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Quantensprung

Physik

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Basiswissen


In der Physik bezeichnet das Wort Quantensprung, auf Englisch quantum jump[15], einen übergangslosen Wechsel zwischen zwei Zuständen[2]. Der Begriff wurde vor allem in den 1920er Jahren verwendet[2][18][19] und sehr kontrovers diskutiert. Der Begriff Quantensprung gilt heute als überholt.

Das Bohrsche Atommodell als Ausgangspunkt


Nach dem Atommodell von Niels Bohr aus dem Jahr 1913 gibt es für Atome nur einige ausgewählte längere Zeit stabile Energiezustände. Albert Einstein griff den Gedanken im Jahr 1917 auf[3], als er in Berlin lebte. Den Unterschieden zwischen diesen diskreten, das heißt sprunghaft unterschiedlichen Energiezuständen entsprechen die aufgenommenen und abgestrahlen Pakete an Lichtenergie.

MERKSATZ:

1.0 Zur Zeit des Ersten Weltkriegs hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in eine Atom oder Molekül nur diskrete innere Zustände der Energie längerfristig stabil sind.

Einstein ging dabei davon aus, dass ein Wechsel zwischen zwei Zuständen eine geringe Zeit in Anspruch nehmen dürfe[4], was über 100 Jahre später auch bestätigt wurde[5].

Sprünge mit Zeit: das Problem der scharfen Spektrallinien


Albert Einstein ließ die Möglichkeit offen, dass ein Quantensprung Zeit benötigen könnte[4].

Gegen einen allmählichen, zeitbehafteten Übergang soll Werner Heisenberg zufolge der Physiker Erwin Schrödinger aber folgenden Zweifel geäußert haben: "Wenn er allmählich erfolgt, so muß das Elektron doch allmählich seine Umlauffrequenz und seine Energie ändern. Es ist nicht zu vestehen, wie es dabei noch scharfe Frequenzen der Spektrallinien abgeben soll.[6]"

MERKSATZ:

2.0 Ein zeitbehafteter Übergang dürfte keine scharfen Spektrallinien ergeben. Diese aber werden beobachtet.

Die Spektrallinien[7] zeigen, dass bestimmte Atome oder Moleküle Licht immer nur in eng definierten Farbbereichen aufnehmen oder abgeben. Diesen Farben entsprechen wiederum eng defenierte Mengen an Energie. Das führt zu der Vorstellung, dass die Übergänge zwischen Energiezuständen plötzlich ohne Zeitverzug, das heißt instantan erfolgen. Diese Plötzlichkeit passt zu einer eher strengen Deutung des Wortes Quantensprung.

Sprünge ohne Zeit: das Problem der Vorstellbarkeit


Nimmt man zur Erklärung der scharf voneinander abgegrenzten Spektrallinien also an, dass die Übergänge zwischen verschiedenen Energiestufen in einem Atom oder Molekül plötzlich ohne Zeitbedarf erfolgen, so tritt ein neues Problem auf.

MERKSATZ:

3.0 "Geschieht der Übergang aber plötzlich, sozusagen in einem Sprung, so kann man zwar unter Anwendung der Einsteinschen Vorstellungen von den Lichtquanten zur richtigen Schwingungszahl des Lichtes kommen, aber man muß dann fragen, wie sich das Elektron beim Sprung bewegt.[8]"

In einem nachgestellten Dialog zwischen Erwin Schrödinger (die Sprünge brauchen Zeit) und Bohr (die Sprünge können ohne Zeitbedarf ablaufen) erwidert Bohr, dass man sich eine Elektronenbewegung ohne Zeitbedarf zwar nicht vorstellen könne, es sie aber dennoch geben könnte. Darauf antwortet der hypothetische Schrödinger wiederum "Wenn es Elektronen im Atom gibt, die Teilchen sind, so wie wir uns das bisher vorgestellt haben, so müssen sie sich auch irgendwie bewegen.[10]" Der reale Erwin Schrödinger weist auch noch darauf hin, dass der Verlust der Schlagartigkeit zu einem Verlust der strengen Identität der ausgesandten Teilchen führen muss.[16]

Der Quantensprung als ein Ausgangspunkt der Kopenhagener Deutung


Die hier beispielhaft angedeuteten unvereinbaren Vorstellungen über die Vorgänge in einem Atom führten in den Jahr 1926 bis 1927 zu heftigen, auch menschlich wohl schwierigen Diskussionen zwischen Einstein, Bohr, Heisenberg, Schrödinger und einiger anderen.[13]

MERKSATZ:

4.0 Die hier angedeuteten Widersprüche führten zu starken Kontroversen zwischen den führenden Physikern.

Niels Bohr kam zu dem Schluss, dass zur Beschreibung der Wirklichkeit auch widersprüchliche Modelle nebeneinander bestehen dürfen[11]. Werner Heisenberg gestand ein, dass man auf eine anschauliche Beschreibung der Wirklichkeit wohl verzichten müsse. Dieses Eingeständnis bildete den Kern der Kopenhagener Deutung ↗

Verwendung außerhalb der Physik


Außerhalb der Fachsprache der Physik wird das Wort Quantensprung oft im Sinne einer plötzlichen und großen Veränderungen verwendet, etwa einer sprunghaften Innovation hin zu mehr Flexibillität im Kreditwesen[14] oder der Erschaffung ganz neuen Metaphern und Mythen in der Literatur [17]. Während diese Verwendungen die Idee des Sprunghaften aus der Physik beibehalten, beziehen sich die Quantensprung in der Physik aber meist auf makroskopisch kaum erkennbare Vorgänge, Vorgänge, die erst im submikroskopischen Bereich der kleinsten Dinge erkennbar werden. In der Alltagssprache[18] hingegen soll mit dem Wort Quantensprung nicht nur etwas sprunghaft Plötzliches sondern - im Gegensatz zur Physik - auch etwas mit großer Wirkung angedeutet werden.

Fußnoten


  • [2] Der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) betrachtete einen Quantensprung als übergangslosen Wechsel von Zuständen. Zu Mutationen schrieb er im Jahr 1944: "Der wesentliche Punkt liegt in der Übergangslosigkeit. Sie erinnert den Physiker an die Quantentheorie – zwischen zwei benachbarten Energiestufen kommen ebenfalls keine Zwischenstufen vor. Er wäre geneigt, De Vries’ Mutationstheorie bildlich die Quantentheorie der Biologie zu nennen. Wir werden später sehen, daß dies mehr als nur ein bildlicher Vergleich ist. Die Mutationen sind tatsächlich durch Quantensprünge in den Genmolekülen bedingt." Und: "Man braucht nur in Darwins Theorie »Mutationen« an die Stelle seiner »leichten zufälligen Variationen« zu setzen (gerade so wie die Quantentheorie den »Quantensprung« an die Stelle der »kontinuierlichen Energieübertragung« setzt)." In: Erwin Schrödinger: Was ist Leben?: Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987. ISBN: 3-492-11134-3. Dort die Seiten 60 und 61. Siehe auch Mutation ↗
  • [3] Albert Einstein erlaubte Atomen oder Molekülen nur diskrete innere Energiezustände. Unter der Überschrift "Grundhypothese der Quantentheorie" schreibt Einstein im Jahr 1917: "Nach der Quantentheorie vermag ein Molekül bestimmter Art, abgesehen von seiner Orientierung und Translationsbewegung, nur eine diskrete Reihe von Zuständen Z₁, Z₂...Zₙ anzunehmen, deren (innere) Energie ε₁, ε₂...εₙ... sei." In: Albert Einstein: Zur Quantentheorie der Strahlung. Physikalische Zeitschriften. XVIII. 1917. Dort ab Seite 121. Online: https://hannah2.be/optische_communicatie/EINSTEIN/EINSTEIN.PDF
  • [4] Albert Einstein fordert für Quantensprünge nicht, dass sie ohne Zeitverzug ablaufen. Über einen Übergang eines Moleküls von einem energetisch höheren in einen energetisch niedrigeren bei gleichzeitiger Abstrahlung eines Gammaquants schreibt er: "Es braucht nicht angenommen zu werden, daß dieser Vorgang keine Zeit beanspruche; diese Zeit muß nur vernachlässigbar sein gegenüber den Zeiten, in denen das Molekül in den Zuständen Zₗ usw. ist." In: Albert Einstein: Zur Quantentheorie der Strahlung. Physikalische Zeitschriften. XVIII. 1917. Dort ab Seite 121. Online: https://hannah2.be/optische_communicatie/EINSTEIN/EINSTEIN.PDF
  • [5] Quantensprünge verlaufen tatsächlich kontinuierlich. Am Beispiel von "quantum jumps" von Elektronen in Atomen wird gezeigt: "The experimental results demonstrate that the evolution of each completed jump is continuous, coherent and deterministic." In: Minev, Z., Mundhada, S., Shankar, S. et al. To catch and reverse a quantum jump mid-flight. Nature 570, 200–204 (2019). Online: https://doi.org/10.1038/s41586-019-1287-z
  • [6] Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper, München 1969. 7. Auflage. 2001. ISBN 3-492-22297-8. Dort im Kapitel "Aufbruch in das neue Land. 1926-1927", auf Seite 104.
  • [7] Es war vor allem die Analyse dieser optischen Spektrallinien, die die Atomphysik im frühen 20ten Jahrhundert voran brachte. So strahlt eine sogenannte Natriumdampflampe zum Beispiel nur gelbes Licht in einem sehr engen Frequenzbereich ab. Siehe mehr unter Spektrallinie ↗
  • [8] Die hier zitierte Frage hat Werner Heisenberg einem von ihm erinnerten Dialog zwischen Schrödinger und Bohr in den Mund von Erwin Schrödinger gelegt. In: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper, München 1969. 7. Auflage. 2001. ISBN 3-492-22297-8. Dort im Kapitel "Aufbruch in das neue Land. 1926-1927", auf Seite 104.
  • [10] Das Zitat stammt aus: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper, München 1969. 7. Auflage. 2001. ISBN 3-492-22297-8. Dort im Kapitel "Aufbruch in das neue Land. 1926-1927", auf Seite 104 bis 105. Die Frage, wie man sich die Wirklichkeit vorzustellen habe, wird in der Philosophie behandelt unter dem Stichwort Ontologie ↗
  • [11] Bohrs Ansicht, dass neben dem Teilchen- auch das Wellenbild bestehen könne, und dass man die Widersprüche nicht weiter auflösen müssen. Heisenberg schrieb in seinem Buch "Der Teil und das Ganze " dazu: "Bohrs Bestrebungen gingen dahin, die beiden anschaulichen Vorstellungen, Teilchenbild und Wellenbild, gleichberechtigt nebeneinaner stehen zu lassen" (Seite 107). Dieser Gedanke ist ausgedrückt in Bohrs Komplementaritätsprinzip ↗
  • [12] Werner Heisenberg kam zu dem Schluss, dass es eine befriedigende anschauliche Vorstellung für Quantenphänomene nicht gibt. In seinem Buch "Der Teil und das Ganze" schreibt er, dass "wir Kopenhagener" uns am Ende doch "sehr sicher", dass man auf eine "raum-zeitliche Beschreibung der Atomvorgänge wirklich verzichten müsse." (Seite 106).
  • [13] Heisenberg erinnert sich an die Treffen in Kopenhagen in den Jahren 1926 und 1927: "Da unsere Gespräche oft bis spät nach Mitternacht ausgedehnt wurden und trotzt der über Monate fortgesetzten Anstrengungen nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führten, gerieten wir in einen Zustand der Erschöpfung, der in Anbetracht der verschiedenen Denkrichtungen auch manchmal Spannungen hervorrief". Heisenberg fügt dem noch hinzu, dass Schrödinger möglicherweise dadurch einmal ernsthaft erkrankte und Bohr einen spontanten Urlaub in Norwegen als Flucht nutzte. In: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper, München 1969. 7. Auflage. 2001. ISBN 3-492-22297-8. Dort im Kapitel "Aufbruch in das neue Land. 1926-1927", auf Seite 104.
  • [14] In der Alltagssprache steht das Wort Quantensprung oft für eine große und deutlich sichtbare Verbesserung. Während sich die Idee des schnellen mit dem ursprünglichen physikalischen Begriffs des Quantensprungs verträgt, steht der Quantensprung in der Physik aber für eine sehr kleine Änderung, in der Alltagssprache aber dazu gegenteilig für eine besonders große Änderung, zum Beispiel in: U. Swoboda: Quantensprung in der deutschen Kreditwirtschaft. In: Swoboda, U. (eds) Direct Banking. Gabler Verlag. 2000. Online: https://doi.org/10.1007/978-3-322-91266-4_2
  • [15] Erwin Schrödinger: Are there Quantum Jumps. In: The British Journal for the Philosophy of Science. August 1952.
  • [16] Erwin Schrödinger zu Quantensprüngen: "Das Ablassen von der Theorie der Quantensprünge, die mir persönlich immer unnanehmbarer erscheinen, hat freilich erheblich Konsequenzen. Es bedeutet ja, daß man den Austausch der Energie in abgezirkelten Paketen nicht ernst nimmt, nicht wirklich daran glaubt, sondern ersetzt durch die Resonanz zwischen Schwingungsfrequenzen. Nun haben wir aber gesehen, daß wir, wegen der Identität von Masse und Energie, die Korpuskeln selbst als Planksche Energiequanten ansehen müssen. Da erschrickt man zunächst. Denn der besagte Unglaube zieht es nach sich, da wir auch die einzelne Partikel nicht als ein wohlabgegrenztes Dauerwesen ansehen dürfen." In: Erwin Schrödinger: Was ist ein Naturgesetz? Beiträge zum naturwissenschaftlichen Weltbild. Scientia Nova. Oldenbourg. 2008. ISBN 978-3-486-58671-8. Dort im Kapitel "Quantensprung und Partikelidentität" auf Seite 115.
  • [17] Dem Literaturwissenschaftlicher George Steiner (1929 bis 2020) zufolge "nährt" sich die "westliche Literatur" an einem "Bestand an Mythen, an »Großen Geschichten«". Aber wirklich Neuartiges sei selten: "Quantensprünge sind ausgesprochen selten". In: George Steiner: Warum Denken traurig macht. Zehn mögliche Gründe. Aus dem Englischen von Nicolaus Bornhorn. Zweisprachiges Original auf Französisch (2005): Dix raisons (possibles) a la tristesse de pensee. Deutsch: Suhrkamp Verlag. 2006. ISBN: 978-3-518-41841-3. Dort die Seiten 29 und 30.
  • [18] 1928: Der Physiker Arthur Stanley Eddington (1882 bis 1944) fragt im Zusammenhang mit einer Physik des Freien Willens: "Wenn ein Atom einen bestimmten von mehreren möglichen Quantensprungen wählt, ist dies ebenfalls ein „Willensakt“?" In: Arthur Stanley Eddington: Das Weltbild der Versuch und ein Versuch seiner philosophischen Deutung. Friedrich Vieweg und Sohn. Braunschweig, 1931. Dort auf der Seite 305. Englisches Original: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures).
  • [19] 1929 stellt der Physiker Paul Dirac das Problem vor, dass die Spins aller Elektronen innerhalb eines Atoms zueinander streng parallel oder antiparallel sind. Das Problem ließe sich erst mit einem Annahme lösen, in der auch die Idee von Quantensprünge vorkommt: "The solution of this difficulty in the explanation of multiplet structure is provided by the exchange (austausch) interaction of the electrons, which arises owing to the electrons being indistinguishable one from another. Two electrons may change places without our knowing it, and the proper allowance for the possibility of quantum jumps of this nature, wTiieh can be made in a treatment of the problem by quantum mechanics, gives rise to the new kind of interaction. The energies involved, the so-called exchange energies, are quite large. In fact it is these exchange energies between electrons in different atoms that give rise to homopolar valency bonds, as shown by Heitler and London." In: P.  A. M. Dirac: “Quantum Mechanics of Many‑Electron Systems”, Proc. Roy. Soc. A, 123 (1929), 714‑733. Online: https://royalsocietypublishing.org/doi/pdf/10.1098/rspa.1929.0094