die den Interessen der individuellen Mensch zuwiderlaufen können. Faschistoide Grundzüge wären, so Turchin, dabei eher die Regel als die Ausnahme. Turchin hatte in der Sowjetunion eine Diktatur von innen kennengelernt. Auch lag die Zeit faschistischer Diktaturen in Europa nicht lange zurück (siehe oben9. Lies mehr dazu unter => Super-Wesen

Das Individuum im Volkskörper: Degeneration oder Erfüllung?


Die deutschen Nationalisozialisten sahen im Volkskörper die Sinnstiftung des einzelnen Menschen. Erst in der Gemeinschaft aller Deutschen könne der einzelne Deutsche Erfüllung erlangen. Kritiker des Konzeptes hingegen sahen in den einzelnen Menschen eher fremdgesteuerte, gewissenslose Befehlsempfänger. Doch führten die sichtbaren Auswüchse an unmenschlicher Brutalität und rasender Zerstörungswut keineswegs zu einer Zurückweisung der Idee, dass der Mensch der Gruppe, der Gemeinschaft bedarf, um zu seiner Erfüllung zu gelangen. Nur wurde die sinngebende Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa nicht mehr im Volk gesucht sondern in Gruppen wie dem Staat (Sozialismus), der Firma (Konsumismus) oder der Kirche (Katholizismus). Die Spannung zwischen Gruppe und Individuum bleibt eine ungelöste Frage. Siehe auch => Homo integratus degeneratus

Gibt es die Idee vom Volkskörper noch heute?


Ja, aber in gänzlich anderer Form: seit etwa 1980 erfuhr die Idee eines Staates oder der gesamten Menschheit als einem lebenden biologischen Wesen erneut Popularität unter griffigen Namen wie Global Brain, Metaman oder Homo Symbioticus. Was viele dieser modernen Theorien mit der Idee eines Volkskörpers verbindet ist ein naiver Glaube, dass das Überwesen in einer schützenden oder sinnstiftenden Verbindung zu den individuellen Menschen steht. Das kann vielleicht in Einzelfällen denkbar sein, ist aber ganz sicher keine logische Notwendigkeit. Man frage sich nur selbst, wie sehr man sich für das Lebensschicksal einer einzelnen Zelle aus dem eigenen Körper interessiert. Zu den modernen Theorien von Überwesen bestehend aus Menschen siehe auch => Überwesen

Fußnoten