R


Erweiterter Geist


Philosophie


Basiswissen


Kognitive, das heißt denkerische, Prozesse finden nicht nur in Gehirnen statt sondern auch außerhalb der Körper von Lebewesen. Das besagt auf den Punkt gebracht die Idee von einem erweiterten Geist. Die Idee ist hier kurz näher vorgestellt.

Das Notizbuch als erweiterter Geist


Ein Mensch bekommt Alzheimer und wird immer vergesslicher. Was er sich dann oft nicht merken kann, schreibt er in einem Notizblock auf. Der Notizblock erfüllt dann ganz den Zweck des Gedächtnisses. Man kann den Notizblock dann auch als echtes Gedächtnis dieser Person ansehen, als einen erweiterten Geist[5]. Satirisch verkürzt könnte man im Zeitalter von Wikipedia auch sagen: wenn das internet ausgeht, sinkt mein IQ um 30 Punkte. Siehe dazu auch Google-Effekt ↗

Das ursprüngliche Konzept von Clark und Chalmers


Kognitive Prozesse sind nicht (alle) im Kopf! Oder auf Englisch: Cognitive processes ain’t (all) in the head! - so brachten die Philosophen Andy Clark (geboren 1957) und David Chalmers (geboren 1966) ihr Konzept vom erweiterten Geist im Jahr 1998 auf den Punkt. Als typisches Beispiel beschrieb Chalmers ein Smartphone[6]. Das Smartphone kann seinem Benutzer die Navigation im dreidimensionalen Raum abnehmen, es wird zu einem "Exosystem" und entlastet das eigentliche Gehirn. Chalmers sagt klar, dass er dem Smartphone kein Bewusstsein (consciousness) zugesteht, aber rein von der Funktion her wird es zu einer Erweiterung des Gehirns. Chalmers argumentiert also stark funktional.

Welche Tragweite sieht Chalmers in dem Konzept?


Nimmt man das Konzept des erweiterten Geistes in einer „radikalen“ Sicht ernst, kann man zum Beispiel ein Smartphone (phone) als Teil einer Person auffassen. Dort gespeicherte Informationen waren Teil des Gedächtnisses einer Person, auch bevor es nach einem Abruf in das Bewusstsein gelangte (memory was part of your mind before it entered consciousness). Das macht die Wegnahme eines Smartphones möglicherweise nicht nur zu einem Diebstand (theft) sondern vielleicht zu einem Angriff (assault, taking away part of my mind) auf die Person. Im Bildungsbereich hält Chalmers es für denkbar, dass man zukünftig bei Prüfungen mehr die ganze Person mit ihrem erweiterten Geist testet (test the person with the phone not the person without the phone). Dieser Aspekt für die Bildung wurde später noch einmal verschärft durch die künstliche Intelligenz ChatGPT ↗

Was bedeutet der erweitere Geist für das Ich, das Selbst, Personalität?


Im Hinblick auf unser Konzept von Personalität, im Deutschen oft auch als das Ich oder das Selbst bezeichnet, sieht Chalmers dass bereits heute der innere Wesenskern der Person (personhood, selfhood, inner conscious self) erweitert wird um das Unterbewusstsein und den ganzen Körper eines Menschen. Die Erweiterung hin zu Teilen außerhalb des Körpers erscheint Chalmers dann nur folgerichtig. Die Person ist nicht ein eng begrenzter Punkt im Raum (narrowly limited to some point in Cartesian space). Vielmehr bewohnt eine Person die Welt in einer eher verteilten Weise (creatures that more fully inhabit the world in a more distributed way).[6] Siehe dazu auch den Artikel zu Personalität ↗

Ist der erweiterte Geist bewusst?


Das wird sehr unterschiedlich gesehen[10], es gibt gute Argumente dagegen[11]: es gibt kein wissenschaftlich anerkanntes Experiment, um festzustellen, ob an einem bestimmen Ort (z. B. in einem bestimmten Hirnteil) gerade bewusste Prozesse ablaufen oder nicht. Selbst im eigenen Kopf ist es schwer zu bestimmen, ob etwa die Lösungsidee zu einem Problem der Physik bewusst entstanden ist oder aus unbewussten Prozessen des "Unterbewusstseins" stammen. Die Idee, dass grundsätzlich alle Prozesse im Universum bewusst sein könnten, bezeichnet man als Panpsychismus [All-Bewusstsein]. Auf die Idee vom erweiterten Geist angewandt kann man die Frage zuspitzen auf einen Test, ob zum Beispiel Computerprozesse (ChatGPT, Bildgeneratoren etc.) Bewusstsein haben oder nicht. Der historische Klassiker für ein solches Experiment ist der Turing-Test ↗

Der erweiterte Geist als Zwischenstufe zum Globalen Gehirn?


Im Jahr 1982 schlug der Mathematiker und Physiker Peter Russell vor, die Erde vom Weltraum aus betrachtet als eine Art Global Brain aufzufassen. Der Begriff "zündete" und wurde von vielen weiteren Autoren aufgegriffen. Einige Autoren sahen einen weltweiten Organismus entstehen, der unsere Fähigkeiten enorm erweitern wird[8] oder uns versklavt[9], in jedem Fall aber über Bewusstsein verfügt. Ein solcher Geist hätte dann sozusagen die Schwelle überschritten von einer Erweiterung unseres menschlichen Geistes hin zu einer neuen eigenen psychischen Lebensform. Siehe dazu den Artikel zum Global Brain ↗

Fußnoten