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Messinische Salinitätskrise

Erdgeschichte

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Basiswissen


Vor etwa 5,97 bis vor 5,33 Millionen Jahren, in der erdgeschichtlichen Zeit des Messiniums (kurz auch Messin) im späten Miozän schloss sich die Straße von Gibraltar. Damit war der Wasseraustausch zwischen Atlantik und Mittelmeer abgeschnürt. Man spricht von der messinischen Salinitätskrise.[2] In etwa 10 tausend Jahren[3] oder sogar nur 3000 Jahren[4] sank der Meeresspiegel in getrennten Becken im Westen und Osten[4] um 850 bis fast 2000 Meter.[3] Es wurden rund 10 Millionen Kubikmeter Salz in heutigen Schichtdicken von bis zu 3500 Metern abgelagert.[5]

Plausibilitäts-Check


In der Fachliteratur zum Verdunsten des Mittelmeers vor etwa 5 Millionen Jahren findet man unterschiedliche Angaben dazu, wie lange das Ereignis gedauert hat und wie tief der Wasserspiegel gesunken ist. Grobe und einfache Rechnungen können zeigen, ob die Angaben zumindest von der Größenordnung her zueinander passen können.

Die Verdunstungsrate


Die Verdunstungsrate kann man zum Beispiel in Millimetern pro Tag angeben. Die Millimeter stehen für das Absinken des Wasserspiegels. Als das Mittelmeer verdunstete, bildeten sich verschiedene Becken, die von Landmassen voneinander getrennt waren. Das westliche Becken hatte als Hauptzufluss die Rhone, das östliche Becken den Nil. Zudem lief der Prozess wahrscheinlich nicht ganz gleichmäßig ab. Auch kann es zwischenzeitlich immer wieder zu Verbindungen mit dem Atlantik gekommen sein. Die folgenden Angaben können also nur durchschnittliche Abschätzungen ergeben. Was hier interessiert ist eher, ob es pro Tag Mikrometer, Millimeter[13], Zentimeter oder sogar Meter an Rückgängen der Wassertiefe gewesen sein könnten.

  • 850 m in 10000 Jahren (westliches Becken):[3] etwa 0,2 mm/d
  • 2000 m in 10000 Jahren (östliches Becken):[3] etwa 0,5 mm/d
  • 1500 m in 6000 Jahren:[7] etwa 0,7 mm/d

Damit kommt man auf eine Sinkrate des Meeresspiegels von etwa 0,2 bis 0,7 Millimeter pro Tag. In 10 Tagen wäre der Meeresspiegel damit schon um 2 bis 7 cm abgesunken, in einem Jahr wären es schon 70 bis 255 Millimeter oder gerundet 7 bis 26 cm. Geht man von einer Neigung des Kontinentalabhangs von vielleicht 4° aus, dann würde sich die Küstenlinie um jährlich etwa einen bis vier Meter zurückziehen.

Temperatur und Dichte


Für eine sehr viele höhere als die errechnete Verdunstungsrate sprechen meteorologische beziehungsweise physikalische Gründe. Als das Mittelmeer verdunstete senkte sich der Wasserspiegel über viele hunderte bis vielleicht sogar einige tausende Meter ab. Dadurch stiegen der Luftdruck und auch die Lufttemperatur.[10] Ein Gefühl für die Stärke des Effektes geben die Werte der internationalen Standardatmoshäre[11], die den Verlauf von Temperatur und Luftdichte in Abhängkeit der Höhe als Mittelwert angbit:

  • 2000 unter dem Meeresspiegel: 28,0 °C und 1,48 kg/m³
  • 1000 unter dem Meeresspiegel: 21,5 °C und 1,35 kg/m³
  • Genau auf dem Meeresspiegel: 15,0 °C und 1,23 kg/m³
  • 1000 über dem Meeresspiegel: 8,5 °C und 1,11 kg/m³
  • 2000 über dem Meeresspiegel: 2,0 °C und 1,01 kg/m³

In 2000 Metern unterhalb des Meeresspiegels könnte die Temperatur der Luft also rein aufgrund der physikalischen Verdichtung schon gut 13 °C über dem Wert auf Höhe des Meeresspiegels liegen. Nimmt man heutige Lufttemperaturen von zum Beispiel 30 °C bis 40 °C im Sommer an der Mittelmeerküste auch für damals an, kommt man auf Temperaturen tief unten in der sich bildenden Senke von über 50 °C. Diese hohen Temperaturen in Verbindung dürften sehr viel höhere als die hier errechneten Verdunstungsraten ermöglicht haben. Dagegen gehalten muss jedoch die Tatsache, dass die Verdunstungsrate mit zunehmender Dichte sinkt. Es ist denkbar, dass sich die Effekte gegenseitig kompensieren oder sogar der Effekt der Luftichte überwiegt.

Salzpakete


Wenn Wasser ohne den Einfluss von Wind verdunstet, dann geht das im Wasser gelöste Salz nicht mit in die Luft. Es verbleibt im Meereswasser. Damit steigt aber der Salzgehalt im Laufe der Verdunstung immer mehr an. Irgendwann ist das Salzwasser übersättigt. Das Salz fällt dann aus und lagert sich als Feststoff an den Uferlinien und am Boden ab. In einer Veröffentlichung[5] heißt es, dass im Mittelmeer so insgesamt rund eine Millionen (10⁶ km³) Kubikkilometer Salz abgelagert worden seien. Die Mächtigkeit (Dicke) der abgelagerten Salzpakete soll heute gut 1500 bis 3500 Meter betragen.[8]

Das Volumen des heutigen Mittelmeeres liegt bei rund 4.300.000 oder 4,3 Millionen Kubikkilometern. Das entspricht einer Masse von 4·10¹⁵ Tonnen Meerwasser.


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Ein Kubikkilometer sind (1000 m)·(1000 m)·(1000 m) oder kurz 10⁹ m³. Jeder Kubikmeter (m³) Wasser wiegt etwa eine Tonne. Das Mittelmeerwasser wiegt dann also rund 4 Millionen mal 10⁹ Tonnen oder 4·10⁶·10⁹ oder 4·10¹⁵ Tonnen. Der durchnittliche Salzgehalt des Mittelmeers kann grob mit 4 % bezogen auf die Masse angegeben werden[8]: vier Hundertstel der Masse von einer gegebenen Masse Mittelmeerwasser entfallen dann auf Salz.



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4 % von 4·10¹⁵ Tonnen sind 16·10¹³ Tonnen. Da eine Tonne Salz etwa einen halben Kubikmeter Volumen hat, sind das rund 8·10¹³ m³ oder 8 mal 10⁴ km³ oder 8·10⁴ oder 80.000 Kubikkilometer Salz.


Dieser Wert überrascht. Die in einem Fachartikel angegebene große Salzmenge (a large body of evaporites[8]) von einer Million km³ kann nach diesem Überschlag nicht alleine von einem einmaligen Eindampfen des Mittelmeers stammen. Zwischen den angegebenen 1.000.000 km³ und den berechnete 80 tausend Kubikkilometern liegt ein Faktor von über 12. Um die angegebene Menge an Salz durch Verdampfung zu erzeugen, müsste man der Rechnung zufolge das Mittelmeer nicht einmal, sondern über 12 mal komplett verdunsten. Wie kann man diese Abweichung erklären? Möglicherweise wurde durch wiederholte Verbindungen zum Atlantik immer wieder Salz eingetragen. Oder Salz wurde über Flüsse und Verwitterungseinträge vom umgebenden Festland zugeführt.

Fazit


Die großen Mengen (10 Mio. km³) abgelagerten Salzes (Evaporite) legen es nahe, dass die im Zeitraum von etwa 600 tausend Jahren verdundsten Mengen an Wasser im Endeffekt bis zu über 12 mal durch neue Zuflüsse wieder teilweise oder ganz aufgefüllt worden sind. Eien realistische Verdunstungsrate gemessen an Wasserkörpern frei von jeden Zuflüssen dürften daher um ein Vielfaches über den Abschätzung von unter 1 mm/d liegen. Von den reinen Zahlenwerten her denkbar ist eine Größenordnung von über 10 mm/d. Das erscheint anhand realer Verdungstungsraten von z. B. 7 mm/d[9], gemessen an heutigen Wasserflächen, durchaus realistisch.

Fußnoten


  • [2] Als Messinium oder Messin bezeichnet man den letzten Zeitabschnitt der erdgeschichtlichen Zeit des Miozäns. Der Abschnitt ist nach der Stadt Messina auf Sizilien benannt. Das Wort Salinitätskrise deutete die Versalzung des Mittelmeers an, die für die dort lebenden Organismen eine Katastrophe war. Siehe dazu auch: Als das Mittelmeer austrocknete. Fossilien enthüllen dramatische Folgen der messinischen Salinitätskrise vor rund 5,5 Millionen Jahren. ScineXX. Das Wissensmagazin. 30. August 2024. Online: https://www.scinexx.de/news/geowissen/als-das-mittelmeer-austrocknete/
  • [3] "Innerhalb von nur 10 000 Jahren verdunsteten riesige Wassermengen; die Meeresspiegel fielen um 850 Meter im West- und um 1,7 bis 2,1 Kilometer im Ostteil der Region. Riesige Flächen fielen trocken und wurden zu Salzsteppen. Nur in den tiefsten Becken und in der Nähe großer Zuflüsse blieben Wasserflächen erhalten - bis der Atlantik wieder an der Straße von Gibraltar durchbrach und das Becken erneut flutete." In: Daniel Lingenhöhl: Messinische Salinitätskrise: Wie das Mittelmeer einst austrocknete. 18. November 2024. Spektrum.de. Online: https://www.spektrum.de/news/messinische-salinitaetskrise-wie-das-mittelmeer-einst-austrocknete/2242949
  • [4] Im Osten verblieb wahrscheinlich ein Salzsee mit größerer Wassertiefe: "Our results support previous inferences that desiccation and re-filling are fast; desiccation occurs on a time scale of 3–8 kyr, re-filling probably even faster. Equilibrium sea levels imply that most water has gone from the western basin while a significant water column remains in the eastern basin." In: P. Th. Meijer, W. Krijgsman: A quantitative analysis of the desiccation and re-filling of the Mediterranean during the Messinian Salinity Crisis. Earth and Planetary Science Letters. Volume 240, Issue 2, 1 December 2005, Pages 510-520. Online: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0012821X05006229
  • [5] Es wurden insgesamt rund eine Million Kubikkilometer Salz abgelagert. Die heutigen Schichten am Boden des Mittelmeers haben Mächtigkeiten von bis zu 1500 Meter im westlichen Becken und bis zu 3500 Meter im östlichen Becken: "The Messinian evaporite successions comprise a total volume of about 10⁶ km³, and reach thicknesses of up to 1500 m and 3500 m in the western and eastern Mediterranean deep basins, respectively". In: P. Th. Meijer, W. Krijgsman: A quantitative analysis of the desiccation and re-filling of the Mediterranean during the Messinian Salinity Crisis. Earth and Planetary Science Letters. Volume 240, Issue 2, 1 December 2005, Pages 510-520. Online: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0012821X05006229
  • [6] Die Verdunstungsrate bis hin zu einem stabilen Wasserstand könnte bei rund 0,7 mm/d gelegen haben: "Blanc finds that, following closure of the connection to the Atlantic, it takes about 6 kyr [6 Kilojahre, also 6000 Jahre] to reach equilibrium at a level that is roughly 1500–1600 m below normal." In: P. Th. Meijer, W. Krijgsman: A quantitative analysis of the desiccation and re-filling of the Mediterranean during the Messinian Salinity Crisis. Earth and Planetary Science Letters. Volume 240, Issue 2, 1 December 2005, Pages 510-520. Online: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0012821X05006229
  • [7] Vietinghoff, Hartwig: Die Verdunstung freier Wasserflächen - Grundlagen, Einflussfaktoren und Methoden der Ermittlung. 1. Auflage. Allensbach. UFO Atelier für Gestaltung und Verlag. 2000. ISBN 3-930803-82-8. Siehe auch Verdunstungsrate ↗
    • [8] Wie viel Salz in Wasser enthalten ist bezeichnet man als Salinität ↗
    • [9] Für den Lake Pretty in Indiana in den USA wurden für das Jahr 1963 Verdunstungsraten von bis zum 7 mm/d gemessen, wobei der Einfluss zufließender Gewässer noch nicht berücksichtigt wurde. In: Vietinghoff, Hartwig: Die Verdunstung freier Wasserflächen - Grundlagen, Einflussfaktoren und Methoden der Ermittlung. 1. Auflage. Allensbach. UFO Atelier für Gestaltung und Verlag. 2000. Dort einer Tabelle entnommen, Seite 65. Online: http://www.gewaesserschutz-vietinghoff.de/medien/verd1.pdf
    • [10] Der Effekt der zunehmenden Luftdichte und Lufttemperatur für große Tiefen unterhalb des Meeresspiegels ist beschrieben in: Thomas Halliday: Urwelten. Eine Reise durch die ausgestorbenen Ökosysteme der Erdgeschichte. Hanser Verlag. 2022. ISBN: 978-3-446-27268-2. Dort gibt es ein eigenes Kapitel zur Austrocknung des Mittelmeers. Das Buch gibt sehr anschauliche Beschreibungen der vergangenen Lebenswelten.
    • [12] Fluteau, F., Valdes, J. P., & Valdes, G. K. P. (2003). Modelling the climatic consequences of the Messinian Salinity Crisis. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 215(1-2), 1-13.
    • [13] Millimeter pro Tag, für den weitgehenden verdunsteten Aralsee wird ein Rückgang der Höhe von rund 10 Metern über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren berichet: "In the South Aral Sea, sea level shows a steady decrease from 35 m above sea level to <26 m since 1993." Damit kommt man auf eine Verdunstungsrate von etwa 1,4 mm/a für den betrachteten Zeitraum. Der zitierte Artikel erschien im Jahr 2014: Shi, W., M. Wang, and W. Guo (2014), Long-term hydrological changes of the Aral Sea observed by satellites, J. Geophys. Res. Oceans, 119, 3313–3326, doi:10.1002/2014JC009988.