Vogelschwarm
Physikalisch
Basiswissen
Viele Vogelarten bilden auffällig große und oft geometrisch geformte Schwärme. Wozu tun sie das? Welche Vorteile bietet das Schwarmverhalten der Vögel?
Erscheinungsformen von Schwärmen
Große, auf natürliche Weise räumlich eng beieinander seiende, lebendige Vögel bezeichnet man als Schwarm. Schwärme kann man sowohl bei ruhenden oder auf dem Boden nach Nahrung suchenden Vögeln als auch bei fliegenden Vögeln beobachten.
Eine Ansammlung von Möwen wird bei durch Strandwanderer bei der Ruhe gestört. Je koordinierter und arbeitsteiliger sich die Tiere dabei verhalten, desto eher würde man die Anordnung als Schwarm im engeren Sinn bezeichnen.[18]
Bilden die fliegende Vögeln geordnete, beständige Strukturen aus, so spricht man auch von einer Formation. Bezüglich der Zugvögel[12] gibt es solche, die einzeln (z. B. Fischadler oder Kornweihe[1, Seite 19]), in ungeordneten "Haufen" (z. B. Tauben, Krähen, Strandläufer, Drosseln, Finken, Schwalben[1, Seite 38]) oder in geordneten Formationen (z. B. Schwäne, Enten, Gänse, Reiher, Kormorane[1, Seite 28] ziehen.
Abgrenzung zur bloßen Ansammlungen
Ein Schwarm in einem engeren Sinn ist eine räumlich Häufung von Vögeln, die gezielt die gegenseitige Nähe suchen, um daraus einen Nutzen ziehen. Pinguine zum Beispiel, die eng beeinander im kalten Wetter stehen bieten sich gegenseitig Wärme und Windschutz. Bei fliegenden Schwärmen sind die Vorteile oft aerodynamischer Natur und ein wirkungsvollerer Schutz vor Greifvögeln. Äußerlich nicht von solchen willentlich gebildeten Schwärmen zu unterscheiden sind bloß Ansammlungen bei denen jeder einzelne Vogel auch ohne den Vorteil eines Schwarmes an denselben Ort gekommen wäre.
Die Möwen machen Jagd auf Insekten, sehr wahrscheinlich fliegende Ameisen. Wenn jede Möwe für sich alleine auch an diesen Ort gekommen wäre und die fliegenden Ameisen gejagt hätte, wäre es hier eine bloße Ansammlung von Möwen. Würden die Möwen eine kollektive Jagdtaktik anwenden oder hätten sie sich gegenseitig über die Futterquelle informiert, wäre das ein Indiz für ein Schwarmverhalten.[17]
Solche Scheinschwärme oder Ansammlungen können sich etwa bilden, wenn viele Vögel von einer eng begrenzten Nahrungsquelle angezogen werden, zum Beispiel scharmartigen Ansammlungen von Insekten. Oder aber die Vögel nutzen alle einen Rastplatz, den auch jeder Vogel für sich alleine genutzt hätte, etwa den Ufersaum im Wattenmeer bei Hochwasser.[14]
Zur Forschungsgeschichte
Schon der antike griechische Philosoph Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) hat in seinem Werk Historia animalium den Flug von Kranichen beschrieben. Aristoteles hatte aber behauptet, dass der vorderste Vogel immer derselbe sei, was später korrigiert werden musste.[1, Seite 24] Der römische Schriftsteller Gaius secundus Plinius vermutete bereits um 77 nach Christus in seiner Naturalis historia korrekt, dass der Formationsflug aerodynamische Vorteile biete.[1, Seite 24] Der umfassend gebildete und modern anmutetende Staufenkaiser Friedrich II (1194 bis 1250) prägte das heute übliche Wort vom Vogelzug und vermutete, dass sich die Kraniche beim Formationsflug an der vordersten Position abwechseln, weil der führende Vogel sowohl durch sein "Voranfliegen" aber auch durch seine ständige "Vorsicht" mit der Zeit ermüde. In dem Buch De arte venandi cum avibus beschrieb Friedrich II dass noch weitere Vogelarten in ihrem Schwarmverhalten. Pionierarbeit für die heutige, naturwissenschaftlich geprägte Vogelforschung leisteten unter anderem Johannes Thienemann in Rossitten (Ostpreußen). Was die Erforschung der Aerodynamik des Vogelflugs angeht muss auch der Flugpionier Otto Lilienthal (1848 bis 1896) genannt werden.[2] Welche aerodynamischen Vorteile (und Nachteile) ein Formationsflug mit sich bringt, wurde erstmals 1898 von dem Vogelkundler Bernahrd Althum in seinem Buch "Der Vogel und sein Leben" ernsthaft diskutiert. Athum vermutete, dass man auch eine zeitliche Verschiebung der Flügelschläge von hintereinander fliegenden Vögeln erwarten müsste, womit er richtig lag. Diese Phasenverschiebung der Flügelschläge wurde später filmisch zuerst an Gänsen im Verbandflug nachgewiesen. Seit den 1970er Jahren zeigten dann aerodynamische Modelle und Simulationen[13], dass ein Vogel in einer Formation einen energetischen Vorteil haben kann, wenn er genau dann mit den Flügel im Abschlag ist, wenn ein Luftwirbel des vorausfliegenden Vogels im richtigen Zustand ist.[7][8]
Energetische Vorteile des fliegenden Schwarms in V-Formation
Rechnerische Simulation von Vögeln im einer Formation, etwa einem V-förmigen Keil, weisen Energieersparnisse zwischen 10 % bis maximal 50 % aus, wenn die Vögel ihre Positionen und den zeitlichen Ablauf ihrer Flügelschläge optimal aufander abstimmen. Wenn ein Vögel mit den Flügeln schlägt, so entsteht in der Luft auf der Oberseite der Flügel ein Unterdruck und auf der Unterseite ein Überdruck[3], was über Messungen nachgewiesen werden kann. Dieser Druckunterschied bewirkt letztendlich den aerodynamischen Auftrieb, wobei aber noch nicht alle Fragen restlos geklärt sind[4][5].
Gleichzeitig mit dem Druckunterschied bei schlagenden Flügeln, entstehen an den Enden eines jedes Flügels auch Wirbel[6]. In diesen Wirbeln rotiert die Luft von oben (an den Flügelspitzen) nach unten (etwas nach außen vom Vogel aus gesehen). Diese Wirbel lösen sich dann von Flügelspitzen ab und wandern vom fliegenden Vogel aus gesehen nach schräg hinten weg. Die kleinen Bereiche, in denen die Luft aufwärts strömt kann der nachfliegende Vogel dann als sozusagen als Aufwind nutzen. Dazu muss er aber in der günstigen Position sein. Und diese günstige Position liegt immer so "schräg außen hinter dem Leitvogel"[1, Seite 31], dass sich bei vielen Vögeln letztendlich V-förmige Formationen ausbilden.
Experimentell konnte man den energetischen Vorteil der V-Formation erstmals an Rosapelikanen nachweisen, indem man die Herzschlagrate als sogenannte Proxy-Variabel für den Energieverbrauch pro Zeit nutzte. In einer Felbeobachtung im Jahr 2014 schließlich wurden 14 sogenannte Waldrappen mit GPS-Geräten und Beschleunigungsmessern ausgestattet. Damit konnte man aus der Entfernung die Position eines jeden Vogels im Flug bis auf 30 cm genau bestimmen. es konnte gezeigt werden, dass das tatsächliche Flugverhalten der Rappen genau den theoretischen Modell entsprach.[9]
Unklar ist, wie die Vögel die aerodynamisch optimalen Bereich erkennen. Genügt eine bloße Beobachtung der Vögel vor ihnen? Haben die Vögel vielleicht Drucksensoren in ihren Federn? Oder finden sie die optimale Position durch Versuch und Irrtum?[1, Seite 32]
Warum fliegen nicht alle größeren Vögel in V-Formation?
Wenn größere Vögel einen energetischen Vorteil vom Flug in einer V-Formation oder eine Schrägreihe haben, dann sollen eigentlich alle großen Vögel diese Flugformation bevorzugen. Das tun sie aber nicht. Vor allem größere Vögel die längere Strecken über See ziehen, ordnen sich dabei in Längsreihen, auch Ketten oder Stränge genannt, an, fliegen also mehr oder minder ein Vogel direkt hinter dem anderen. Zu den entsprechenden Arten gehören zum Beispiel die Eider- und Trauerente sowie die Ringelgans. Auf den ostfriesischen Inseln wurden Längsreihen von zum Beispiel 110 Ringelgänsen, 300 Eiderenten oder 80 Trauerenten beobachtet.[1, Seite 34] Teilweise mischen sich sogar verschiedene Arten und bilden gemeinsam eine Reihe.
Die Erklärung, warum nicht alle Vögel die V-Formation oder Schrägreihe nutzen, hat vielleicht etwas mit den Windverhältnissen auf See zu tun. Die meisten Vögel, die über See ziehen, fliegen selten höher als 50 Meter, oft fliegen sie in den ersten 1 bis 3 Metern über der Wasseroberfläche. Sie tun das vor allem bei Gegenwind. Denn die Windstärke nimmt deutlich ab, je dichter man am Boden ist. Wenn zum Beispiel in 15 Metern Höhe 8 Beaufort Windstärke herrschen, sind es direkt über dem Wasser vielleicht nur 4 Beaufort.[11] Umgekehrt heißt also eine große Höhe bei Gegenwind, dass man dort auch viel Widerstand hat. Folglich fliegen die Tiere bei Gegenwind tiefer am Boden, um damit Flugkosten zu sparen.[10] Zu dieser Argumentation passend fliegen die Tiere bei Rückenwind in deutlich größerer Höhe. Nun kann es sein, dass direkt über dem Meer die Verwirbelung der Luft durch Wellen so stark ist, dass sich keine zuverlässig nutzbaren Wirbel ausbilden.[1, Seite 37] Die Wellenberge und die Windfronten erzeugen ständig schwankende Verhältnisse. Ein Vorteil des Längsreihenfluges könnte dann nicht darin bestehen, dass die Tiere die Wirbel der vorausfliegenden Vögel nutzen, vielleicht aber deren Windschatten.[1, Seite 37] Aber auch diese Argumentation kann dann nicht erklären, warum die betreffenden Vogelarten bei Flug mit Rückenwind in großen Höhen keine V-Formation oder Schrägreihe bilden.
Sonstige Vorteile des fliegenden Schwarm in Formation
Weitere Vorteile eines Fluges in einer Formation[1, Seite 33], nicht nur alleine der V-Formation, sind der ständige Sichtkontakt der Vögel untereinander zur Vermeidung von Kollisionen, eine gute Kommunkation für eine bessere Orientierung, schnelle Information aller bei Sicht eines Greifvogels. Diese Vorteile einer V- oder Keilformation machen sich auch militärische Jagdflieger zunutze.
Energetische Nachteile des fliegenden Schwarms
Die V-Formation ist nur ein Sonderfall von Vögeln in einem Schwarm. Viele Vögel fliegen in Schwärmen ohne besonders erkennbare Formation. An einem Versuch mit 18 Haustauben konnte gezeigt werden, dass die Vögel bis zu 4 mal so viel Energie im Schwarmflug (ohne Formation) verbrauchen als im Alleinflug.[1, Seite 38] Bei kleineren Vögeln sind die sich ausbildenden Wirbel so klein oder unregelmäßig, dass sie von nachfliegenden Vögeln nicht planvoll genutzt werden können. Die Frage ist dann, wozu die Vögel dann überhaupt im Flug einen Schwarm bilden sollten. Als möglicher Grund wird die Verwirrung von Greifvögeln beim Angriff diskutiert.[1, Seite 39] Ähnlich wie Herdentiere in der Steppe (Zebras, Gnus, Springböcke) angreifende Löwen oder Geparden durch ihr schieres Gewimmel verwirren und es den Angreifern sehr schwer machen, sich auf ein Opfer-Tier zu konzentrieren, so könnten auch wir durcheinander fliegende Vögel in Schwärmen ihre Angreifer verwirren. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Information über einen Angreifer sehr schnell kommuniziert werden kann. Tatsächlich wird ein Tier in einem Schwarm seltener von Greifvögeln angegriffen als ein einzelnes Tier.[1, Seite 240]