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Gifford Lectures


Naturphilosophie


Basiswissen


Seit 1888, unterbrochen nur von 1942 bis 1945 durch den Zweiten Weltkrieg, werden jährlich an vier schottischen Universitäten je eine Vorlesungsreihe zu Themen der Naturwissenschaften in Verbindung mit Philosophie gehalten. Diese Vorlesungen sind heute bekannt als Gifford Lectures. Der Urheber, Adam Gifford (1820 bis 1887), verband mit diesen Vorlesungen ein sehr spezielles Ziel. Das ist hier kurz vorgestellt.

Ideengeschichtlicher Hintergrund


Lord Gifford stellte einen großen Teil seines Erbes zur Ausstattung einer Vorlesungsreihe zu naturphilosophischen Themen zur Verfügung. In seinem sehr ausführlichen Testament aus dem Jahr 1885[1] stellte er einige Bedingungen. Diese werden verständlich, wenn man den ideengeschichtlichen Hintergrund seiner Zeit betrachtet. Im Jahr 1782 wurde in Europa die letzte vermeintliche Hexe hingerichtet. Doch spätestens seit der Zeit Napoleons wurde die Macht der Kirche in vielen Ländern stark eingeschränkt und es wurde eine weitgehende Trennung von Staat und Kirche (Laizismus) eingeführt. Gleichzeitig erhoben die Naturwissenschaften immer lauter den Anspruch, letztendliche Grundwahrheiten der Welt besser erkennen zu können als kirchliche Institutionen. In Großbritannien beispielsweise entzündete sich der Streit zwischen Religion und Wissenschaft laut hörbar an Darwins Evolutionstheorie, die im Jahr 1859 veröffentlicht wurde. In Deutschland stritten von 1871 bis 1878 der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck und der Papst Pius IX über den politischen Einfluss der Kirche im Staat. Kann zum Beispiel eine Eheschließung gültig sein, ohne den Segen der Kirche? Im Jahr 1879 schließlich veröffentlichte der Papst ein offizielles Schreiben, in dem er den Vorrang der Offenbarung, das heißt der Bibel, vor jeder anderen Quelle von Wahrheit unmissverständlich festlegte[2]. Siehe dazu den Artikel Aeterni patris ↗

Gottesglaube als Forschungsfrage


Adam Gifford wollte eine Erkenntnis Gottes fördern, "ein Wissen von Gott, dem Unendlichen, das Alles, der erste und einzige Grund, die einzig und alleinige Substanz, das einzige Wesen, die einzige Realität, die einzige Existenz, das Wissen um sein Wesen und seine Eigenschaften, das Wissen über die Beziehung der Menschen und des Universums zu ihm, das Wissen über das Wesen und die Grundlage von Ethik und Moral, und über alle Zwänge und Pflichten die daraus erwachsen."

Im englischen Original Giffords Testament: "Natural Theology,’ in the widest sense of that term, in other words, ‘The Knowledge of God, the Infinite, the All, the First and Only Cause, the One and the Sole Substance, the Sole Being, the Sole Reality, and the Sole Existence, the Knowledge of His Nature and Attributes, the Knowledge of the Relations which men and the whole universe bear to Him, the Knowledge of the Nature and Foundation of Ethics or Morals, and of all Obligations and Duties thence arising’."

Konfession als Entbehrlichkeit


Wenn das Ziel die Erkenntnis von Gott war, so wollte Gifford doch keinerlei Glaubensrichtung bevorzugen. Ausdrücklich wies er jede Forderung nach einer konfessionellen Zugehörigkeit, ja überhaupt nach einem Glauben an Gott zurück. Wichtig waren alleine die Eignung der Referenten und ihr ehrlicher Wille, nach der Wahrheit zu suchen.

Im englischen Original von Lord Giffords Testament: "The lecturers appointed shall be subjected to no test of any kind, and shall not be required to take any oath, or to emit or subscribe any declaration of belief, or to make any promise of any kind; they may be of any denomination whatever, or of no denomination at all (and many earnest and high-minded men prefer to belong to no ecclesiastical denomination); they may be of any religion or way of thinking, or as is sometimes said, they may be of no religion, or they may be so-called sceptics or agnostics or freethinkers, provided only that the ‘patrons’ will use diligence to secure that they be able, reverent men, true thinkers, sincere lovers of and earnest inquirers after truth."

Offenbarungsglaube als Hinderungsgrund


Eine wichtige Bedingung für Gifford, dass zur Begründung von Argumenten (reliance) kein Bezug (reference) genommen werden darf auf irgendeine Form einer Offenbarung (revelation). Damit wandte sich Gifford unmissverständlich gegen die nur sechs Jahr zuvor veröffentlichte Schrift Aeterni patris des Papstes. Dieser hatte die Offenbarung wörtlich genannt und den Vorrang der Offenbarung (Bibel) vor jeder anderer Erkenntnisquelle festgelegt.

Im englischen Original von Lord Giffords Testament: "I wish the lecturers to treat their subject as a strictly natural science, the greatest of all possible sciences, indeed, in one sense, the only science, that of Infinite Being, without reference to or reliance upon any supposed special exceptional or so-called miraculous revelation. I wish it considered just as astronomy or chemistry is."

Liste der gehaltenen Vorträge seit 1888


Die Gifford Lectures sollten ursprünglich der schottischen Bevölkerung (the whole population of Scotland) dienen. Die hohe Qualifikation der Vortragenden und die Auswahl der Themen machten die Lectures aber bald weltweit bekannt. Die Breite der Themen und die Qualität der Referenten wird in der folgenden Liste der Vorträge seit 1888 deutlich.

Fußnoten