Sensualismus
Definition
Basiswissen
Unter Sensualismus fasst man verschiedene erkenntnistheoretische Positionen zusammen, die die Erfahrungen der Sinnesorgane[1] als vorrangigen Ausgangspunkt der Erkenntnis machen. Im Bewusstsein können nur Inhalte sein, die zuvor sinnlich wahrgenommen wurden[2], der Geist ist zunächst ein leergefegter Tisch, ein Tabula rasa[3]. Ein radikal durchgezogener Sensualismus nimmt als einzig sicher die Erfahrung der Sinnesorgane an. Jede darüber hinausgehende Vorstellung von einer Welt jenseits der Sinneserfahrung gilt ihm dann als unbewiesene Theorie. Ein Beispiel für diesen radikalen Sensualismus ist die sogenannte Berkeley-Frage ↗
Fußnoten
- [1] 1637, am Anfang aller Erkenntnis steht die Sinneswahrnehmung: "Toute la conduite de notre vie dépend de nos sens, entre lesquels celui de la vue étant le plus universel et le plus noble, il n’y a point de doute que les inventions qui servent à augmenter sa puissance ne soient des plus utiles qui puissent être." In: Rene Descartes: Discours de la méthode. Ausgabe von 1637. Dort am Anfang von: LA DIOPTRIQUE. DISCOURS PREMIER. DE LA LUMIÈRE.
- [2] 1862, nur sinnlich Wahrgenommes ist im Bewusstsein: "Sensualismus (v. lat.), 1) die psychologische Behauptung, daß alle unsere Vorstellungen aus der sinnlichen Wahrnehmung stammen; sie betrachtet die Seele nach einem von Aristoteles herrührenden Bilde als eine leere Tafel (Tabula rasa), auf welche durch die sinnlichen Empfindungen der gesammte Inhalt des Bewußtseins von außen übertragen wird; ihren allgemeinen Ausdruck enthält der Satz: Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu (nichts ist im Verstande, was nicht in der sinnlichen Wahrnehmung gewesen wäre). Diese Ansicht über den Ursprung der Vorstellungen, welche an sich über die Beschaffenheit dessen, was unabhängig vom Vorstellen den Erscheinungen zu Grunde liegt, gar nichts entscheidet, hat sich nicht selten 2) mit der Behauptung verbunden, daß überhaupt nichts existirt, als das körperlich Empfindbare u. sinnlich Wahrnehmbare, u. dies ist der S. in metaphysischer Bedeutung. Endlich bezeichnet man dadurch 3) in ethischer Beziehung die Behauptung, daß alle sittlichen Werthbestimmungen sich lediglich auf die Art gründen, wie wir von den Gegenständen der sinnlichen Empfindung afficirt werden, also die sittliche Denkart, welche den Werth u. Zweck des menschlichen Wollens u. Handelns lediglich in sinnlichen Genießungen sucht, worin eine Aufhebung jeder selbständigen Bedeutung der sittlichen Ideen liegt. Die philosophischen Systeme sind nur selten in allen diesen Richtungen sensualistisch gewesen; namentlich gilt die Bezeichnung des S. von den Lehren des Aristoteles u. Locke's, den man gewöhnlich für den Urheber des modernen S. erklärt, nur in sehr beschränktem Sinne; einen durchgeführten S. stellt die Lehre des Epikur u. die französische Philosophie des 18. Jahrh., wie sie Condillac u. die Encyklopädisten (s.d.) vertreten, dar. Im gewöhnlichen Leben nennt man S. 4) eine in ihrem Fürwahrhalten auf die handgreifliche Erfahrung sich beschränkende, in ihrem Streben durch die Rücksichten des sinnlichen Vergnügens u. des äußeren Nutzens bestimmte Denk- u. Handlungsweise." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 852. Online: http://www.zeno.org/nid/20010911715
- [3] 1904, das Bewusstsein als tabular rasa: "Sensualismus (sensus, Sinn, Empfindung): Sinnlichkeitsstandpunkt, d.h. diejenige erkenntnistheoretische Sichtung, welche alle Erkenntnis aus Empfindungen, Impressionen, aus sinnlichen Erlebnissen ableitet, nach welcher die Erkenntnis in Inhalt und Form letzten Endes ein Product der Sinnesfunctionen und ihrer Weiterentfaltung ist und oft auch eine die sinnliche Erfahrung überschreitende Erkenntnis negiert wird." Und so weiter, sehr auführlich. In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 357-359. Online: http://www.zeno.org/nid/20001803646
- [4] 1909, Sensualismus führt zu fragwürdigen Haltungen: "Sensualismus (neulat.), die Annahme, daß alle Erscheinungen des Seelenlebens (Vorstellungen, Gefühle etc.) sich aus der sinnlichen Empfindung ableiten lassen und also weiter nichts sind, als mehr oder weniger zusammengesetzte Komplexe von Empfindungen. Im Gegensatz zum Intellektualismus (s. d.) leugnet der S. jede Art von seelischer Aktivität oder Spontaneïtät (Denken und Wollen bestehen ihm zufolge nur in einer besondern Form des [passiven] Empfindens) und führt demgemäß folgerichtigerweise in erkenntnistheoretischer Hinsicht zum Empirismus (s. d.), in ethischer zum Hedonismus (s. d.), wie er seinerseits eine Folge des Materialismus ist. Die hauptsächlichsten Vertreter des S. in älterer Zeit sind Condillac und Hume, in der Gegenwart ist er (als psychologische Theorie) durch Spencer, Ziehen, Münsterberg u. a. erneuert worden." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 347. Online: http://www.zeno.org/nid/20007465246