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Deismus

Theologie

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Basiswissen


Als Deismus bezeichnet man heute die Position, dass Gott die Welt zwar erschaffen habe, aber in ihren Ablauf nicht weiter eingreift[9]. Insbesondere im 19ten Jahrhundert verband man mit Deismus auch die Vorstellung, dass die Idee eines Gottes aus der Vernunft hervogeht[1], dieser Gott auch ohne Offenbarung erkennbar ist[2], und dass Gott nicht mehr lenkend und steuernd in die Geschehnisse seiner Schöpfung eingreift[6]. Während bis um 1840 die Worte Deismus und Theismus zunächst noch als gleichbedeutende Synonyme verwendet wurden[1][2], wurden später die beiden Worte für unterschiedliche Bedeutungen verwendet.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Links läuft unserer Sonnensystem in zuverlässiger Regelmäßigkeit ab. Rechts, bewusst in einiger Entfernung entrückt gezeichnet, schaut der göttliche Urheber zu, nimmt aber keinen Einfluss. Nachdem Gott einmal die Welt und ihre Gesetze erschaffen hat, greift er nicht mehr. Das ist die Kernidee des Deismus. © Gunter Heim/ChatGPT ☛


Definitionen über ein Jahrhundert


Der Kerngehalt der Idee des Deismus ist eine gewisse Zurückweisung sichtbarer göttlicher Eingriffe in die von ihm geschöpfte Welt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gab es dabei eine leichte Verschiebung des Schwerpunktes. Aber der Kern blieb erhalten. Lesen wir einige originale Zitate aus historischen Lexika.

DEFINITION:

Brockhaus, 1809: "Der Deismus, die Lehre, nach welcher zwar eine Gottheit, aber nicht zu Folge einer Offenbarung, sondern zu Folge der Vernunft angenommen wird. Der Deist, derjenige, der dieser Lehre zugethan ist."[1]

Mit der Offenbarung sind die Texte der christlichen Bibel gemeint. Gott habe sich also nicht über die Bibel in der Welt gezeigt, sondern, so die Deisten, er zeigt sich erst als Ergebnis vernünftiger Gedanken. Immanuel Kant hatte in diese Richtung gedacht und dadurch Ärger mit der preußischen Zensur seiner Zeit bekommen. Lesen wir weiter.

DEFINITION:

Brockhaus, 1837: "Deismus nach lat. oder Theismus nach griech. Ableitung wird der Glaube an Gott, als letzten Grund und als Regierer aller Dinge genannt, jedoch nur, insofern die Überzeugung der Deisten genannten Anhänger dieses Systems sich auf Vernunftgründe, ohne Rücksicht auf die Offenbarung, stützt. Der eigentliche Gegensatz davon ist der Atheismus oder die Gottesleugnung, doch wird dem Deismus auch häufig der Offenbarungsglaube entgegengesetzt und dann ist der erstere gleichbedeutend mit Naturalismus."[2]

Wieder finden wir die Zurückweisung der biblischen Offenbarung als Beleg Gottes. Gott folgt nur aus logischen Gedanken, als Ergebnis der Vernunft. Das Lexikon rückt diese Position gleichzeitig in die Nähe des Athemismus, das heißt einer Leugnung der Existenz Gottes.

DEFINITION:

Herder, 1854: "Deismus, vom lat. deus oder Theismus vom griech. θέος heißt allgemein im Gegensatz zum Atheismus der Glaube an einen persönlichen Gott, näher jedes Lehrgebäude, welches einen außerhalb der Welt u. derselben unnahbar gegenüber stehenden Gott aufstellt. Historisch hat sich der D. im engern Sinne im Islam festgesetzt. In mehr oder minder unwissenschaftlicher Form und vorherrschend als Feindseligkeit gegen die geoffenbarte Religion repräsentirten den vernunftgläubigen D. zunächst die engl. und französ. Deisten, die sogen. starken oder Freigeister, deren Ansichten durch Uebersetzungen und die Encyklopädisten in der ganzen civilisirten Welt Verbreitung fanden. Die bekanntesten engl. und franz. Deisten: Cherbury, Hobbes, Blount, Shaftesbury, Toland, Collins, Wolstoon, Tindal, Morgan, Chubb, Bolingbroke, Voltaire, Rousseau."[3]

In der obigen Defintion aus dem Jahr 1854 wird der Deismus nun klar vom Atheismus abgegrenzt. Gott wird als außerhalb der Welt stehend und als "unnahbar" charakterisiert. Und wieder sehen wir die Nähe zur einer großen Betonung der Vernunft und zum Atheismus. Deismus scheint über Jahrzehnte hinweg auch den Geruch von Gottesleugnung ausgeströmt zu haben.

DEFINITION:

Pierer, 1858: "Deïsmus (v. lat., eigentlich vom Theismus nur insofern verschieden, als D. vom lat. deus, Theismus aber vom griech. ϑεός herkommt), 1) der religiöse Glauben, welcher das Dasein Gottes annimmt, Gott aber nur unter dem allgemeinen Begriffe der Vollkommenheit als Weltursache denkt, ohne weiter auf andere Eigenschaften einzugehen, während der Theismus Gott als persönliches Wesen annimmt u. ihn unter Begriffen denkt, die aus der menschlichen Natur entlehnt sind u. zur denkbar größten Vollkommenheit steigert; 2) im engeren Sinn, die Überzeugung vom Dasein Gottes u. seiner Weltregierung aus bloßen Gründen der Vernunft, im Gegensatz u. mit Verwerfung der Offenbarung u. Dogmen, od. der religiöse Glaube, welcher von Principien a priori od. von den metaphysischen Begriffen ausgeht u. alle Dogmen verwirft. Man hat daher auch die Naturalisten, sogar die Atheisten mit dem Namen Deïsten bezeichnet."[4]

Das Lexikon von 1858, der Pierer, bringt einen neuen und wichtigen Aspekt mit in die Unterscheidung hinein: beim Deismus kann Gott auch fast gleich mit einem Weltprinzip, eine abstrakt und unklar belassenen Ursache der Welt gesehen werden. Demgegenüber sieht der Theist in Gott ein persönliches Wesen. Wieder erwähnt wird die Zurückweisung der Offenbarung durch den Deisten.

DEFINITION:

Meyer, 1906: "Deïsmus (lat.), das System, das einen von der Welt nicht bloß geschiedenen (im Gegensatze zum Pantheismus), sondern auch verschiedenen, ihr äußerlich gegenüberstehenden Gott als letzte Ursache aller Dinge lehrt, aber (im Gegensatze zum Theismus) annimmt, daß dieser ohne lebendige fortdauernde Beziehung zur Welt sei und sich auch nicht in außerordentlicher Weise offenbare. Während schon im 16. Jahrh. »Deist« im Gegensatze zum Atheisten für jemand gebraucht wurde, der überhaupt an eine Gottheit glaubte, war Charles Blount (gest. 1693), der besonders als witziger und ironischer Gegner der biblischen Geschichte auftrat, einer der ersten, der sich in dem später üblichen Sinn Deist nannte"[5]

Mit der Jahrhundertwende finden wir jetzt, im Jahr 1906, eine stärkere Betonung der Eingriffe Gottes in das Weltgeschehen als den wesentlichen Unterschied zwischen Deismus und Theismus. Gott hat die Welt zwar erschaffen, sich dann aber von ihr zurück gezogen, ohne "lebendige fortdauernde Beziehung".

DEFINITION:

Kirchner, 1907: "Deismus (nlt., geb. von deus = Gott) ist die religiöse Weltanschauung, welche eine Gottheit als Urgrund aller Dinge annimmt, diesen aber nicht, wie es der Theismus tut, als den persönlichen Regenten der Welt ansieht, und die zugleich alle geoffenbarte Religion zugunsten einer natürlichen verwirft. Der Deismus steht dem Naturalismus nahe; beide verwerfen die Wunder, die Weissagung, die übernatürliche Offenbarung und stellen die Vernunft als Norm der Religion auf. Der Naturalismus aber leugnet das Göttliche überhaupt, während der Deismus an der Existenz eines Göttlichen festhält."[6]

Auch 1907 wird noch einmal betont, dass es für die Deisten keine Eingriffe Gottes in die Welt über "Wunder" oder die "Offenbarung" gebe. Gott ist fast nur ein anderes Wort für Vernunft. Diese Sicht wird auch 1911 wiederholt:

DEFINITION:

Brockhaus, 1911: "Deïsmus (vom lat. deus) oder Theïsmus (vom grch. theós), im Gegensatz zum Atheïsmus der Glaube an einen Gott als den letzten Grund aller Dinge; der D. denkt diesen als Schöpfer, aber ohne nachmalige Einwirkung (durch Offenbarung und Wunder) auf die Weltgesetze, der Theïsmus dagegen als fortwährend einwirkend."[7]

DEFINITION:

, Mauthner, 1923, Deismus als Kampfbegriff? "Deïsmus – Ich habe nicht erfahren können, wer zuerst das Wort geprägt hat, wer zuerst auch nur die Männer Deïsten genannt hat, die in ihren Vorstellungen vom orthodoxen Glauben abwichen. Die Bezeichnungen treten im 16. Jahrhundert auf, scheinen da aber schon den streitenden Theologen geläufig zu sein. Mir klingen die Worte so, als ob sie von Feinden gebildet wären, von frommen Leuten, welche die Deïsten etwa so denunzieren wollten: Ein Deïst sei ein Humanist, der selbstverständlich an Gott glaube, aber nicht an den Gott der Christen, sondern nur an den Deus der Heiden."[8]

Mauthner, ein kritischer Philosoph der sich aufwändig um die Klarheit von Begriffen und ihr historisches Werden bemühte, vermutet in dem Wort Deist eine Art weltanschaulichen Kampfbegriff, der vor allem von Gegnern vermeintlicher Deisten genutzt worden sei. Mautherns ausführliche Darlegung findet man in den Fußnoten.[8]

DEFINITION:

Metzeler, 1999: "Gott hat die Welt zwar (perfekt) erschaffen, greift danach aber nicht mehr in Natur oder Geschichte ein."[9]

Diese letzte Definition aus dem Jahr 1999 bringt noch einmal auf den Punkt, dass ein deistisch verstandener Gott nicht aktiv in das Geschehen der Welt eingreift.

Die hier kurz vorgestellten Definitionen mögen wie ein weltfremder Akademikerstreit wirken. Tatsächlich riskierten Vertreter deistischer Positionen im 17. bis zum 18. Jahrhundert aber Leben oder Wohlstand. Die öffentliche Meinung, oft zementiert durch staatliche oder kirchliche Gesetze, forderte oft ein Bekenntnis zum herrschenden Glauben in einem Land. Deisten liefen immer Gefahr, davon abzuweichen. Man bedenke, dass Gotteslästerung in Deutschland 1871 eine Straftat war. Und noch heute kann die Verletzung religiöser Gefühle unter bestimmten Bedingungen strafrechtlich bedeutsam werden.[12]

Eine gut eingerichtete Welt


Dem Deismus zufolge ist die Welt von Gott also ganz sich selbst überlassen. Aber die Zeichen göttlichen Wohlwohllens kann man doch in ihr erkennen. Denn Gott hat sie von Anfang an gut eingerichtet, sodass wir darin gut leben leben. Kant nennt als Beispiel die Karbik-Insel Jamaika, die nahe am Äquator liegt.


ZITAT:

"Man hat schon mehrmals es als eine der deutlichsten Proben einer gütigen Vorsorge, die für die Menschen wacht, angeführt: dass in dem heissesten Erdstriche die Seewinde gerade zu einer solchen Zeit, da das erhitzte Erdreich am meisten ihrer Abkühlung bedarf, gleichsam gerufen über das Land streichen und es erquicken. Z. E. In der Insel Jamaica, so bald die Sonne so hoch gekommen ist, dass sie die empfindlichste Hitze auf das Erdreich wirft, gleich nach 9 Uhr Vormittags, fängt sich an aus dem Meer ein Wind zu erheben, der von allen Seiten über das Land weht; seine Stärke nimmt nach dem Masse zu, als die Höhe der Sonne zunimmt. Um 1 Uhr Nachmittages, da es natürlicher Weise am heissesten ist, ist er am heftigsten und lässt wieder mit der Erniedrigung der Sonne allmählig nach, so dass gegen Abend eben die Stille als beim Aufgange herrscht. Ohne diese erwünschte Einrichtung würde diese Insel unbewohnbar sein."[10]


Kant ist sich als Naturwissenschaftler vollauf bewusst, dass man die kühlend Winde auf Jamaika auch ganz naturalistisch, heute würde man sagen naturwissenschaftlich erklären kann:


ZITAT:

Nach Kant ist es aufgrund der Natur alleine so, dass "Seewinde solche periodische Bewegungen anstellen müssen, wenn gleich kein Mensch auf solcher Insel lebte, und zwar durch keine andere Eigenschaft, als die der Luft auch ohne Absicht auf diesen Zweck bloss zum Wachsthum der Pflanzen unentbehrlich vonnöthen ist, nämlich durch ihre Elasticität und Schwere. Die Hitze der Sonne hebt das Gleichgewicht der Luft auf, indem sie diejenige verdünnt, die über dem Lande ist, und dadurch die kühlere Meersluft veranlasst, sie aus ihrer Stelle zu heben und ihren Platz einzunehmen."[10]


Kannt erblickt darin die mit göttlicher Weisheit für uns eingerichte Welt. Heute spräche man von einem Intelligent Design:


ZITAT:

"Die nach ihren allgemeinsten Gesetzen sich bestimmende Materie bringt durch ihr natürliches Betragen, oder, wenn man es so nennen will, durch eine blinde Mechanik anständige Folgen hervor, die der Entwurf einer höchsten Weisheit zu sein scheinen. Luft, Wasser, Wärme erzeugen, wenn man sie sich selbst überlassen betrachtet, Winde und Woken, Regen, Ströme, welche die Länder befeuchten, und alle die nützliche Folgen, ohne welche die Natur traurig, öde und unfruchtbar bleiben müsste."[10]



Kants Gedankengang ist recht ausführlich. Wer sich dafür interessiert kann ihn in der Vorrede zu seiner Allgemeinen Naturgeschichte[10] nachlesen. Man merkt den Absätzen aber immer auch an, dass er sich wappnen will gegen den Vorwurf der Gottlosigkeit. Und das war ganz und gar nicht so unklug, wie der nächste Abschnitt zeigen wird.

In England äußerte sich gut 80 Jahre nach Kant der Mineraloge und Universalgelehrt William Whewell in ganz ähnlicher Weise. Whewell schrieb im Jahr 1833, im Alter von etwa 37 Jahren:


ZITAT:

"Wir dürfen nicht erwarten, dass uns die physikalische Forschung die Art und Weise erschließen kann, wie Gott auf die Elemente des Universums einwirkt. Die Frage „Kannst du Gott durch Forschen finden?“ muss sowohl den Prahlereien der Wissenschaft als auch den Klagen der Widrigkeiten ein Ende setzen. Tatsächlich zeigt uns die Wissenschaft, weit deutlicher als die Vorstellungen des Alltagsverstandes, wie unermesslich weit wir von der Fähigkeit entfernt sind, zu begreifen, wie das Universum, materiell wie moralisch, das Werk Gottes ist. Doch was die materielle Welt betrifft, können wir zumindest so weit gehen: Wir können erkennen, dass Ereignisse nicht durch isolierte Eingriffe göttlicher Macht im Einzelfall bewirkt werden, sondern durch die Aufstellung allgemeiner Gesetze."[14]


Speziell in den Ländern des Vereinigten Königreiches gibt es seit etwa 1825 mehrere organsierte Diskurse, die der Frage nach der Erkennbarkeit von Gottes Wirken in der Welt nachgehen. Weltberühmt sind die noch heute stattfindenden Gifford Lectures. Den größeren gedanklichen Rahmen dieser angelsächsichen Tradition bildet die Idee natürliche Religion ↗

Kant als Problemfall


Im Jahr 1756 veröffentlichte der preußische Philosoph Immanuel Kant (1724 bis 1804) eine Abhandlung über die Entstehung unseres Sonnensystems. In der Vorrede bemüht er sich, mögliche Vorwürfe des Atheismus, der Ungläubigkeit gegenüber der herrschenden Religion seiner Epoche, zu entkräften. Ausgangspunkt ist eine wohl georgendet, systematisch aufgebaute und schöne Natur. Mit Natur war zur Zeit Kants die gesamte Welt der Materie und damit etwa auch das Sonnensystem gemeint. Wenn aber die Schönheit der Natur ganz aus den wissenschaftlichen Naturgesetzen zu erklären ist, wozu braucht man dann noch einen Gott? Lesen wir, wie Kant das Problem zu lösen versucht.


ZITAT:

Immanuel Kant 1756: "Man ist gewohnt die Übereinstimmungen, die Schönheit, die Zwecke und eine vollkommene Beziehung der Mittel auf dieselbe in der Natur zu bemerken und herauszustreichen. Allein indem man die Natur von dieser Seite erhebt, so sucht man sie andererseits wiederum zu verringern. Diese Wohlgereimheit, sagt man, ist ihr fremd, sie würde, ihren allgemeinen Gesetzen überlassen, nichts als Unordnung zuwege bringen. Die Übereinstimmungen zeigen eine fremde Hand, die eine von aller Regelmässigkeit verlassene Materie in einen weisen Plan zu zwingen gewusst hat. Allein ich antworte: wenn die allgemeinen Wirkungsgesetze der Materie gleichfalls eine Folge aus dem höchste Entwurfe sind, so können sie vermuthlich keine andere Bestimmungen haben, als die den Plan von selber zu erfüllen trachten, den die höchste Weisheit sich vorgesetzt hat […]"[11]


Warum zerfällt die Natur sich selbst überlassen nicht in Chaos? Es gibt zwei Lösungen, die beide Gott enthalten: a) Gott greift ständig in das Naturgeschehen ein und hält die Natur sozusagen "auf Kurs". Diese Positione bezeichnet man heute als Theismus. Und die zweite Lösung ist b) dass Gott die Welt von Anfang an so eingerichtet hat, dass sie wohl geordnet und systematisch abläuft. Genau diese Position ist der Deismus.

Kabinettsorder

Kant ging den Weg des Deismus konsequent. Am Ende wies seine Verunftlehre selbst der Religion die Grenzen. Im Jahr 1793, der Hochzeit der französischen Revolution, schrieb Kant dann seine "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft". Das ging anderen im Lande Preußen dann zu weit. Aus Philosophie wurde Politik.

Man konnte Kant so lesen, dass die Religion erst aus den Notwendigkeiten der Vernunft überhaupt entsteht. Bis 1786 genoss Kant unter dem toleranten Preußenkönig Friedrich II viele Freiheiten. Das änderte sich 1786 mit der Thronbesteigung von Friedrich Wilhelm II, ein Neffe von Friedrich dem II. Obwohl im Sinne der Aufklärung erzogen, war Friedrich Wilhelm II eine fromme Natur. Der Wind für Kant hatte sich gedreht. Und so kam es, dass er vom Kabinett des neuen Königs ein maßregelndes Schreiben mit Datum vom 1. Oktober 1794 erhielt:


ZITAT:

1794, Kant wird gewarnt: "Unsern gnädigen Gruß zuvor. Würdiger und Hochgelehrter, lieber Getreuer! Unsere höchste Person hat schon seit geraumer Zeit mit großem Mißfallen ersehen: wie Ihr Eure Philosophie zu Entstellung und Herabwürdigung *) mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Christentums mißbraucht; wie Ihr dieses namentlich in Eurem Buch: 'Religion innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft', desgleichen in anderen, kleineren Abhandlungen getan habt. Wir haben Uns zu Euch eines Besseren versehen, da Ihr selbst einsehen müsset, wie unverantwortlich Ihr dadurch gegen Eure Pflicht als Lehrer der Jugend und gegen Unsere Euch sehr wohl bekannte landesväterliche Absichten handelt. Wir verlangen des ehsten Eure gewissenhafteste Verantwortung und gewärtigen Uns von Euch bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade, dass Ihr Euch künftighin Nichts dergleichen werdet zu Schulden kommen lassen, sondern vielmehr Euer Ansehen und Eure Talente dazu anwenden, dass Unsere landesväterliche Intention je mehr und mehr erreicht werde; widrigenfalls Ihr Euch bei fortgesetzter Renitenz unfehlbar unangenehmer Verfügungen zu gewärtigen habt."[13]


Unterschrieben ist die Order mit dem Namen Wöllner. Johann Christoph von Wöllner (1732–1800) war preußischer Staatsminister unter Friedrich Wilhelm II. Er war Leiter des neugeschaffenen Departements für geistliche Angelegenheiten und gilt als Hauptarchitekt der restaurativen Religionspolitik des Königs (Wöllnersches Religionsedikt von 1788). Restaurativ heißt so viel wie um die Wiederherstellung der alten Ordnung bemüht. Kant beugte sich. Bis zum Tode des neuen Königs im Jahr 1797.

Wissenschaftstheoretische Bedeutung


Geht man von einem Deismus aus, so kann man das Wirken eines Gottes ganz auf den Anfang der Welt beschränken. Einmal eingerichtet, läuft die Welt, so der Gedanke, dann ganz nach den Naturgesetzen ab. Wenn sich Naturwissenschaftler zur einzigen Autorität für die Beschreibung des Ablaufs der Welt erheben möchten, dann ist von allen gottesgläubigen Positionen der Deismus ein Naheliegender. Das wird deutlich, wenn man sich den Theismus als Gegenposition vorstellt.

Im Jahr 2005 verwüstete der Hurrikan Katrina weite Gebiebe um die Stadt New Orleans am Golf von Mexiko in den USA. Viele Menschen ertranken oder fanden sonstwie den Tod. Während Meteorologen und andere Naturwissenschaftler die Entstehung und Lebensgeschichte des Sturms aus Meerestemperaturen, Luftdrücken, Scherwinden, Luftdruckgradienten und anderen rein naturwissenschaftlichen Konzepten zu deuten versuchten, sah der texanische Christ John Hagee (geboren 1940) eine direkte Einflussnahme Gottes:


ZITAT:

"Katrina war in der Tat eine Strafe [judgment] Gotts gegen die Stadt New Orleans. Das Ausmaß der Sünde dieser Stadt war Gott ein Greuel [offensive]. Für den Montag als Katrina kam war eine Schwulen-Parade geplant."[11]


In einer theistischen Haltung kann der Wirbelsturm also als ein Strafwerk eines zürnenden Gottes gedeutet werden. Naturwissenschaftliche Forschungen wären dann zur weiteren Erklärung nicht mehr nötig. Nimmt man aber eine deistische Haltung ein, so kann man den konkreten Eingriff Gottes zurückweisen und nach rein "natürlichen" Ursachen suchen. Mit etwas politischer und sozialer Phantasie kann man sich leicht ausmalen, welch großen Unterschied für unser Zusammenleben die Neigung zur ein oder anderen Position ausmachen kann.

Querbezüge zu anderen Positionen und Strömungen


Der Deismus ist in seinem Kern die Idee, dass Gott die Welt einmal erschaffen hat und sie dann sich selbst überlaß. Wo die Erklärung dieses Weltablaufes dann zum alleinigen Geschäft er erstarkenden Naturwissenschaften geworden ist, entartete sie teilweise in die Vorstellung eines starr nach kausal gedachten Regelmäßigkeiten ablaufenden und mathematisch restlos beschreibbaren Vorgangs. Diese beiden an sich unabhängigen Erscheinungsformen des Deismus treten uns auch in vielen anderen Strömungen und Konzepten entgegen.

Scholastik

Als Scholastik bezeichnet man eine in Westeuropa vorherrschende philosophisch-theologische Strömung deren Ziel es war den christlichen Glauben mit einer streng logisch durchgeführten Philosophie zu verbinden. Die scholastischen Denker spielten dabei viele Beziehungsmöglichkeiten von Glaube und Logik durch. Dabei stießen sie auf viele Denkwiderstände: ist Gott an die Logik gebunden? Kann er Geschehenes ungeschehen machen? Kann er einen Stein erzeugen, den er selbst nicht hochheben kann? Führt das Denken zum Glauben oder der Glauben zum richtigen Denken? Ist Gott die letzte aller Ursachen, der unbewegte Beweger? Während die späteren Deisten Gott nur in den Grenzen der Logik walten ließen, suchte man in der Scholastik nach einem anderen Ausweg. Als Leitlinie für den großen Entwurf des Weltgeschehens kann man vielleicht den Gedanken ansehen, dass Glaube und Logik nicht in Widerspruch zueinander stehen sondern sich gegenseitig stützen und ergänzen. Siehe auch Scholastik ↗

Rationalismus

Alles Wesentliche in der Welt ist durch die Tätigkeit der Vernunft, durch rationales Denken erkennbar. Man bedarf weder einer besonderen Intuition noch göttlicher Eingebungen oder Offenbarungen. Das menschliche Denken ist so angelegt, dass es die Grundzüge der Welt erkennen kann. Siehe mehr unter Rationalismus ↗

Uhrwerk-Universum

Im 19. Jahrhundert wurde die Metapher von einem mechanistisch sich abspulenden Universum populär. Einmal aufgezogen, spulte sich die Welt ab wie das komplizierte aber doch ganz und gar determinierte Räderwerk einer mechanischen Uhr. Mehr unter Uhrwerk-Universum ↗

Aktualität


Wie sehen gottesgläubige Naturwissenschaftler die Sache heute? Hier ist eine kurze Liste von Naturwissenschaftlern aus dem westlichen Kulturkreis, die sich ausdrücklich als gläubig im christlich Sinne bezeichnet haben. Gibt es unter ihnen auch solche, die an eine direkte Einflussnahme Gottes in das Naturgeschehen glauben? Oder nehmen sie meistens die eher deistische Position ein, dass Gott die Welt vielleicht erschaffen hat, nun aber nur noch Zuschauer ist? Hier sind beispielhaft einige Naturwissenschaftler aufgelistet, bei denen man fündig werden könnte:

John Polkinghorne (Bücher über Physik & Theologie), Arthur Holly Compton (The Freedom of Man / Man’s Destiny in Eternity), Georges Lemaître, Ernest Walton, Max Planck (Vortrag Religion und Naturwissenschaft), Charles Townes, Victor Francis Hess (“My Faith”), Ronald Fisher, Arthur Ernest Wilder-Smith, Freeman Dyson, William G. Pollard, Michał Heller, Albrecht Kellner (Expedition zum Ursprung), Stephen Barr (Modern Physics and Ancient Faith), Edgar Andrews (Who made God?), Cees Dekker, E. T. Whittaker (Theories of the Universe and the Arguments for the Existence of God), John G. C. Wolstenholme (?), Wolfgang Smith (The Relevance of Science: Creation and Cosmogony), Ian Barbour (When Science Meets Religion), Stanley Jaki, Jocelyn Bell Burnell, Katherine Blundell, Andrew Briggs, Raymond Chiao, Guy Consolmagno, Paul Ewart, Anna Reinach, Donna Strickland, Arthur Schawlow (“… I find a need for God …”).

Was diese Liste mindestens andeuten kann ist, dass religiöse oder sogar theologische Fragen auch für Physiker des 20. und 21. Jahrhunderts durchaus von Belang sein können. Wer in diese Richtung sucht, wird viel finden. Die alten Fragen der Philosophie führen ein Leben über viele hunderte oder sogar tausende von Jahren (Idee der Philosophia perennis).

Persönliche Einschätzung


 Portrait von Gunter Heim Die Deisten wiesen den Glauben in die Schranken der Vernunft, der Logik und der Naturgesetze. Um den Ablauf der Welt zu erklären hatten sie Gott als Hypothese nicht mehr nötig. So ähnlich soll Laplace sich einmal geäußert haben. Mein persönlicher Eindruck ist, dass eine Physik, die den Gang der Welt nur über reproduzierbare Gesetze erklären will, die zuverlässige Vorhersagen der Zukunft ermöglichen, in eine Sackgasse geraten könnte. Ich glaube, dass die physikalischen Gesetze so eingerichtet sind, dass sie einem höhere Sinn dienen, der von außerhalb der Physik stammt. Die stark arbeitsteilige Trennung der Zuständigkeiten von Naturwissenschaft, Religion und Philosophie und noch viel schlimmer jedes Kompetenzgerangel zwischen diesen Erkenntnisquellen enthält uns tiefere Einsichten in den wahren Zweck der Welt vor.

Fußnoten


  • [1] 1809, Glaube aus Vernunft, nicht aus Offenbarung: "Der Deismus, die Lehre, nach welcher zwar eine Gottheit, aber nicht zu Folge einer Offenbarung, sondern zu Folge der Vernunft angenommen wird. Der Deist, derjenige, der dieser Lehre zugethan ist." In: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 329. Online: http://www.zeno.org/nid/20000748684
  • [2] 1837, Glaube aus Vernunft, nicht aus Offenbarung: "Deismus nach lat. oder Theismus nach griech. Ableitung wird der Glaube an Gott, als letzten Grund und als Regierer aller Dinge genannt, jedoch nur, insofern die Überzeugung der Deisten genannten Anhänger dieses Systems sich auf Vernunftgründe, ohne Rücksicht auf die Offenbarung, stützt. Der eigentliche Gegensatz davon ist der Atheismus oder die Gottesleugnung, doch wird dem Deismus auch häufig der Offenbarungsglaube entgegengesetzt und dann ist der erstere gleichbedeutend mit Naturalismus." In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 522. Online: http://www.zeno.org/nid/20000821349
  • [3] 1854, eigentlich nur noch im Islam: "Deismus, vom lat. deus oder Theismus vom griech. θέος heißt allgemein im Gegensatz zum Atheismus der Glaube an einen persönlichen Gott, näher jedes Lehrgebäude, welches einen außerhalb der Welt u. derselben unnahbar gegenüber stehenden Gott aufstellt. Historisch hat sich der D. im engern Sinne im Islam festgesetzt. In mehr oder minder unwissenschaftlicher Form und vorherrschend als Feindseligkeit gegen die geoffenbarte Religion repräsentirten den vernunftgläubigen D. zunächst die engl. und französ. Deisten, die sogen. starken oder Freigeister, deren Ansichten durch Uebersetzungen und die Encyklopädisten in der ganzen civilisirten Welt Verbreitung fanden. Die bekanntesten engl. und franz. Deisten: Cherbury, Hobbes, Blount, Shaftesbury, Toland, Collins, Wolstoon, Tindal, Morgan, Chubb, Bolingbroke, Voltaire, Rousseau. Vergl. Lechler »Geschichte des engl. D.«, Stuttgart 1841; J. A. Starck: »Triumph der Philosophie im 18. Jahrhdt.«, 3. Aufl. von Binder, Regensburg 1847." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 307. Online: http://www.zeno.org/nid/20003292835
  • [4] 1858, Gott mit menschlichen Eigenschaften: "Deïsmus (v. lat., eigentlich vom Theismus nur insofern verschieden, als D. vom lat. deus, Theismus aber vom griech. ϑεός herkommt), 1) der religiöse Glauben, welcher das Dasein Gottes annimmt, Gott aber nur unter dem allgemeinen Begriffe der Vollkommenheit als Weltursache denkt, ohne weiter auf andere Eigenschaften einzugehen, während der Theismus Gott als persönliches Wesen annimmt u. ihn unter Begriffen denkt, die aus der menschlichen Natur entlehnt sind u. zur denkbar größten Vollkommenheit steigert; 2) im engeren Sinn, die Überzeugung vom Dasein Gottes u. seiner Weltregierung aus bloßen Gründen der Vernunft, im Gegensatz u. mit Verwerfung der Offenbarung u. Dogmen, od. der religiöse Glaube, welcher von Principien a priori od. von den metaphysischen Begriffen ausgeht u. alle Dogmen verwirft. Man hat daher auch die Naturalisten, sogar die Atheisten mit dem Namen Deïsten bezeichnet, bes. Collins u. Tindal, u. des Ersten Discourse of free-thinking, den Katechismus des Deisten, u. Tindals Christianity as old as the creation, die Bibel der Deisten genannt. Vgl. Lechler, Geschichte des evangelischen D., Stuttg. 1841." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 804. Online: http://www.zeno.org/nid/20009765530
  • [5] Gott greift nicht lenkend in die Welt ein: "Deïsmus (lat.), das System, das einen von der Welt nicht bloß geschiedenen (im Gegensatze zum Pantheismus), sondern auch verschiedenen, ihr äußerlich gegenüberstehenden Gott als letzte Ursache aller Dinge lehrt, aber (im Gegensatze zum Theismus) annimmt, daß dieser ohne lebendige fortdauernde Beziehung zur Welt sei und sich auch nicht in außerordentlicher Weise offenbare. Während schon im 16. Jahrh. »Deist« im Gegensatze zum Atheisten für jemand gebraucht wurde, der überhaupt an eine Gottheit glaubte, war Charles Blount (gest. 1693), der besonders als witziger und ironischer Gegner der biblischen Geschichte auftrat, einer der ersten, der sich in dem später üblichen Sinn Deist nannte; ihm folgten vornehmlich Tindal und Morgan. Die Denk- und Sinnesweise dieser Männer ging aus den kirchlich-politischen Wirren Englands im 17. Jahrh. und aus dem Widerspruch der zurückgebliebenen Theologie gegen die fortgeschrittene Wissenschaft hervor. Als faktischer Urheber dieses D. ist Edward Herbert (s.d.), Lord von Cherbury, anzusehen, der zuerst den Begriff und die Zulänglichkeit der natürlichen Religion entwickelte. Ihm nahe steht Thomas Browne (s.d. 3), der Verfasser der »Religio medici« und andrer deistischer Schriften. Bestimmter, umfassender und feindseliger wurden diese Angriffe, seitdem 1694 die Preßfreiheit eingeführt worden war und John Locke die »Vernünftigkeit des Christentums« (»The reasonableness of Christianity«, 1695) als Losung ausgegeben hatte. Seitdem wurde das Christentum oft geradezu als Priesterbetrug bekämpft, immer seiner historischen Bedeutung und Grundlage beraubt. Graf Anthony Shaftesbury (s.d.) strebte eine reine diesseitige Religion der Schönheit und Tugend an und führte eine schalkhafte Polemik gegen das Christentum als gegen eine durch den Gedanken ewiger Vergeltung getrübte Sittlichkeit. Gleichzeitig suchte John Toland (gest. 1722), auf den zuerst die Bezeichnung Freidenker angewendet wurde, in einem Hauptwerk der ganzen Richtung (»Christianity not mysterious«, 1696) den Wunderbegriff aus der christlichen Religion zu entfernen und beanspruchte Anton Collins (gest. 1729) das Recht des freien Denkens als allgemeines Menschenrecht. Thom. Woolston, der einzige Märtyrer unter seinen Genossen (gest. 1733 im Gefängnis), gebrauchte die alte Methode, die Wundergeschichten zu allegorisieren, als Hülle für seine Angriffe auf die evangelische Geschichte. Matth. Tindal (gest. 1733) leugnete die Idee und Möglichkeit der Offenbarung und nannte die Heilige Schrift eine Urkunde der natürlichen Religion, das Christentum so alt wie die Schöpfung (»Christianity soold as the creation«, 1730, das Hauptmanifest des D.), die Kirche in Hobbes' Sinn eine Institution des Staates. Lediglich als Mittel für Staatszwecke erscheint die Religion bei Lord H. Bolingbroke (s.d.), der die Freiheit des Denkens nur für die höhern Klassen gelten[593] lassen wollte. Eine Satire auf die Ideale der Kirche stellt die »Fabel von den Bienen« von Bernhard Mandeville (s.d.) dar. Bei David Hume (s.d.) schlug der D. in Skeptizismus um. In der Geschichte der Kirche machte der englische (eigentliche) D. große Epoche. Derselbe entwickelte in sich viel Scharfsinn und geistige Bildung, gab sich aber gewöhnlich nur als Gleichgültigkeit gegen die Kirche kund. In Frankreich ergriff und steigerte der Enzyklopädismus (Diderot) die negative Richtung des englischen D. In Deutschland entwickelte sich der D. teils als Evangelienkritik (Reimarus), teils als Aufklärungsphilosophie und theologischer Rationalismus. In der katholischen Kirche tragen einen deistischen Charakter die Theophilanthropen (s.d.) und die französische katholische Kirche des Abbé Chatel seit 1831, mit starkpolitischer Färbung. Dem Judentum gab vornehmlich Mendelssohn einen Anstoß zu einer innerlichen Entwickelung, die, fast natürlich zum D. fortschreitend, als jüdische Reform besonders in Deutschland und Frankreich Vertreter fand. Vgl. Lechler, Geschichte des englischen D. (Stuttg. 1841); Pünjer, Geschichte der christlichen Religionsphilosophie seit der Reformation (Braunschw. 1880)." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 593-594. Online: http://www.zeno.org/nid/2000647313X
  • [6] 1907, Vernunftreligion, Abgrenzung zum Naturalismus: "Deismus (nlt., geb. von deus = Gott) ist die religiöse Weltanschauung, welche eine Gottheit als Urgrund aller Dinge annimmt, diesen aber nicht, wie es der Theismus tut, als den persönlichen Regenten der Welt ansieht, und die zugleich alle geoffenbarte Religion zugunsten einer natürlichen verwirft. Der Deismus steht dem Naturalismus nahe; beide verwerfen die Wunder, die Weissagung, die übernatürliche Offenbarung und stellen die Vernunft als Norm der Religion auf. Der Naturalismus aber leugnet das Göttliche überhaupt, während der Deismus an der Existenz eines Göttlichen festhält. Deisten oder Freidenker (Freethinkers) nannte man demgemäß diejenigen, welche die natürliche Religion begründen wollten. Am bekanntesten sind die Engländer Herbert v. Cherbury (1581-1648), Ch. Blount (1659-1693), der sich zuerst Deist nannte, John Toland (1670-1722), Graf Shaftesbury (1671-1713), Anthony Collins (1676-1729), Matthew Tindal (1656-1733), der Franzose Voltaire (1694-1778), die Deutschen Bahrdt, Edelmann, Lessing, Mendelssohn. Vgl. G. V. Lechler, Gesch. d. engl. Deismus. Stuttgart 1841. Kant (1724-1804) definiert kurz: »Der Deist glaubt einen Gott, der Theist aber einen lebendigen Gott (summam intelligentiam)«. Kr. d. r. V., S. 633. Siehe Theismus." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 137-138. Online: http://www.zeno.org/nid/20003580598
  • [7] 1911, Gott tut keine Wunder: "Deïsmus (vom lat. deus) oder Theïsmus (vom grch. theós), im Gegensatz zum Atheïsmus der Glaube an einen Gott als den letzten Grund aller Dinge; der D. denkt diesen als Schöpfer, aber ohne nachmalige Einwirkung (durch Offenbarung und Wunder) auf die Weltgesetze, der Theïsmus dagegen als fortwährend einwirkend. Daher Deïsten (Freidenker), im 17. und 18. Jahrh. Vertreter des reinen Vernunftglaubens in England und Frankreich." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 402. Online: http://www.zeno.org/nid/20001038184
  • [8] 1923: Deismus als Denunziation? "Deïsmus – Ich habe nicht erfahren können, wer zuerst das Wort geprägt hat, wer zuerst auch nur die Männer Deïsten genannt hat, die in ihren Vorstellungen vom orthodoxen Glauben abwichen. Die Bezeichnungen treten im 16. Jahrhundert auf, scheinen da aber schon den streitenden Theologen geläufig zu sein. Mir klingen die Worte so, als ob sie von Feinden gebildet wären, von frommen Leuten, welche die Deïsten etwa so denunzieren wollten: Ein Deïst sei ein Humanist, der selbstverständlich an Gott glaube, aber nicht an den Gott der Christen, sondern nur an den Deus der Heiden. So konnte es kommen, daß man unter deïsta noch im 18. Jahrhundert bald einen Atheïsten verstand, bald einen Gegner des Atheïsmus. Über den Zufall, daß die beiden Worte Deïsmus und Theïsmus fast nur wie zwei verschiedene Schreibarten nebeneinander bestehen, und daß eine Negation, wie eben Atheïsmus, von Deïsmus nicht gebildet wurde, wären eigentlich nicht viele Worte zu verlieren; die griechischen Worte atheos und atheotês sind zwar uralt und wurden zu Fremdwörtern im Lateinischen, und Atheïsmus als wissenschaftlicher Terminus für eine fast unvorstellbare Gottesleugnung findet sich schon in früher christlicher Zeit; aber seinen Schrecken verlor das Wort doch erst, ohne Bekreuzigung wurde von Atheïsten erst geredet, als die griechische Sprache allgemein in die Schulen eingeführt worden war und griechische Worte ausschließlich als technische Ausdrücke für philosophische Richtungen, Krankheiten und neue Erfindungen benützt oder ad hoc neu zusammengesetzt wurden. Dazu kam wohl noch die frappierende Ähnlichkeit der Wortklänge Deïsmus und Theïsmus. Es ist bekannt, daß der Gleichklang von deus und theos naïve Philologen (wenn es deren gibt) zu der Ketzerei verführt hat, entgegen den heiligen Lautgesetzen, deus und theos für urverwandt zu erklären; wofür sie denn von Curtius (Etymologie 513) gehörig zurechtgewiesen worden sind. Ich habe auf diese beinahe nur orthographische Frage aber deshalb hinweisen zu müssen geglaubt, weil kein Geringerer als Kant zwischen Deïsmus und Theïsmus einen Unterschied setzen wollte, und das zu einer Zeit, als die englischen Deïsten oder Theïsten, die sich auch freethinkers nannten, bereits den Kontinent mit ihrer Ketzerei angesteckt hatten. Wobei es den Philosophen von Beruf nicht eben zur Ehre gereicht, daß sie eigentlich ohne Ausnahme, wenn man den einzigen Spinoza, den Fürsten der Atheïsten, nicht zu ihnen rechnet, nicht ehrlich Farbe bekannten; daß sie einen Konflikt mit der Kirche scheuten. Die Vertreter des Deïsmus waren die großen englischen, französischen und zuletzt auch deutschen Schriftsteller: Shaftesbury, Voltaire, Rousseau, Reimarus, Lessing. Durch diese Männer war der unkirchliche Glaube an einen rein begrifflichen Gott schon zum Gemeingut des gebildeten Abendlandes geworden, als Kant. in diesem Falle doch wohl nur mit scheinbarem Tiefsinn, zwischen Deïsmus und Theïsmus distinguierte. Beide Begriffe haben es nur mit Theologie aus bloßer Vernunft zu tun und stehen außerhalb der offenbarten Theologie. Die Theologie aus bloßer Vernunft »denkt sich nun ihren Gegenstand entweder bloß durch reine Vernunft vermittels lauter transzendentaler Begriffe (ens originarium, realissimum, ens entium) und heißt die transzendentale Theologie, – oder durch einen Begriff, den sie aus der Natur (unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz und müßte die natürliche Theologie heißen. Der, so allein eine transzendentale Theologie einräumt, wird Deïst, der, so auch eine natürliche Theologie annimmt, Theïst genannt.« Der Unterschied soll besagen, daß der Deïsmus vom Wesen Gottes nichts wisse, wohl aber der Theïsmus, der dem Welturheber Verstand und Freiheit zuschreibe. »So könnte man nach der Strenge dem Deïsten allen Glauben an Gott absprechen und ihm lediglich die Behauptung eines Urwesens oder obersten Ursache übrig lassen. Indessen da niemand darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getraut, beschuldigt werden darf, er wolle es gar leugnen, so ist es gelinder und billiger, zu sagen: der Deïst glaube einen Gott, der Theïst aber einen lebendigen Gott (summam intelligentiam).« (Kr. d. r. V., S. 659 bis 661.). Kants Gedanken werden auch in diesem Falle deutlicher erklärt in den Prolegomenen (S. 173). Er will einen Mittelweg finden zwischen dem Dogmatismus, den er überall bekämpft und wirklich mit unwiderstehlichen Waffen vernichtet hat, und dem Skeptizimus, gegen welchen der fromme Sinn Kants einen starken Widerwillen hatte. Der ganze Abschnitt ist gegen den Skeptiker Hume gerichtet und gegen dessen (von unserem Standpunkte) nicht genug zu rühmende »Dialoge über die natürliche Religion«. Kant benützt den Zufall, daß die beiden Worte Deïsmus und Theïsmus zur Verfügung stehen, zu einem Versuche, den Glauben an Gott gegen Hume zu verteidigen. Die Einwürfe Humes gegen den Theïsmus seien sehr stark und in einem gewissen Sinne unwiderleglich; also doch wohl die Einwürfe Humes gegen den Glauben an einen lebendigen Gott. Kant hat sehr gut erkannt, daß Humes Einwürfe sich gegen den Anthropomorphismus der Gottesvorstellung richten; er weiß, daß es schon anthropomorphisch ist, wenn der Theïsmus seinem Gotte Verstand und Freiheit (Willen) beilegt; er erfindet also, um sich selbst trotz der unwiderleglichen Einwürfe Humes einen Theïsten nennen zu dürfen, ein sehr hübsch klingendes Wort: »einen symbolischen Anthropomorphismus, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht«. Das soll wohl heißen, daß die Begriffe Verstand und Freiheit nur bildlich auf den Gottesbegriff übertragen werden sollen; etwas andres meint aber auch der Vorwurf des ganz gewöhnlichen Anthropomorphismus nicht. Was Kant hinzufügt, um seinen Gott zur vernünftigen Ursache seiner Welt zu machen, das ist wahrlich nicht stark genug, um zu überzeugen. Erstens kommt Kant zu solcher Erkenntnis »nach der Analogie, welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweener Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweener Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet«; Kant meint, die Welt verhalte sich zu ihrem Urheber ganz gewiß so wie eine Uhr zu dem Uhrmacher; er macht also zwei Fehler, indem er aus einer falschen Prämisse einen bloßen Analogieschluß zieht (vgl. Art. Analogie); zweitens:[272] Sobald zugegeben wird, daß der angeblich bewiesenen Ursache der Welt eine Vernunft (in der Kr. d. r. V. hatte Kant das Wort Verstand gebraucht) nur bildlich beizulegen sei, symbolisch, müßte auch zugegeben werden, daß dieser Weg nur zum Deïsmus führe und nicht zum Theïsmus. Drittens gesteht Kant (S. 178) zu, »daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und auf bestimmte Weise sogar undenkbar sei«; auf ein unerforschliches oder gar undenkbares Wesen aber auch nur den Begriff der Kausalität anzuwenden, diesem Wesen also Wirksamkeit zuzusprechen, das geht nicht an; Kant machte da den gleichen schweren logischen Fehler wie damals, da er die Dinge-an-sich zu Ursachen unsrer Vorstellungen von den Dingen machte, trotzdem der Kausalitätsbegriff an die Dinge-an-sich nicht heranreicht. Der Weisheit letzter Schluß kommt bei Kant wieder (man nehme das Wort nicht krumm) allerliebst heraus: »Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein, daß wir uns die Welt so denken, als ob sie von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach abstamme.« Durch dieses köstliche als ob scheint Kant sich dennoch mehr den Deïsten als den Theïsten zuzuneigen; und es war vielleicht doch das schlechte Gewissen, das ihn veranlaßte, gelinder und billiger über diese Sekte zu urteilen. An Humes klare und feste Darstellung (vgl. Art. Religion) reicht Kants Vermittlungsvorschlag nicht heran. Über Humes Religionskritik sind auch wir nicht hinausgekommen, oder doch etwa nur in dem einen Punkte, daß wir Orthodoxie und philosophischen Deïsmus historisch vergleichen und verstehen gelernt haben, daß wir darum mit unserem ruhigen kopfschüttelnden Atheïsmus (vgl. Art. Gott) im Grunde keinen Pfaffenhaß mehr verbinden, geschweige denn Religionshaß." In: Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 1923, Band 1, S. 270-273. Online: http://www.zeno.org/nid/20006180248
  • [9] 1999, Gott greift in Welt nicht ein: "Gott hat die Welt zwar (perfekt) erschaffen, greift danach aber nicht mehr in Natur oder Geschichte ein." In: Metzeler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Dort der Artikel zu Deismus auf Seite 98.
  • [10] Immanuel Kant: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt. Petersen, Königsberg und Leipzig 1755. Dort in der Vorrede.
  • [12] "Gotteslästerung gilt in Deutschland seit 1871 als Straftatbestand. Seit der Strafrechtsreform von 1969 ist der Paragraf 166 StGB jedoch eingeschränkt. Bis dahin war die „Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse“ das Kriterium. Seitdem ist die Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses nur dann strafbar, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Strafrechtliches Schutzgut ist damit seit 1969 der öffentliche Friede und nicht mehr das individuelle religiöse oder weltanschauliche Empfinden." Das heißt aber: wenn es eine ausreichend lautstarke Gruppe gibt, die öffentliche Unruhe erzeugen kann, dann kann die Reizung dieser Gruppe zu einer Straftat werden. Als hypothetisches Gedankenspiel: eine Journalistin der progressiven Zeitung TAZ weist auf die vielen Tötungsgebote (etwa bei Ehebruch) im Alten Testament hin, die ja noch heute unwiderrufen Teil der Bibel sind. Die entsprechenden Bibelstellen dürfen unkommentiert auch von Kindern gelesen werden. Nun fordert die hypothetische Journalistin die Schwärzung oder zumindest die Kommentierung solcher Stellen der Bibel. Daraufhin fangen fundamentalistische Christen an Straßenkreuzungen zu blockieren, andere gehen in Hungerstreik, radikalisierte Gruppen stürmen mit großen Kreuzen bewehrt den Bundestag. Nach jetziger Gesetzeslage wäre es denkbar, dass die Journalistin als Grund des öffentlichen Ärgernisses rechtswirksam zu einer Strafe verurteilt wird. Stand 2025. In: Die Bedeutung des zweiten Gebots in Politik und Alltag. Verfasser ist geschwärtz. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags. Aktenzeichen: WD 1 – 003/10. Abschluss der Arbeit: 5.2.2010. Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik. Online: https://www.bundestag.de/resource/blob/414018/95bcface9e86e6a662b6ac1d22ad83cd/wd-1-003-10-pdf-data.pdf
  • [13] Der Wortlaut ist zum Beispiel wieder gegeben in: Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Fischer Taschenbuch Verlag. Dreizehnte Auflage. 1987. ISBN: 3-596-26562-2. Dort auf Seite 413.

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