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Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Weltformel

Physik

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Basiswissen


Die Weltformel, auch TOE (theory of everything) oder salopp Gottesformel[10][11] ist eine hypothetische Theorie , in der alle Phänomene der physikalischen Welt mathematisch erfasst werden können. Das Wort wurde spätestens im Jahr 1872 verwendet.[1] Hier werden kurz der Anspruch und die Grenzen einer möglichen Weltformel skizziert.



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Spätestens irgendwann im 19ten Jahrhundert begann die Suche nach der Weltformel, einer Formel, die die ganze Welt erklärt. © Gunter Heim/Wombat (Algorithmus) ☛


1770: ein einfaches Bild


Die Idee zu einer Weltformel muss im 18. Jahrhundert eigentlich in der Luft gelegen haben. Materialistisch veranlagte Denker sahen die Welt als eine reine Ansammlung von Materie. Und diese Materie bewegt sich nach mehr oder minder bekannten Gesetzmäßigkeiten. Newton hatte schon 1687 sein bahnbrechendes Werk, die Principia, mit dem mathematischen und physikalischen Rüstzeug zur Auffindung der wichtigen Naturgesetze veröffentlicht. 1700 brauchte der Franzose Mirabaud die Sache auf den Punkt:


ZITAT:

Mirabaud, 1770: "Das Universum, diese gewaltige Ansammlung allen Seins, präsentiert uns nichts als Materie und Bewegung: Es bietet unserer Betrachtung nichts als eine unermessliche, ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen. Manche dieser Ursachen sind uns bekannt, weil sie entweder unmittelbar unsere Sinne berühren oder durch langjährige Erfahrung in unser Bewusstsein gelangt sind; andere bleiben uns verborgen, weil sie durch Wirkungen auf uns einwirken, die oft weit von ihrer ursprünglichen Ursache entfernt sind. Eine unermessliche Vielfalt an Materie, vereint in unendlich vielen Formen, sendet und empfängt unaufhörlich eine Vielfalt an Impulsen. Die verschiedenen Eigenschaften dieser Materie, ihre unzähligen Verbindungen, ihre vielfältigen Wirkungsweisen, die die notwendige Folge dieser Verbindungen sind, bilden für den Menschen das, was er das Wesen des Seins nennt: Aus diesen vielfältigen Wesenheiten entspringen die Ordnungen, Klassen oder Systeme, die diese Wesen jeweils besitzen und deren Gesamtheit das ausmacht, was wir Natur nennen. Die Natur ist daher in ihrer bedeutendsten Bedeutung das große Ganze, das aus der Ansammlung der Materie in ihren verschiedenen Verbindungen mit der gegensätzlichen Bewegung entsteht, die das Universum unserem Blickfeld präsentiert."[7]


Ähnlich dachten schon die antiken Atomisten Griechenlands und Roms.[8] Die Welt besteht aus festen Brocken Materie, die man dann ganz über ihre Bewegung und die sie leitenden Gesetze fassen kann. Solche Weltbilder, die alles Wesentliche auf Materie zurückführen, fasst man zusammen unter Materialismus ↗

1800: frühe Skepsis


Der junge (Natur)Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 bis 1854) gab im Jahr 1800, also etwa mit 25 Jahren Lebensalter, für kurze Zeit eine Zeitschrift für spekulative Physik heraus. Dort formulierte er seinen Anspruch, verbunden mit Skepsis, dass die Naturphilosophen jemals eine "allgemeine Theorie der Natur" würden finden können.


ZITAT:

Schelling, 1800: "Die Tendenz aller bisherigen Naturforschung war eine allgemeine Theorie der Natur, eine Theorie, die freilich nie vollendet wird, weil sie unednlich sein muss wie die Natur selbst, in welcher aber doch die Natur in ihrer größten Einfachheit erblicken will, durch welche den Erscheinungen ihre nothwendige Stelle zugewiesen werden soll. Ich fordere von den Naturforschern, dass sie ihre Hoffnung, von ihrem Standpunct aus diese Theorie je zu finden rechtfertigen sollen, ich fordre von ihnen das Geständnis, dass alles was sie bisher Theorie nannten, entweder da aufhörte, wo es anfagen sollte, und das Problem zurückschob anstatt es zu beantworten, oder wenn sich an das eigentliche Problem wagte in Hypothesen ausartete; ich fordre von ihnne, dass sie die Mittel aufzeigen sollen, durch welche sie diese Hypothesen in Theorien verwandeln können, dem Willkührlichen (also erdichteten) Nothwendigkeit mittheilen, dem Geahndeten Evidenz geben (also es als Ahndung vertilgen)."[5]


Schelling gilt heute als ein sogenannte Idealist. Während die Materialisten alles auf Materie zurückführen wollen, sehen Idealisten am Anfang allen Seins Ideen, das Geistige, das Bewusstsein oder die Tätigkeit des Seelischen, des Bewusstseins zurück. Woran Schelling die Materialisten erinnert, ist, dass sie für solide Theorien verkaufen was letzten Endes nur Annahmen und Hypothesen sind. Namen wie George Berkeley, David Hume und Immanuel Kant stehen für kritische Denker, die zum Beispiel die Existenz von Materie ganz und gar nicht als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, sondern als Hypothese, die schwer oder gar nicht zu beweisen ist.[9]

1814: eine große Ansage


Schellings Zweifel, dass Naturforscher mit ihren Methoden zu einer "allgemeinen Theorie der Natur" kommen könnten, wurden zumindest nicht geteilt von Pierre Simon Laplace, einem Zeitgenossen des Idealisten Schelling. Im Jahr 1814 hebt Laplace seinen bis heute berühmten Dämon aus der Taufe:


ZITAT:

Laplace, 1814: "Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen."[6]


Der Laplacesche Dämon ist die konsequente Fortsetzung der Ideen wie von Mirabauds und die heute vielleicht populärste Metaphor für die große Weltformel. Aber auch hier halte man sich bewusst, was der Anspruch ist: mit dem Weltformel nach Laplace könnte man alle Ereignisse der Vergangenheit rekonstruieren und alle Ereignisse der Zukunft vorhersagen. Und dann? Würde uns das irgendetwas über das Wozu, den Sinn und Zweck dieses ganzen Geschehens verraten?

1908: der Anspruch bleibt


Im Jahr 1908 sprach Max Planck noch vom Ideal einer einzigen Weltformel.[4] Sprechen Physiker heute von einer Weltformel, dann meinen sie damit durchaus auch eine größere Theorie, nicht nur eine einzige Formel. Die angestrebte Theorie muss widerspruchsfrei alle beobachteten physikalischen Phänomene beschreiben können. So wie sich im frühen 19. Jahrhundert die Lehre von der Elektrizität und der Magnetismu zum vereinheitlichten Elektromagnetismus verbanden, so hofft man heute, dass letztendlich alle Teilgebiete der Physik in einer Theorie aufgehen. Eine große Hürde (von mehreren) stellt dabei der heute noch bestehende Widerspruch von der Quantenphysik und der Relativitätstheorie dar. Wo beide Theorien angewandt werden, treten zwangsläufig Widersprüche auf.

Die Grenzen einer Weltformel


Unausgesprochen verbindet sich mit dem Begriff der Weltformel der Wunsch, dass mit Kenntnis der Formel alle wichigen Fragen beantwortbar sind. Diese Hoffnung muss aber aus meheren philosophischen Gründen enttäuscht werden. So kann a) die Naturwissenschaft aufgrund ihrer selbstgewählten Beschränkung auf beobachtbare Ereignisse niemals auf ein Sollen schließen, Gut von Schlecht unterscheiden. Ein Forensiker kann die Flugbahn eines tödlichen Geschosses minutiös naturwissenschaftlich beschreiben. Das Ergebnis, ganz gleich wie exakt, wird ihm aber niemals Auskunft darüber geben, ob die Kugel zu Recht oder Unrecht flog. Wer den Schluss vom Ist auf das Soll macht, begeht einen sogenannten naturalistischen Fehlschluss. Auch muss man heute b) bedenken, dass alle Naturgesetze nur Zufallsgesetze sind, also stochastisch in ihrem Wesen. Sie können nur Aussagen über statistische Mittelwerte machen. Nach Einschätzung von Quantenphysiker ist es beispielweise außerhalb der Reichweite der Quantenphysik zu erkennen, wann genau ein einzelnes Atom radioaktiv zerfällt und wann nicht. Es liegt hier keine technische Grenze vor sondern möglicherweise eine in der Natur selbst angelegte Unbestimmtheit. Desweiteren c) legt die Quantenphysik nahe, dass es möglicherweise keine objektiv von uns getrennt existierende Außenwelt existiert. Bestimmte Versuchsergebnisse sind untrennbar mit menschlichen Entscheidungen verbunden (Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon). Diese Einwände mögen hier genügen, um die engen Grenzen der möglichen Aussagekraft einer Weltformeln anzudeuten. Zu den Grenzen der Erkenntnis siehe beispielhaft Die sieben Welträtsel [du Bois-Reymond, 1872] ↗

Der Sinn einer begrenzten Weltformel (Spekulation)


Möglicherweise, so eine Spekulation, hat die grundsätzliche Begrenztheit einer möglichen Weltformel einen tieferen und guten Grund. Möglicherweise ist die Physik gerade nicht dazu da, die Welt in ihren Abläufen festzulegen und vorhersagbar zu machen. Möglicherweise stellt sie einen Kompromiss zur Verfügung, um einer von Lebewesen bewohnten Welt gleichzeitig Verlässlichkeit und Verstehbarkeit sowie auch Freiheit zu bieten. Was ein Wesen an Freiheit mehr bekommt, verlieren die anderen an Freiheit und Verlässlichkeit. Die physikalsichen Gesetze regeln vielleicht genau diese zwei widerstreitenden Pole in einem pragmatischen Kompromiss ein. Mehr zu dieser Spekulation steht im Artikel kollaborative Physik ↗

Was ist die Große vereinheitlichte Theorie?


Als Große vereinheitlichte Theorie (GUT) bezeichnet man eine Theorie, welche drei der vier physikalischen Fundamentalkräfte vereinheitlicht: die elektromagnetische, die schwache und die starke Wechselwirkung[2]. Siehe auch Große vereinheitlichte Theorie ↗

Persönliche Einschätzung


 Portrait von Gunter Heim Weltformel, Gottesformel, Theorie für Alles, Große vereinheitlichte Theorie: solche Worte klingen fast wie ein Per Du mit dem lieben Gott. Doch wenn Physiker von einer Weltformel im weitesten Sinn sprechen, meinen sie immer nur die Vorhersagbarkeit von Ereignissen. Nie ist damit eine Formel gemeint, aus der Werte hervorgehen könnten, oder Sinn und Zweck. Physiker versprechen und uns keine Formel, mit der man herausfinden könnte ob es ein Menschenrecht auf freie Meinung gibt, ob wir in dieser Welt sind um geprüft zu werden, ob wir eine Pflicht haben, anderen Gutes zu tun und so weiter. Ich persönlich finde daher Worte wie Welt- oder Gottesformel, ja selbst Theorie für Alles als anmaßend. Wie könnte man die angestrebte Art von Formel oder Theorie dann nennen? Mir fällt kein passendes kurzes und eingängiges Wort ein. Es müsste vom Inhalt her so etwas sein wie eine "Formel zur maximal möglichen Vorhersage künftiger Ereignisse" oder "Wenn-Dann Formel der Physik".

Fußnoten


  • [1] Emil du Bois-Reymond über einen hypothetischen Dämon, der alles in der Welt berechnen kann: "In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu ertheilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der „President“ zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tiefen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auftaucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbrennen wird. Setzte er in der Weltformel t = — ∞, so enthüllte sich ihm der räthselhafte Urzustand der Dinge. Er sähe im unendlichen Raume die Materie bereits entweder bewegt oder ungleich vertheilt, da bei gleicher Vertheilung das labile Gleichgewicht nie gestört worden wäre. Liesse er t im positiven Sinn unbegrenzt wachsen, so erführe er, ob Carnot's Satz erst nach unendlicher oder schon nach endlicher Zeit das Weltall mit eisigem Stillstande bedroht. Solchem Geiste wären die Haare auf unserem Haupte gezählt, und ohne sein Wissen fiele kein Sperling zur Erde. Ein vor- und rückwärts gewandter Prophet, wäre ihm, wie schon d'Alembert in der Einleitung zur Encyklopaedie, Laplace's Gedanken im Keime hegend, es ausdrückte, „das Weltganze nur „eine einzige Thatsache und Eine grosse Wahrheit“ In: Emil du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens. Ein Vortrag in der zweiten öffentlichen Sitzung der 45. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte. von Veit & Co., Leipzig 1872. S. 4 ff. Siehe mehr zu diesem Dämon unter Laplacescher Dämon ↗
  • [2] Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums. Englischer Originaltitel: A Brief History of Time. From the Big Bang to Black Holes. Deutsch im Rohwolt Taschenbuch Verlag. 1988. ISBN: 3-499-188-50-3. Dort im Glossar die Seite 226.
  • [3] Der Begriff Weltformel wird in einem Lexikon aus dem Jahr 1912 verwendet: "Laplace, P. S., 1740-1827, der berühmte Astronom, ist philosophisch durch seine »Exposition du système du monde« (1796), mit ihrer bekannten Theorie der Weltentstehung (vgl. Kaut) von Bedeutung, ferner durch den »Laplaceschen Geist«, welcher aus einer gegebenen Weltformel alle künftigen Weltzustände erkennen könnte. SCHRIFTEN: Mécanique céleste, 1799 ff. – Essai philos. sur les probabilités, 1814; deutsch 1819." In: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 384. Online: http://www.zeno.org/nid/20001826557
  • [4] Max Planck in einem Vortrag aus dem Jahr 1908: "Von jeher, solange es eine Naturbetrachtung gibt, hat ihr als letztes, höchstes Ziel die Zusammenfassung der bunten Mannigfaltigkeit der physikalischen Erscheinungen in ein einheitliches System, womöglich in eine einzige Formel, vorgeschwebt…" In: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. (Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden.)
  • [5] Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zeitschrift für spekulative Physik. Erster Band. Verlag Christian und Ernst Gabler. Jena und Leipzig, 1800–1801.
  • [6] Die Übersetzung ins Deutsche stammt aus: Oskar Höfling: Physik. Band II Teil 1, Mechanik, Wärme. 15. Auflage. Ferd. Dümmlers Verlag, Bonn 1994, ISBN 3-427-41145-1. Das französische Originalzitat steht in: Pierre Simon Laplace: Essai philosophique sur les probabilites. 1814. Siehe auch Laplacescher Dämon ↗
  • [7] In: Baron d' Paul Henri Thiry Holbach. The System of Nature, or, the Laws of the Moral and Physical World. Volume 1. 1820/21. Englische Übersetzung der französischen Fassung: Jean Baptiste de Mirabaud: La Système de la nature. 1770.
  • [8] Ein guter Einstieg in das antik-atomistische Denken bieten die Gedanken des Römers Lukrez ↗
  • [9] Eine radikale Skepsis an der Existenz von einer materiellen Außenwelt, einer Welt außerhalb unserer Sinneswahrnehmung findet man zum Beispiel bei George Berkeley ↗
  • [10] Peter Plichta: Gottes geheime Formel. Die Entschlüsselung des Welträtsels und der Primzahlencodes. München: Langen Müller, 1995. ISBN 978‑3‑7844‑2552‑8
  • [11] José Rodrigues dos Santos: Das Einstein Enigma. Übersetzung: Paula Porter, Verlag: luzar Publishing, 2017, ISBN 978-3-946621-00-3. In dem Buch wird ein fiktives Manuskript Einsteins mit dem Titel "Die Gottesformel" behandelt.