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Haak-Seedeich


Europäische Vision


Basiswissen


Ein gigantischer Deich vom französischen Calais bis nach Göteborg in Schweden soll Teile der europäischen Nordseeküste vor dem Anstieg des Meeresspiegel schützen, insbesondere aber die Niederlande. Dieses Projekt zweier niederländischer Ingenieure ist hier kurz vorgestellt.

Zwei Ingenieure haben eine Idee


Das Konzept für den hier vorgestellten Seedeich stammt von Dick Butijn (Elektroingenieur) und dem im Jahr 2019 im Alter von 90 Jahren verstorbenen Rob van den Haak (Schiffbauingenieur). Im Jahr 2003 entwickelte Haak gemeinsam mit Pieter Stokman die ersten Pläne für einen weit vor der Küste liegenden Seedeich. Das Wort Seedeich unterstreicht, dass der Deich nicht entlang der Küste verläuft sondern auf der offenen See angelegt wird. Dick Butijn gab dieser Vision den Namen Haakse Zeedijk, in Gedenken an Rob van den Haak. Die übliche deutsche Übersetzung ist Haak-Seedeich[6].

Zahlen und Fakten zum Haak-Seedeich


Die Grundidee der Vision ist ein gigantischer Deich maximal 25 Kilometer vor der heutigen Küstenlinie. Der Deich soll 19 Meter hoch sein und aus einer 3,5 Kilometer breiten Dünenkette bestehen. Damit wäre der Deich breiter als die meisten der heutigen ostfriesischen Inslen. In einer ersten Ausbaustufe soll der Haak-Seedeich von der heutigen Insel Walcheren im Süden der Niederlande bis nach Den Helder im Norden reichen. Der breite Meeres-Bereich zwischen dem Seedeich und der heutigen Küstenlinie soll dann in drei voneinander getrennte Becken aufgeteilt werden. In jedes der Becken entwässern größere Flüsse: die Ijssel im Norden, die Rheinarme in der Mitte und die Maas im Süden. Siehe dazu auch Rheinmündung ↗

Woher soll das Material für den Haak-Seedeich kommen?


Jetzige Deiche, etwa an der deutschen Nordseeküste, benötigen zum Bau geeignete Bodenarten, vor allem den sogenannten Kleiboden. Dieser aber ist bereits jetzt Mangelware[3]. Für den Haak-Seedeich in seiner ersten Ausbaustufe von Walcheren bis Den Helder soll deshalb der jetzige Meeresboden, vor allem Sand, vor der niederländischen Küste genutzt werden. Dabei werden auf dem Meeresboden rund 4 Kilometer breite und 45 Meter tiefe Kuhlen, das heißt Vertiefungen, entstehen. Diese müssen ausreichend weit von der jetzigen Küstenlinie und dem geplanten Seedeich liegen, sodass der Neigungswinkel auf dem Meeresobden nicht zu steil wird. Wird der Winkel zu Steil drohen untermeerische Hangrutschung[en] ↗

Wellenbrecher schützen den Deich vor Wellen


Die aus Sand angeschütteten Dünen bieten von Natur aus noch keinen optimalen Widerstand gegen anbrandende Wellen. Man geht davon aus, dass der Effekt von Sturmfluten von der Höhe her um das 1,5fache bis das Doppelte des Meeresspiegelanstieges betragen kann[4]. Eine große Gefahr droht vor allem bei Sturmfluten. Hier sieht das Konzept speziell entwickelte Wellenbrecher (niederländisch: Golfdempers) vor, die seeseitig vor dem Deich auf der Wasseroberfläche treiben. Diese Wellenbrecher sollen gleichzeitig auch die Sandanfuhr vom Meer hin zum Deich regulieren.[5]

Oft nicht mitgedacht: Flüsse und der Meeresspiegelanstieg


Bei einem Anstieg des Meeresspiegels denkt man meist an die unmittelbare Landschaft an der Küste. Das einfache Bild, bestehende Deiche einfach nur zu erhöhen hat jedoch einen Haken: die Mündungen der Flüsse. Wo ein Fluss ins Meer mündet würde ein Meeresspiegelanstieg auch den Wasserstand im Fluss erhöhen. Bei großen trichterartigen Mündungen, wie bei der Elbe, würde sich dadurch auch Wirkung von Sturmfluten stark erhöhen. Es müssten also nicht nur die Deiche an den Küsten sondern auch die Deiche entlang der Flüsse erhöht werden. Das sind europaweit viele Hunderte bis tausende Kilometer. Die niederländische Neben den Kosten kommt hier als Problem hinzu, dass die Deiche bei einer Erhöhung an ihre Fuß (unten) stark verbreitert werden müssten. Dazu ist aber oft kein Platz vorhanden. Straßen und Bebauung reichen oft bis direkt an die Flussdeiche heran. Dieses Problem würde der Haak-Seedeich dadurch lösen, dass der Wasserspiegel zwischen dem Deich und der heutigen Küste auf seinem jetzigen Niveau gehalten würde. Die Deiche an den Flüssen müssten sich also nicht an den steigenden Meeresspiegel anpassen. Sehr wohl angepasst werden müssten sie aber an die Prognose erhöhter Extremwetterereignisse. Als Folge des Klimawandels rechnet man mit mehr Regenkatastrophen. Siehe auch Erderwärmung ↗

Wie kommt das Flusswasser letztendlich auf Meereshöhe?


Die geplanten Becken zwischen dem Seedeich und der jetzigen Küstenlinie liegen langfristig einen bis 5 oder 10 Meter unterhalb des jetzigen Meeresspiegels. Wenn die Flüsse wie Schelde, Maas, Rhein, Ijssel, Ems, Weser oder Elbe zukünftig also in solche Becken münden, stellt sich die Frage, wie das Wasser dann von diesen Becken in die offene See gelangt. Die offene See liegt ja langfristig möglicherweise einige Meter höher als die Becken. Hier sieht das Konzept letztendlich Pumpen vor, die mit Hilfe grüner Windenergie betrieben werden. Liegt das Niedrigwasser bei Ebbe niedriger als die Flüssmündung benötigt man jedoch noch keine Pumpen im Dauereinsatz. Dort genügt ein sogenanntes Siel ↗

Ewigkeitskosten: das Wasser muss nach oben


Im deutschen Ruhrgebiet sind durch den untertägigen Abbau von Steinkohle viele Gebiete um viele Meter nach unten gesackt. Diese muldenartigen Landschaften würden von alleine auf Dauer mit Regen- und Bachwässern vollaufen, also "absaufen". Um das zu verhindern muss das Wasser "in alle Ewigkeit" abgepumpt werden, man spricht hier von den sogenannte Ewigkeitskosten. Solche Ewigkeitskosten kennen auch die Niederlande: wo das Land tiefer liegt als der Meeresspiegel, muss das Wasser nach oben gepumpt werden. Vor allem dazu dienten übrigens die vielen Windmühlen in den Niederlanden. Hier stehen nun einige Daten und Hinweise, mit deren Hilfe man die nötige zu installierende Leistung abschätzen kann, die dauerhaft das Wasser des Flusses Rhein allein um eine bestimmte Anzahl von Metern nach oben in einen erhöhten Meeresspiegel pumpen müsste. Die physikalischen Fakten zur Berechnung der dazu nötigen Pumpleistung stehen im Artikel zur Hubleistung ↗

Abschätzung der Ewigkeitskosten als Überschlag


Der durchschnittliche Abfluss des Rheins bei Emmerich (Grenze BRD/NL) wird mit etwa 2300 Kubikmetern Wasser in jeder Sekunde angeben. Dieser Wert traf zum Beispiel für eine Stichprobe[7] am 25. März 2023 recht genau zu. Ein Kubikmeter Wasser wiegt rund 1000 Kilogramm. Geht man von einem Anstieg des Meeres um einen Meter aus, müssten also für den Rhein alleine in jeder Sekunde 2,3 Millionen Kilogramm Wasser um einen Meter nach oben gehoben werden. Die dazu nötige Hubarbeit ergibt sich aus der physikalischen Formel m·g·h. Das kleine m ist dann die in jeder Sekunde zu hebende Masse von etwa 2,3 Millionen Kilogramm. Setzt man für den Ortsfaktor g hier 10 N/kg ein und für die Höhe h einen Meter so kommt man auf eine sekündliche Hubarbeit von 23 Millionen Joule oder rund 6,4 Kilowattstunden. Als Leistung wären das 23 Megawatt. Das entspricht in etwa 3 Intercity-Express-Zügen im Betrieb. Eine Kilowattstunde Strom kostete im Jahr 2023 etwa 40 Cent oder 0,4 Euro. Damit kommt man auf sekündliche Kosten von rund 2,5 Euro. Das klingt wenig, sind aber auf einen ganzen Tag hochgerechnet (mal 86400) immerhin rund 220 Tausend Euro. Verglichen mit den etwa 39 Millionen Euro pro Tag für de Straßen- und Brückenbau in Deutschland[9] ist das jedoch verschwindend gering, nämlich nur etwa 0,6 %.


Der Haak-Seedeich als Europäischer Seedeich


In weiteren Ausbaustufen soll der Seedeich von den weißen Kalksteinklippen im französischen Calais bis ins schwedische Göteborg reichen. Damit wäre auch die gesamte Ostsee mit Städten wie zum Beispiel Kiel, Lübeck, Kophenhagen, Stockholm, Helsinki und das polnische Danzig vor dem ansteigenden Meeresspiegel geschützt.

Wie würde sich die deutsche Küste verändern?


Auf Übersichtsskizzen zum europäischen Seedeich schließt die Deichlinie auch die jetzigen west- und ostfriesischen Düneninseln mit ein. Diese Inseln würden dann zu Inseln in einem Binnenmeer, den großen Wasserbecken zwischen dem Deich und der jetzigen Küstenlinie. Damit ginge auch der eigentliche Seecharakter der Landschaft - man denken an die fehlenden Wellen und Gezeiten - verloren. Das jetzige Wattenmeer als Naturlandschaft würde verschwinden. Siehe auch Wattenmeer ↗

Bis zu welchen Höhen darf der Meeresspiegel dann ansteigen?


10 Meter oder etwas mehr: im hier beschriebenen Entwurf gingen Butijn und Haak von einem Anstieg des Meeresspiegels von etwa 1,1 Metern bis zum Jahr 2100 und von maximal 5 Metern bis zum Jahr 2300 aus. Der Deich soll aber so ausgebaut werden können, dass bis zu 10 Metern oder mehr an Meeresspiegelanstieg verkraftbar wären. Hier sei angemerkt, dass ein vollständiges Abschmelzen der beiden Polkappen der Erde den Meeresspiegel um rund 66 Meter erhöhen würde. Dieses Szenario erscheint insofern durchaus realistisch, da Glaziologen das Abschmelzen der polaren Eismassen als selbstbeschleunigenden Effekt (Teufelskreis, Kippelement) sehen. Siehe mehr zur Gefahr abtauender Poleismassen im Artikel zur Polschmelze ↗

Gibt es Alternativen zum Seedeich?


In einer Studie im Auftrag des niederländischen Ministeriums für Wasserbau[8] wurden drei Grundstrategien zur Beantwortung eines Meeresspiegelanstiegs mit Zahlen verglichen: a) Beschützen, b) Seewärtswanderung und c) Mitbewegen. Der Haak-Seedeich fällt unter die Seewärtswanderung. Für diese gibt die Studie ein Potential von einigen wenigen Metern Meeresspiegelanstieg an. Das ist mehr als für die Erhöhung der gegenwärtigen Deiche, für die die Studie ein Potential von maximal ein bis zwei Metern sieht. Bei der dritten Variante, dem Mitbewegen unterscheidet die Studie das Aufschütten von Hügeln (Terpen), das Erhöhen von Häusern mit Stangen, den Bau schwimmender Wohnstätten (drijvend) oder die Migration. Hält man langfristig einen Anstieg des Meeresspiegels um mehr als 5 bis 10 Meter für möglich, bietet die Studie als einzige Möglichkeit den Bau schwimmender Wohnstätten oder einer Migration. Eine weitere Alternative wäre ein noch höheres Schutzwerk als der Haak-Seedeich, ein nordeuropäischer Abschlussdamm ↗

Fußnoten


Faculty of Civil Engineering. Delft University of Technology. In cooperation with Vryhof Ankers B.V. April 13, 1993.