Rhetos
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Erbrecht (kulturelle DNA)


Evolution


Basiswissen


In Norddeutschland wurden bäuerliche Höfe oft nur zusammenhängend an ein Kind weitervererbt (Anerbenrecht). In Süddeutschland hingegen würden Höfe und Häuser oft unter Kindern aufgeteilt (Realteilung). Im Konzept einer kulturellen Evolution kann das entsprechende Recht, die sogenannte Höfeordnung, als Teil eines Genotyps und die daraus entstehenden Landschafts- und Siedlungsform als dazugehöriges phänotypisches Merkmal gedeutet werden.

Vom Mem zur kulturellen DNA


Der Begriff der kulturellen DNA wird oft sinnbildlich für die Idee eines tieferen Prinzips oder inneren Wesens verwendet, etwa von Unternehmen[1], Sportvereinen (Sieger-DNA)[2] oder der Bibel (DNA des Patriachalismus)[3]. In der akademischen Forschung war es der Zoologe Richard Dawkins, der im Jahr 1976 vorschlug, das Konzept eines biologischen Gens auf Phänonmene der Kultur zu übertragen. Dawkins prägte dazu den Begriff des Mems[4].

1.0 Bereits im Jahr 1976 wurde die Idee des Mems, eines kulturellen Gens geprägt.

Ein Lied etwa, das sich durch Nachahmung von Mensch zu Mensch verbreitet, war ein Mem. Aber auch die Art, wie man sich Schuhe bindet, kann als Mem aufgefasst werden. Der Versuch ein eigenes wissenschaftliches Forschungsgebiet, die Memetik zu begründen, schlug jedoch fehl. Ein Grund für das Scheitern war möglicherweise die fehlende Schärfung von Begriffen und Konzepten[5]. Ein Problem mit Dawkins' ursprünglichem Konzept des Mems war zum Beispiel, dass es nicht zwischen einem Genotypen[6] und einem Phänotypen[7] unterschied. Das geträllerte Lied, das viral ging, war sowohl der Genotyp als auch der Phänotyp.

2.0 Die Idee des Mems unterscheidet nicht zwischen Genotyp und Phänotyp.

Tatsächlich aber gibt es viele Beispiele aus Kultur und Wirtschaft, in denen man Meme als Zusammenspiel von Genotypen und Phänotypen auffassen kann. Überall dort, wo nämlich kulturelle Informatik in kodierter Form, in Zeichen im weitesten Sinn vorliegt, hat man einen Genotypen. Und wo diese Zeichen in kulturelle Praxis übersetzt werden, findet eine Art Genexpression hin zum Phänotypen statt. Siehe auch Genotyp ↗

Das Erbrecht als kulturelle DNA


Es ist bemerkenswert: auf einem dünnen Stück Papier wird in kleinen Mustern schwarze Farbe aufgetragen. Und daraufhin verändert sich später das Erscheinungsbild ganzer Landschaften. Die Muster auf dem Papier sind zum Beispiel Gesetze zur Vererbung von landwirtschaftlichen Betrieben. Diese Gesetzestexte sind kodierte Information. Darin ähneln sie der RNA oder der DNA von lebenden Organismen. Die Gesetze sind Teil eines Genotyps[9].

3.0 Gesetze zum Erbrecht sind wie Gene kodierte Information, ein Genotyp.

In Norddeutschland herrschte über Jahrhunderte das sogenannte Anerbenrecht vor, heute noch speziell geregelt im sogenannten Höfeordnung. Das Recht schrieb vor, dass Höfe immer nur ungeteilt an einen einzigen Erben weitergegebeben werden durften. Das konnte der älteste oder auch jüngste Sohn sein, oder auch eine Tochter oder andere Familienmitglieder. Das Erbe durfte aber niemals aufgeteilt werden. Der Hof als Ganzes sollte erhalten bleiben.

In Süddeutschland überwog die sogenannte Realteilung. Dabei wurde ein Hof anteilig auf verschiedene Erben verteilt. Das führte zu einer stetigen Zersplitterung von Ackerflächen. Die Flächen eines Betriebes lagen oft weit voneinander entfernt und sie waren klein. Beides war nur wenig wirtschaftlich. Der heute dazu gültige Gesetzestext, die kulturelle DNA ist das bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Grundsätzlich erlaubt das BGB eine Aufteilung von geerbtem Besitz. Wo es keine Sonderregelung für die Landwirtschaftlich gibt, wird die sogenannte Realeilung möglich, die Zersplitterung von Besitz in viele kleine Teile.

Aus dem Genotyp der Gesetze wird ein Phänotyp von Handlungen


Wenn die Gesetze zur Vererbung von landwirtschaftlichen Betrieben der Genotyp, die kulturelle DNA sind, dann kann man die dadurch hervorgebrachten menschlichen Handlungen als Phänotypen bezeichnen. Die Gesetzestexte führen dazu, dass Menschen Grenzmarkierungen setzen (eine Handlung) oder ihre Traktoren nur in bestimmten Bereichen bewegen (auch eine Handlung). Der unmittelbarste Phänotyp der Gesetzestexte sind damit menschliche Handlungen.

4.0 Das Setzen von Grenzmarkierungen[10] und die Bearbeitung nur eigener Felder ist der unmittelbare Phänotyp der Gesetzestexte.

Die Gene eines Organismus prägen aber auch stark die Welt außerhalb von Organismen. Das klassische Beispiel ist etwa der Biber. Sein Verhalten schafft neue, große, künstliche Wasserflächen. Aber auch das Verhalten von Korallen ist landschaftsgestaltend, indem es ganze Riffkörper schafft. Um auch Phänomene außerhalb der Körper von Organismen mit zu erfassen, entwickelte Dawkins das Konzept des erweiterten Phänotypen.

5.0 Wo Verhalten etwas außerhalb von einem Organismus erschafft, entsteht ein erweiterter Phänotyp. Gestalt und Größe der Äcker sind der erweiterte Phänotyp.

Im Beispiel der Ackerflächen kommt man dann zu folgenden Analogien. Der Gesetzestext ist Teil des Genotypen. Die daraus entstehenden Handlungen von Menschen wären etwa die Aufteilung der Äcker in Teilflächen und auch zum Beispiel die Steuerung von Traktoren entlang dieser Grenzen. Die dadurch entstehende Größe und Gestalt der Teilflächen ist dann im Sinne Dawkins ein erweiterter Phänotyp ↗

Vom kulturellen Gen zur kulturellen Evolution


Soll die Idee von Memen, von kulturellen Geno- und kulturellen Phänotypen weiter in Richtung einer Analogie hin zur biologischen Evolution ausgearbeitet werden, so stellt sich die Frage, wer die Rolle von Organismen einnimmt, inwiefern man von einer Selektion, Variation und einer Generationenfolge sprechen kann, und was man unter Fitness verstehen könnte.


Quaestiones



Fußnoten