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Die feinen Unterschiede


Soziologie


Basiswissen


Ob man lieber Wein trinkt oder lieber Bier wäre dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930 bis 2002) zufolge weniger ein Ausdruck eines individuellen, angeborenen Geschmacks sondern eher der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse. Das ist hier kurz vorgestellt.

Beispiel Museumsbesuch


„Wie oft gehen Sie ins Museum?“ In einem kleinen Film[4] mit Pierre Bourdieu als Erzähler sieht man ein Interview mit einem Mann, der nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht der höheren Bildungsklasse angehört. „Für Bilder oder Bildhauerei? Gar nicht! (pas du tout)“ antwortet der Mann. Bemerkenswert an dem Beispiel ist, dass zur Zeit Bourdieus Museumsbesuche in Frankreich oft recht preiswert oder sogar kostenlos waren. Dass jemand gar nicht ins Museum geht, kann also nicht alleine auf fehlendes Geldvermögen zurückgeführt werden. Es muss andere dafür Gründe geben.

Geschmack ist unbewusst


Die Handlungen (pratique) eher als sprachliche Äußerungen (discours) zeigen die wahren inneren Einstellungen (attitudes inconscientes) einer Person an. Das erklärt Bourdieu in einem kurzen Film[4]. Man muss also die Handlungen der Menschen studieren, um zu ihren wahren Einstellungen zu gelangen. Bourdieu selbst hatte zum Beispiel in Algerien umfangreiche Feldstudien durchgeführt und dazu auch die Sprache der Berber gelernt. In Frankreich setzte er seine detaillierten Studien weiter fort. Den Ansatz, Handlungen gegenüber Aussagen zu bevorzugen verdichtete er zum Konzept der Praxeologie ↗

Geschmack stabilisiert Klassen


Zur Zeit Bourdieus gab es unter linken Intellektuellen die Idealvorstellung einer Arbeiterkultur, eines Lebensstils des Proletariats, das Ausdruck eigenen Stolzes war und Elemente des Widerstandes gegen die Ungerechtigkeiten der Ausbeutung enthielten. Bourdieu hingegen sah in der Kultur der ärmeren Leute eher einen zweckmäßig angepassten Geschmack an das Angetroffene. Das was man sich leisten kann, findet man auch gut. Dabei orientiert sich der Geschmack der armen Leute immer auch am Geschmack der Reichen. So wird der Geschmack selbst zu einem stabilisierenden Element unterschiedlicher sozialer Klassen[5]. Welche Musik man gerne hört, was man isst, trinkt und wie man seine Wohnung einrichtet festigt die soziale Differenzierung ↗

Die Milieutheorie als gedanklicher Hintergrund


Pierre Bourdieu wird oft als Verteter der sogenannten Milieutheorie genannt: nach heutiger Deutung der Theorie wird das Verhalten von Menschen wesentlich geprägt von ihrem sozialen Umfeld, und nicht so sehr durch ihre genetischen Erbanlagen. Anders als etwa die Vorstellung von egoistischen Genen, die ganz unser Verhalten steuern, lässt die Milieutheorie den Optimismus zu, dass Menschen erfolgreich durch Erziehung geformt werden können. Siehe dazu auch Milieutheorie ↗

Was spricht gegen Bourdieus Theorie?


Bourdieu sieht einen starken Einfluss der Eltern der Schule und der sozialen Umgebung, in der man aufwächst, auf die Ausbildung von individuellen Geschmäckern und Lebensstilen (Habitus). Dass dies auf jeden einzelnen Menschen zutrifft wird aber zum Beispiel durch Zwillingsstudien widerlegt. Siehe dazu auch Zwillingsforschung ↗

Literatur [Auswahl]