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Numinos


Naturwissenschaftlich


Basiswissen


Als numinos bezeichnet man ein intensives, oft körperliches, Gefühl von etwas Göttlichem, Überirdischem oder Jenseitigem. Der Begriff wurde von dem evangelischen Theologen Rudolf Otto in diesem Sinn geprägt und sehr differenziert ausgearbeitet. Wesentlich ist, dass sich die wahrgenommen Eindrücke nicht rational fassen lassen. Das ist hier mit einer Ergänzung aus Sicht der Naturwissenschaften kurz vorgestellt.

Numen


In der römischen Religion bezeichnete Numen ursprünglich das Wirken etwas göttlichen, etwa in Bäumen, Steinen oder Flüssen. Später nahm der Begriff dann auch Andeutungen personifizierter Gottheiten selbst mit an.

Das Numinose


Das Numinose ist ein zentraler Begriff in Rudolf Ottos Theologie: es beschreibt das gestaltlos Göttliche, das als oft starke Gefühlsregung deutlich wahrgenommen werden kann. Es lässt sich aber begrifflich nicht fassen. Es entzieht sich jeder Festlegung durch Sprache und deutet eine Sphäre des Heiligen, einer überweltlichen Seinsordnung an. (Die Idee eines gestaltosen Etwas findet sich auch als Archetyp in der Psychologie von C. G. Jung.) Siehe auch Rudolf Otto ↗

Numinose Gefühle in der Naturwissenschaft?


Verschiedene Naturforscher berichteten davon, dass sie bei einer tiefgehenden Beschäftigung mit ihren Themen etwas spürten, das dem Numinosen Ottos ähnelt. Bezeichnenderweise waren gerade die Mitbegründer der modernen Naturwissenschaften, Isaac Newton und Wilhelm Leibniz auch religiös äußerst interessiert. Ein Beispiel für das Gefühl des Numinosen bei einem Naturwissenschaftler ist James Clerk Maxwell (Elektrodynamik) englisches Gedicht Recollections of a Dreamland ↗

Das Numinose als das Unsichtbare


Kinder und Jugendliche zeigen oft ein intensives Gefühl der Verwunderung wenn ihnen bewusst wird, dass die Welt aus einer Fülle unsichtbarer Dinge besteht. Man kann versuchen, das Gefühl etwa darüber zu provozieren, dass man die unsichtbare Wärmestrahlung spürbar macht. Auch die Vorstellung, dass in einem kleinen Raum die Luft so viel wiegt wie ein Mensch kann mitunter das Gefühl des Geheimnisvollen erregen. Wir können das seit der Eröffnung der Mathe-AC Lernwerkstatt in Aachen immer wieder bei jüngeren Menschen beobachten. Und so wie Otto eine Polarität zwischen Schauer (tremendum) und Staunen (fascinans) im Bereich des Religiösen beschrieb, so beobachten auch wir, dass Kinder sowohl mit Schauer (Grusel) als auch Faszination auf die Entdeckung der Welt des Unsichtbaren reagieren können. Siehe als beispielhaften Versuch dazu Glaubersalz-Dehydratisierungs-Versuch ↗

Das Numinose im Naturgesetz


Von 2010 bis 2010 erlebte ich drei Schüler, die die Gültigkeit geometrischer Gesetzte als gruselig beschrieben. Ein Beispiel betraf den Satz des Phytagoras. Hier frage ein Schüler ausdrücklich, woher die Seiten des Dreiecks wissen, wie lang sie sein müssen. Auf seine Beschreibung mit Worten wie geheimnisvoll, gruselig oder spooky passen recht gut auch die Charakterisierungen des Numinosen nach Rudolf Otto. Einen ähnlichen Effekt zeigte auch die Zuverlässigkeit statistischer Gesetze, etwa beim Zweihundert-Würfel-Versuch ↗

Das Numinose in der Quantenphysik


Nicht direkt sinnlich wahrnehmbar sondern erst nach mehr oder minder intensivem Durchdenken: das Doppelspaltexperiment offenbart ein spukhafte Eigenschaften dessen, was wir Materie nennen. Eine sehr gute Beschreibung gibt ein Buch von Anton Zeilinger Einsteins Spuk ↗

Abgrenzung


Otto charakterisiert verschiedene Qualitäten der Wahrnehmung, die sich aber alle in einer Polarität zwischen Schauer (mysterium tremendum) und der Anziehung (mysterium fascinans) einordnen lassen. Ganz ohne anziehende Elemente erscheint die Erfahrung überweltlicher Realitäten in der pessimistischen Welt eines H. P. Lovecraft ↗

Fußnoten


Verschiedene Autoren versuchten überweltlich-religiöse Gefühlsregungen zu fassen. Herausragend zu nennen sind Olaf Stapledon ("The Spirit"), William James (The Varieties of Religious Experience), Aldous Huxlex (The Perennial Philosophy, The Doors of Perception) und C. G. Jung (Archetypen). Siehe zum Beispiel William Olaf Stapledon ↗