Maschinenwesen Historisch Basiswissen Als Maschinenwesen bezeichnete man im 19ten Jahrhundert die Gesamtheit aller Maschinen sowie auch deren Organisation, Betrieb und Nutzung. Schon früh hatte sich die Frage zugespitzt, ob die Maschinen dem Menschen die Arbeit gänzlich wegnehmen oder sie sogar zum Wohle aller letztendlich vermehren. Damals wie heute ist der Befund zwiespältig. Das Maschinenwesen als Automat Das Wort Maschinenwesen ist zunächst zweideutig. Es kann zum einen eine Maschine als Wesen bezeichnet. Automaten, Roboter, künstliche Intelligenzen oder auch auch Mischwesen, sogenannte Cyborgs könnte man darunter fassen. So hatte im Jahr 1743 der französische Philosoph Julie Offray de La Mettrie seine provokative Schrift vom Menschen als Maschine veröffentlicht [8]. Siehe dazu auch Der Mensch eine Maschine ↗ Das Maschinenwesen als soziales Phänomen Eine zweite Bedeutung fasst das Maschinenwesen als die Gesamtheit und Folgen von Maschinen in der menschlichen Gesellschaft auf. Ähnlich wie bei den Worten Kaufmannswesen, Militärwesen, Verwaltungswesen bezeichnet Wesen dann eher eine feste Form einer Organisatione oder eines Brauchtums innerhalb menschlicher Gesellschaften. Der Artikel hier behandelt nur diese Bedeutung. Die Industrialisierung als geschichtlicher Hintergrund Im 18ten Jahrhundert erlebte die mechanisierte Fertigung von Massenprodukten erstmals große Verbreitung. Zwar war in den sogenannten Manufakturen oft noch ein großes Maß an Handarbeit nötig, doch übernahmen Maschinen immer mehr menschliche Tätigkeiten. Organisatorisch eng damit verbunden war auch eine zunehmende Arbeitsteilung [1]. Als dann durch die Maschinen Menschen von ihren bisherigen Erwerbsquellen verdrängt wurden, etwa durch Webmaschinen, kam es zu sozialen Unruhen (Weberaufstände!) und sogar zu organisierten Zerstörungen von Maschinen. Das frühe 19te Jahrhunderte ist auch die Zeit der Maschinenstürmer, in England der sogenannten Ludditen. Siehe dazu auch Industrialisierung ↗ Das Maschinenwesen bereitet Unbehagen Nicht nur der unmittelbare Verlust einer eigenen Einkommensquelle löste in der Zeit der beginnenden Industrialisierung Unbehagen aus. Landschaften verloren ihren natürlichen Charakter, es kam zu einer Vermehrung städtischer Armut (Industrieproletariat) und der Lebensrhythmus schien sich zu beschleunigen. Anlässlich der Einweihung der ersten preußischen Eisenbahn, zwischen Berlin und Potsdam, klagte der damalige König Friedrich Wilhelm III (1770 bis 1840) skeptisch "Unser Zeitalter liebt den Dampf. Alles soll Karriere gehen. Die Ruhe und Gemütlichkeit leidet aber darunter [5]" Unter Karriere verstand man zu jener Zeit vor allem den schnellen Lauf eines Pferdes oder auch die Bahn eines Fahrenden [6], erst nachgeordnet, die Laufbahn eines Menschen oder seine bürgerlichen Verhältnisse [7]. Das Unbehagen an diesem Maschinenwesen drückte unter anderem der Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749 bis 1832) aus [2]. Siehe dazu Das überhandnehmende Maschinenwesen ↗ Das Maschinenwesen im 19ten Jahrhundert: neue Arbeitsplätze Neben den offensichtlichen Nachteilen für individuelle Schicksale [3], erkannte aber bereits 1836, kurz nach Goethes Ableben (1832), ein Lexikon an, dass Maschinen nicht nur Arbeitsplätze zerstören, sondern wohl auch schaffen [4]: "Das Maschinenwesen hat seit dem Anfange dieses Jahrhunderts einen bis ins Bewundernswürdige gehenden Aufschwung genommen. Menschen- und Thierkräfte, Wind und Wasser werden jetzt immer seltener benutzt. Der Dampf muß Alles ersetzen; viele Arbeiten, die sonst die Kräfte der Menschen in Anspruch nahmen, hat man dem Dampfe überlassen. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die Vervollkommnung des Ganzen dadurch viel gewonnen hat, die Frage ist nur noch unentschieden, ob nicht eine große Menschenmasse dadurch brodlos geworden? Aber auch dieß scheint zum Vortheil des Maschinenwesens beantwortet werden zu müssen, da gerade nirgends mehr Menschen beschäftigt sind, als in Fabriken, welche ihre Geschäfte durch Maschinen betreiben." Das Maschinenwesen im 21ten Jahrhundert: technologische Singularität Die Frage ob eine Zunahme des Maschinenwesens letztendlich die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen könnte konnte zumindest für die Zeit der Industrialisierung auch rückblickend klar mit einem Nein beantwortet werden. Die Lösung lag darin, dass die Maschinen dem Menschen körperliche Arbeiten abnahmen und er dadurch zunehmend frei wurde für geistige oder kulturelle Tätigkeiten. 1832 gab es noch keine nennenswerte "Tourismusindustrie", kaum eine "Spiele-" oder "Filmindustrie", doch sie konnten entstehn, als dafür Arbeitskräfte frei wurden. Doch als Ende 2022 erstmals die künstliche Intelligenz ChatGPT komplexe menschliche Sprache verblüffend hochwertig selbst erzeugen konnte, erfuhr die Frage nach der Verdrängung des Menschen durch Maschinen erneut an Dringlichkeit. Bleibt man bei der Analogie mit der Industrialisierung, so stellt sich heute die Frage, in welche höherwertigen Tätigkeitsfelder der Mensch sich entwickeln - oder flüchten - könnte. Kann es sein, dass Maschinen, und dazu zählen im soziologischen Sinn auch Computer, in naher Zukunft sozusagen fast jede geldwerte Tätigkeit besser oder zumindest akzeptabel und billiger als Menschen werden ausführen? Diese Frage erfährt gerade dadurch an Dringlichkeitkeit, da wir uns eine Lebenswelt geschaffen haben, in der die ökonomische Nützlichkeit die einzig zuverlässige Quelle von Einkommen ist. Schwinden die Einkommensmöglichkeiten, entgleitet dem individuellen Menschen oder der Menschheit als Ganzes die einzig zuverlässige Daseinsberechtigung in einer nutzenorientierten Ökonomie. Werden wir dazu gedrängt, uns als Cyborgs maschinell aufzurüsten? Oder müssen wir in eine Preiskonkurrenz mit Maschinen treten, was letztendlich zu einer Degeneration der menschlichen Art führen könnte? Diese gänzlich neue Qualität des Computer-Maschinenwesens wird angesprochen im Artikel technologische Singularität ↗ Fußnoten [1] Zu einer Art Koevolution von Arbeitsteilung und Maschinenwesen schreibt Adam Smith um das Jahr 1760 : "Every body must be sensible how much labour is abridged and facilitated by the application of proper machinery. By means of the plough two men, with the assistance of three horses, will cultivate more ground than twenty could do with the spade. A miller and his servant, with a wind or water mill, will at their ease grind more corn than eight men could do, with the severest labour, by hand mills. To grind corn in a hand mill was the severest work to which the antients commonly applied their slaves, and to which they seldome condemned them unless when they had been guilty of some very great fault. A hand mill, however, is a very ingenuous machine which greatly facilitates labour, and by which a great deal of more work can be performed than when the corn is either to be beat in a mortar, or with the bare hand, unassisted by any machinery, to be rubbed into pouder between two hard stones, as is the practice not only of all barbarous nations but of some remote provinces in this country. It was the division of labour which probably gave occasion to the invention of the greater part of those machines, by which labour is so much facilitated and abridged. When the whole force of the mind is directed to one particular object, as in consequence of the division of labour it must be, the mind is more likely to discover the easiest methods of attaining that object than when its attention is dissipated among a great variety of things. He was probably a farmer who first invented the original, rude form of the plough. The improvements which were afterwards made upon it might be owing sometimes to the ingenuity of the plow wright when that business had become a particular occupation, and sometimes to that of the farmer." In einem frühen Entwurf (um 1760) zu seinem späteren Buch On the Wealth of Nations. Online: https://oll.libertyfund.org/quote/adam-smith-on-the-greater-productivity-brought-about-by-the-division-of-labor-and-technological-innovation-1760s [2] Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden. Erste Veröffentlichung im Jahr 1821. [3] Charles Dickens: Harte Zeiten (auch: Schwere Zeiten, original: Hard Times). 1854. [4] Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 133-134. Online: http://www.zeno.org/nid/20001749625 [5] Sebastian Haffner: Preußen ohne Legende. Ein Stern-Buch, mit einem Bildteil von Ulrich Weyland. Herausgegeben von Henri Nannen. Gruner+Jahr Verlag, Hamburg. 1978. ISBN: 3-570-01123-2. Das Zitat findet sich als Bildunterschrift auf Seite 201. [6] "Carrière (v. fr., spr. Karriähr), 1) eine Bahn für Laufende, Reitende od. Fahrende; 2) die schnellste Gangart eines Pferdes, s.u. Reitkunst; 3) die bürgerlichen Verhältnisse, in welchen ein Mann nach u. nach lebt, bes. die öffentlichen Anstellungen, zu welchen er gelangt." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 712. Online: http://www.zeno.org/nid/20009643583 [7] "Carrière (frz. Carriähr), der volle Schnelllauf eines Pferdes, der gestreckteste Galop; die dienstliche Laufbahn eines Menschen." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 14. Online: http://www.zeno.org/nid/20003261336 [8] Julien Offray de la Mettrie: Die Maschine Mensch. 1748. Siehe auch Der Mensch eine Maschine ↗ Der Bahnhof in Berlin-Potsdam im Jahr 1843: dem König Friedrich Wilhelm III von Preußen war das zu viel "Karriere", das heißt zu schnell. Was wir heute vielleicht als gemütliche Nostalgie empfinden, war damals für manche ein Warnsignal einer neuen Zeit. Ubekannt Arbeitsteilung Big History Bot [als Software] Das überhandnehmende Maschinenwesen [Dystopie aus dem Jahr 1821] Der Mensch eine Maschine [1748] Entfremdung Geschichte Industrialisierung Kapitalismus Machina sapiens [Dystopie aus dem Jahr 2000] Roboter [körperlich] Technologische Singularität [21tes Jahrhundert] Wesen [an sich] Maschinenwesen auf Wikipedia Zurück zur Startseite