Darwinismus
Biologie
Basiswissen
Darwinismus im engeren Sinn ist eine naturwissenschaftliche Theorie zur Erklärung des Wandels biologischer Arten. Das Kernprinzip ist ein Wechselspiel von biologischer Vielfalt (Variation) und natürlicher Auslese (Selektion). Der Darwinismus wurde auf viele Bereiche außerhalb der Biologie übertragen. Das ist hier kurz vorgestellt.
Welche Frage beantwortet der Darwinismus?
Biologische Lebensformen wie Tiere, Pflanzen oder Pilze in Arten gedacht verändern sich über die Zeit. So entstanden zum Beispiel die heutigen Pferderassen aus nur hundegroßen Vorfahren. Die Vorfahren des Menschen waren - sehr weit zurück gedacht - einmal Fische. Die Grundidee sich wandelnder Arten war zu Darwins Zeit eine noch recht neue Erkenntnis. Die Frage war nun, wie sich der Wandel der Arten vollzieht. Durch welche Prozesse, können aus Fischen Menschen werden? Diese Art von Frage beantwortet der Darwinismus. Die Wissenschaft ausgestorbener Lebensformen ist die Paläontologie ↗
Was ist die Kernidee des Darwinismus?
Die Individuen einer Art erzeugen Nachkommen. Die einzelnen Nachkommen von Eltern sind dabei nicht alle gleich. Sie weisen kleine Unterschiede auf. Man spricht von Variationen. Diese Variationen[9] bewirken letztendlich, dass manche der Nachkommen bessere Chancen einer eigenen Vermehrung haben als andere. Früher sprach man auch von einem "Kampfs ums Dasein"[10]. Fluginsekten auf einer sturmumtosten kleinen Atlantikinsel etwa können vom Wind aufs offene Meer gedrängt werden, wo sie dann zugrunde gehen. Ein flugunfähiges Insekt hat dann vielleicht eine höhere Wahrscheinlichkeit, auf der Insel zu bleiben und Nachkommen zu erzeugen. Es wirkt ein sogenannter Selektionsdruck. Die Nachkommen von flugunfähigen Insekten sind dabei selbst eher auch flugunfähig (Vererbung). So werden die flugfähigen Insekten mit der Zeit immer weniger und die flugunfähigen Insekten prägen die neue Erscheinung der Art. Dieses Beispiel wurde tatsächlich auf Inseln im Atlantik beobachtet. Die Evolution läuft hier in sehr kurzer Zeit ab[7]. Im Endeffekt ändert sich so über ausreichend lange Zeiträume eine biologische Art hin zu neuen Erscheinungsformen. Der gesamte Prozess selbst heißt dann Evolution ↗
Abgrenzung zum Lamarckismus
50 Jahre vor der Veröffentlichung von Darwins Hauptwerk im Jahr 1859 hatte schon 1809 der Franzose Jean-Baptiste Lamarck eine umfassende Theorie der stammesgeschichten Entwicklung von Lebewesen veröffentlicht.[12] Lamarcks Theorie ging davon aus, dass es der Gebrauch und der Nichtgebrauch von Organen individueller Lebewesen sei, die vererbt würden. Auch Darwin hielt diesen Mechanismus für plausibel, aber nicht mehr für alleine ausschlaggebend.[13] Und während Lamarck von einer in der Evolution angelegten Höherentwicklung der Arten ausging, war auch das kein wesentlicher Teil von Darwins Theorie. Siehe auch Lamarckismus ↗
Was ist ein genetischer Algorithmus?
Genetische Algorithmen sind Computerprogramme, die die Prinzipien einer darwinistischen Evolution mit einem programmierten Code nachstellen. Mit genetischen Algorithmen kann man zum Beispiel Gleichungen lösen, die Formen von Flugzeugflügeln verbessern oder Programme zum Lesen menschlicher Handschriften verbessern. Es genügen recht wenige Kenntnisse im Programmieren, um selbst solche Algorithmen zu schreiben. Siehe mehr dazu im Artikel genetischer Algorithmus ↗
Was ist der Sozialdarwinismus?
So bezeichnet man die Übertragung und Gutheißung darwinistischer Methoden für das menschliche Zusammenleben. Insbesondere in Deutschland im frühen 20ten Jahrhundert war der Sozialdarwinismus sehr einflussreich. Er führte letztendlich zur nationalsozialistischen Ideologie und zum Zweiten Weltkrieg als Ausrottungskrieg. Siehe dazu den Artikel Sozialdarwinismus ↗
Wo irrte Darwin?
Der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) wies auf einen Irrtum Darwins hin[11], der aber letztendlich keine Bedeutung für den Gesamteffekt von Darwins Lehre hat. Darwin, so Schrödinger, sei davon ausgegangen, dass die vielen kleinen
Was ist die Idee der Evolutionsökonomik?
Darwin hat die ökonomischen, das heißt wirtschaftlichen, Gedanken des englischen Mathematikers Thomas Robert Malthus (1766 bis 1834) intensiv gelesen und verarbeitet[6]. So kann man sagen, dass wirtschaftliche Überlegungen den Darwinismus inspirierten. Die Evolutionsökonomik geht nun den umgekehrten Weg. Sie versucht wirtschaftliches Geschen mit Hilfe evolutionärer Prinzipien zu deuten. Siehe dazu den Artikel zur Evolutionsökonomik ↗
Fußnoten
[1] Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzen-Reich durch natürliche Züchtung, oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe um’s Daseyn. Nach der zweiten [englischen] Auflage mit einer geschichtlichen Vorrede und anderen Zusätzen des Verfassers für diese deutsche Ausgabe aus dem Englischen (1859) übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. H. G. Bronn. E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung und Druckerei, Stuttgart 1860. Siehe auch Charles Darwin ↗
- [2] Thomas Malthus: Essay on the Principle of Population. 1798.
- [3] H. Allen Orr: Darwin and Darwinism: The (Alleged) Social Implications of The Origin of Species. In: Genetics November 1, 2009 vol. 183 no. 3 767-772; https://doi.org/10.1534/genetics.109.110445
- [4] J. Scott Turner: The Tinkerer's Accomplice. How Design Emerges from Life itself. 2007. ISBN: 978-0674057531 .
- [5] Jan Christian Smuts: Holisms and Evolution. The Macmillan Company. New York. 1926. Hier die Kapitel 7 und 8.
- [6] Lamar B. Jones: Schumpeter versus Darwin: In Re Malthus. Southern Economic Journal, vol. 56, no. 2, 1989, pp. 410–22. JSTOR, https://doi.org/10.2307/1059219. Accessed 26 Feb. 2023.
- [7] Mathieu Laparie, Philippe Vernon, Yann Cozic, Yves Frenot, David Renault, Vincent Debat (2016): Wing morphology of the active flyer Calliphora vicina (Diptera: Calliphoridae) during its invasion of a sub-Antarctic archipelago where insect flightlessness is the rule. Biological Journal of the Linnean Society 119 (1):179–193. doi:10.1111/bij.12815
- [8] Darwinismus. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 531-536: "Darwinismus (Darwinsche Theorie […] auch Zuchtwahl- (Selektions-)theorie genannt, diejenige Form der Abstammungslehre (Deszendenztheorie, s.d.), die Charles Darwin zur Erklärung des Naturlebens in seinem Zusammenhang aufgestellt hat, und die, obwohl es an Widerspruch nicht fehlt, den meisten Naturforschern mit einigen leichten Veränderungen noch immer als die beste bisher gegebene Erklärung der Rätsel des Lebens gilt. Die erste Veröffentlichung der schon 1839 niedergeschriebenen Gedanken geschah gleichzeitig mit einer Arbeit gleicher Tendenz von Wallace im August 1858. Im nächsten Jahr (1859) erfolgte dann die ausführlichere Begründung. Die Grundlagen des D. bilden die drei Erfahrungstatsachen der Veränderlichkeit, Vererbungsfähigkeit und Überproduktion der Lebewesen." Online: http://www.zeno.org/nid/20006467121
- [9] Darwinismus als verträglich mit der Religion, 1907: "Darwinismus ist die von Ch. Darwin (1809-1882) aufgestellte Entwicklungslehre, nach der die Arten der Organismen nicht fertig auf einmal geschaffen wurden, sondern auseinander und nacheinander allmählich auf Grund der wechselnden Existenzbedingungen und der Anpassungsfähigkeit der Organismen entstanden sind. Als die bestimmenden Einflüsse bei der Entstehung der Arten betrachtet Darwin die Vererbung (s. d.), die Variabilität der Individuen, die durch den Kampf ums Dasein (struggle for life) bewirkte natürliche Zuchtwahl oder Auslese (Selection), die Korrelation der Organe und die Folgen des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs der Glieder. (Ch. Darwin, On the origin of species by means of natural selection, London 1859.) Es ist das Verdienst Darwins, das Dogma von der Konstanz der Arten umgestoßen und eine Betrachtungsweise in der Zoologie und Botanik zur Geltung gebracht zu haben, die das Seiende nicht als starre Form hinnimmt, sondern[132] sein Wesen aus dem Werden begreifen lehrt. Der Grundgedanke einer allmählichen Vervollkommnung der Organismen ist wissenschaftlich überaus fruchtbar und widerspricht auch nicht dem Glauben. Die Theorie Darwins bedroht nicht, wie anfangs angenommen wurde, den Theismus. Denn die schöpferische Tätigkeit Gottes erscheint, wie schon Newton im Kampf gegen den Mechanismus angedeutet hat, ebenso groß, ja noch größer, wenn die Natur entwicklungsfähig ist, wenn also, wie es der Darwinismus später gelehrt hat, fortwährend neue Stufen der Entwicklung erscheinen, als wenn die Natur konstant wäre, also die Arten am Anfang fest ins Dasein getreten wären. Und selbst wenn die Ursache einer Erscheinung noch so weit, bis in die Elemente aller Dinge zurückgeschoben wird, so bleiben wir doch damit nur innerhalb der endlichen Erscheinungswelt stehen. Mag die Entwicklung der Individuen von innen (wie nach Wallaces Evolutionstheorie) oder von außen (wie nach Darwins Selektionstheorie) kommen, die Frage einer Weltschöpfung wird dadurch nicht berührt. Die Schöpfung gewinnt nur an Würde und Bedeutung, sagt O. Peschel (1826-1875), wenn sie die Kraft der Erneuerung und Entwicklung in sich selbst trägt. Der unbefangene Blick wird leicht erkennen, daß die Züchtungslehre die Teleologie nicht einfach abweist, sondern ihr vielmehr den Boden bereitet. Doch darf die Darwinsche Theorie nicht in das Gebiet der Wertunterschiede im Dasein übergreifen. Das Gebiet des Geistes, besonders das ethische, läßt sich nicht in bloßen Naturmechanismus auflösen. Denn die geistigen und ethischen Tatsachen sind nicht nur verschieden von den materiellen, sondern auch bedeutungsvoller als diese. Das Weltall, den Menschen mit einbegriffen, kann nicht in eine Mechanik der Atome verwandelt werden. Die Darwinsche Theorie muß sich auf das naturwissenschaftliche Gebiet beschränken und die Ethik als ein selbständiges, außerhalb ihres Forschungskreises liegendes Gebiet anerkennen. – Recht leer und unbedeutend ist übrigens die von einem Schüler Haeckels, des hervorragendsten Vertreters des Darwinismus in Deutschland, Joh. Unbehaun, versuchte rein philosophische Selektionstheorie (Jena 1896). Vgl. G. P. Weygoldt, Darwinismus, Religion, Sittlichkeit. Leyden 1878. R. Schmidt, die Darwinsche Theorie. Leipzig 1876. Vgl. Evolution, Mutation." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 132-133. Online: http://www.zeno.org/nid/20003580466
- [10] Darwinismus, Kampf ums Dasein, 1911: "Darwinismus, die Theorie Charles Robert Darwins (s.d.), die die Erklärung des Naturlebens in seinem Zusammenhang versucht und im wesentlichen die Lehre von der Entstehung und Umgestaltung der organischen Lebewesen ist (Abstammungslehre, Deszendenztheorie). Sie nimmt an, daß die höhern Tier-und Pflanzenformen durch allmähliche Umbildung aus niedersten und einfachsten Formen hervorgegangen seien, und sucht nachzuweisen, wie diese fortschreitende Umbildung stattfand. Ihre beiden Hauptfaktoren sind Erblichkeit und Veränderlichkeit (Variabilität) oder Anpassungsfähigkeit, wonach Eigenschaften der Eltern bei ihrer Vererbung sich in irgendeiner nützlichen oder schädlichen Richtung um ein Minimum abändern können. Die mit den vorteilhaftesten Abänderungen ausgestatteten Individuen haben bei der Gleichartigkeit der Lebensbedingungen größere Aussicht, den Kampf ums Dasein zu bestehen, die andern zu überleben, somit auch die verbesserten Eigenschaften durch den Prozeß der natürlichen Zuchtwahl (s.d.) auf ihre Nachkommen zu vererben. Schriften von Darwin, Haeckel, Wallace, Wagner, Weismann, Seidlitz, Wigand, G. Wolff, Fleischmann u.a." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 395. Online: http://www.zeno.org/nid/20001035428
- [11] Schrödinger über einen Irrtum Darwins: "Wir wissen heute bestimmt, daß Darwin im Irrtum war, als er die kleinen, zufälligen, ohne scharfe Grenze ineinander übergehenden Variationen, welche auch in der homogensten Bevölkerung vorkommen müssen, als das Arbeitsmaterial der natürlichen Zuchtwahl betrachtete. Denn es ist erwiesen, daß sie nicht vererbt werden." Schrödinger führt folgendes Gedankenexperiment an: man hat eine Gerstenernte "reinrassiger Abstammung". Man wird feststellen, dass die "Länge der Grannen" nicht alle Ähren gleich ist. Darwin zufolge, so Schrödinger, könnte man nun aus den Ähren mit den längeren Grannen neue Nachkommen erzeugen, die dann auch wieder längere Grannen haben müssten als der Durchschnitt der vorherigen Ernte: "In einer statistischen Voraussage für diese neue Ernte hätte Darwin eine Verschiebung der entsprechenden Kurve" Doch, so Schrödinger: "Dies ist, sofern eine wirklich rein gezüchtete Gerstenrasse verwendet wurde, nicht der Fall." Denn: "Die Zuchtwahl bleibt wirkungslos, weil die kleinen, ineinander übergehenden Abweichungen nicht vererbt werden. Sie sind offensichtlich nicht durch die Struktur der Erbmasse bedingt; sie sind zufälliger Natur." Und "Falls ich die mehrheitliche Auffassung der Biologen richtig verstehe, sind in allen anderen Punkten an Darwins Theorie wenig Änderungen notwendig." In: Erwin Schrödinger: Was ist Leben?: Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987. ISBN: 3-492-11134-3. Dort die Seiten 58 bis 61.
- [12] Jean-Baptiste Lamarck: Philosophie zoologique. 1809. Siehe auch Lamarckismus ↗
- [13] Dass Charles Darwin wie auch Jean-Baptiste Lamarck davon ausging, dass der Gebrauch oder Nichtgebrauch von Organen sich im Erbmaterial niederschlüge, erwähnt: Stephan S. W. Müller: Theorien sozialer Evolution. Zur Plausiblität darwinistischer Erklärungen sozialen Wandels. transcript Verlag. Bielefeld. 2010. ISBN: 978-3-8376-1342-1. Dort auf den Seite 19 und 20.