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Roche-Grenze


Astronomie


Basiswissen


Gerät ein großer Mond zu nahe an seinen Planeten, den er umkreist, dann wird er zerrissen: unterhalb eines bestimmten Abstandes, der Roche-Grenze, sind die zerreissenden Gezeitenkräfte stärker als die inneren, zusammenhaltenden Kräfte eines Mondes. Die Gezeitenkräfte in der Astronomie entstehen dadurch, dass auf der Seite hin zu einem Planeten die Anziehungskräfte stärker sind als auf der vom Planeten abgewandten Seite. Das ist hier Schritt-für-Schritt in einem Gedankenexperiment entwickelt.

1. Ein Brocken auf einer stabilen Umlaufbahnen


Zuerst stelle man sich einen einzelnen Körper vor, der sich auf einer Umflaufbahn um einen anderen größeren Himmelskörper bewegt. Der Mond auf seiner Bahn um die Erde ist ein solcher Körper. Aber auch Satelliten in einem Orbit um die Erde gehören dazu. Im Gedankenexperiment beginnen wir mit einem sehr kleinen solchen Körper. Man stelle sich einen vielleicht faustgroßen Brocken aus Gestein vor. Je näher nun dieser Brocken am Zentralkörper ist, desto schneller muss er sich entlang seiner Bahn bewegen. Der Grund dafür ist, dass die Anziehungskraft des Zentralkörpers nah an ihm größer ist als weiter weg von ihm. Um diese Anziehungskraft mit der sogenannten Zentrifugalkraft auszugleichen, muss sich der Gesteinsbrocken schnell genug auf seiner Umlaufbahn bewegen. Die nötigen Geschwindigkeiten kann man mit Hilfe von recht einfachen Formeln berechnen. Wichtig ist: je näher ein Mond an seinem Zentralkörperist (z. B. der Erde), desto schneller muss er sich auf seiner Kreisbahn bewegen. Siehe dazu den Artikel Kreisumlaufbahn berechnen ↗

2. Verbundene Brocken und die Entstehung der Gezeitenkräfte


Nun stelle man sich vor, dass mehrere solche kleinen Brocken zu einem größeren gemeinsamen Körper verbunden sind. Im Gedankenexperiment könnte man sich die Verbindung als dünne Metall- oder Gummistäbe vorstellen, die ein starres Gerüst herstellen, das die vielen kleinen Brocken miteinander verbindet. Die Brocken näher am Zentralkörper erfahren dabei eine stärkere Anziehungskraft vom Zentralkörper als die Brocken weiter weg vom Zentralkörper. Also müssten sich die Brocken näher am Zentralkörper theoretisch auch schneller auf ihrer Umlaufbahn bewegen, sodass ihre Zentrifugalkraft (Schleuderkraft nach außen) die größere Anziehungskraft hin zum Zentralkörper ausgleichen kann. Da jetzt aber alle Brocken starr miteinander verbunden sind, müssen sie sich alle mit derselben Geschwindigkeit um ihren gemeinsamen Zentralkörper bewegen. Die Brocken nahe am Zentralkörper bewegen sich dadurch also zu langsam, die weiter weg vom Zentralkörper zu schnell. Das hat wiederum zur Folge, dass die Brocken nahe am Zentralkörper zu diesem hin gezogen werden. Ihre Zentrifugalkraft ist zu schwach, um die Anziehungskraft auszugleichen. Die Brocken auf der abgewandten Seite des großen Körpers aber sind zu schnell für ihre eigentliche Umlaufbahn, wodurch die Zentrifugalkraft gegenüber der dort auch schwächeren Anziehungskraft gewinnt. Ein Brocken auf einer Außenbahn wird nach außen gezogen, weg vom Zentralkörper. Im Endeffekt wirken auf die vielen Brocken Kräfte, die sie einmal in radialer Richtung (hin zum Zentralköprer und andererseits weg vom Zentralkörper) auseinanderziehen. Stellt man sich die verbindenden Stäbe zwischen den Einzelbrocken als leicht dehnbar vor (Gummistäbe), dann würde der große Gesamtkörper hin und weg in Richtung Zentralkörper gedehnt oder gestreckt werden. Die hier beschriebenen Kräfte nennt man in ihrer Gesamtheit auch Gezeitenkraft ↗

3. Verbundene Brocken werden auseinander gerissen


Nähert sich unser gedachter großer Himmelskörper aus einzelnen mit Stäben verbundenen Brocken gedanklich immer mehr dem Zentralkörper, dann wird der Unterschied zwischen der nötigen Bahngeschwindigkeit innen und der nötigen Bahngeschwindigkeiten außen irgendwann so groß, dass die dadurch entstehenden Gezeitenkräfte stärker sind als die zusammenhaltenden Kräfte der Stäbe. Die Stäbe beginnen zu zerreisen und der große Körper zerfällt.

4. Die Brocken werden zu einzelnen Satelliten


Sieht man einzelne Brocken in unterschiedlichen Abständen um einen Zentralkörper wandern, dann kann man im Umkehrschluss aus den Formeln für die stabile Umlaufbahn folgern: die Brocken näher am Zentralkörper umlaufen diesen scheller als die Brocken weiter weg von ihm. Dadurch werden die Brocken jetzt dauerhaft auseinander gehalten. Siehe dazu auch den Artikel zur Bahngeschwindigkeit ↗

5. Die Brocken bilden einen Planetenring


Auf lange Sicht werden die vielen einzelnen Brocken immer weiter voneinander weg bewegt. Sie bilden letztendlich einen Ring um den Zentralkörper aus. Die Brocken liegen damit alle innerhalb der Roche-Grenze. Einen solchen Ring bezeichnet man dann als Planetenring ↗

Himmelskörper mit Planetenringen (innerhalb der Roche-Grenze)



Wie können erdnahe Satelliten stabil bleiben?


Es gibt Satelliten, die die Erde in nur etwas mehr als 100 Kilometer umfliegen. Sie befinden sich sehr nahe an der Erdoberfläche. Trotzdem werden sich nicht durch den oben beschriebenen Effekt zerrissen. Der Grund ist ihre Kleinheit, ihre geringe Ausdehnung. Der Unterschied zwischen den Anziehungskräften und den nötigen Umlaufgeschwindigkeiten zwischen den erdzugewandten Seite eines Satelliten und seiner erdabgewandten Seite existiert zwar, aber der Unterschied ist so klein, dass er die innere Stabilität des Satelliten nicht bedrohen kann. Wichtig für den Effekt ist letztendlich die Größe des Unterschiedes der Geschwindigkeiten, bei denen sich die Gravitationskraft hin zum Zentralkörper und die Zentrifugalkraft (nach außen schleudernd) gegenseitig ausgleichen. Siehe auch Satellit ↗

Der Zwergplanet Quaoar als Rätsel


Der im Jahr 2002 entdeckte Zwergplanet Quaoar umkreist die Sonne auf einer Bahn jenseits der Bahn des Planeten Neptun. Quaoar besitzt einen Ring, der aber außerhalb der berechneten Roche-Grenze liegt. Den Ring dürfte es also theretisch gar nicht geben. Als Lösung vermutet man den Einfluss eines Mondes um Quaoar. Das ist zurzeit (2023) aber eine noch offene Forschungsfrage[1][2]. Siehe auch Quaoar ↗

Fußnoten