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Großer Filter

Physik

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Definition


Als Großen Filter bezeichnet man ein alles-oder-nichts Ereignis, das darüber entscheidet, ob eine Zivilisation die Stufe der interstellaren Raumfahrt oder Kommunikation erreicht. In seiner positiven Formulierung ist es ein notwendiges Ereignis, um diese Stufe zu erreichen. In seiner negativen Formulierung ist es ein Ereignis, das Zivilisationen auslöscht. Beide Versionen sind hier kurz vorgestellt.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Links die Welt wie wir sie kennen: Krieg und eine unbändige Zerstörung unserer Umwelt. Rechts eine Welt, wie sie sein könnte als Ergebnis eines großen Sprunges in unserer Evolution. Wenn ein solcher Entwicklungssprung für die Ausbildung dauerhaft erfolgreicher Zivilisationen im Weltraum notwendig wäre, dann wäre dieser Sprung auch ein ein Großer Filter: nur wer es packt, den Filter erfolgreich zu durchleben, wird bestehen. Der düstere Umkehrschluss ist: wenn man im Weltraum nirgends raumfahrende Zivilisationen sieht, dann ist der Große Sprung hin zur Friedfertigkeit eher unwahrscheinlich.☛


Grundidee


Die Idee eines Großen Filters ist verbunden mit dem sogenannten Fermi-Paradoxon: wenn die Entstehung von intelligentem Leben auf den zig erdähnlichen Planeten in unserer Galaxie einigermaßen wahrscheinlich ist, dann müssten wir doch im Kosmos zumindest einige Anzeichen für intelligente Zivilisationen finden. Stattdessen vernehmen wir nur ein "Großes Schweigen".

Die vielen Berichte von UFO-Sichtungen seit den 1940er Jahren gelten nicht als sicherer Beleg für den Besuch durch fremde Wesen. Das seit Jahrzehnten laufende SETI-Projekt horcht den Weltraum nach Signalen von Aliens ab, bisher ohne Erfolg. Nirgends im Weltraum sieht man Anzeichen großer Kriege oder Ansammlungen von Müll, die beide als zynisches Indiz für intelligente Wesen stehen könnten.

Vielleicht ist im Weltraum erdähnliches Leben millionenfach entstanden. Aber vielleicht erreichte es niemals die Höhe der Entwicklung, um den Weltraum besiedeln zu können. Entweder gibt es in der Entwicklung von Leben im Weltraum ein extrem unwahrscheinliches Ereignis das für raumfahrende Gesellschaften aber zwingend nötig ist. Das wäre ein positiv formulierter Großer Filter. Oder aber es gibt ein extrem wahrscheinliches Ereignis, dass jede Zivilisation vor Erreichen der Stufe der Raumfahrt auslöscht. Das wäre die negativ formulierte Variante.[5]

Logisches Muster der Argumentation


Das formal-logische Grundmuster der Argumentationskette hin zu einem Großen Filter ist eine sogenannte Abduktion. Ihr Grundschema ist: man beobachtet eine überraschende Tatsache C. Wenn aber die Aussage A wahr wäre, dann wäre C nicht mehr überraschend. Als könnte A wahr sein. Im Bezug auf den Großen Filter ginge das dann so:

  • C ist die überraschende Beobachtung: der Kosmos scheint komplett unbelebt zu sein.
  • A ist die erklärende Annahme: intelligentes Leben ist sehr unwahrscheinlich.
  • C wird beobachtet, also müsste/könnte A wahr sein.

Der US-amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce (1839 bis 1914) vermutete, dass die meisten neuen Gedanken auf diesem Weg der Abduktion entstehen. Siehe mehr dazu im Artikel zur Abduktion ↗

Positive Filter


Der Ökonom Robin Dale Hanson gilt heute als Urheber des Begriffs vom Großen Filter.[1] In einer erdgeschichtlichen Betrachtung des Lebens macht er insgesamt 9 Ereignisse aus, die alle zwingend durchlaufen werden müssen, soll am Ende auf einem Planeten eine raumfahrende Zivilisation entstehen. So müssen erst einmal evolutionär sich entwickelnde Moleküle entstehen, daraus dann pro- und später eukaryotische Zellen. Noch später muss es zu einer sexuellen Vermehrung und wiederum später zum Gebrauch von Werkzeug kommen. Wenn jede dieser Stufen zwingen durchlaufen werden müsste, dann wäre das alles Große Filter in ihrer positiven Formulierung.

Evolutionsbiologen halten die einzelnen Ereignisse aber für eher wahrscheinlich. Siehe gehen sogar von einer inneren Tendenz der biologischen Evolution zu ständig mehr Komplexität aus. In großen Sprüngen, den Transitionen, erreicht das Leben fast zwangsläufig immer höhere Stufen der Entwicklung. Siehe dazu im Artikel evolutionäre Transitionen ↗

Aber möglicherweise liegt der Große Filter nicht in unserer naturgeschichtlichen Vergangenheit sondern in der Zukunft, so Hanson. Zwischen unserem Heute und dem Beginn einer explosionsartigen Kolonisierung des Weltraums, könnten nötige Entwicklungsstufen liegen, die für alle kosmischen Zivilisationen extrem unwahrscheinlich sind. Hanson nennt zwei Beispiele.

  • 1) Um die Selbstauslöschung durch Atomwaffen zu verhindern müssten wir lernen, mit anderen Gruppen in gegenseitigem Respekt (mutual respect) zu leben. Dieser Schritt müsste von jedem Individuum einer Zivilisation mitgetragen werden.[2]
  • 2) Die einzige Möglichkeit zum Überleben der Krise ist, dass wir unsere Neigung zu materiellem Wachstum überwinden und sie durch immaterielle Ziele ersetzen.[3]

Die Filter wären hier also ähnlich der Idee eines Escape-rooms nötige Erfolge, um auf einen höheren "Level" des Spiels zu gelangen.

Negative Filter


Logisch gleichwertig mit dem positiven Filter als notwendiges Ereignis für den Erfolg, so Hanson sinngemäß, sei der negative Filter als hinreichendes Ereignis für die Verhinderung des Erfolgs. Wie so oft fallen einem für das Unerwünschte oft viel mehr realistisch anmutende Beispiele ein als für das Erwünschte. Bevor sie das Stadium der Raumfahrt erreichen, erleiden alle Zivilisationen im Kosmos einen Rückschlag.

  • Alle Zivilisationen löschen sich in Nuklearkriegen aus.
  • Alle Zivilisationen löschen sich mit einer ökologischen Katastrophe aus.
  • Alle Zivilisationen schaffen sich selbst ab, ersetzt durch künstliche Intelligenz.[5][6][7]

Und so weiter. Der größere Rahmen um diese Idee eines Großen Filters ist ausführlicher behandelt im Artikel zum sogenannten Fermi-Paradoxon ↗

Persönliche Einschätzung


Vielleicht ist das WOZU des ganzen kosmischen Geschehens ein hilfreicher Fingerzeig. Wozu könnte es so etwas wie einen Großen Filter geben? Mir fallen da spontan zwei Möglichkeiten ein. Erstens könnte die Welt die wir sehen eine Arena sein, in der wir uns bewähren müssen. So wie man bei vielen Computerspielen von Level zu Level fortschreitet, könnte unser Kosmos einer von mehreren Levels sein. Zivilisationen, die den Test des Großen Filters bestehen erreichen den nächsten Level und sind für uns dann nicht mehr sichtbar. Das stimmt optimistisch. Wenn es im Kosmos keine Zivilisationen oberhalb unserer Entwicklungsstufe gibt, dann könnten wir kurz vor dieser Art kollektiver Himmelfahrt stehen. Es könnte aber auch sein, dass in das kosmische Computerspiel eine Art Game Over Event eingebaut ist. Begeht einen bestimmten Fehler, landet man als Zivilisation im Permadeath. Soweit die erste Möglichkeit. Die zweite Möglichkeit könnte sein, dass der für uns sichtbare Kosmos eine Art Brutstätte, ein Kulturboden dafür ist, dass wir als Intelligenzen ein vorher definiertes Stadium errreichen und dann "abgeerntet" werden. Wie dem auch sei, mir scheint es wichtig zu sein, bei allen Spekulationen sich von einem WOZU inspieren zu lassen.

Fußnoten


  • [1] Als Urheber der Idee eines großen Filters gilt der Ökonom Robin Dale Hanson. Er wird mit den Worten zitiert: "since life does not appear to be common throughout the Universe, there must be some step in the evolution of life that is highly improbable – a Great Filter that must be overcome for life to exist". In: Robin Hanson: The Great Filter – Are Se Almost Past It? 1998. Online: https://mason.gmu.edu/~rhanson/greatfilter.html
  • [2] "Astronomers Sagan and Newman, for example, claim that either we will destroy outselves with nuclear weapons, or learn to 'live with other groups in mutual respect' by losing "our own predispositions to territoriality and aggression. … This adaptation must apply … with very high precision, to … every individual within the civilization", so that we become the 'least likely to engage in aggressive galactic imperialism'". In: Robin Hanson: The Great Filter – Are Se Almost Past It? 1998. Online: https://mason.gmu.edu/~rhanson/greatfilter.html
  • [3] "Papagiannis claims that 'those that manage to overcome their innate tendencies toward continuous material growth and replace them with non-material goals will be the only ones to survive this crisis,' implying a galaxy 'populated by stable highly ethical and spiritual civilizations'. And Stephenson claims that 'for a truly advanced intelligence the drive for quality rather than redundant quantity would be paramount'. In: In: Robin Hanson: The Great Filter – Are Se Almost Past It? 1998. Online: https://mason.gmu.edu/~rhanson/greatfilter.html
  • [4] Zum Faktor Angst: "if it is a step between here and a choice to explode that is very improbable, we should fear for our future" In: The Great Filter – Are Se Almost Past It? 1998. Online: https://mason.gmu.edu/~rhanson/greatfilter.html
  • [5] Zwei Versionen des Großen Filters: "One intriguing hypothesis is known as the Great Filter, which suggests that some event required for the emergence of intelligent life is extremely unlikely, hence the cosmic silence. A logically equivalent version of this hypothesis -- and one that should give us pause -- suggests that some catastrophic event is likely to occur that prevents life's expansion throughout the cosmos." In: AI als Großer Filter: Bailey, Mark M. 2023. Could AI Be the Great Filter? What Astrobiology Can Teach the Intelligence Community About Anthropogenic Risks. arXiv preprint arXiv:2305.05653. https://arxiv.org/abs/2305.05653
  • [7] AI als Großer Filter: Garrett, Michael A. 2024. Is Artificial Intelligence the Great Filter That Makes Advanced Technical Civilisations Rare in the Universe? arXiv preprint arXiv:2405.00042. https://arxiv.org/abs/2405.00042