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Berg- und Talbahn

Physikalisch

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Basiswissen


Wagen fahren auf einer wellenförmig auf und ab gehenden Kreisbahn: dies Art von Fahrgeschäft gibt es seit etwa 1890. Die Insassen werden von dem Wagen nach innen gedrückt (Zentripetalkraft) und empfinden selbst eine nach außen schleudernde Fliehkraft (Zentrifugalkraft). Mit diesem Fahrgeschäft kann man sehr gut Geschwindigkeit und Kraft am eigenen Leib erfahren.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Die Frau am äußeren Rand wird von der Seitenwand nach innen gedrückt. Die Seitenwand übt die Zentripetalkraft der Kreisbewegung aus, indem sie die Frau auf der Kreisbahn hält. Der Jugendliche im Inneren wird von der Innenwand nach innen gezogen. Dazu muss er sich aber aktiv mit einer Hand dort festhalten. Die Zentripetalkraft wirkt jetzt also ziehend. Die Kräfte sind trotz der geringen Geschwindigkeit von z. B. 24 km/h überraschend groß. Man sieht auf dem Bild auch gut, wie sich die zwei Fahrgäste mit den Beinen abstützen. Das Bild hier zeigt eine Fahrt in Deutschlands ältester noch reisender Raupenbahn, aus dem Jahr 1926. © Superbass (Wikimedia) ☛


Video




Eine eigene Fahrt auf dem Öcher Bend in Aachen: der Radius der Kreisbewegung lag bei etwa 5 Metern, eine Umrundung bei Höchstgeschwindigkeit dauerte gut 4,7 Sekunden. Der Fahrgast wog etwa 80 Kilogramm.

Verblüffend fand ich, wie stark man die wirkenden Kräfte mit dem eigenen Körper spürt, obwohl doch die Geschwindigkeit der Gondeln mit nur 24 km/h in etwa der Geschwindigkeit zügiger Radwanderer entsprach. Die Berg- und Talbahn zeigt eindrucksvoll die große schleuderinde Wirkung kleiner Radien bei einer Kreisbewegung.

Technische Angaben


Eigene Messdaten


Am 27. April 2025 machte ich eine Fahrt in einer Berg- und Talbahn auf dem Öcher Bend in Aachen mit.[2] Mit einer Kamera vom Typ DJI Osmo Action 4[3] wurde ein Teil der Fahrt festgehalten. Das Ziel war es, die Bahn- und Winkelgeschwindigkeit sowie die wirkenden Kräfte abschätzen zu können.

Über ein nachträgliche Auswertung des Videos mit einer Software konnte unter anderem eine digitale Stoppuhr (Timer) eingeblendet werden. Insgesamt kam ich damit auf die folgenden Daten:

  • Selbst gewogen: 80 kg als Fahrgast Masse ↗

Den Durchmesser von Gondel zu Gondel schätzte ich nach der Fahrt über das Abschreiten einer Strecke parallel zum Durchmesser mit aneinandergelegten Fußlängen ab.

Technische Daten der Firma Zierer


Die Firma Zierer Karussell- und Spezialmaschinenbau GmbH & Co. KG aus dem süddeutschen Deggendorf stellt Fahrgeschäfte für Kunden in aller Welt her. Auf der Webseite der Firma[1] fanden sich folgende Angaben zu einer typischen Berg- und Talbahn:

  • Platzbedarf im Fahrbetrieb: ca. 14 m ø
  • Drehendes Teil: ca. 10,7 m ø
  • 17 oder 20 Gondeln für je 2 Personen (abhängig von der Dekoration)
  • Insgesamt 34 – 40 Personen
  • 920 bis 1080 Personen pro Stunde
  • Bis zu 13 Umdrehungen pro Minute (rpm)[10]
  • Beschleunigungsdauer von 0 auf 13 rpm leer: 9,7 s
  • Beschleunigungsdauer von 0 auf 13 rmp voll besetzt: 15 s
  • Gewicht einer Gondel: 170 kg
  • Anriebsleistung: 45 kW
  • Maximale Stromstärke: 100 A

Die folgenden Annahmen wurden ebenfalls vom Betreiber[1] gemacht. Sie stellen wahrscheinlich Berechnungsgrundlagen für die Einhaltung eines sicheren Betriebs dar.

  • Hooligan-Load für einen Erwachsenen am Sicherheitsbügel: 500 N
  • Belegung einer Gondel: 2 Erwachse oder 1 Erwachsener + 2 Kinder oder 3 Kinder
  • Vertikal wirkende Gewichtskraft eines Kindes: 0,4 kN
  • Vertikal wirkende Gewichtskraft eines Erwachsenen: 0,8 kN
  • Windgeschwindigkeit: Der Betrieb muss eingestellt werden ab 15 m/s

Mit den oben gemachten Angaben kann man nun einige weitere Werte der Berg- und Talbahn selbst berechnen. Dabei wird ein Fahrgast angenommen, der in etwa 5 Meter vom Mittelpunkt der Drehbewegung entfernt sitzt, also ein effektiver Durchmesser der Fahrgastbewegung von 10 Metern.


Kinästhetische Physik


Als kinästhetisches oder auch haptisches Lernen bezeichnet man Lernmethoden, bei denen gezielt Bewegung und körperliche Gefühle eingesetzt werden. Man kann so ein Gefühl für Werte von Größen bekommen. Bei der Berg- und Talbahn sind das Beispiel die Winkelgeschwindigkeit in Grad pro Sekunde, die Zentripetalkraft in Newton oder die Radialbeschleunigung als g-Kraft. Gute Methoden, sich die Werte bewusst zu machen sind das bewusste Spüren von Kräften bei geschlossenen Augen, das Mitzählen von Sekunden bei gleichzeitiger Wahrnehmung zurückgelegter Strecken oder Winkel und die bewusste Bewegung des Körpers entgegen einen wirkenden Kraftfeld.

Die Winkelgeschwindigkeit


Macht man in einer Berg- und Talbahn in 4,7 Sekunden eine ganze Umrundung, dann deckt man damit in 4,7 Sekunden auch einen Winkel von 360° ab. Verteilt man nun per Division die 360° gleichmäßig auf die 4,7 Sekunden, so kommt man rechnerisch auf rund 76° in jeder Sekunde. Die Winkelgeschwindigkeit liegt also bei etwa 76 Grad pro Sekunde. Man kann das bei einer Fahrt versuchen, sich aktiv bewusst zu machen: in jeder Sekunden überstreicht man eine Winkel von etwa 76°, also ein klein Bißchen weniger als einen rechten Winkel. Siehe auch unter Winkelgeschwindigkeit ↗

Die Zentripetalkraft


Um die Wirkung der sogenannten Zentripetalkraft spürbar zu machen, empfiehlt sich am Anfang ein Gedankenexperiment. Angenommen man sitzt in einer Berg- und Talbahn mit einer Umlaufzeit von 4,7 Sekunden. Nun denke man sich auf einen Schlag die Gondel und alles was einen seitlich festhält weg. Man würde dann auf einer geraden Bahn von dem Fahrgeschäft fortfliegen, man wird tangential weggeschleudert. Um das zu verhindern, um also auf einer Kreisbahn zu bleiben, müssen wir ständig von außen nach innen gedrückt oder von von außen nach innen gezogen werden. Beides kann man bei einer Fahrt gut nachstellen.

Man kann sich mit dem Rücken an die Außenwand der Gondel lehnen. Dann spürt man, wie die Wand einen ständig von außen nach innen drückt. Das ist die Zentripetalkraft, wie sie hin zum Mittelpunkt der Kreisbahn wirkt. Wie stark die Kraft ist kann man berechnen über die Formel mv²/r oder mω²r. Für einen Person mit 80 Kilogramm Körpergewicht wären das in etwa 700 Newton. Man kann sich aber auch mit den Händen an der Innenseite der Gondel festhalten. Man wird dann scheinbar nach außen geschleudert und muss mit den Händen und Armen ziehend sich an der Wand halten. Wenn der Wagen etwa 1,5 breit (Schätzung aus der Erinnerung) ist, und wenn die Außenseite der Gondel auf einem Durchmesser ihrer Kreisbahn von 10 Metern umläuft, dann läuft die Innenseite auf einer Kreisbahn mit etwa 7 Metern. Damit sind auch der Radius und die Zentripetalkraft der inneren Umlaufbahn etwa sieben Zehntel so groß wie der Radius und die Zentripetalkraft der äußeren Umlaufbahn. Hält man sich mit den Händen also eng an der Innenwand der Gondel hin zum Kreismittelpunkt, braucht man mit 80 kg Körpergewicht dafür rechnerisch etwa 490 Newton. Außen ist die Zentripetalkraft bei gleicher Winkelgeschwindigkeit größer als innen. Siehe auch Zentripetalkraft ↗

g-Kräfte


Um die scheinbaren Schleuderkräfte, die sogenannten Zentrifugalkräfte, bei schnellen Bewegungen mit Beschleunigungen und Richtungsänderungen unahbängig vom eigenen Körpergewicht vergleichen zu können, verwendet man die Angabe in sogenannten g-Kräften. Das sind Vielfache der bekannten Erdbeschleunigung von 9,81 m/s². Wenn man also eine g-kraft von 2g erfährt, so spürt man die doppelte Kraft, wie man sie beim ruhigen Stehen oder Hängen auf der Erdoberfläche führt. Die Kraft, die Zentripetalkraft, die die Gondel bei einem Durchmesser der Kreisbahn von 10 Metern am äußeren Rand der Gondel auf einen ausübt, ist gut 1 mal so groß wie die Kraft, mit der die Erde einen zu sich hin zieht. Man sagt, die Zentripetalbeschleunigung ist 1,0g.[11] Das heißt, die Zentripetalkraft waagrecht zur Seite ist genauso groß wie die eigene Gewichtskraft nach unten.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was 1g als Zentripetalkraft bewirken, kann man bei einer Fahrt in der Berg- und Talbahn einmal versuchen, bei voller Fahrt den Unterarm an der Außenseite der Gondel längere Zeit senkrecht nach oben zu halten. Zusätzlich kann man dann damit beginnen, den Unterarm bestimmte Bewegungsmuster wie einen Kreis oder eine Achtform ausführen zu lassen. Es geht, es kostet aber spürbar viel Kraft. Formel-1 Fahren müssen in engen Kurven 5g beherrschen, dann also zum Beispiel noch schalten und lenken können. Kampfpiloten erreichen bei extremen Flugmanövern kurzfristig 9g. In einer Salatschleuder kann man bis zu 36g erzeugen. Bei einem Selbsttest mit einem abrupt abgebremstem Raketenschlitten überlebte ein Mann 46g. Siehe mehr zu diesem Thema im Artikel zur g-Kraft ↗

Formeln



Legende


Aufgaben


Aus dem Durchmesser 10 Meter der Kreisbahn, auf der sich der Fahrgast außen in der Gondel sitzend bewegt, der Umlaufdauer von 4,7 Sekunden und der Masse des Fahrgasts von 80 kg lassen sich weitere physikalische Größen zur Berg- und Talbahn berechnen. Nehmen wir den für Aachen realistischen Wert der Erdfallbeschleunigung von 9,81 m/s² an. Die Ergebnisse können bis auf maximal zwei Nachkommastellen gerundet werden.

  • b) Wie groß in Umdrehungen pro Minute ist die Drehzahl ↗
  • i) Wie groß ist die aus Erdanziehung und Zentripetalkraft resultierende g-Kraft ↗
  • j) Wo ist empfundene Zentrifugalkraft bei gleicher Bahngeschwindigkeit größer: weiter innen oder weiter außen?
  • k) Wo ist empfundene Zentrifugalkraft bei gleicher Winkelgeschwindigkeit größer: weiter innen oder weiter außen?

Lösungen


  • j) Weiter innen
  • k) Weiter außen

Fazit


Die selbst gemessenen Werte und die daraus berechneten Größen passen sehr zu den Angaben zu einem ähnlichen Fahrgeschäft der Firma Zierer. Die Werte sind damit recht plausibel. Überraschen dürfte, bei welchen geringen Geschwindigkeiten schon sehr deutlich spürbare Fliehkräfte wirksam werden.

Fußnoten


  • [1] ZIERER Karussell- und Spezialmaschinenbau GmbH & Co. KG; Josef-Wallner-Straße 5; 94469 Deggendorf (BRD): Calculation of the amusement ride "Berg- und Talbahn", Project Number M0682-01, according to DIN EN 13814, DIN EN 1993 and ISO 17842. Online: https://www.zierer.com
  • [2] Eigene Messungen wurden am 27. April 2025 auf dem sogenannten Öcher Bend, einer traditionellen Kirmes in Aachen, gemacht. Der Öcher Bend wird als Volksfest erstmals für das Jahr 1413 erwähnt. Im Jahr 1927 fand er erstmals an seinem heutigen Ort, dem Bendplatz im Westen der Stadt, statt. In: Geschichte des Öcher Bend. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Schausteller-Verband e.V. Aachen.
  • [3] Die verwendete Kamera war eine DJI Osmo Action 4. Diese Kamera eignet sich unter anderem für besonders hohe Bildwiederholraten von bis zu 240 pro Sekunde (fps). Zudem hat sie eine gute Stabilisierung, was den Effekt von Wackeln und Ruckeln stark ausgleicht.
  • [4] Die Nachbearbeitung des aufgenommenen Videos wurde mit der Software Shotcut auf einem Linux-Rechner durchgeführt.
  • [5] Diese Zentripetalbeschleunigung entspricht etwa der eigenen Gewichtskraft. Man wird also vom äußeren Rand des Wagens mit dieser Kraft nach innen gedrückt. Die empfundene Fliehkraft nach außen entspricht dabei einem g als g-Kraft ↗
  • [6] Der Durchmesser zwischen den zwei Außenwänden zweier diamtral gegenüberliegender Fahrgastgondeln wurde über das Abgehen der versetzten Strecke mit 33 Fußlängen zu je 0,3 Meter bestimmt. Damit kommt man auf einen Durchmesser der Kreisbahn, auf der jemand am äußeren Rand einer Gondel sitzt, von 9,9 oder fast 10 Metern. Dieser Wert passt recht gut zu der Angabe der Firma Zierer von 10,7 m als Durchmesser des drehenden Teils.
  • [7] Zur Berechnung der Zentripetalkraft wurde das eigene Körpergewicht von etwa 80 kg zugrunde gelegt.
  • [8] Zugrunde gelegt wurde die Formel v²/r, also das Quadrat der Bahngeschwindigkeit geteilt durch den Radius der Kreisbahn. Siehe mehr unter Zentripetalbeschleunigung ↗
  • [9] Als g-Kraft bezeichnet man den Wert, der angibt, wie viel mal so stark eine Beschleunigung ist wie die Erdfallbeschleunigung von etwa 9,81 m/s². Die g-Kraft ist eine übliche Angabe zur Abschätzung der körperlichen Belastung von Astronauten und Kampfpiloten in Extremsituationen. Die g-Kraft wurde hier über die zwei senkrecht zueinander wirkende Zentripetalbeschleunigung (horizontal) sowie der Erdbeschleunigung (vertikal) über den Satz des Pythagoras bestimmt: g-Kraft = 1/9,8 mal die Wurzel aus (8,93^2+9,81^2). Das Ergebnis von 1,35g klingt nicht viel, es ist ja nur das 1,35fache der Erdbeschleunigung. Aber bei der Fahrt in dem Fahrgeschäft konnte ich nur mit Mühe mit beiden Händen die Kamera still halten. Die Fixierung meiner eigenen Körperpositionen mit den Beinen kostete spürbar viel Kraft und ermüdete mich nach einigen Umläufen merkbar. Auch im Nacken spürte ich bald eine Verkrampfung der Muskeln, die versuchten, den Kopf gerade zu halten. Welche Belastungen Astronauten und Kampfpiloten längere Zeit aushalten müssen, steht im Artikel zur g-Kraft ↗
  • [10] Die Angabe von 13 Umdrehungen pro Minute für die Bahn der Firma Zierer ergäbe eine Dauer von etwa 4,6 Sekunden für einen Umlauf: man verteilt die 60 Sekunden einer Minute durch Division gleichmäßig auf die 13 Umdrehungen. So kommt man auf die 4,6 Sekunden. Das passt sehr gut zu dem tatsächlich gemessenen Wert von 4,7 Sekunden für die Bahn auf dem Öcher Bend. Zur hier verwendeten Logik der Division siehe auch Verteilungsfrage [Division] ↗
  • [11] Zur Schreibweise der Einheit von g-Kräften: man schreibt 2g und verwendet das kleine, kursiv geschriebene g ohne Abstand zur vorhergenden Zahl als Zeichen für die Einheit. Damit kann man das kleine g von der Angabe Gramm unterscheiden. Siehe auch g-Kraft ↗