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Intelligibilität


Philosophie


Basiswissen


Verständlich, begreifbar, denkbar: als Intelligibilität bezeichnet man die Eigenschaft eines Denkgegenstandes alleine durch Vernunft und das Intellekt verständlich zu sein. In der Philosophie bezieht sich Intelligibilität meist auf die Welt als Ganzes. Das ist hier näher erklärt.

Die Welt als Denkgegenstand


Das Metzeler Philosophie Lexikon geht unter dem Stichwort intelligibel[1] zunächst in die griechische Antik zurück. Parmenides habe als erster nachweislich einen Unterschied zwischen einem Sein des Seienden (Außenwelt) und dem Denken herausgearbeitet. Diese Trennung findet sich später bei Descartes als res extensa (Materie) und res cogitans (Gedanken). Kant unterscheidet ähnlich eine mundus sensibilis (Sinneswelt) und mundus intelligibilis (Gedankendinge). Vor dem Hintergrund einer solchen dualistischen Abtrennung der Welt der Gedanken von einer Welt außerhalb der Gedanken stellt sich dann die Frage, ob die Außenwelt überhaupt verständlich ist für die Welt der Gedanken. Dazu gibt es verschiedene Positionen. Der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) sprach in diesem Zusammenhang vorsichtig von einer Verständlichkeitsannahme[5].

Thomas von Aquin: Rationalismus


Der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin ging davon aus, dass alles Wesentliche in der biblischen Offenbarung bereits gesagt wurde. Mit Glaube, Logik und Vernunft können die wesentlichen Weisheiten auch individuell erkannt werden. In dieser Weltsicht könnte eine Wissenschaft bestenfalls noch Detailwissen ergänzen, aber keine bahnbrechenden neuen Erkenntisse erlangen. Die Position, dass alles Wesentliche in der Welt für uns erkennbar ist nennt man Rationalismus ↗

Immanuel Kants Denkkategorien


Eng mit der Intelligibilät der Welt verwachsen ist die Idee von Seins- oder Denkkategorien. Dem antiken griechischen Philosophen Aristoteles zufolge kann man alle wirklich seienden, das heißt existierenden Dinge in zehn Klassen einteilen. Die Kategorien gehören damit fest zur Welt der wirklichen Dinge. 2000 Jahre später wird diese Sicht dann von dem Philosophhen Immanuel Kant umgedreht: die Kategorien sind nicht Ausdruck der Wirklichkeit sondern nur des menschlichen Denkens.[3] Inwiefern sie auch auf die Wirklichkeit passen lässt Kant offen. Er spricht von Gegenständen der Wirklichkeit als einem „Ding an sich“, das wir niemals direkt erkennen können. Lies mehr dazu unter Kategorie (Philosophie) ↗

Olaf Stapledon: Agnostizismus


Die Welt hat einen höheren Sinn, dieser ist für Menschen aber nicht erkennbar. In seinem Meisterwerk "Star Maker" lässt Stapeldon einen einfachen Erdenmenschen zu immer höheren Erkenntisstufen aufsteigen. Am Ende sieht er Gott Welten erschaffen und zerstören. Er ahnt etwas vom höchsten Sinn, kann ihn aber nicht dauerhaft fassen. Die Position, dass Erkenntnisse über metaphysische Seinsbereiche dem Menschen nicht zugänglich sind nennt man Agnostizismus ↗

H. P. Lovecraft: Irrationalismus


Die Welt ist gänzlich unverständlich: sie könnte ein Zufallsprodukt sein oder Ausdruck eines bösartigen, gleichgültigen oder geistlosen Wesens. Dieses Motiv kehrt in den düsteren Welten H. P. Lovecraft ständig wieder: "ancient legends of Ultimate Chaos, at whose center sprawls the blind idiot god Azathoth, Lord of All Things, encircled by his flopping horde of mindless and amorphous dancers, and lulled by the thin monotonous piping of a demoniac flute held in nameless paws.[2]" Siehe auch Irrationalismus ↗

Feynman: Frage offen lassen


Pragmatisch veranlagte Naturforscher, wie etwa Richard Feynman, klammern die großen Fragen nach einer letztendlichen Verständlichkeit der Welt oft bewusst aus. Sie bevorzugen es, sich mit Fragen zu beschäftigen, die in ihrer Lebenszeit beantwortbar sind. Dies mag stellvertretend für die Naturwissenschaften überhaupt stehen: man beschränkt sich auf lösbare Probleme und lässt die Großen Fragen der Philosophie zunächst weiter unbeantwortet. Die Position, unlösbare Fragen auszuklammern und die Schaffenskraft auf lösbare Fragen zu richten nennt man Pragmatismus ↗

Whitehead: Weltverständnis ist schwierig


Der englische Mathematiker und Logiker Alfred North Whitehead zweifelte an, dass wir als begrenzte Wesen jemals ein vollständiges Verständnis des Universums erlangen können. In seinen Worten: "… a complete understanding is a perfect grasp of the Universe in its totality. We are finite beings; and such a grasp is denied to us.[4]" Whitehead führt das näher am Beispiel der Farbe grün aus: "For example, we know about the colour 'green' in some of its perspectives. But what green is capable of in other epochs of the universe, when other laws of nature are reigning, is beyond our present imaginations. And yet there is nothing intrinsically impossible. In the notion that, as years pass, mankind may gain an imaginative insight into some alternative possibility of nature, and may therefore gain understanding of the possibilities of green in other imagined epochs." Siehe auch kollaborative Physik ↗

Berechnbarkeit als mathematische Intelligibilität


Aus mathematischer Sicht kann man Intelligibilität enger fassen. Der englische Mathemtiker Roger Penrose entwickelte den Begriff der Berechenbarkeit. Damit meinte er, dass es für physikalische Abläufe eine Formel gibt, die zukünftige Systemzustände vorausberechnen kann, ohne dass dabei alle Zwischenzustände berechnet werden müssen. Er zeigte an Beispielen, dass man sich zwar determinierte, in diesem Sinn aber unberechenbare Welten vorstellen kann (z. B. Zellularautomaten). Siehe auch Computerdenken ↗

Das Voynich-Manuskript


Das sogenannte Voynich-Manuskript wurde mit großer Sicherheit zwischen 1450 und 1520 geschrieben. Es besteht aus vielen gut erkennbaren aber unbekannten Schriftzeichen. Der Text ist mit vielen Skizzen versehen. Trotz intensiver Entschlüsselungsversuche bleibt der Inhalt bis heute völlig rätselhaft. Möglicherweise hat der Text keinen verständlichen Inhalt hat. Er wäre damit unverstehbar und somit nicht intelligibel. Siehe auch Voynich-Manuskript ↗

Die intelligible Welt und Religiosität


Das die Welt für uns Menschen zumindest in Teilen intelligibel ist, wird von manchen Denkern im Umkehrschluss als Indiz dafür betrachtet, dass die Welt bewusst so eingerichtet ist, dass wir sie erkennen können. Obwohl dieses Argument nicht logisch zwischen ist, gilt es als ein Indiz für den sogenannten Anthropismus ↗

Wachsende Intelligibilität durch Evolution?


Bei einem sogenannten Schlaganfall sterben Teile des Gehirns dauerhaft ab. Betroffene Personen können sich dann an zum Beispiel an bestimmte Wortnamen nicht mehr erinnern. Dies ist ein Indiz dafür, dass bestimmte Bewusstseinsinhalte an bestimmte materielle Strukturen gebunden sind. Dies wiederum legt den Gedanken nahe, dass mehr geeignet strukturierte Materie auch komplexere Bewusstseinsinhalte unterstützen können. Möglicherweise kann ein Mensch komplexe Gefühle wie Wehmut oder Hinterlist erfassen, eine Alge aber nicht, weil die materielle Grundlage des Menschen mehr Komplexität ermöglicht. Extrapoliert man diesen Gedanken, so könnten Lebensformen mit tausendmal größeren Gehirnen wie die von Menschen völlig andersartige und auch mehr verschiedene Bewusstseinsinhalte erfassen. Siehe zu diesem Gedanken auch futurologisches Tableau ↗

Fußnoten