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Mythos


Philosophie


Basiswissen


Das Gilgamesch Epos der Sumerer, das Popol Vuh der Maya, Hesiods Theogonie oder auch die biblische Schöpfungsgeschichte: ein Mythos ist eine „Erzählung, die Identität, übergreifende Erklärungen, Lebenssinn und religiöse Orientierung als eine weitgehend kohärente Art der Welterfahrung vermittelt“[1]. Dem Metzler Philosophie Lexikon zufolge heißt Mythos dem Wortsinn nach Erzählung und wird aus Sicht der Philosophie dem Logos (Vernunft, Rationalität) meist abwertend gegenübergestellt[2]. Hier ist der Mythos kurz als sinnstiftendes Gedankengebäude charakterisiert.

Der Mythos gibt Sinn und Zusammenhang


Der Gott der Bibel schuf den Kosmos und die Erde und er gab dem Menschen darin einen vorgesehenen Platz im Paradies. Auch in der Mythologie der mittelamerikanischen Maya-Kultur, dem Popol Vuh, waren es Götter, die die Menschen erschufen. Im sumerischen Gilgamesch-Epos stehen die Menschen in vielerlei Beziehungen zu den Göttern. Schamanische Mythen verbinden die Welt der Menschen auf vielfache Weise mit einer übersinnlichen Welt der Geister und Tierwesen: als roter Faden durch so gut wie alle Mythen zieht sich die Idee, dass das Leben der Menschen Teil einer größeren Beziehungsgeflechtes ist. Damit verleihen die Mythen auch das Gefühl, Teil einer größeren Geschichte zu sein. Der einzelne Mensch, sofern er Bedürfnis danach hat, muss sich nicht mehr als bedeutungslose Randfigur fühlen. Wer er ist und was er tut genießt die Aufmerksamkeit höherer Wesen.

Der Mythos überwunden vom Logos


Mythen stellen Behauptungen auf. Es sind Erzählungen. Sie erzählen, wie die Welt entstand (Genesis), was unser Platz darin ist (Neues Testament), und zum Teil auch, wie die Welt enden wird (Apokalypse, Ragnarök). Was Mythen üblicherweise nicht anbieten sind Hinweise auf logische Lücken (wozu pflanzte Gott den Baum den Erkenntnis im Paradies), innere Widersprüche (wenn Adam und Eva die ersten Menschen waren, wer schuf dann die zeitgleich lebenden anderen Menschen?) oder auch, wie man ihre Gültigkeit überprüfen könnte. Dieser Gedankenfunke, nämlich die Mythen einem Test der Logik zu unterziehen, leuchtete Wohl zum ersten Mal beständig im antiken Griechenland auf. Dort waren es Denker wie Demokrit, Thales von Milet oder auch Pythagoras, die alles mit der eigenen Rationalität prüfen wollte. Dabei kam es über die Jahrtausende jedoch zu einem tragischen Verlust: was dem Logos, dem rationalen Denken zugänglich war, verlor gleichsam an erfühlbarem Sinngehalt. Was die Naturwissenschaftler und Logiker herausarbeiteten glich zunehmend einem sinnfreien, kalten Weltmechanismus. Siehe dazu den Artikel Laplacescher Dämon ↗

Der Mythos in Übereinstimmung mit dem Logos


Ein bemerkenswertes Projekt der Logik was die chirstlich-abendländische Scholastik. Beginnend irgendwo im 9ten Jahrhundert nach Christus, begannen christliche Denker die Überlieferung der Bibel rational begründe zu wollen. Logik und christliche Offenbarung (Mythus) sollten sich gegenseitig stützen und zu einer stimmigen Weltanschauung zusammengeführt werden. Nicht nur an Gott zu glauben, sondern auch Gott beweisen zu können verköperte diesen Anspruch. Als Hochpunkt dieser Strömung gilt das Werk des Thomas von Aquin. Siehe mehr dazu im Artikel zur Scholastik ↗

Der mythische Sinn als Whiteheadsche Kohärenz


Die Welt als Ganzes und die Welt der Menschen stehen im Mythos in einem engen Zusammenhang. Der englische Logiker Alfred North Whitehead (1861 bis 1947) fasste den größtmöglichen sinnstiftenden Zusammenhang als Kohärenz: kein Teil ist ohne das Ganze sinnvoll denkbar. Aber auch umgekehrt gilt: das Ganze gibt keinen Sinn ohne jedes einzelne seiner Teile. Insofern die Menschen ihren Zweck und ihre Bestimmung von den Göttern empfangen haben, umgekehrt die Götter aber auch Anteil nehmen am Geschick der Menschen passt auf solche Mythen die Denkfigur Whiteheadsche Kohärenz ↗



Fußnoten