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Umgangssprache

Didaktik

Basiswissen


Die Umgangssprache allgemein ist eine von vielen verschiedenen Sprachformen und steht heute meist für ein „im täglichen Umgang verwendetes, meist mündliches und nicht (wie ein Dialekt) räumlich begrenztes informelles sprachliches Register unterhalb der Standardsprache“.[8] Die Umgangssprache ist damit eine mehr oder minder allen Angehörigen eines Sprachraumes verständliche Form von Sprache, deren Verwendung keine besonderen Kenntnisse einer Fach- oder Bildungssprache benötigt.[9] Hier wird kurz die Bedeutung der Umgangssprache für die Didaktik der Physik und Mathematik beleuchtet.

Umgangssprache in Mathematik und Physik


Wer in der Physik vom Gewicht einer Person spricht und dieses mit zum Beispiel 70 Kilogramm angibt, wird oft schnell korrigiert, dass hier nicht das Gewicht sondern die Masse gemeint sei.[10] Wer das Wort Quantensprung im alltäglichen Sinn von einer großen Veränderung verwendet, weicht damit von der ursprünglichen physikalischen Bedeutung einer plötzlichen aber meist nur submikroskopisch wirksamen, kleinen Veränderung ab. Gann zu Recht muss innerhalb eines Fachgebietes die eng definierte Bedeutung von Begriffen bewusst gehalten werden, um Mehrdeutigkeiten zu vermeiden.

Hier stehen nun einige Beispiele für Begriffe aus der Umganssprache, die in der Physik häufig anders oder enger definiert sind:


Sowohl Didaktiker wie Susannes Prediger[26] und Christel Rosenkranz (Dyskalkulie) wie auch herausragende Physiker[6, Seite 6][27] betonen, wie wichtig eine einfache, sprachliche Fassung von abstrakten Dingen für das Verständnis ist. Die Fähigkeit, zwischen höchster Abstraktion und einfacher Sprache wechseln zu können, zeichnete viele große Denker aus.[28][29]

Beispiel 1) 4 geteilt durch 0,5


Die Frage, was 4 geteilt durch 0,5 ergibt, beantworten auch gute Schüler in einem Mathematik Leistungskurs oft falsch mit 2.[12] Sieht man von einer Dyskalkulie ab, so ist die Ursache meist schlicht fehlende Übung und Bewusstmachung in der Schule. Übersetzt man nun die Aufgabe in die Umgangssprache und fragt: "man hat Vier, wie viele 0,5er sind darin enthalten?", so antworten so gut wie alle Schüler sofort mit der korrekten Zahl 8. Der Mangel lag also nicht in fehlenden Rechenfähigkeiten sondern in einer fehlenden Übersetzung der Aufgabe in eine halb-anschauliche Vorstellung. Wie aber kann eine Übersetzung in Umgangssprache aussehen?


Wenn solche noch anschauungsnahen Erklärungen verstanden sind, kann man die Definition mit Fachworte aus der Mathematik verkürzen:


Vor allem die dritte Formulierung, die Haufenfrage wirkt gekünstelt und umständlich. Ein Lerneffekt bei Schülern tritt aber gerade dann oft ein, wenn sie selbst mit den ihnen bekannten Worten eine Definition versuchen. Gemeinsam mit vielen praktischen Aufgaben (Knetklumpen, Sandhaufen, Papierstreifen) durchgeführt, führt eine solche Spracharbeit Schritt für Schritt zu mehr Verständnis.

Schulbücher der Mathematik oder Arbeitszettel in Schulen umgehen oft diese schwierige umgangssprachliche Fassung der Division. Sie setzen darauf, dass Schüler anhand von vielen Beispielen die verschiedenen tieferen Logiken der Division selbst erfassen.[18] Lehrwerke der Mathematik umgehen die differenzierten sprachlich-anschaulichen Sonderfälle meist ganz und definieren kurz:


Diese zwei Definition aus Lehrwerken bieten wenig Angriffsfläche für eine inhaltliche Kritik. Sie unterschlagen aber die ausdifferenzierten anschaulichen Bedeutungen, wie sie für ein Verständnis von Textaufgaben und überhaut alltagsnahen Problemstellung nötig sind. Das fehlende umgangssprachliche Verständnis der Mathematik dürfte einer der Gründe dafür sein, dass gerade Textaufgaben für viele Schüler ein besonders großes Problem darstellen.

Beispiel 2) Beschleunigung


Lehrbücher der Physik definieren die Beschleunigung oft rein formal über die Gleichungen wie a=v/t oder a=Δv/Δt und geben als Einheit m/s²[21] an. Für ein Verständnis, was Beschleunigung bedeutet ist das für viele Lernende zunächst abstrakt. Die folgenden Formulieren zeigen eine schrittweise Annäherung an die Idee der Beschleunigung.


Auch hier gilt wieder, dass Lernende einem Verständnis oft dann näher kommen, wenn sie im Gespräch mit einer Lehrperson eigene Formulierungen finden sollen.

Verschiedene Stufen der Umgangssprache


Sprachforscher wie Ewa Dabrowska oder Basil Bernstein unterscheiden beide eine eher bildungsferne Umgangssprache von einer Bildungssprache andererseits. Plusrechnen gehört eher in eine bildungsferne Sprache, Addition eher in die Bildungssprache. Die für die Didaktik wichtig Frage ist, ob letztendlich jede Formulierung der Bildungssprache verlustfrei auch in eine bildungsferne Sprache übersetzt werden kann (ähnlich der Bibel)[7] oder ob mit der Bildungssprache auch abstrakte Denkfiguren (z. B. Epsilon-Umgebung, Normalverteilung) mit einerhergen, die nicht ohne Verluste in einfachen Worten ausgedrückt werden können. Einen Einstieg in dieses Thema ist der Artikel zur Bernstein-Hypothese ↗

Was ist Sprachrelativismus?


Als Sprachrelativismus bezeichnet man die Hypothese, dass die Sprache, in der man denkt, auch die Denkinhalte und Denkrichtungen prägt. So gibt es Sprachen von Naturvölkern, die keine Wörter für Zahlen über 10 kennen. Die Frage ist, inwiefern oder ob überhaupt diese Völker etwas Vergleichbares wie Dutzend, Zehnerpäckchen oder Ähnliches Denken können. Mehr zum Sprachrelativismus, vor allem aus Sicht der Mathematik und Physik, steht im Artikel Sapir-Whorf-Hypothese ↗

Fußnoten