Elektronenbeugung
Physik
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Basiswissen ·
Das Verwunderliche an der Beugung von Elektronen ·
17tes Jahrhundert: Beugung an sich, etwa bei Licht ·
1927: Beugungseffekte an Nickelkristall ·
1928: Beugungseffekte an dünnen Folien ·
1961: Beugungseffekte am Doppelspalt ·
Elektronenbeugung als Indiz für eine Materiewelle ·
Die Wellenlänge eines Elektrons berechnen ·
Die Elektronenbeugung in der Kristallographie ·
Fußnoten
Basiswissen
Elektronen zeigen Welleneigenschaften: als Beugung bezeichnet man die Änderung der Bewegungsrichtung hinein in einen Bereich, der eigentlich im Schatten von Hindernissen liegen müsste. Beugung ist typisch für Wasserwellen und auch Licht. Dass auch teilchenartig gedachte Materie wie Elektronen Beugung zeigen, wurde nach und nach in den 1920er Jahren deutlich.[3][4] Die Beugung von Elektronen wurde zu einem zentralen Aspekt der Quantenphysik.
Das Verwunderliche an der Beugung von Elektronen
Elektronen kann man zu einem Strahl[14] bündeln und sie dann ähnlich wie Licht auf Objekte richten. Stellt man sich Elektronen als reine Teilchen vor, sollten sie geradlinig durch den Raum fliegen. Das tun sie aber nicht. In der Nähe von Hindernissen ändern sie die Richtung ihrer Fortpflanzung. Sie beugen sich um die Ecken und Kanten der Hindernisse und wandern in deren "Schattenraum" hinein. Gewehrkugelne etwa würde sich niemals so verhalten. Ordnet man den Elektronen jedoch eine Wellenlänge zu[2] und rechnet damit im Wellenmodell, lassen sich die Beugungseffekte auch rechnerisch (quantitativ) exakt vorhersagen. Dabei bleibt aber weiterhin unklar, was Elektronen tatsächlich sind. Sind es Teilchen wie kleine Gewehrkugeln? Oder sind es Wellen, ähnlich den Wellen in Wasser? Oder soll man sie als etwas Drittes, nämlich als Quantenobjekte auffassen? Warum das Teilchen- und das Wellenbild des Elektrons widersprüchlich zueinander sind betrachtet der Artikel Welle-Teilchen-Dualismus ↗
17tes Jahrhundert: Beugung an sich, etwa bei Licht
Stellt man sich Licht modellhaft aus Strahlen oder Teilchen vor, dann breitetet es sich auf geraden Linien aus. Trifft sich ausbreitendes Licht auf ein Hindernis, etwa eine Kugel, so bildet sich hinter der Kugel ein Schatten aus, ein Bereich, in den kein Licht gelangt. Tatsächlich aber gibt es Fälle, in denen man beobachten kann, dass sich Licht um Ecken und Kanten herum in den Schattenbereich hinein ausbreitet. Diesen Effekt nennt man Beugung oder auch Diffraktion[5]. Das wäre für echt Lichtstrahlen oder auf geraden Bahnen fliegende Teilchen unmöglich. Das wurde bereits im 17ten Jahrhundert beschrieben.[15] Die beobachteten Phänomen lassen sich aber oft sehr gut erklären, wenn man das Licht modellhaft als Welle deutet. Siehe mehr dazu im Artikel zur Beugung ↗
1927: Beugungseffekte an Nickelkristall
Elektronen stellt man sich üblicherweise als kleine Teilchen vor. Man kann ihnen eine Masse zuordnen[6]. Zum Beispiel mit Hilfe von sogenannten Elektronenkanonen. So erzeugte Strahlen aus Elektronen nannte man früher auch Kathodenstrahlen[7]. Richtet man einen solchen Kathodenstrahl aus Elektronen zum Beispiel auf eine dünne Folie und macht man den Strahl nach dem Durchgang durch die Folie auf einer Photoplatte sichtbar, so beachtet man die für Beugungen typischen Ringmuster unterschiedlicher Helligkeiten[4]. Der klassische Schulversuch dazu ist die Elektronenbeugungsröhre[11]. Der Effekt wurde erstmals im Jahr 1927 beschrieben. Siehe dazu auch den Artikel zum Davisson-Germer-Experiment ↗
1928: Beugungseffekte an dünnen Folien
Fast zeitlgleich und unabhängig von Davisson und Germer untersuchten in Großbritannien George Paget Thomson und sein Assistent Alexander Reid die Beugung von Strahlen von Elektronen an dünnen Folien.[12][13]
1961: Beugungseffekte am Doppelspalt
Gehen Elektronenstrahlen durch einen dünnen Spalt, so werden sie an diesem gebeugt. Hat man zwei eng benachbarte Spalten geeigneter Geometrie eng beeinander, so kann man mit Strahlen aus Elektronen klassische Interferenzmuster wie bei Licht erzeugen. Das gelang erstmals im Jahr 1961. Auch das war ein Beleg für Beugungseffekte an Elektronen. Siehe dazu den Jönsson-Experiment ↗
Elektronenbeugung als Indiz für eine Materiewelle
Elektronen haben eine Masse[6] und wenn sie zum Beispiel auf den Bildschirm eines Oszilloskops auftreffen, erzeugen sie dort punktförmige Effekte. Diese Phänome passen auf die Idee, dass ein Elektron ein Teilchen ist. Ein Strahl aus Elektron wäre demnach auch ein sogenannter Teilchenstrom, ähnlich gedacht wie die knapp hintereinander fliegenden Geschosse eines Maschinengewehrs. So gedachte Teilchen können aber unmöglich Beugungseffekte wie Interferenz erzeugen. Solche Effekte sind typisch für Wellen. So erscheinen uns Elektronen einerseits als Teilchen (siehe haben z. B. eine Masse), andererseits haben sie Welleneigenschaften (sieh erzeugen z. B. Interferenz). Diese scheinbar widresprüchliche Natur von Objekten lässt sich aus keinem fundamentaleren Konzept, aus keiner Theorie, sinnvoll herleiten. In der Physik spricht man von einer sogenannten Materiewelle ↗
Die Wellenlänge eines Elektrons berechnen
Zur Berechnung von Effekten der Beugung verwendet man verschiedene Formeln. Diesen Formeln gemeinsam ist, dass sie entweder die Wellenlänge oder die Frequenz der sich bewegenden Objekte benötigen. Die Formel dazu ist:
- λ = h/(m·v)
- λ = h/p
Das kleine λ (kleines Lambda) ist die gesuchte Wellenlänge des Elektrons. Das kleine h ist das sogenannte Plancksche Wirkungsquantum[8], das m ist die Ruhemasse des Elektrons[6]. Das kleine v steht für die Geschwindigkeit des Elektrons[9]. Das kleine p ist das Produkt aus m und v, nämlich der Impuls[10]. Siehe mehr zur Berechnung der Wellenlänge eines Elektrons unter de-Broglie-Wellenlänge ↗
Die Elektronenbeugung in der Kristallographie
Schon seit den 1920er Jahren untersucht man Kristalle mit Hilfe von Röntgenstrahlen. Die Röntgenstrahlen werden auf das Kristall gerichtet und daran gebeugt. Aus dem Beugungsmuster kann man Rückschlüsse auf die innere Struktur der Kristalle ziehen. Aus physikalischen Gründen kann man aber nur Strukturen erkennen, deren Größe in der Nähe der Wellenlänge der Röntgenstrahlen liegen. Da die Materiewellen von Elektronen deutlich kleinere Wellenlängen als Röntgenstrahlen haben können, kann man mit Elektronenwellen auch deutlich kleinere Strukturen beobachten.[14] Siehe auch Kristallographie ↗
Fußnoten
- [1] Tim Gruene et al.: Schnelle Strukturaufklärung mikrokristalliner molekularer Verbindungen durch Elektronenbeugung. In: Angewandte Chemie. Volume130, Issue50. Erstmals veröffentlicht am 10. Dezember 2018. Seiten 16551 bis 16555. DOI: https://doi.org/10.1002/ange.201811318
- [2] Wie man einem Teilchen für Rechenzwecke eine Wellenlänge zuordnen kann behandelt der Artikel zur de-Broglie-Wellenlänge ↗
- [3] C. Davisson, L. H. Germer: Diffraction of Electrons by a Crystal of Nickel. In: Phys. Rev. Band 30, 1927, S. 705–740.
- [4] G. P. Thomson: Diffraction of Cathode Rays by a Thin Film. In: Nature. 119. Jahrgang, Nr. 3007, 1927, S. 890, doi:10.1038/119890a0, bibcode:1927Natur.119Q.890T. Der Effekt wird beschrieben: "If a fine beam of homogeneous cathode rays is sent nearly normally through a thin celluloid film (of the order 3 x 10⁻⁶ cm. thick) and then received on a photographic plate 10 em. away and parallel to the film, we find that the central spot formed by the undeflected rays is surrounded by rings, recalling in appearance the haloes formed by mist round the sun." Zur Energie der Elektronen heißt es: "The energy of the rays, as measured by their electrostatic deflexion, varied from 3900 volts to 16,500 volts." Die Wellenlänge wurde berechnet über: "Using the formula λ = h/mv the wave-length in the above-quoted case would be λ = 1·0 x I0⁻⁹ cm." Online: https://www.nature.com/articles/119890a0.pdf
- [5] Diffraktion ist ein Synonym für die Beugung: "Beugung der Lichtwellen und anderer Wellen" In: Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache. Abgerufen am 30. November 2023. Online: https://www.dwds.de/wb/Diffraktion
- [6] Ein Elektron wiegt etwa 9,11 mal 10 hoch -31 Kilogramm. Siehe mehr unter Elektronenmasse ↗
- [7] "Kathodenstrahlen entstehen beim Durchgang einer elektrischen Entladung durch sehr verdünnte Gase und bei Bestrahlung von Metallen mit ultraviolettem Licht. Sie gehen ferner aus von weißglühenden Metallen, stark erhitzten Elektrolyten und von radioaktiven Stoffen. " In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 749-752. Online: http://www.zeno.org/nid/20006878695
- [8] Der Wert von h ist: 6,626070040 mal 10 hoch -34 J·s, mehr unter Planck-Konstante ↗
- [9] Die Elektronen werden oft von sogenannten Elektronenkanonen erzeugt und in einem elektrischen Feld auf die gewünschte Geschwindigkeit beschleunigt. Eine dazu wichtige Formel ist ½mv²=qU. Mit dieser Formel kann man bei gegebener Beschleunigungsspannung U die Geschwindigkeit des Elektrons ausrechnen, die man wiederum für die de-Broglie-Formel der Wellenlänge benötigt. Zur Berechnung siehe den Artikel zur Elektronenkanone ↗
- [10] Der Impuls ist definiert als Produkt aus der Masse eines Körpers (z. B. eines Elektrons) und seiner Geschwindigkeit. Die Formel hier berücksichtigt noch keine Effekte von Einsteins Relativitätstheorie. Sie wird oft für Geschwindigkeit von weniger als 10 % der Lichtgeschwindigkeit verwendet. Siehe dazu auch Impuls ↗
- [11] Siehe dazu die Elektronenbeugungsröhre ↗
- [12] Zum Experiment aus dem Jahr 1928 heißt es: "If a fine beam of homogeneous cathode rays is sent nearly normally through a thin celluloid film (of the order 3 x 10⁻⁶ cm. thick) and then received on a photographic plate 10 cm. away and parallel to the film, we find that the central spot formed by the undeflected rays is surrounded by rings, recalling in appearance the haloes formed by mist round the sun." Zur Berechnung der Wellenlänge der Elektronen nutzten die Autoren die de-Broglie-Wellenlänge: "Using the formula λ = h/mv the wave-length in the above-quoted case would be λ = 1·0 x 10⁻⁹ cm." Ob die Streuzentren (diffracting systems) Atome oder Moleküle sind, ließ die kurze Mitteilung in dem Fachblatt explizit offen. In: George Paget Thomson, Alexander Reid: Diffraction of Cathode Rays by a Thin Film". Nature. 119 (3007): 890. 1927. Bibcode:1927Natur.119Q.890T. doi:10.1038/119890a0. ISSN 0028-0836. S2CID 4122313. Das Experiment von Thomson und Reid entspricht den späteren Schulexperimenten zur Elektronenbeugungsröhre ↗
- [13] Alexander Reid: The diffraction of cathode rays by thin celluloid films. In: Proceedings of the Royal Society of London. Series A, Containing Papers of a Mathematical and Physical Character. 119 (783): 663–667. 1928. Bibcode:1928RSPSA.119..663R. doi:10.1098/rspa.1928.0121. ISSN 0950-1207. S2CID 98311959.
- [14] Als Strahl von Elektronen bezeichnet man eine größere Anzahl von räumlich eng benachbarten Elektronen, die sich zur selben Zeit auf zueinander parallelen Geraden bewegen. Da Elektronen sich mit ihrer negativen elektrischen Ladung gegenseitig abstoßen, weiten sich reale Elektronenstrahlen mit der Zeit deutlich auf. Für kürzere Wegstrecken aber gilt näherungsweise, dass sie einen Strahl wie oben beschrieben bilden. Siehe auch Elektronenstrahl ↗
- [15] Schon Isaac Newton (1642 bis 1727) hatte beschrieben, wie sich ein Lichtstrahl durch eine Öffnung in einer Wand nicht geradlinig fortpflanzt. Newton verweist dabei auch auf die früheren ähnlichen Beobachungen des Italieners Grimaldi. Siehe mehr unter Newtons Lichtbeugung ↗
- [14] Tim Grüne, Julian J. Holstein, Guido H. Clever & Bernhard Keppler: Establishing electron diffraction in chemical crystallography. In: Nature Reviews Chemistry 2021. DOI: https://doi.org/10.1038/s41570-021-00302-4