Orthogenese
Biologie
Basiswissen
Als Orthogenese oder auch Orthoevolution[5] bezeichnet man eine vermutete innere Tendenz der biologischen Evolution, meist gedacht als einen Aufstieg auf einer Stufenfolge von Komplexität hin zu höherer Organisiertheit[1]. Diesem Gedanken entgegen steht unter anderem die Beobachtung der sogenannten regressiven Evolution von Arten in Richtung mehr Primitivität. Gleichwohl bleibt der beharrliche Eindruck, dass die Evolution über lange Zeiträume Gebilde immer höherer Komplexität erschafft[6]. Das ist hier kurz mit einem beispielhaften Zitat vorgestellt.
Die Orthogenese der Primaten
Der französische Anthropologe Pierre Teilhard de Chardin hat von den 1920er bis 1950er Jahren eine kosmologische Sicht der Universums als Entwicklungsprozess hin zu einer immer höheren Vergeistigung formuliert. Passend dazu spricht Chardin von einer „spezifische[n] Orthogenese der Primaten (die sie zum Wachstum des Gehirns hindrängt) mit der aufsteigenden Orthogenese der organischen Materie zusammenfällt (die alle Lebewesen zu öherem Bewußtsein treibt)…“[4] Chardin Denken ist geprägt von einem Fortschrittsglauben an eine dem Kosmos innwohnende, immanente Höherentwicklung ↗
Die Orthogenese entgegen dem zweiten Hauptsatz
Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass Physiker als einzig sichere Tendenz im Universum die Zunahme von Zufälligkeit und Unordnung[7], messbar gemacht als Entropie gelten lassen: mit der Zeit gleichen sich Unterschiede, speziell der Temperatur, im Universum immer mehr aus. Damit versiegt aber irgendwann auch jede Grundlage für Lebensprozesse. Biologen hingegen erkennen in der Evolution des Kosmos eine Tendenz hin zu mehr Ordnung und Komplexität.[6] Wie lassen sich diese zwei gegenläufigen Tendenzen gedanklich versöhnen? Verschiedene Wissenschaftler sehen genau an diesem Widerstreit das wesentliche Merkmal von Leben angesiedelt. Sie verbinden das Leben mit der Fähigkeit, zumindest für begrenzte Zeit und begrenzte Räume Bereiche zu schaffen - nämlich ihre Körper - in denen entgegen dem kosmischen Trend zur Unordnung lokal und mindestens vorübergehend die Ordnung zunimmt. Die Idee, dass der einzige große Trend im Universum die Zunahme von Unordnung ist, wird oft ausgedrückt mit Hilfe der Idee von einem Zeitpfeil ↗
Fußnoten
- [1] Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererben erworbener Eigenschaften nach den Gesetzen organischen Wachsens. Ein Beitrag, zur einheitlichen Auffassung der Lebewelt, II. Theil. Orthogenesis der Schmetterlinge. Wilhelm Engelmann, Leipzig 1897.
- [2] Jean-Baptiste Pierre Antoine de Monet de Lamarck (1744-1829): Histoire naturelle des animaux sans vertèbres, présentant les caractères généraux et particuliers de ces animaux. 1815. [frühe Formulierung einer inneren Tendenz zu mehr Komplexität]
- [3] Francis Heylighen: The Growth of Structural and Functional Complexity during Evolution. In: F. Heylighen & D. Aerts (Herausgeber): The Evolution of Complexity. Kluwer Verlag, Dordrecht (NL). 1996.
- [4] Pierre Teilhard de Chardin: Der Mensch im Kosmos (französisches Original: le phenomene humain). Verlag C. H. Beck München. Sechste Auflage. 1959. Seite 167 f.
- [5] Orthoevolution. In: Spektrum Lexikon der Biologie. Abgerufen am 3. Mai 2023. Online: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/orthoevolution/48285
- [6] Wachsende Komplexität als Ergebnis von Metasystem-Transitionen: "Throughout the evolution of life, metasystems have consistently increased living system complexity (Miller and Miller 1990; Smith and Szathmáry 1995). Common examples include the emergence of prokaryotes, eukaryotes, multicellularity, sexuality, societies, and superorganisms […].These metasystems have emerged in a hierarchical and developmentally constrained nature […],through progressive and cooperative symbioses at various levels of biological organization […].This simply means that previous metasystems act as structured platforms for the emergence of higher cooperation […]" In: Cadell Last: Human metasystem transition (HMST) theory. Journal of Evolution & Technology. 25. 16. 2015. DOI: 10.55613/jeet.v25i1.36. Online: https://jeet.ieet.org/index.php/home/article/view/36/36
- [7] "Without any mystic appeal to consciousness it is possible to find a direction of time on the four-dimensional map by a study of organisation. Let us draw an arrow arbitrarily. If as we follow the arrow we find more and more of the random element in the state of the world, then the arrow is pointing towards the future; if the random element decreases the arrow points towards the past. That is the only distinction known to physics. This follows at once if our fundamental contention is admitted that the introduction of randomness is the only thing which cannot be undone." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort die Seite 69. Siehe auch Zeitpfeil ↗