Quantenpostulat
Niels Bohr
Basiswissen
Im Jahr 1928 veröffentlichte der dänische Physiker Niels Bohr (1885 bis 1962) einen Artikel zu seinem Quantenpostulat[1], der auf einen Vortrag aus dem Jahr 1927 fußt. Der Artikel ist in mindestens zweierlei Hinsicht lesenswert. Zum einen zeigt der Artikel die zentralen Probleme und Fragestellen der neu entstehenden Quantenphysik in ihrer Widersprüchlichkeit zur klassischen Physik, insbesondere der Kausalität auf. Zum anderen skizziert Bohr dort sein Konzept der Komplementarität. Das ist hier mit originalen Zitaten aus dieser Veröffentlichung kurz vorgestellt.
Aussagen Bohrs zum Quantenpostulat
Den ideengeschichtlichen Hintergrund zu diesem Artikel aus dem Jahr 1928, der Geburtszeit der Quantenphysik, bildet eine Fülle von experimentellen Befunden, die seit etwa 1900 ein anschaulich greifbares physikalisches Bild der Welt, das Weltbild der klassischen Physik, zunehmend unhaltbar machten. Der Brennpunkt dieser Unvereinbarkeit war einerseits, dass sowohl Licht wie auch kleine Objekte wie Elektronen sowohl Eigenschaften von Wellen wie auch von Teilchen zeigten. Damit ist nicht gemeint, dass sich etwa Elektronen wellenartig durch den Raum schlängeln. Die Unvereinbarkeit des Wellen- und Teilchenmodells geht sehr viel tiefer. Von dieser tiefen Kluft zeugen einige Zitate aus Bohrs Artikel von 1928.
Verlust der Kontinuität
Der klassischen Physik zufolge führen gleiche Anfangsbedingungen immer auch zu gleichen Folgezustände. Kennt man etwa genau die Position eines in der Luft fliegenden Balles und kennt man alle weiteren Zustände der Umgebung, so kann man daraus die weitere Flugbahn des Balles genau vorhersagen. Das trifft auf Objekte der Quantenwelt, etwa Lichtpartikel im Doppelspaltexperiment nicht mehr zu.
ZITAT:
Zum Quantenpostulat, "wonach jeder atomare Prozeß einen Zug von Diskontinuität oder vielmehr Individualität enthält, der den klassischen Theorien vollständig fremd ist und durch das Plancksche Wirkungsquantum gekennzeichnet ist."[1]
Zum Quantenpostulat, "wonach jeder atomare Prozeß einen Zug von Diskontinuität oder vielmehr Individualität enthält, der den klassischen Theorien vollständig fremd ist und durch das Plancksche Wirkungsquantum gekennzeichnet ist."[1]
Individuell an den Quantenprozesses ist, dass man zwar erfolgreiche Vorhersagen für statistische Mittelwerte treffen kann, nicht aber individuelle Einzelereignisse. Als Diskontinuität bezeichnet man einen Bruch in einem Ablauf, einen Sprung im Geschehen. Um 1928 spielt man den Gedanken durch, dass etwa Elektronen ihren Zustand innerhalb eines Atoms sprungartig und ohne jede Zwischenzustände ändern können. Spätestens aber seit dem 21ten Jahrhundert aber mehrten sich Hinweise darauf, dass die vermeintlichen Sprüng tatsächlich doch kontinuierlich verlaufen.[2] Siehe dazu mehr im Artikel zum Quantensprung ↗
Verlust der Objektivität
Die Frage, ob es eine vom menschlichen Beobachter völlig unabhängige Wirklichkeit, eine objektive Realität gibt, spitze spätestens im 18ten Jahrhundert George Berkeley mit seiner Idee zu, dass es keine Realität außerhalb unseres Bewusstseins geben könne.[4]
ZITAT:
"Dieses Postulat [das Quantenpostulat] hat einen Verzicht betreffend die kausale raumzeitliche Beschreibung der atomaren Phänomene zur Folge. In der Tat beruht unsere gewöhnliche Beschreibung der Naturerscheinungen letzten Endes auf der Voraussetzung, daß die in Rede stehenden Phänomene beobachtet werden können, ohne sie wesentlich zu beeinflussen."[1]
"Dieses Postulat [das Quantenpostulat] hat einen Verzicht betreffend die kausale raumzeitliche Beschreibung der atomaren Phänomene zur Folge. In der Tat beruht unsere gewöhnliche Beschreibung der Naturerscheinungen letzten Endes auf der Voraussetzung, daß die in Rede stehenden Phänomene beobachtet werden können, ohne sie wesentlich zu beeinflussen."[1]
Denn:
ZITAT:
Es verlangt "die Definition des Zustandes eines physikalischen Systems, wie gewöhnlich aufgefaßt, das Ausschließen aller äußeren Beeinflussungen; dann ist aber nach dem Quantenpostulat auch jede Möglichkeit der Beobachtung ausgeschlossen".[1]
Es verlangt "die Definition des Zustandes eines physikalischen Systems, wie gewöhnlich aufgefaßt, das Ausschließen aller äußeren Beeinflussungen; dann ist aber nach dem Quantenpostulat auch jede Möglichkeit der Beobachtung ausgeschlossen".[1]
Man muss hier vier Positionen unterscheiden: a) es gibt gar keine objektive Außenwelt, b) es gibt sie, aber sie ist immer zu einem Mindestmaß durch Beobachter beeinflusst, es gibt sie, aber sie ist nicht zuverlässig erkennbar und d) es gibt diese Welt nicht, sie ist nur ein Produkt des eigenen beobachtenden Bewusstseins. Siehe mehr dazu unter Objektivismus ↗
Verlust der Realität
Währen der Verlust der Objektivität noch offen lässt, ob es eine vom Beobachter unabhängige, objektive Realität gibt, geht der Zweifel an einer selbständigen physikalischen Realität noch weiter. Der springende Punkt ist, dass man nicht mehr nur deren Erkennbarkeit sondern der Existenz anzweifelt:
ZITAT:
"Nun bedeutet aber das Quantenpostulat, daß jede Beobachtung atomarer Phänomene eine nicht zu vernachlässigende Wechselwirkung mit dem Messungsmittel fordert, und daß also weder den Phänomenen noch dem Beobachtungsmittel eine selbständige physikalische Realität im gewöhnlichen Sinne zugeschrieben werden kann. Überhaupt enthält der Begriff der Beobachtung eine Willkür, indem er wesentlich darauf beruht, welche Gegenstände mit zu dem zu beobachtenden System gerechnet werden."[1]
"Nun bedeutet aber das Quantenpostulat, daß jede Beobachtung atomarer Phänomene eine nicht zu vernachlässigende Wechselwirkung mit dem Messungsmittel fordert, und daß also weder den Phänomenen noch dem Beobachtungsmittel eine selbständige physikalische Realität im gewöhnlichen Sinne zugeschrieben werden kann. Überhaupt enthält der Begriff der Beobachtung eine Willkür, indem er wesentlich darauf beruht, welche Gegenstände mit zu dem zu beobachtenden System gerechnet werden."[1]
Bohr lässt hier noch offen, ob er die Existenz einer eigenen Wirklichkeit anzweifelt oder nur deren Erkennbarkeit. Bohr Kollege, Max Born, zweifelte im Jahr 1924 vorsichtig nur die Erkennbarkeit an[7]. Ein Briefwechsel mit Albert Einstein aber zeigt, dass die Diskussion tatsächlich tiefer ging und auch die Existenz einer eigenen Realität in Frage stellt.[8] Siehe auch Realismus ↗
Verlust der Eindeutigkeit
Die Idee der Eindeutigkeit in der Physik bezieht sich meist auf die Vorstellung, dass aus einem sicher bestimmten Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt zwangsläufig folgen muss, wie vorherige oder spätere Zustände zu anderen Zeitpunkten sein müssen. Mathematisch spräche man hier von einer Funktion, nämlich einer eindeutigen Zuordnung.[5] Ihren klassischen Ausdruck fand diese Position im Metapher vom Laplaceschen Dämon.[6]
ZITAT:
"Lassen wir andererseits, um Beobachtungen zu ermöglichen, eventuelle Wechselwirkungen mit geeigneten, nicht zum System gehörigen, äußeren Messungsmitteln zu, so ist der Natur der Sache nach eine eindeutige Definition des Zustandes des Systems nicht mehr möglich, und es kann von Kausalität im gewöhnlichen Sinne keine Rede sein."[1]
"Lassen wir andererseits, um Beobachtungen zu ermöglichen, eventuelle Wechselwirkungen mit geeigneten, nicht zum System gehörigen, äußeren Messungsmitteln zu, so ist der Natur der Sache nach eine eindeutige Definition des Zustandes des Systems nicht mehr möglich, und es kann von Kausalität im gewöhnlichen Sinne keine Rede sein."[1]
Die Eindeutigkeit geht hier bereits beim Erfassen des Ist-Zustandes verloren: aufgrund der untrennbaren Verbindung von Beobachter, Messanordnung und dem zu messenden Objekt kann kein eindeutiger Zustand für das zu messende Objekt festgestellt werden. Damit ist aber auch jede Berechnung zukünftiger Zustände nicht mehr eindeutig durchführbar. Siehe mehr zur Eindeutigkeit im Sinne der Physik Laplacescher Dämon ↗
Drang zum Sensualismus
Als Sensualismus bezeichnet man eine erkenntnistheoretische Sicht, dass letztendlich jede Erkenntnis nur auf Sinneserlebnissen beruht. Sichere Aussage sind nur über Inhalte unseres Bewusstseins möglich. Die Bedeutung dieser Sicht betonte bereits Rene Descartes im Zusammenhang mit der Optik im Jahr 1637.[9]
ZITAT:
"Letzten Endes wird jede Beobachtung selbstverständlich auf unsere Sinnesempfindungen zurückgeführt werden können."[1]
"Letzten Endes wird jede Beobachtung selbstverständlich auf unsere Sinnesempfindungen zurückgeführt werden können."[1]
Schwierig ist es, von diesen Inhalten des Bewusstseins zuverlässig auf Dinge außerhalb des Bewusstseins zu schließen. Kann man, wenn man im Bewusstsein eindeutig wahrnimmt, dass ein Stein auf dem Boden liegt, sicher auf die Existenz des Steines schließen? Dass diese Frage durchaus nicht banal ist zeigt sich bei weniger scheinbar offensichtlichen Umständen: kann man aus dem starken Bewusstseinsinhalt der Existenz eines Gottes tatsächlich auf dessen Existenz schließen? Die Idee, dass es eine Welt außerhalb des Bewusstseins gibt, bezeichnet man auch als Außenwelthypothese.[10] Die mahnende Erinnerung daran, dass letzendlich sicher und zuverlässig nur die sensorischen Inhalte unseres Bewusstseins, die Qualia aus der Philosophie, sind vertritt die Position des Sensualismus ↗
Realität bleibt Abstraktion
Indem Bohr darauf verweist, dass jedes physikalische Denken letztendlich auf Abstraktionen hinausläuft, heute spräche man auch von Modellen, hält er eine dringend notwendige Vorsicht aufrecht, von unseren Denkbildern nicht voreilig auf die Wirklichkeit zu schließen:
ZITAT:
"Bei der Diskussion dieser Fragen darf nicht außer acht gelassen werden, daß es sich, sowohl bei der Strahlung im leeren Raum wie bei den isolierten materiellen Partikeln, gemäß der hier vertretenen Auffassung um Abstraktionen handelt, weil ihre Eigenschaften zufolge des Quantenpostulats nur durch ihre Wechselwirkung mit anderen Systemen der Definition und Beobachtung zugänglich sind. Nichtsdestoweniger bilden diese Abstraktionen, wie wir sehen werden, ein unentbehrliches Mittel, dem Inhalt der Erfahrungen im Anschluß an unsere gewöhnliche Anschauung Ausdruck zu geben."[1]
"Bei der Diskussion dieser Fragen darf nicht außer acht gelassen werden, daß es sich, sowohl bei der Strahlung im leeren Raum wie bei den isolierten materiellen Partikeln, gemäß der hier vertretenen Auffassung um Abstraktionen handelt, weil ihre Eigenschaften zufolge des Quantenpostulats nur durch ihre Wechselwirkung mit anderen Systemen der Definition und Beobachtung zugänglich sind. Nichtsdestoweniger bilden diese Abstraktionen, wie wir sehen werden, ein unentbehrliches Mittel, dem Inhalt der Erfahrungen im Anschluß an unsere gewöhnliche Anschauung Ausdruck zu geben."[1]
Was Bohr hier für Strahlung im leeren Raum, dem Vakuum, oder für materielle Teilchen rechtfertigt, nämlich die Abstraktion, das Abstreifen von vermeinltich unwesentlichen Dingen, ist letztendlich eine Notwendigkeit des menschlich-intellektuellen Denkens überhaupt. Zu allgemeinen Aussagen, die mehr als nur einen Einzelfall betreffen, gelangen wir nur, wenn wir unterstellt unwichtige Details verschiedener Einzelfälle vernachlässigen und nur das Interessierende davon abstrahieren. Die Quantenphysik brachte hier keinen Aspekt in die Naturphilosophie ein, macht aber noch einmal deutlich, wie sehr intellektuelles Denken immer auch auf ein Stück Wirklichkeit verzichten muss.[11] Siehe dazu auch den Artikel zur Abstraktion ↗
Anbahnung der Komplementarität
Die hier angedeuteten Probleme der Physik im Goldenen Jahrzehnt der Quantenphysik, den 1920er Jahren, versuchte Niels Bohr durch sein Konzept der Komplementarität zu lösen:
ZITAT:
"Ebenso wie man nach der Relativitätstheorie erkennt, daß die Zweckmäßigkeit der scharfen, von unseren Sinnen verlangten Trennung zwischen Raum und Zeit nur darauf beruht, daß die gewöhnlich vorkommenden relativen Geschwindigkeiten klein sind gegenüber der Geschwindigkeit des Lichts, dürfte die Entdeckung der Quantentheorie die Erkenntnis gebracht haben, daß die Angemessenheit der ganzen kausalen raumzeitlichen Anschauungsweise nur von der Kleinheit des Wirkungsquantums gegenüber den für die gewöhnlichen Sinnesempfindungen in Betracht kommenden Wirkungen bedingt ist. In der Tat stellt uns bei der Beschreibung der atomaren Phänomene das Quantenpostulat vor die Aufgabe der Ausbildung einer Komplementaritätstheorie", deren Widerspruchsfreiheit nur durch das Abwägen der Definitions- und Beobachtungsmöglichkeiten beurteilt werden kann."[1]
"Ebenso wie man nach der Relativitätstheorie erkennt, daß die Zweckmäßigkeit der scharfen, von unseren Sinnen verlangten Trennung zwischen Raum und Zeit nur darauf beruht, daß die gewöhnlich vorkommenden relativen Geschwindigkeiten klein sind gegenüber der Geschwindigkeit des Lichts, dürfte die Entdeckung der Quantentheorie die Erkenntnis gebracht haben, daß die Angemessenheit der ganzen kausalen raumzeitlichen Anschauungsweise nur von der Kleinheit des Wirkungsquantums gegenüber den für die gewöhnlichen Sinnesempfindungen in Betracht kommenden Wirkungen bedingt ist. In der Tat stellt uns bei der Beschreibung der atomaren Phänomene das Quantenpostulat vor die Aufgabe der Ausbildung einer Komplementaritätstheorie", deren Widerspruchsfreiheit nur durch das Abwägen der Definitions- und Beobachtungsmöglichkeiten beurteilt werden kann."[1]
Ich muss eingestehen, dass mir dieses Konzept niemals als Lösung einleuchtete. Der Idee der Komplementarität haftet ein freiwilliger Verzicht auf eine tiefere Deutung an, den ich für verfrüht halte. Siehe mehr zu Bohrs Idee unter Komplementaritätsprinzip ↗
Fußnoten
- [1] Niels Bohr: Das Quantenpostulat und die neuere Entwicklung der Atomistik. In: Die Naturwissenschaften. I6. Jahrgang 13. April 1928 Heft 15. Online: http://www.psiquadrat.de/downloads/bohr28_como.pdf
- [2] Quantensprünge verlaufen tatsächlich kontinuierlich. Am Beispiel von "quantum jumps" von Elektronen in Atomen wird gezeigt: "The experimental results demonstrate that the evolution of each completed jump is continuous, coherent and deterministic." In: Minev, Z., Mundhada, S., Shankar, S. et al. To catch and reverse a quantum jump mid-flight. Nature 570, 200¿204 (2019). Online: https://doi.org/10.1038/s41586-019-1287-z
- [3] Bekannt ist etwa Platons Höhlengleichnis: Menschen können in einer Höhle auf eine Wand gegenüber dem Höhleneingang blicken. Dort sehen sie die Schatten von Dingen, die außerhalb der Höhle sich bewegen. Die Beobachter werden aber nie mehr erkennen können als die Schatten, und niemals die Dinge selbst sehen. Im Bezug auf die Frage nach einer objektiven Realität muss man zwei Positionen unterscheiden: a) es gibt keine losgelöst vom Beobachter existierende Realität und b) zwar gibt es eine solche Realität, doch werden wir sie niemals sicher erkennen können. Siehe mehr dazu unter Objektivismus ↗
- [4] George Berkeley hielt eine Welt außerhalb des Bewusstseins für widersinnig: "Es ist in der Tat eine seltsam vorherrschende Meinung, das Häuser, Berge, Flüsse, kurz alle wahrnehmbaren Dinge eine natürliche oder reale Existenz abseits von der bloßen Wahrnehmung durch die Vernunft haben sollten. Doch ganz gleich mit welch großer Sicherheit und Anerkennung dieses Prinzip in der Welt auch gehandhabt wird: wenn es jemand anzweifeln wolle, wird darin wohl einen Widerspruch erkennen. Denn was sind die oben erwähnten Gegenstände anderes als die Dinge aus unserer Wahrnehmung, und was abseits unserer Ideen und Sinneseindrücke nehmen wir überhaupt wahr? Und ist es nicht offensichtlich widersinnig, dass irgendetwas davon alleine oder zusammengefügt ohne Wahrnehmung existieren sollte?" Eigene Übersetzung nach: George Berkeley: Treatise on the Principles of Human Knowledge. 1710. Siehe auch Berkeley-Frage ↗
- [5] Das Wesen einer Funktion im Sinne der Mathematik ist gerade die Eindeutigkeit: einem Element der Definitionsmenge kann man immer eindeutig ein Element der Zielmenge zuordnen. Siehe mehr unter Funktion ↗
- [6] Der Laplacesche Dämon aus dem Jahr 1814 war eine hypothetische Intelligenz, die bei Kenntnis aller Naturgesetze aus einem beliebigen Zustand alle vorherigen und alle nachfolgenden Zustände berechnen können sollte. Aus verschiedenen Gründen hält man heute die Möglichkeit eines solchen Wesens für nicht mehr möglich. Siehe mehr unter Laplacescher Dämon ↗
- [7] Der Physiker Max Born zweifelt zumindest an, dass die Physik keine umfassende Kenntnis einer objektiven Welt liefern kann. Im Rückblick auf seinen Briefwechsel mit Albert Einstein schrieb Born: "Einstein war fest überzeugt, daß uns die Physik Kenntnisse von der objektiv existierenden Außenwelt liefere. Mit vielen anderen Physikern bin ich langsam durch die Erfahrungen im Gebiete der atomaren Quantenerscheinungen dazu bekehrt worden, daß das nicht so ist, da wir nur in jedem Zeitpunkt eine rohe, angenäherte Kenntnis der objektiven Welt haben und aus dieser nach bestimmten Regeln, den Wahrscheinlichkeitsgesetzen der Quantenmechanik, auf unbekannte (z. B. zukünftige) Zustände schließen können." In: Albert Einstein Max Born Briefwechsel 1916-1955. Geleitworte von Bertrand Russell und Werner Heisenberg. Ullstein Buch, Frankfurt am Main, 1986. ISBN: 3-548-3445-7. Dort über einen Brief Einsteins an Born vom 29. April 1924, Seite 119.
- [8] Albert Einstein hält die Existenz einer selbständigen Realität als notwendige Voraussetzung für jede sinnvolle Physik. Im Jahr 1948 schrieb er: "Fragt man, was unabhängig von der Quanten-Theorie für die physikalische Ideenwelt charakteristisch ist, so fällt zunächst folgendes auf: die Begriffe der Physik beziehen sich auf eine reale Außenwelt, d. h. es sind Ideen von Dingen gesetzt, die eine von wahrnehmenden Subjekten unabhängige ¿reale Existenz¿ beanspruchen (Körper, Felder etc.), welche Ideen anderseits zu Sinneseindrücken in möglichst sichere Beziehung gebracht sind. Charakteristisch für diese Dinge ist ferner, daß sie in ein raum-zeitliches Kontinuum eingeordnet gedacht sind. Wesentlich für diese Einordnung der in der Physik eingeführten Dinge erscheint ferner, daß zu einer bestimmten Zeit diese Dinge eine voneinander unabhängige Existenz beanspruchen, soweit diese Dinge ¿in verschiedenen Teilen des Raum liegen¿ Ohne die Annahme einer solchen Unabhängigkeit der Existenzs (des ¿So-Seins¿) der räumlich distanten Dinge voneinander, die zunächst dam alltags-Denken entstammt, wäre physikalisches Denken in dem uns geläufigen Sinne nicht möglich." In: ein Brief von Einstein an Max Born vom 5. April 1948. Albert Einstein Max Born Briefwechsel 1916-1955. Geleitworte von Bertrand Russell und Werner Heisenberg. Ullstein Buch, Frankfurt am Main, 1986. ISBN: 3-548-3445-7. Dort die Seite 231.
- [9] 1637, am Anfang aller Erkenntnis steht die Sinneswahrnehmung: "Toute la conduite de notre vie dépend de nos sens, entre lesquels celui de la vue étant le plus universel et le plus noble, il n¿y a point de doute que les inventions qui servent à augmenter sa puissance ne soient des plus utiles qui puissent être." In: Rene Descartes: Discours de la méthode. Ausgabe von 1637. Dort am Anfang von: LA DIOPTRIQUE. DISCOURS PREMIER. DE LA LUMIÈRE. Siehe auch Sensualismus ↗
- [10] Für die Vorsicht der frühen Quantenhysiker im Umgang mit der Existenz einer Außenwelt außerhalb unseres Bewusstseins einflussreich war vor allem der Physiker Ernst Mach (1838 bis 1916). Er entwarf Ende des 19ten Jahrhudnerts das Konzept einer Physik, die ganz ohne die Annahme einer Realität außerhalb von Bewusstsein auskommen sollte. Siehe dazu unter Außenwelthypothese ↗
- [11] Wie weitgehend die Abstraktionen der Physik große Bereiche der Wirklichkeit vernachlässigen betonte schon Max Planck im Jahr 1908: "Welcher Physiker denkt heutzutage bei der Elektrizität noch an geriebenen Bernstein oder beim Magnetismus an den kleinasiatischen Fundort der ersten natürlichen Magnete? Und in der physikalischen Akustik, Optik und Wärmelehre sind die spezifischen Sinnesempfindungen geradezu ausgeschaltet. Die physikalischen Definitionen des Tons, der Farbe, der Temperatur werden heute keineswegs mehr der unmittelbaren Wahrnehmung durch die entsprechenden Sinne entnommen, sondern Ton und Farbe werden durch die Schwingungszahl bzw. Wellenlänge definiert, die Temperatur theoretisch durch die dem zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie entnommene absolute Temperaturskala, in der kinetischen Gastheorie durch die lebendige Kraft der Molekularbewegung, praktisch durch die Volumenänderung einer thermometrischen Substanz bzw. durch den Skalenausschlag eines Bolometers oder Thermoelements; von der Wärmeemfpidnung ist aber bei der Temperatur in keinem Fall mehr die Rede. Genau ebenso ist es mit dem Begriff der Kraft gegangen. Das Wort ¿Kraft¿ bedeutet ursprünglich ohne Zweifel menschliche Kraft, entsprechend dem Umstand, daß die ersten und ältesten Maschinen: der Hebel, die Rolle, die Schraube, durch Menschen oder Tiere angetrieben wurden, und dies beweist, daß der Begriff der Kraft ursprünglich dem Kraftsinn oder Muskelsinn, also einer spezifiischen Sinnensempfindung, entnommen wurde. Aber in der modernen Definition der Kraft erscheint die spezifische Sinnesempfindung ebenso eliminiert, wie in derjenigen der Farbe der Farbensinn." In: Max Planck: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden. Siehe auch unter Abstraktion ↗