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Ulrich Warnkes Quantenphilosophie


Pseudowissenschaft


Basiswissen


Professor Dr. Ulrich Warnke (Jahrgang 1945) arbeitete bis 2010 an der Universität des Saarlandes in verschiedenen Disziplinen, unter anderem in der Physik, Biologie[1] und Medizin. Im Zusammenhang mit „Quantenphilosophie“ verbindet Warnke anerkannte Fachbegriffe der Physik mit spirituellen Konzepten. Kritiker halten Warnkes Darstellungen[5] oder ganz allgemein das Konzept von Quantenmedizin für Pseudowissenschaft[6], angesiedelt im lukrativen Grenzbereich zwischen etablierter Medizin und spiritueller Heilungsversprechen[7]. Das dieses Skepsis berechtigt ist, möchte ich hier mit einigen Bezügen auf Vorträge oder Schriften von Ulrich Warnke zeigen.

Dualismus als Inselposition


Warnke zufolge ist der Wille des Menschen ein geistiges Phänomen. Der Wille zu sprechen sei eine Beeinflussung der Materie des Körpers durch den Geist. Mit Hilfe des Willens könne der Geist Aktionspotentiale auslösen[2]. Tatsächlich wurde genau dieser Gedanke von dem Nobelpreisträger John Carew Eccles wissenschaftlich als Hypothese ausformuliert und in Buchform veröffentlicht[4]. Die zugrundeliegende philosophische Position nennt man Dualismus. Pseudowissenschaftlich wird Warnkes Darlegung zum Beispiel dadurch, dass konkurrierende Positionen wie etwa Epiphänomenalismus, Monismus oder auch der Materialismus unerwähnt bleiben. Warnke stellt damit den Dualismus als alternativlos, selbstverständlich oder offensichtlich dar. Das ist er aber nicht. Siehe auch Dualismus ↗

Subquantenebene als Pseudophysik


Warnke führt aus, dass man zur Beeinflussung der Aktionspotentiale an Nervenzellen nicht nur auf die Ebene der Biophysik hinuntergehe, sondern auf die darunterliegende Quanteneben, die die Grundlage der Physik sei, und noch eine Ebene tiefer auf die "Subquantenebene". Denn: man muss Informationen für Elektronenverbindungen beeinflussen, es müssen "Kraft- und Zeitoperationen auf die Molekülbindungen wirken"[2]. Hier ist anzumerken, dass "Information" bisher keine anerkannte physikalische Größe ist[8]. Der Informationsbegriff gilt als sehr schwierig. Völlig unklar bleibt, was mit der Subquantenebene gemeint sein soll. Strings?

Elektroneigenschaften als Pseudophysik


Atome werden über Elektronen zu Molekülen verbunden. Die Eigenschaften der Elektronen lägen dabei in einem Rotationsprinzip, das man Spin nennt. "Schnell noch zur Erinnerung", so Warnke "Jedes Quantenteil, hier in diesem Fall jetzt Elektron, hat einen Spin". Diesem Spin müsse der Geist Information geben sodass letztendlich Zellvorgänge effektiv beeinflusst werden können[2]. Hier ist anzumerken, dass Warnke keine Begründung dafür liefert, warum ausschließlich der Spin zu betrachten sein. Unerwähnt bleibt auch, dass manche Quantenobjekte (z. B. Photonen) keinen Spin haben. Siehe auch Spin ↗

Pionierleistung als attraktive Attitüde


Warnke erwähnt dann, dass sich bisher kein Mensch darum gekümmert habe, diesen Weg "anzugucken"[2]. Hier muss hinterfragt werden, wozu Warnke die einschlägige Arbeiten vieler anderer Wissenschaftler unerwähnt lässt, etwa von John Carew Eccles ↗

Framing und Suggestion


Warnke stellt in dem Vortrag explizit die Frage: "Wie konnte ich mit meinem Willen meinen Körper steuern"[2]. Mit der Frage wird implizit die Aussage transportiert, dass der Wille den Körper steuern kann. Dies gilt aber in der Forschung keineswegs als ausgemachte Sache. Vielmehr wird auch diskutiert, dass der Wille eine bloße Begleiterscheinung der Materie sein könnte, ein reines Epiphänomen ↗

Masterfelder als Pseudophysik


Die Medizin brauche "absolute Grundlagen", denn es gäbe "Felder, energetische Felder", "Masterfelder", die "alles bewegen"[2]. Seriöse Wissenschaftler sind sich der Tatsäche bewusst, dass es "absolute Grundlagen" der Erkenntnis nicht gibt. Sie sind sich bewusst, dass alles Wissen auf oft gut begründeten, letztendlich aber immer metaphysischen Annahmen beruht. Das klassische Beispiel für diese vorsichtige Haltung seriöser Wissenschaftler ist Kants Ding an sich ↗

Vorwurf der Ignoranz


Warnke wirft der Wissenschaft vor, dass sie leicht nachzuweisende Fakten ignoriere, und zwar: physikalische, physiologische und pathologische[2]. Hier muss angemerkt werden, dass "die Wissenschaft" schwer greifbar ist und besser nicht personifiziert werden sollte. Wer ignoriert die Fakten? Kollegen aus Warnkes Fachdisziplin? Alle Wissenschaftler? Hat er wirklich alle Veröffentlichungen gesichtet? Personifizierungen von heterogenen Menschengruppen sind ein häufiges Merkmal pseudowissenschaftlicher Argumentationen. Siehe auch Ignoranz ↗

Mainstream-Weltbild und das Asterix-Syndrom


Warnke kündigt an, Phänomene vorzustellen, die - wenn sie denn belastbar existieren - zeigen, dass unser Weltbild nicht stimme. Er kündigt dann auch ein Modell für ein neues Weltbild an[2]. Hier sei gefragt wofür "unser Weltbild" steht. Tatsächlich vertreten Wissenschaftler eine breite Palette konkurrierender Weltbilder. Das Spektrum reicht von tiefgläubigen Christen (z. B. Max Planck) hin zu freigeistigen Atheisten (z. B. Richard Dawkins). Es scheint als wolle Warnke mit pauschalisierenden Begriffen wie "die Wissenschaft" oder "unser Weltbild" eine Art naiv hingenommene Mainstream-Meinung suggerieren, gegen die er sich nun positionieren muss. Ein so zurechtkonstruierter Mainstream als Feindbild ist ein weiteres typisches Merkmal von Pseudowissenschaft. Siehe auch Weltbild ↗

Rolle der Spins als Black-Box-Lösung


Warnke sagt, es sei "bekannt", dass die Spins letztendlich diejenigen seien, die die Quanteneigenschaften im Organismus vermitteln. Sie vermitteln die Kräfte an den Massen (das sei genau bekannt), sie vermitteln die Zeit, die diese Kraft wirkt und sie vermitteln, was relativ neu sei, Sinn und Bedeutung für eine Bindung. Von den Spins hänge alles ab, was die Bindungen beeinflusse, zum Beispiel die Coulombsche Kraft sowie die kinetische Energie und damit die elektromagnetische Kraft[2]. Das Pseudowissenschaftliche hier ist wieder das Vage, es fehlen konkrete Zitate oder Namensnennungen. Formulierungen wie "es ist bekannt, dass" wird man auch bei wissenschaftlichen Vorträgen seltener höhren. Statt "es ist bekannt" hätte Warnke anerkannte Kollegen nennen oder auf eine Forschergruppe verweisen können.

Mens agitat molem als berechtigtes Anliegen


Zu den Spins verwendet Warnke die Redewendung, dass das Bewusstsein "in die Spins hineinarbeiten könne" (spekulativ) und wenn das so sei, dann müsse man sich das genauer ansehen[2]. Wieder muss betont werden, dass Warnkes Grundanliegen, nämlich die Suche nach einer Schnittstelle zwischen Geist und Bewusstsein, durchaus seriös ist[9]. Unwissenschaftlich sind aber weitgehend bedeutungsoffene Formulierungen wie die vom "Hineinarbeiten von Bewusstsein in Spins". Siehe auch Mens agitat molem ↗

Ignorante Kollegenschaft und das Asterix-Syndrom


Bewusstsein könne im Experiment Spins beeinflussen. Das sei beweisbar und auch die Alltagserfahrung zeige, dass es möglich sei. Es würde aber niemand nach dem Prinzip fragen[2]. Hier sei beispielhaft angemerkt, dass bereits der Nobelpreisträger Erwin Schrödering einer solchen Frage nachging, etwa mit dem Vortrag "Do Electrons Think?" aus dem Jahr 1949[10]. Neben Schrödinger beschäftigten sich eine Vielzahl weiterer Personen mit der Frage. Warnke ist hier keineswegs Bahnbrecher und Pionier. Die häufige Selbststilisierung als einsamer Kämpfer gegen einen (noch) übermächtigen Feind ist ein gängiges Zeichen für Pseudowissenschaft. Siehe mehr dazu im Artikel zum Asterix-Syndrom ↗

Krankheit und Heilung als Nähe zur Esoterik


Warnke folgert logisch korrekt, dass alles was Spins beeinflusse, dann auch Krankheit und Heilung beeinflusse[2]. Verdächtig ist hier die häufige Bezugnahme auf Krankheit und Heilung. Das Thema spricht eine breite Gruppe von Menschen in Not an, die dann oft unkritisch jede Hoffnung aufgreifen. Skeptiker[6][7] verweisen auf lukrative Geschäfte mit zweifelhaftem Erfolg. Siehe auch Esoterik ↗

Aminosäurewinkel


Warnke erläutert, dass Proteine aus Aminosäuren aufgebaut seien und dass Aminosäuren ganz genaue Winkel einhalten müssten, um funktionieren zu können. Krankheit sei eine Verletzung von der Form-Struktur-Gestalt.

Ur-Information


Warnke fragt, woher bei Molekülen Form-Struktur-Gestalt kommt. Die Antwort sei nach Warnke eine Ur-Information über die nötigen Winkel zum Aufbau der Verbindungen[2]. Was genau soll Ur-Information sein? Meint er die aristotelische Causa formalis oder Causa materialis? Die ständige Verquickung wissenschaftlich anerkannter Fachbegriffe (z. B. Aminosäure) mit vagen Worten (Ur-Information) markiert hier den Graubereich zwischen Seriösität und Pseudowissenschaft. Siehe auch Causa formalis ↗

Energie als Formen-Macher


Durch die Ur-Information käme es, dass der Mensch typisch Mensch sei, das Enzym typisch Enzym und die Schneeflocke hexagonal. Das werfe die Frage auf, wer Form-Energie-Gestalt "mache". Die Antwort: "natürlich Energien", die aber nicht direkt messbar seien (Energie sei direkt nie messbar)[2]. Der Physiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger (geboren 1945) hingegen machte deutlich, dass die Physik gerade in der Beschränkung auf das Messbare liege[11]. Sich auf das Messbare zu beschränken ist eine der Grundprinzipien einer Naturwissenschaft ↗

Sinn und Bedeutung als Energiewirkung


Warnke führt aus, dass immer nur Folgen von Energien messbar seien und nennt Beispiele für solche Folgen: die Übertragung von "Kraft", "Zeitfluss" oder "Sinn und Bedeutung" "auf die Masse"[2]. Warnke erläutert, dass jedes Messgerät immer nur solche Folgen messen könne. Es ist anzumerken, dass es bisher noch kein allgemein anerkanntes Messgerät für "Zeitfluss" oder "Sinn und Bedeutung[8]" gibt. Das Wort Zeitfluss ist kein gängiger physikalischer Begriff. Einen Begriff durch eine Messanleitung sehr eng zu definieren nennt man in den Wissenschaften Operationalisierung ↗

Bewusstsein steuert Spin


Warnke stellt dann ein Experiment vor (1990 von Davies? "referiert"), das zeige, dass Teilchen ihren Spin immer so ausrichten, wie ein Experimentator seine Referenz-Richtung dafür wähle. Die neue Physik stelle den Geist wieder zurück an eine zentrale Stelle innerhalb der Natur[2]. Meint Warnke hier so etwas wie das bekannte Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon [?] ↗

Zwischenbilanz


Warnke hält fest, dass bisher im Vortrag gezeigt wurde, dass man innerhalb des Körpers mit seinem Bewusstsein die Materie steuern könne. Diese Position - zumindest als Möglichkeit - ist unter Wissenschaftlern und Philosophen durchaus verbreitet. Warnke behauptet, dass niemand frage, wie das funktioniere[2]. Diese Aussage ist falsch. Die Frage, wie Bewusstsein einen Körper steuern könnte ist eine zentrale Fragestellung im Rahmen der Philosophie des Geistes[4]. Das zuvor beschriebene Experiment zeige aber auch, dass das Bewusstsein auch außerhalb des Körpers wirken könne, nämlich den Spin von Elektronen beeinflusse. Warnke sagt, dass das beschriebene Experiment ein Experiment sei, dass "die Physiker" kennen. Wer aber sind "die Physiker"? Meint er einzelne Physiker damit oder eine verschworene Gemeinschaft von täuschungswilligen Mainstream-Akademikern? Ein Beispiel für ein Experiment zum Nachweis einer Fernwirkung des Bewusstseins ist der sogenannte Ganzfeldversuch ↗

Persönliches Fazit


Ulrich Warnke benutzt häufig Begriffe, die nicht präzise definiert sind (Zeitfluss, Ur-Information). Er konstruiert mit rhetorischen Stilmitteln das Bild einer festgefügten "Wissenschaft", die Dinge als Ganzes kenne und trotzdem ignoriere. Dieses Motiv eines Mainstreams, der Fakten unterdrücke ist sowohl bei Verschwörungstheoretikern wie auch Pseudowissenschaftlern nicht selten. Warnke positioniert sich selbst als Gegenstimme dazu und ehauptet mehrfach, dass bestimmte Themen bisher noch nicht berücksichtigt worden seien. Das ist zumindest in den hier betrachteten Einzelfällen schlicht falsch ist. Rhetorisch lässt Warnke in seinen Vorträgen oft Verweise auf sein wissenschaftliches Renommee einfließen, was als Versuch gedeutet werden kann, dass er mit Autorität argumentieren wolle. Warnkes Aussagen können durchaus wahr sein. Die Art ihrer Vermittelung trägt aber definitiv Züge einer Pseudowissenschaft ↗

Fußnoten