Delayed-Choice-Experiment
Quantenphysik
© 2016
- 2025
Basiswissen
Ob sich Lichtteilchen in einem Doppelspaltexperiment als Welle oder Teilchen zeigen, entscheidet sich erst dann, wenn ein Experimentator seine Messanordnung festlegt, selbst dann, wenn die Lichtteilchen die Lichtquelle schon verlassen haben. Eine besondere Variante dieser Klasse von Versuchen ist der Quantenradierer.[8]. Es wird kontrovers diskutiert, ob diese Art von Experiment ein Anzeichen dafür ist, dass die Zukunft rückwärts in die Vergangenheit wirken kann.[3]
Es gibt Retrokausalität
Als Retrokausalität bezeichnet man eine Wirkung der Zukunft auf die Gegenwart. Dass die Zukunft in der Zeit rückwärts in die Gegenwart wirken kann wird von anerkannten Physikern durchaus ernsthaft erwogen.[3] Wie könnte das Doppelspaltexperiment in seiner Variante als Delayed-Choice-Experiment als Indiz dafür gedeutet werden?
Verfolgen wir den Weg eines Photons von der Photonenquelle bis zu letztendlichen Detektierung in einem Detektor. Nach klassischer Vorstellung verlässt das Photon die Quelle und geht dann als Teilchen gedacht durch einen der beiden Spalten. Als Welle gedacht könnte es auch durch beide Spalten gleichzeiti gehen.[7] Man geht nun davon aus, dass das Photon eines dieser beiden Möglichkeiten folgen musste. Ordnet man dem Photon ferner eine Geschwindigkeit zu, dann kann man folgern, dass es irgendwann die Wand mit den Spalten hinter sich gelassen haben muss. Es befindet sich dann auf dem Weg von der Wand mit den Spalten hin zu einem der mehreren Detektoren. Nun kann das Experiment so aufgebaut werden, dass man zu diesem Zeitpunkt - das Photon hat die Spalten schon hinter sich gelassen - entscheidet, welchen der mehreren Detektoren man tatsächlich benutzt. Und jetzt kommt der springende Punkt: je nachde welche Detektoren man benutzt, zeigt sich auf einem Schirm entweder ein Interferenzmuster oder nicht. Zum Interfrenzmuster passt nur das Wellenbild. Fehlt das Interferenzmuster, passt das Teilchenbild des Photons. Das kann man so deuten, dass die Wahl des Detektors NACH DEM DURCHGANG DES PHOTONS DURCH DEN DOPPELSPALT darüber entscheidet, ob das Photon vorher, nämlich beim Durchgang eine Welle war oder ein Teilchen. Damit hätte man eine Ursache (die Wahl des Detektors), die in der Zeit rückwärts bestimmt, was vorher passierte. Eine solche zeitlich rückwärts gerichtete Beziehung von Ursache und Wirkung nennt man Retrokausalität ↗
Es gibt keine Retrokausalität
Die Klasse der Delayed-Choice-Experimente kann als Indiz dafür aufgefasst werden, dass es Retrokausalität gibt. Denn erst nachdem Photonen die Photonenquelle verlassen und einen der Spalten im Doppelspaltexpeiment durchquert haben müssten, kann man durch die Wahl seiner Messung rückwirkend festlegen, durch welchen Spalt es gegangen sein müsste.
Diese Deutung ist aber nur zwingend, wenn man dem betrachteten Quantenobjekt, hier dem Photon im Doppelspaltexperiment, einen reale Existenz vor seiner Messung zuweist.
Das Paradoxon tritt jedoch nicht auf, wenn man den Quantenzustand bloß als Ausdruck unseres Wissens über das Quantensystem auffasst, und nicht als Aussagen über die physikalische Realität. Das ist der Kerngedanke der sogenannten Kopenhagener Deutung der Quantenphysik.[5] So ist der Quantenzustand nur eine Auflistung der Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten verschiedener Messergebnisse. Dem Quantenobjekt für die Zeit vor der Messung eine zeitliche Abfolge seiner Zustände zuzuordnen wird damit unerheblich. Nimmt man diesen Standpunkt ein, tritt keine Paradoxon auf, gibt es nicht zwingend eine Retrokausalität.[6] Diese Deutung wirft aber die philosophische Frage auf, ob ein Quantenobjekt, etwa ein Photon, vor der Messung überhaupt existierte. Siehe auch Existenz ↗
Fußnoten
- [1] John Archibald Wheeler: The “past” and the “delayed-choice” double-slit experiment. In: Marlow, R. (ed.) Mathematical Foundations of
- [2] Jacques, V., Wu, E., Grosshans, F., Treussart, F., Grangier, P., Aspect, A., Roch, J.F.: Experimental realization of Wheeler’s delayed-choice gedanken experiment. Science 315(5814), 966–968. 2007. - [1 Ma, X., S. Zotter, J. Kofler, R. Ursin, T. Jennewein, C. Brukner und A. Zeilinger: Experimental delayed-choice entanglement swapping. Nature Physics 8, S. 479–484. 2012. Online: https://doi.org/10.1038/nphys2294
- [2] Manning, A. G., R. I. Khakimov, R. G. Dall und A. G. Truscott: Wheeler’s delayed-choice gedanken experiment with a single atom. Nature Physics 11, S. 539–542. 2015. Online: https://doi.org/10.1038/nphys3343
- [3] Dass der Fluss der Zeit auch rückwärts laufen kann, das lässt der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman (1918 bis 1988) am Beispiel der Streuung von Photonen an Elektronen offen. Er beschreibt eine "befremdliche, aber reale Möglichkeit", nämlich "ein Elektron emittiert ein Photon, eilt in der Zeit zurück, um ein Photon zu absorbieren und setzt dann seinen Weg in der Zeit vorwärts fort". In: Richard Feynman: QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie. Piper Verlag. 1. Auflage 1992. ISBN: 3-492-21562-9. Dort, zusammen mit einer Skizze, auf Seite 114, und dann noch einmal ausführlicher auf Seite 116. Siehe auch QED (Feynman) ↗
- [4] Es gibt keine Retrokausalität: "Delayed choice experiments constitute a class of experiments with the general feature that “quantum effects can mimic an influence of future actions on past events”". In: Waaijer, M., Van Neerven, J. Delayed choice experiments: an analysis in forward time. Quantum Stud.: Math. Found. 11, 391–408 (2024). Open Access: https://doi.org/10.1007/s40509-024-00328-5
- [5] Niels Bohr gilt als geistiger Vater der sogenannten Kopenhagener Deutung der Quantenphysik. Speziell zum Doppelspaltexperiment zweifelte er an, ob ma den Photonen einen realen Zustand vor einer Messung zuschreiben kann: "Bohr asked about it once - where can the photon be said to be in its travel from the entrance to the reception? To be, he said, what does it mean, to be? We have no right to speak of where the photon is, what it's doing. It's like a great smoky dragon: the tail is definite where it enters the equipment, the mouth is definite where it bites the observing device, but in between it's nonsense to talk of what it's doing." In: Paul Davies, David Deutsch, John Archibald Wheeler, Frank Tipler, Martin Redfern: The anthropic universe. Radio Präsentation vom 18. Februar 2006. ABC Radio Australia. Siehe auch Kopenhagener Deutung ↗
- [6] Nur wenn man Quantenobjekte als real existierend ansieht, folgt eine Retrokausalität: "If one viewed the quantum state as a real physical object, one could get the paradoxical situation that future actions seem to have an influence on past and already irrevocably recorded events. However, there is never a paradox if the quantum state is viewed as no more than a ‘catalogue of our knowledge’. Then the state is a probability list for all possible measurement outcomes, the relative temporal order of the three observers’ events is irrelevant and no physical interactions whatsoever between these events, especially into the past, are necessary to explain the delayed-choice entanglement swapping." In: Waaijer, M., Van Neerven, J. Delayed choice experiments: an analysis in forward time. Quantum Stud.: Math. Found. 11, 391–408 (2024). Open Access: https://doi.org/10.1007/s40509-024-00328-5
- [7] Denkt man sich ein Quantenobjekt gleichzeitig als Wellengebilde und als Teilchengebilde, obwohl sich die Sichten eigentlich gegenseitig ausschließen sollten, denkt man im sogenannten Welle-Teilchen-Dualismus ↗
- [8] Ein Quantenradierer wurde erstmals vorgeschlagen in: Scully, M.O., Drühl, K.: Quantum eraser: a proposed photon correlation experiment concerning observation and “delayed choice” in quantum mechanics. Phys. Rev. A 25, 2208–2213. 1982. Siehe auch Delayed-Choice-Experiment ↗
- [9] Die Retrokausalität am Beispiel des Wheeler-Experiments: "In this sense, we have a strange inversion of the normal order of time. We, now, by moving the mirror in or out have an unavoidable effect on what we have a right to say about the already past history of that photon.” […] “Thus one decides whether the photon ‘shall have come by one route [as particle] or by both routes [as an interfering wave]’ after it has already done its travel” " In: Scully, M.O., Drühl, K.: Quantum eraser: a proposed photon correlation experiment concerning observation and “delayed choice” in quantum mechanics. Phys. Rev. A 25, 2208–2213. 1982.