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Schwämme

Tierstamm

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Definition


Schwämme (Porifera) sind mehrzellige Tiere, also Metazoa. Sie kommen im Süß- oder Salzwasser vor. Die meisten Schwämme leben davon, dass sie aus durchlaufendem Wasser Nahrung filtrieren. Erdgeschichtlich gehören Schwämme mit zu den ältesten Tieren überhaupt. Aber warum zählt man sie überhaupt zu den Tieren? Wie etwa auch die Moostierchen leben Schwämme im Grenzbereich zwischen Kolonie und übergeordnetem Superorganismus.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Der Große Vasenschwamm (Xestospongia testudinaria): die Tiere kommen in der Nähe von Indonesien, Australien wie überhaupt im ganzen Indopazifik vor. Sie leben in Wassertiefen von 2 bis 22 Metern und erreichen höhen von 20 cm bis zu 2 Metern. © Albert Kok ☛


Fakten zu Schwämmen


  • Schwämme zählen zu den Metazoa (Tiere) und bestehen aus Zellen mit echtem Zellkern ↗
  • Schwämme sind möglicherweise die Vorfahren alle Tiere, also Metazoa ↗
  • Schwämme leben festsitzend, sie sind also sessil ↗
  • Schwämme haben keine Muskelzellen

Schwämmer als Riffbildner


Ausgestorbene Schwammarten, die sogenannten Stromatoporen, bildeten in der erdgeschichtlichen Vergangheit (Ordovizium, Silur, Devon, Mesozoikum) mehr oder minder große Riffe in Ozeanen. Diese Riffe ähnelten modernen Korallenriffen. In Europa findet man sie heute als Kalksteine etwa auf der Insel Fårö bei Gotland (Schweden), in den karnischen Alpen (Österreich), in der Eifel (Kylltal, Kalkmulden), bei Villmar im Taunus sowie in Kalksteinbrüchen bei Aachen, zwischen Wahlheim und Schmithof. Mehr unter Stromatoporen ↗

Schwämme haben arbeitsteilige Zellen


Obwohl Schwämme weder Neuronen (Nervenzellen), Muskel- oder Sinnenzellen besitzen, weisen ihre Zellen intern eine hohe Arbeitsteilung auf. Man unterscheidet drei grundlegende Zellarten bei Schwämmen: Pinacotyen, Choanocyten und die Amöbocyten. Die Pinacocyten bilden die Deckschicht (Pinacoderm), also sozusagen die Haut eines Schwammtieres. Die Choanocyten haben eine Geißel (bewegungsfähiges Außenteil), mit dem sie einen Wasserstrom durch das Tier erzeugen. Gleichzeitig filtrieren kleine Körperteile filtern sie auch die Nahrung aus dem Wasser. Die Nahrung wird in diesen Zellen verdaut und später an andere Zellen des Tieres weitergeleitet. Die Amöbocyten sind frei bewegliche Zellen mit verschiedenen Funktionen: Verdauung und Nahrungsverteilung, Skelettbildung, Bildung neuer Schwammzellen und Geschlechtszellen. Außerdem transportieren sie auch Botenstoffe im Tierkörper umher und erfüllen damit ähnliche Funktionen wie auch ein Nervensystem. Siehe auch Arbeitsteilung [allgemein] ↗

Schwämme haben ein Proto-Nervensystem


Oben haben wir gelesen, dass Schwämme keine echten Nerven- oder Muskelzellen besitzen, was auch stimmt. Aufwändige Untersuchungen[4] konnten aber zeigen, dass Schwämme Moleküle für die interne Kommunikation benutzen, die später bei höheren Tieren in den synaptischen Spalten von Nervenzellen benutzt werden: in den inneren Kammern der Schwämme umherschweifende sogenannte neuroide (nervenähnliche) Zellen kommunizieren mit den Geißelzellen über chemische Substanzen, die nahezu identisch mit denen von höheren Tieren am synaptischen Spalt sind. Sie ähneln insbesondere den Zellen an den Innenwänden von Därmen. Solche Strukturen sind ein guter Kanditat als Vorläufer späterer neuronaler Netze in höheren Tieren[5][11]. Siehe auch neuronales Netz ↗

Zwischen Zellkolonie und echtem Einzelorganismus


Schwämme gelten als die ersten echten mehrzelligen Tiere. Sie stehen damit nahe an der Schwelle zwischen Einzellern und Mehrzellern[7]. Während es auch bei Zellkolonien (z. B. Volvox) bereits eine ausgeprägte Arbeitsteilung geben kann, zeigen Schwämme überraschend viele Merkmale von Informationsverarbeitung, die man üblicherweise nur von Tieren mit einem Nervensystem erwarten würde: es gibt Schwämme, die Licht, mechanische Reize, Wasserströmungen und Sedimentablagerungen wahrnehmen können und darauf messbar reagieren. Auch sind manche Arten in der Lage, sich langsam aber dennoch aktiv fortzubewegen. Mehrere Arten können ihren Körper in wellenartige Bewegungen bringen, vielleicht um die Wasserströmung durch den Körper zu optimieren. Eine Signalweiterleitung innerhalb des Körpers erfolgt sowohl chemisch als auch über elektrische Aktionspotentiale. Zudem konnten bei einer Art Moleküle nachgewiesen werden, die bei echten Eumetazoa als Neurotransmitter dienen, z. B. Adrenalin, Noradrenalin oder Serotonin. Mit diesen Fähigkeiten können Schwämme viele Funktionen ausführen, die auch höhere Mehrzeller zeigen. Die Einordnung als individualiertes Tier und nicht als bloße Zellkolonie wird dadurch bekräftigt. Die Choanocyten gingen aus ehemals autark lebenden Einzellern hervor, den Kragengeißeltierchen ↗

Seit wann gibt es Schwämme?


Die Erde ist rund 4,54 Milliarden oder 4540 Millionen Jahre alt. Schon früh, seit mindestens 3,5 Milliarden Jahren, gibt es Leben in Form von Zellen. Möglicherweise gibt es Schwämme - und damit Tiere - schon seit mehr als 890 Millionen Jahren[3]. Massenhaft treten sie aber erst in Fossilien mit einem Alter von etwa 600 Millionen Jahren auf, aus der erdgeschichtlichen Zeit des Ediacarium ↗

Urahn aller mehrzelligen Tiere?


Schwämme gelten als ein sehr wahrscheinlicher Urahn aller mehrzelligen Tiere, der sogenannten Metazoa. Parallel wurden auch bestimmte Quallen als Vorfahren aller Metazoa diskutiert. Ein Argument für Quallen war, dass sie zum Beispiel Nervenzellen und bereits klar ausgebildete Organe haben. Beides fehlt den Schwämmen. Eine statistische Analyse der DNA heute lebender Tiere mit Schwämmen spricht aber deutlich für die Schwamm-Hypothese. Wäre sie richtig, wären Menschen, Hunder, Elefanten, Mäuse und alle anderen Tiere Nachfahren der frühen Schwämme.[2]

Fußnoten


  • [1] Emanuelle Renard, Jean Vacelet, Eve Gazave, Pascal Lapébie, Carole Borchiellini, Alexander V. Ereskovsky: Origin of the neuro-sensory system: new and expected insights from sponges. In: Integrative Zoology. Band 4, Nr. 3, September 2009, S. 294, doi:10.1111/j.1749-4877.2009.00167.x
  • [2] Feuda et al.: Improved Modeling of Compositional Heterogeneity Supports Sponges as Sister to All Other Animals. In: Current Biology 27, 3864–3870, December 18, 2017. Published by Elsevier. Ltd.https://doi.org/10.1016/j.cub.2017.11.008
  • [4] Von Schwämmen lernen. Untersuchungen an einfach aufgebauten Tieren liefern Hinweise darauf, wie das Nervensystem entstanden ist. In: Spektrum der Wissenschaft. April 2022. Seite 28 bis 31.
  • [5] Dass auch zum Beispiel Schwämme ein Seelenleben haben, davon ging der Biologe Ernst Haeckel (1834 bis 1919) aus. Nachdem er unter anderem Schwämme als Tiere und Gehirn nannte, beschreibt er dann am Beispiel von sogenannten Süßwasser-Polypen: "Bildet hier der Mangel des Nervensystems die untere Grenze des Seelenlebens? Oder gibt es hier eie Seele ohne Nerven? […] Ja, wir sind sogar der Überzeugung, daß gerade diese nervenlosen und doch beseelten Tiere für die verlgeichende Psychologie von höchstem Interesse sind und uns erst den wahren Schlüssel für das Verständnis der Seelenentwicklung liefern." [1, Seite 34]. Haeckel beschreibt dann ausführlich die Lebensregungen des Süßwasserpolyen und bemerkt "Der ganze Seelenapparat unserer Polypen besteht aus weiter nichts , als aus einer einfachen Schicht solcher Neuromuskelzellen" und damit "ist der
'Sitz der Seele' bei unserem kleinen Polypen die ganze äußere Haut" [1, Seite 37]. In: Ernst Haeckel: Zellseelen und Seelenzellen. Vortrag gehalten am 22. März 1878 in der Concordia zu Wien. Als Buch herausgegeben vom Verlag Alfred Krömer im Jahr 1909. Siehe auch Zellseelen und Seelenzellen ↗
  • [7] Schwämme im Übergangsbereich von Einzellern zu Vielzellern: Davis Laundon et al.: The architecture of cell differentiation in choanoflagellates and sponge choanocytes. In: PLOS Biology. April 12, 2019. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000226
  • [11] Die Entstehung von einem Zentralnervenstystem in Schwämmen: "Here, I examine the elements of the sponge neural toolkit including sensory cells, conduction pathways, signalling molecules and the ionic basis of signalling." In: Sally P. Leys: Elements of a ‘nervous system’ in sponges. In: Journal of Experimental Biology. 218 (4). 2015. Dort die Seiten 581–591. DOI: doi.org/10.1242/jeb.110817. Siehe auch Zerebralisation ↗