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Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Indifferentismus

Kosmologischer

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Basiswissen


Einige Denker gehen davon aus, dass vielleicht der ganze Kosmos, die Götter, gleichgültig gegebenüber dem Schicksal der Menschen sind. Dieser kosmologische Indifferentismus wird hier schlaglichtartig mit einigen Zitaten vorgestellt. Zum Ende der Zitatliste soll sich dann abzeichnen, dass der Indifferentismus als philosophische Position möglicherweise übereilt ist.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Die Götter interessieren sich nicht die Bohne für die Geschicke der Menschen. Weder erfreuen sich an der geselligen Familie (oben links), noch nehmen sie Anteil am Untergang der Titanic oder dem herzlosen Bombenkrieg über London (oben Mitte). Auch in politische Entscheidungen großer Tragweite mischen sie sich nicht ein. Stattdessen gehen sie ihren eigenen für uns ganz unwichtigen Interessen nach, hier sinnbildlich dargestellt durch Kartenspiel und Genussmittel. So in etwa könnte man die Idee des Indifferentismus als Bild zeichnen. © Gunter Heim/ChatGPT ☛


Menschlicher Indifferentismus


Indifferentismus bezeichnet zunächst eine "Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit" [2], "auch gegen wichtige, die höchsten Interessen berührende Angelegenheiten. [3] Je nachdem gegen was sich die Gleichgültigkeit richtet ist ein eher "ethischer" [4] oder "philosophischer" [4] oder auch religiöser [6]. Ein Zweifeln am Verstand selbst, dann "zeugt von Erschlaffung des Wissens- und Willenstriebes" [5] und ist verwerflich. Umgekehrt kann ein Indifferentismu aber auch auf eine "klug berechnete, nur scheinbare Gleichgültigkeit gegen gewisse geistige Interessen, welche die Mehrzahl der Menschen, auf dem Gebiete der Politik, der Religion, der Wissenschaft, der Kunst u.s.w. zu Parteimeinungen und Leidenschaften aufregt" sein." Nur so können sich die "Gebildeten" die "erhabeneren Interessen erschließen". [2]

Die hier kurz anzitierten Definitionen aus Lexika weisen als Träger des Indifferentismus stets einzelne Menschen aus. Sie geben verschiedene und mehr oder minder gut nachvollziehbare Gründ, wie man zu welcher Art des Indifferentismus gelangen kann. Was in diesem Artikel hier kurz beleuchtet werden soll ist jedoch die Idee, dass nicht nur ein einzelner Mensch gegenüber irgendwelchen Dingen gleichgültig sein kann, sonder der Kosmos gegenüber uns.

Kosmologischer Indifferentismus


Der Indifferentismus scheint nicht so sehr eine geistige Strömung sich gegenseitig stützender oder kommentierender Denken zu sein zu sein. Vielmehr scheint sich der Schluss oder das Empfinden eines gegenüber uns gleichgültigen Kosmos aus verschiedenen Quellen speisen zu können. Neben dem Glauben an einen rein naturgesetzlich ablaufenden Kosmos sind hier vor allem das Schweigen Gottes und das Gefühl der Absurdität der Welt zu nennen. Gehen wir zunächst mit einigen ausgewählten Zitaten durch die Jahrtausende. So bekommen wir einen ersten Eindruck von der Vielfältigkeit kosmologisch-indifferenter Positionen.

Wang Chong


Wang Chong (27 bis 97 v. Chr.) war ein chinesischer (Natur)Philosoph. Wang Chong war ein kritischer Kommentator vieler in seiner Zeit üblichen Haltungen. Wie in so vielen Religionen und Naturvorstellungen weltweit, glaubten wohl auch viele Menschen in Wang Chongs Heimat, dass sich die Götter und Geiste, versinnbildlicht durch den Himmel, am Wohle des Menschen interessiert sei. Wang Chong sah da anders:


ZITAT:

"Durch die Verschmelzung der Fluide (Qi) von Himmel und Erde entstehen alle Dinge der Welt spontan, so wie durch die Vermischung der Flüssigkeiten von Mann und Frau Kinder spontan geboren werden. Unter den so entstandenen Dingen sind Lebewesen mit Blut in ihren Adern empfindlich für Hunger und Kälte. Da sie Getreide essen können, nutzen sie es als Nahrung, und da sie entdecken, dass Seide und Hanf tragbar sind, nehmen sie diese als Kleidung. Manche meinen, der Himmel produziere Getreide, um die Menschheit zu ernähren [20], und Seide und Hanf, um sie zu kleiden. Das hieße, den Himmel zum Bauern des Menschen oder zu seiner Maulbeerbaumzüchterin (die die Seidenraupen füttert) zu machen; es widerspräche der Spontaneität, weshalb diese Ansicht sehr fragwürdig und unannehmbar ist." [10]


Wang Chong geht also davon aus, dass der Himmel indfferent gegenüber dem Treiben der Menschen ist. Er versucht diese Sicht auch mit einem Argument zu begründen:


ZITAT:

"Nach taoistischen Prinzipien betrachtet, finden wir, dass der Himmel (Tian) seine Lebensenergie überallhin ausstrahlt. Unter den vielen Dingen dieser Welt stillt Getreide den Hunger, und Seide und Hanf schützen vor Kälte. Aus diesem Grund isst der Mensch Getreide und trägt Seide und Hanf. Dass der Himmel Getreide, Seide und Hanf nicht absichtlich hervorbringt, um die Menschheit zu ernähren und zu kleiden, folgt daraus, dass er durch katastrophale Veränderungen den Menschen nicht bestrafen will. Die Dinge entstehen spontan, und der Mensch trägt und isst sie; die Flüssigkeit verändert sich spontan, und der Mensch erschrickt davor, denn die übliche Theorie ist entmutigend. Wo bliebe die Spontaneität, wenn die himmlischen Zeichen beabsichtigt wären, und wo das Nichtstun? [wu wei]" [11]



Gunter Heim, Autor dieser KritikKRITIK:

Wang Chong lässt mögliche alternative Sichten zu seinem indifferentismus unerwähnt und zieht seine Schlüsse zu schnell. Mit Himmel scheint er das gestaltende und schaffende Prinzip im Kosmos zu meinen. Die Behauptung, dass er Himmel dem Menschen nicht aktiv etwas Gutes begründet Wang Chong mit einer weiteren Behauptung: mit Katastrophen wolle der Himmel den Menschen nicht bestrafen. Doch es bleibt offen, woher Wang Chong die Gewissheit nimmt, dass dem nicht so sei. Woher weiß er, dass die Naturereignisse nicht planvoll von uns fremden Prinzipien oder Wesen gelenkt sind? Zumindest die zitierte Stelle geht über bloß aufgestellte Behauptungen nicht hinaus. Und selbst das Vorhandensein übler Naturereignisse kann anders als nur mit einem Desinteresse des Himmels an unserem Leben erklärt werden. Die christliche Theologie hat sich an diesem Problem unter dem Stichwort der Theodiziee [12] über Jahrtausende abgearbeitet und eine Fülle (ob überzeugend oder auch nicht) Alternativen zum Indifferentismus ausgearbeitet, unter anderem Martin Luther. [13]


Ciceros unbekümmerte Götter


Im antik-europäischen Kulturkreis der Griechen und Römer war der Himmel von zahlreichen Göttern bevölkert. Doch liest man die alten Mythen, so scheinen sie wenig Interesse am Wohl der Menschheit als Ganzem gehabt zu haben. Stattdessen zogen sie uns Menschen in ihre eigenen oft allzumenschlichen Angelegenheiten (oft Streitigkeiten) mit hinein. Vielleicht waren es solche Feststellungen, die dem römischen Schriftsteller Cicero (106 bis 47 v. Chr) zufolge, manche Autoren an der Ernsthaftigkeit der Göttlichen Zuwendung zweifeln ließen:

"Wenn die Götter aber weder die Macht noch den Willen hätten, uns zu helfen; wenn sie sich nicht um uns kümmerten und unsere Taten nicht beachteten; und wenn es keinen einzigen Vorteil gäbe, der dem Leben des Menschen zuteilwerden könnte; welchen Grund hätten wir dann, sie zu verehren"? [19]

Cicero argumentiert in dem zitierten Text, dass eine solche Vorstellung für das Zusammenleben der Menschen wenig nüztlich sei. Vor allem sei die Gerechtigkeit gefährdet. Aber darüber hinaus gibt Cicero in Nähe der zitierten Stelle keinen weiteren Grund dafür, an sich kümmernde oder wohlmeindende Götter zu glauben.

Martin Luthers schweigender Gott


Martin Luther hat sich intensiv mit dem Übel in der Welt und dem Phänomen eines schweigenden Gottes beschäftigt. Es gibt an Gott seiten, die dem Menschen ganz unzugänglich sind.


ZITAT:

"Insofern sich Gott also verbirgt [sese abscondit] und von uns nicht gekannt werden will, geht er uns nichts an. Hier nämlich gilt wahrhaft jener Spruch: Was über uns ist, geht uns nichts an." [13]


Aber Luther folgert aus dieser Zurückgezogenheit Gottes nicht, dass wir ihm als Menschen egal seien oder er deshalb auch böse Züge tragen müssen.


ZITAT:

"Glaube und Geist urteilen aber anders: sie glauben, dass Gott gut ist, auch wenn er alle Menschen vernichtete." [14]


In diesem Zitat finden wir jetzt auch die Gegenposition zu Wang Chongs oben zitierter Argumentation, dass das Übel in der Welt die Gleichgültigkeit des Himmes (Gottes) belege. Luther liefert zwar keine rationale Begründung des Übels in der Welt. Aber er verweist auf den Glauben und den Geist als Quellen direkter Erkenntnis.

Heinrich Heines schweigende Natur


Das Gefühl des Indifferentismus, dass nämlich die Natur und der Kosmos sich nicht für die Belange des einzelnen Menschen interessieren, kommt auch sehr schön in einem Gedicht von Heinrich Heine zum Ausdruck:


ZITAT:

"Am Meer, am wüsten nächtlichen Meer | steht ein Jüngling-Mann | die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel | und mit düsteren Lippen fragt er die Wogen | Es murmeln die Wogen ihr ew'ges Gemurmel, | es wehte der Wind es fliehen die Wolken, | es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt. | Und ein Narr wartet auf Antwort." [26]


Eddingtons gottlose Wissenschaft


Der englische Kosmologe Arthur Stanley-Eddington betonte, wie auch viele Physiker seiner Zeit, wie sehr das Programm der Naturwissenschaften alles was nicht in Zahlen fassbar ist, auszublenden.


ZITAT:

1928: "Die Wissenschaft sucht nicht nach Entitäten einer bestimmten Kategorie, sondern nach Entitäten mit einem metrischen Aspekt. Wir werden in einem späteren Kapitel sehen, dass die Wissenschaft, wenn sie diese zulässt, tatsächlich nur ihren metrischen Aspekt anerkennt und sich ausschließlich damit beschäftigt." [22]


Eddingtons Gedanke zieht nach sich, dass die Wissenschaft, speziell die Naturwissenschaften Dinge wie Güte, Zuwendung oder Liebe, oder überhaupt alle Hinweise auf einen sich kümmernden Gott, einen um uns besorgten Kosmos bestenfalls auf dem Umweg von physikalischen Messungen oder statistischen Auswerten erkennen könnte. Die Psychologie und Soziologie, wo sie empirisch sein wollen, stehen vor einer ähnlichen Aufgaben, wenn sie eine "Messanleitung" für das Erkennen von "Rechtsextrimus", von "Zukunftsangst" [23] oder von Bewusstsein [24] konstruieren wollen. Sollten sich die Naturwissenschaften an der Diskussion um das Pro oder Contra eines Indifferentismus beteiligen, so müssten sie zunächst einen Messapparat oder doch zumindest eine Messvorschrift für das Erkennen für Zuwendung oder Ähnlichen konstruieren. Das klingt mir nach einer rechten Absurdität.

H. P. Lovecrafts schweigender Kosmos


Menschen oder überhaupt die Gefühle und das Wohlergehen von Lebewesen spielen für den Kosmos keinerlei Rolle. So charakterisierte der Autor H. P. Lovecraft seine Grundhaltung zur Welt, die im Englischen auch als cosmicism bezeichnet wird. Lovecraft bezeichnete sich dabei selbst als Indifferentist. In einem Brief aus dem Jahr 1929 schreibt er:


ZITAT:

1929: "Anders als Sie vielleicht vermuten, bin ich kein Pessimist, sondern ein Indifferentist – das heißt, ich begehe nicht den Fehler anzunehmen, dass die Wirkung der natürlichen Kräfte, die organisches Leben umgeben und bestimmen, in irgendeiner Weise mit den Wünschen oder Vorlieben irgendeines Teils dieses organischen Lebensprozesses zusammenhängt. Pessimisten sind genauso unlogisch wie Optimisten, da beide die Ziele der Menschheit als einheitlich betrachten und sie in einem direkten Verhältnis (entweder der Frustration oder der Erfüllung) zum unvermeidlichen Fluss irdischer Motivation und Ereignisse sehen. Das heißt, beide Schulen bewahren in rudimentärer Form das primitive Konzept einer bewussten Teleologie eines Kosmos, dem die besonderen Bedürfnisse und das letztendliche Wohlergehen von Mücken, Ratten, Läusen, Hunden, Menschen, Pferden, Pterodaktylen, Bäumen, Pilzen, Dodos oder anderen Formen biologischer Energie völlig gleichgültig sind." [8]


Ähnlich wie schon bei Wang Chong scheint auch Lovecrafts kosmologischer Indifferentismus naturphilosophische Wurzeln zu haben. Beide scheinen im Kosmos vor allem einen Ablauf fester Gesetzmäßigkeiten. Bei Wang Chong sind es "Lebensenergien" (Qi) und bei Lovecraft "natürliche Kräfte" und "biologische Energien".

Stapledons kalter Sternenschöpfer


Olaf Stapledon (1886 bis 1950) gehört zu den großen Pionieren der Science Fiction, besser der Philosophical Fiction. In seinem Buch "Der Sternenschöpfer" (Star Maker) aus dem Jahr 1937 schildert er eine menschenähnliche Zivilisation auf einem erdähnlichen Planeten. Dessen geringe Schwerkraft ließ nach und nach den lebenswichtigen Sauerstoff ins All entgleiten. Und als ein Krieg die Wissenschaft um 100 Jahre zurück geworfen hatte, schwand alle Hoffnung auf ein Überleben der Bewohner des Planeten. In dieser Ausweglosigkeit wird einer der Helden der Geschichte zu einem Indifferentisten:


ZITAT:

1937: "Es schien als sei der Kosmos oder der Schöpfer des Kosmos, gleichgültig gegenüber dem Schicksal der Welten." [25]


Stapledon lässt den Haupthelden seiner Geschichte durch Äonen der kosmischen Geschichte und Galaxien fernab der unsrigen Reisen, bevor er am Ende mit dem Sternschöpfer, dem Star Maker, eins wird. Kosmos nach Kosmos erschafft er und lässt sie vergehen. Das einzige was Stapledon seinem suchenden Helden am Ende übrig lässt, ist eine beklemmende Mischung aus Verehrung bei gleichzeitiger Duldsamkeit gegenüber dem größten Leid. Man fühlt sich an Luthers Spruch vom "Glaube und Geist" erinnert, der fordert, dass "Gott gut ist, auch wenn er alle Menschen vernichtete" [14].


Gunter Heim, Autor dieser KritikKRITIK:

Ich kann mich mit Luthers und Stapledons Geneigtheit nicht anfreunden, einen Schöpfer zu verehren, der ohne mit der Wimper zu zucken unsere Vernichtung hinnehmen würde. Das wäre so, als sollte ein für billige Industrieeier gequältes Huhn seinem Hühnerbaron gegenüber zu Dank verpflichtet sein. In der Psychologie spricht man vom Stockholm-Syndrom, wenn Geiseln ihren Kidnappern gegenüber (vermeintlich oder real) ein positives emotionales Verhältnis aufbauen.


Albert Camus' absurde Welt


Der Franzose Albert Camus (1913 bis 1960) lebte bis ins Jahr 1939 im nordafrikanischen Algerien, das damals zu Frankreich gehörte. Spätestens in den 1930er Jahren begann er als Schriftsteller tätig zu werden. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs hatte Deutschland zunächst einen Teil und dann ganz Frankreich besetzt. Unter anderem die dort gemachten Erfahrungen prägten seinen Sinn für das Absurden. Was bei Luther der Deus absconditus, der zurückgezogene Gott war, taucht bei Camus als das Schweigen der Welt auf:


ZITAT:

1942: "Das Absurde ist der Zusammenprall des menschlichen Rufes nach Sinn mit dem unbegreiflichen Schweigen der Welt." [15]


Camus setzt diesem Schweigen der Welt aber den Willen entgegen, ihr selbst einen Sinn zu geben. Der Kosmos oder die Götter mögen indifferent gegenüber den Menschen sein, vielleicht gibt es gar keine Götter, aber der Mensch selbst kann der Welt einen Sinn geben. Die Idee, dass der Mensch selbst Quelle von Sinn in einer ansonsten sinnlosen Welt sein könnte, ist typisch für die literarische und philosophische Strömung des Existenzialismus.

Simone Veils göttliche Selbstbeschränkung


Die jüdisch-französische Philosophin Simone Weil (1909 bis 1943), die zu den wenigen Denkern gehört, die gezielt das einfache Leben als Industrie- und Landarbeiterin erprobt haben, kann in der Welt wie auch Luther oder Lovecraft, nicht das Wirken eines Gottes jederzeit sicher erkennen. Sie kommt zu einem bemerkenswerten Schluss:


ZITAT:

"Gott kann nicht anders in der Schöpfung anwesend sein als in Form der Abwesenheit." [16]


Weil sei davon ausgegangen, dass Gott die Welt unter selbst auferlegten Beschränkungen erschaffen habe, sich dann aber aus ihr zurückgezogen habe. Denn da Gottes Anwesenheit alles erfülle, kann er nur etwa erschaffen, wenn er sich dann daraus zurückzieht. [17] Eine ausführliche Darlegung von Weils Gedanken und eine bemerkenswerte Erklärung für einen nur scheinbar gegenüber der Welt indifferenten Gott findet man in einem längeren Text der US-amerikanischen Philosophin Megan Fritts. [18]

Gegenpositionen


In Großbritannien wurde im 19. Jahrhundert die Suche nach dem Göttlichen in der Welt zu einem gut finanzierten Forschungsprogramm erhoben. Zwei reiche Personen, der Earl of Bridgwater und später Adam Gifford hinterließen mit ihrer Erbschaft große Mengen an Geld. Mit diesen sollten Bücher und Vorträge ermöglicht werden, die das wohlwollende Wirken Gottes in der Welt aufzeigen oder zumindest diskutieren. Die enstprechende philophische Strömung, Gott in der Welt - und nicht nur in der Bibel - erkennen zu können, bezeichnet man als natürliche Theologie oder auch als natürliche Religion. [21]


Als Anthropismus bezeichnet man die Position, dass dem Menschen im Kosmos eine Sonderrolle zufällt. Des Kosmos ist so beschaffen, dass wir als Menschen sinnvoll in ihm leben können.

Persönliche Einschätzung


 Portrait von Gunter Heim Der Indifferentismus, ganz gleich ob nur empfunden oder philosophisch begründet, ist meiner Meinung nach Ausdruck eines Verlangens, unsere kleine menschliche Existenz möge doch Teil einer größeren und auch guten Ganzen sein. Für vorschnell halte ich es, einen uns gegenüber gleichgültigen Kosmos für eine ausgemachte Sache zu halten. Gut möglich, aber nicht zwingend, so würde ich es eher sehen. Simone Weil und Megan Fritts haben einen denkerisch möglichen Ausweg gezeigt. Rein philosophisch gibt es noch viele weitere Türen im Escape Room unseres oft als trist empfundenen Daseins. Nach solchen Auswegen zu suchen halte ich für einen guten Lebenszweck.

Fußnoten


  • [1] 1834: "Indifferent, gleichgiltig. Indifferentismus, Lossagung von allem Systematischen, gänzliche Formlosigkeit." In: Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 416. Online: http://www.zeno.org/nid/20001740148
  • [2] 1838, auch als nützliche Gleichgültigkeit: "Indifferentismus bezeichnet im Allgemeinen den Zustand der Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit. Er bezieht sich theils auf sinnliche Gegenstände, – Gleichgültigkeit gegen Luft und Schmerz – theils auf geistige Gegenstände. In der letztern Beziehung ist er die entweder erzwungene und dann zuweilen klug berechnete, nur scheinbare Gleichgültigkeit gegen gewisse geistige Interessen, welche die Mehrzahl der Menschen, auf dem Gebiete der Politik, der Religion, der Wissenschaft, der Kunst u.s.w. zu Parteimeinungen und Leidenschaften aufregt. Da der Mensch durch die Bildung zu einem höhern Standpunkte erhoben wird, von welchem aus er Vieles als wohlgeordnetes Ganze erkennt, welches, von einem niedrigern Standpunkt betrachtet, verwirrt und widerspruchsvoll erscheint, auch seinem Geiste sich erhabenere Interessen erschließen, als die des großen Haufens sind, so ist häufig den Gebildeten von den geistig niedriger Stehenden mit Unrecht der Vorwurf des Indifferentismus gemacht worden. Wenn jedoch die großartigen Interessen des Geistes in Wahrheit den Menschen unberührt lassen und er ohne Theilnahme für religiöses, politisches und wissenschaftliches Leben nur den sinnlichen Genüssen nachgeht, so verdient er allerdings den Vorwurf der Niederträchtigkeit und Gemeinheit. – Am Magnet nennt man Indifferenz punkt denjenigen Punkt, in welchem keine Art von magnetischer Wirksamkeit auftritt. (Vgl. Magnet.)" In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 442. http://www.zeno.org/nid/20000834823
  • [3] 1859, vor allem religiös: "Indifferentismus (lat.), die Denkungsart, wonach der Mensch auch gegen wichtige, die höchsten Interessen berührende Angelegenheiten eine gewisse Gleichgültigkeit behauptet. Bes. ist der I. a) ein religiöser, u. dieser ein absoluter (universeller), wenn auf Einen gar keine Religion einen Eindruck macht; od. ein relativer (particularer), wenn Einer keinen Unterschied in den verschiedenen Glaubensansichten, bes. des Christenthums, macht u. der Religion nur moralischen Nutzen zuerkennt; der religiöse I. steht dem Fanatismus entgegen; ein kirchlicher, der keiner kirchlichen Anstalt od. Einrichtung irgend einen Werth beilegt; ein confessioneller, welcher den Unterschied zwischen den verschiedenen christlichen Confessionen als nichtssagend bezeichnet u. sich deßhalb für unbeschränkte Toleranz erklärt; b) ein moralischer, wenn Einer den wesentlichen Unterschied zwischen Gut u. Bös läugnet; ein c) politischer, wenn Einem gleichgültig ist, unter welcher Staatsform er lebt; d) scientifischer od. wissenschaftlicher, dem alle wissenschaftlichen Theorien u. Systeme gleich gelten; e) ästhetischer, der gegen das Schöne u. das Häßliche gleichgültig ist; f) physischer, der gegen Luft u. Unlust gleichgültig ist etc. Die christliche Ethik verwirft den I. als ein Zeichen eines trägen Verstandes od. eines zerstreuten, für die höheren Interessen unempfänglichen Herzens, wobei allmälig das geistige Heben u. der sittliche Charakter ganz in das Ordinäre herabsinkt. Vgl. Clerious, Contra indifferentismum in religione, 1724; Tzschirner, Über den moralischen I., 1805." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 882. Online: http://www.zeno.org/nid/20010174885
  • [4] 1904: "Indifferentismus: Standpunkt der Gleichgültigkeit bezüglich der Wertung von Objecten, Erkenntnissen, Handlungen u.s.w. (ethischer, philosophischer Indifferentismus)." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 503. Online: http://www.zeno.org/nid/20001791885
  • [5] 1907, Indifferentismus als Willensschwäche: "Die Behauptung, es gäbe keinen Satz, der nicht bezweifelt werden könne, nicht einmal diesen Satz selbst ausgenommen, hebt sich selbst auf und führt, wie bei den alten Skeptikern, zum Indifferentismus, welcher Geistestod ist. Wendet sich die Skepsis kritisch gegen bestimmte Gedanken und Richtungen, so ist sie berechtigt; richtet sie' sich aber gegen den Verstand selbst, gegen seine Fähigkeit, irgend welche Wahrheit überhaupt zu finden, so ist sie haltlos und zeugt von Erschlaffung des Wissens- und Willenstriebes." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 579-581. Online: http://www.zeno.org/nid/2000359081X
  • [6] 1907, nicht mit Duldsamkeit zu verwechseln: "Indifferentismus (neulat.), »Gleichgültigkeit« sowohl im allgemeinen (als Charaktereigenschaft) als speziell in bezug auf Wahl und Bevorzugung eines Gegenstandes vor dem andern und dann entweder auf Mangel an Kenntnis von ihm oder an Interesse für ihn beruhend. So fehlt dem moralischen I. das Gefühl für den wesentlichen Unterschied zwischen dem Guten und Bösen. Der religiöse I. verhält sich den verschiedenen Religionsformen gegenüber gleichgültig, weil er die Religion überhaupt als bedeutungslos betrachtet. Der politische I. verkennt die Wichtigkeit der verschiedenen staatlichen Verfassungsformen in bezug auf das allgemeine Wohl und stellt sich ins besondere vaterländischen Interessen gegenüber auf einen willen- und haltlosen kosmopolitischen Standpunkt. Der philosophische I. bestreitet den Wert und die Bedeutung der philosophischen Probleme und Systeme für Wissenschaft und Leben. In keinem Fall ist der I. mit der Duldsamkeit (s. d.) zu verwechseln, mit der er nur insofern übereinstimmt, als beide dem Fanatismus (s. d.) entgegengesetzt sind und ihn ausschließen. – In der Metaphysik bedeutet I. auch die Annahme einer Indifferenz des Willens, d. h. einer absoluten Unabhängigkeit desselben von (äußern wie innern) Bestimmungsgründen." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 794. http://www.zeno.org/nid/20006815839
  • [7] 1911, auch für Magnete: "Indifferént (lat.), ununterschieden, gleichgültig, keine (chem.) Wirkung äußernd. Indifferentísmus, Teilnahmlosigkeit. Indifferénzpunkt, der Punkt zwischen beiden Polen eines Magnets oder einer Voltaischen Säule, an dem keine Anziehung oder Abstoßung oder keine elektr. Spannung bemerkbar ist. Die Verbindung der Indifferenzpunkte heißt Indifferenzlinie oder Indifferenzzone." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 855. http://www.zeno.org/nid/20001210610
  • [8] 1929: Letter to James Ferdindand Morton. Zitiert in "H.P. Lovecraft, a Life" by S. T. Joshi. Dort die Seite 483. Siehe auch 👉 H. P. Lovecraft (Zitate)
  • [9] In seinem Roman "Nebular Make" beschreibt der Philosoph William Olaf Stapledon (1886 bis 1950) wie der Held seines Romanes gleichzeitig Gott erblickt und die Gegenwart seiner Zeit empfindet: "Im remembered the contemporary world crisis in human affairs, the millions of unemployed, the recrudescence of barbarism in Europe an America, the forlorn struggle for a new world. Under the innumaeable and cryptic eyes of God I found myself searching in all these terrestrial aspects for some new significance. But I could not seize it. [Seite 7]" Sowie: "In utter boredom and indignation I cursed my fate. Why, why had I been snatched out of the vivid though distressful world of men to be subjected to all this irrelevance? [Seite 23]" In: William Olaf Stapledon: Nebula Maker. Entstanden Anfang der 1930er Jahre. Posthum zuerst veröffentlicht im Jahr 1976. Bran's Head Books Ltd. ISBN: 0 905220 06 4. Siehe auch 👉 Nebula Maker
  • [10] Die Übersetzung ins Deutsche stammt von mir, die englische Originalwiedergabe ist: "By the fusion of the fluids [qi] of Heaven and Earth all things of the world are produced spontaneously, just as by the mixture of the fluids of husband and wife children are born spontaneously. Among the things thus produced, creatures with blood in their veins are sensitive of hunger and cold. Seeing that grain can be eaten, they use it as food, and discovering that silk and hemp can be worn, they take it as raiment. Some people are of opinion that Heaven produces grain for the purpose of feeding mankind, and silk and hemp to cloth them. That would be tantamount to making Heaven the farmer of man or his mulberry girl [who feeds the silkworms], it would not be in accordance with spontaneity, therefore this opinion is very questionable and unacceptable." In: Lun-hêng, Part 1. Philosophical Essays of Wang Ch'ung. Translated by Forke, Alfred. Leipzig: Harrassowitz. 1907. Dort auf Seite 92.
  • [11] Die Übersetzung ins Deutsche stammt von mir. die englische Originalwiedergabe ist: "Reasoning on Taoist principles we find that Heaven [tian] emits its fluid everywhere. Among the many things of this world grain dispels hunger, and silk and hemp protect from cold. For that reason man eats grain, and wears silk and hemp. That Heaven does not produce grain, silk, and hemp purposely, in order to feed and cloth[e] mankind, follows from the fact that by calamitous changes it does not intend to reprove man. Things are produced spontaneously, and man wears and eats them; the fluid changes spontaneously, and man is frightened by it, for the usual theory is disheartening. Where would be spontaneity, if the heavenly signs were intentional, and where inaction [wu wei]?" In: Chan, Wing-Tsit (1969) [1963]. A Source Book in Chinese Philosophy. Princeton University Press. ISBN 9780691019642. Dort auf Seite 296.
  • [12] Das Übel in der Welt kann Ergebnis gleichgültiger Götter oder höherer Prinzipien sein, muss es aber nicht. Alternativ denkbar ist böswillige höhere Entitäten. Denkbar ist aber auch, dass ein Mindestmaß an Übel für ein größeres Gutes im Sinne einer Güterabwägung hingenommen wird. In der christlich motivierten Philosophie bezeichnet man Versuche zur Begründung des Bösen oder des Übels in der Welt als 👉 Theodizee
  • [13] Martin Luther, De servo arbitrio (1525). Deutsche Ausgabe in: Martin Luther. Ausgewählte Werke. Ergänzungsreihe, Band 1, übersetzt von Bruno Jordahn (München: Chr. Kaiser Verlag, 1963), WA 18, 685,3 ff. Siehe auch 👉 Deus absconditus
  • [14] Luthers lateinische Original von 1525 lautet: Sed fides et spiritus aliter iudicant, qui Deum bonum credunt, etiamsi omnes homines perderet." In: Martin Luther: De servo arbitrio, 1525; WA 18,708; Clemen III, 202,29f.
  • [15] Albert Camus' französisches Original: "L’absurde naît de cette confrontation entre l’appel humain et le silence déraisonnable du monde." In: Camus, Albert. Le Mythe de Sisyphe. Essai sur l’absurde. Paris: Gallimard, 1942.
  • [16] Simone Weil im französischen Original: "Dieu ne peut être présent dans la création que sous la forme de l'absence." In: La Pesanteur et la Grâce. Zuerst veröffentlich im Jahr 1947, vier Jahre nach dem Tod der Autorin.
  • [17] Simone Weil "believed that God created by an act of self-delimitation; because God is conceived as utter fullness, no creature could exist except where God was not. Thus creation occurred only when God withdrew in part." New World Encyclopedia, s.v. “Simone Weil”. Abgerufen am 23. Dezember 2025. Online: https://www.newworldencyclopedia.org/entry/Simone_Weil
  • [18] Den Gedanken des selbstbeschränkenden Gottes dachte auch Megan Fritts: "God … must renounce unbounded freedom if a world determined and ordered by finite limits is to exist … God lets his hands be tied, so to speak, and he himself does the tying."
In: Megan Fritts: Creation as Divine Absence: A Metaphysical Reframing of the Problem of Evil. Religious Studies. Cambridge University Press. 2024. Online: https://www.researchgate.net/publication/385603987_Creation_as_divine_absence_A_metaphysical_reframing_of_the_problem_of_evil
  • [19] Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. Chr.) über desinteressierte Götter: "For there are some philosophers, both ancient and modern, who have conceived that the Gods take not the least cognizance of human affairs. But if their doctrine be true, of what avail is piety, sanctity, or religion? for these are feelings and marks of devotion which are offered to the Gods by men with uprightness and holiness, on the ground that men are the objects of the attention of the Gods, and that many benefits are conferred by the immortal Gods on the human race. But if the Gods have neither the power nor the inclination to help us; if they take no care of us, and pay no regard to our actions; and if there is no single advantage which can possibly accrue to the life of man; then what reason can we have to pay any adoration, or any honors, or to prefer any prayers to them?" In: Cicero, Nature of the Gods, from the Treatises of M.T. Cicero, translated by Charles Duke Yonge (1812-1891), Bohn edition of 1878.
  • [20] Die von Wang Chang verworfene Idee, dass der Himmel, die Götter sich etwa um die gute Ernte für Menschen kümmerten, äußerte einige hundert Jahre später der römische Schriftsteller Cicero: "There are […] philosophers […] who conceive the whole world to be directed and governed by the will and wisdom of the Gods; nor do they stop here, but conceive likewise that the Deities consult and provide for the preservation of mankind. For they think that the fruits, and the produce of the earth, and the seasons, and the variety of weather, and the change of climates, by which all the productions of the earth are brought to maturity, are designed by the immortal Gods for the use of man." In: Cicero, Nature of the Gods, from the Treatises of M.T. Cicero, translated by Charles Duke Yonge (1812-1891), Bohn edition of 1878.
  • [21] Das Attribut "natürlich" in der natürlichen Religion oder Theologie bezieht sich auf die Natur als Indiz für ein göttliches wirken. Diese Tradition ist vor allem in den alten angelsächsischen Ländern stark. Siehe dazu den ausführlichen Artikel über die 👉 natürliche Religion
  • [22] Arthur Stanley Eddington im Original: "science looks out for is not entities of some particular category, but entities with a metrical aspect. We shall see in a later chapter that when science admits them it really admits only their metrical aspect and occupies itself solely with that." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", Seite 105. Siehe auch 👉 Objektivismus
  • [23] In dem empirisch arbeitenden Wissenschaften nennt man die Erschaffung einer Messvorschrift, eines Erkennungsalgorithmus für innere psychische Zustände 👉 Operationalisierung
  • [24] Wie man das Vorhandensein von Bewusstsein naturwissenschaftlich messen könnte, wird beschrieben in: Denken: Stanislas Dehaene: Wie das Gehirn Bewusstsein schafft. Albrecht Knaus Verlag, 2014. ISBN: 9783813504200.
  • [25] "It seemed that the universe, or the maker of the universe, must be indifferent to the fate of worlds." In: Olaf Stapledon: Star Maker. Methuen. London. 1937. Siehe auch 👉 William Olaf Stapledon
  • [26] Heinrich Heine: Fragen. Veröffentlicht 1827 im Buch der Lieder.

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