[Holismus
Ganzheitlich
Definition
Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile[9]: als holistisch bezeichnet man eine erkenntnistheoretische Position, die Systeme nicht vollständig über das Zusammenspiel ihrer Einzelteile für erklärbar hält. Der Holismus ist damit die Gegenposition zum Reduktionismus. Hier stehen einige Beispiele zu holistischen Positionen.
Die Gegenposition: Reduktionismus
Kennt man die Einzelteile, kennt man alles: allen Spielarten eines erkenntnistheoretischen Reduktionismus gemeinsam ist die Idee, dass die Welt in Einzelobjekte zerlegt werden kann. Diese Einzelobjekte wirken nur nach festen Gesetzmäßigkeiten miteinander. Das klassische Beispiel ist die Vorstellung, dass alle Wissenschaften letztendlich auf Physik reduziert werden können. Mehr unter Reduktionismus ↗
Holismus und Gravitation
In der klassischen Physik, das heißt, die Physik bis etwa zum Jahr 1900, tritt uns der Holismus zum Beispiel in der Form einer unendlich weit wirkenden Schwerkraft entgegen. Zwei Körper mit Masse ziehen sich gegenseitig immer an. Obwohl diese Anziehungskraft mit der Entfernung abnimmt, wird sie rein theoretisch und rein rechnerisch niemals ganz auf Null zurückgehen. Das heißt aber, dass alle Körper des Universums eine irgendwie geartete Anziehungskraft auf alle anderen Körper des Universums ausüben. Man kann also kein Teilstück des Universums vollständig beschreiben, ohne dass man gleichzeitig den Gesamtzustand des Universums kennt. Die grundlegende Formel dahinter ist das Gravitationsgesetz ↗
Holismus und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass in einem abgeschlossenen System das Zufällige, die Gesamtmenge an Unordnung, mit der Zeit immer nur zu und niemals abnimmt. Diese Gesetzmäßigkeit zeigt sich aber erst, wenn man Systeme aus vielen Teilchen betrachtet:
ZITAT:
Im 19ten Jahrhundert entwickelte sich "ein Standpunkt bei dem das Zentrum des Interesses sich abwandt vom analytisch gewonnenen Konzepten (Atome, elektrische Potentiale) hin zu Eigenschaften ganzer Systeme, die nicht aufgeteilt und lokal abgetrennt - etwas hier und etwas dort - werden können."[7]
ZITAT:
Entropie gehört in eine Kategorie mit dem Schönen und Melodischen, denn "Entropie findet man nur, wenn man die Teile in ihrem gegenseitigen Bezug betrachtet, so wie man auch Schönheit oder Melodie am Bezug der Teile untereinander erkennt."[10]
Die Zitate des Astrophysikers Arthur Stanley Eddington (1882 bis 1944) ist ein längeren Betrachtung zur Richtung der Geschehnisse im Kosmos entnommen. Eddington bemerkte, dass die Anwendung der scheinbar grundlegenden (primary) Gesetze Newtons, keine Tendenz erkennen lässt, mit der sich die Welt im Sinne eines Fortschritts entwickelt. Eine solche Tendenz aber, so Eddington sinngemäß, wird erkennbar, wenn man die Welt als Ganzes betrachtet. Siehe mehr dazu im Kapitel zum Zeitpfeil
Holismus und Quantenphysik
Quantenphysikalische Gesetze, etwa zur Berechnung von Atomorbitalen, verwenden Formeln, die potentiell umso bessere Vorhersagen machen, je mehr der Gesamtzustand des Universums in ihnen abgebildet wird. Das führt zu der Vorstellung, dass die lokalen Werte einer quantenphysikalischen Zustandsfunktion präzise nur vorhergesagt werden können, wenn man den Gesamtzustand des Universums kennt. Ein Phänomen, das dahiner liegt ist die sogenannte Verschränkung ↗
Holismus und Organisation
Die Organisation mehrerer Teile zu etwas größerem kann nur in einer holistischen Sicht erfasst werden. Man kann mit Recht die Energie der Moleküle eines fallenden Steines auf die einzelnen Moleküle verteilen. Es macht aber keinen Sinn, die Organisation der Steine in dieser Weise auf einzelne Moleküle zu verteilen.[8]
Holismus und Lebendigkeit
Der Organinizismus geht davon aus, dass größere Systeme das Verhalten ihrer Teile beeinflussen können und dabei Phänomene des Lebendigen eine Rolle spielen. Demnach wäre auch unter beliebig genauer Kenntnis aller Einzelteile eines Menschen eine Vorhersage seines Verhaltens nicht möglich. Mehr unter Organizismus ↗
Holismus als Einheit von Gedanken
Der US-amerikanische Philosoph Willima James definierte die Einheit von Gedanken im Sinne eines Holismus: "jeder bewusste Gedanke ist im Wesentliche a komplexes Ganzes; jeder Gedanke hat Bestandteile, welche man später analytisch untersuchen kann. Aber, so wie angetroffen, ist ein Gedanke ein vereinheitlichtes Ganzes welches man nicht auf eine Ansammlung von Bestandteilen herunterbrechen kann ohne dabei sein Wesen zu zerstören.". Im englischen Original: "...each conscious thought is essentially a complex whole; each thought has componentes, which can be examined by subsequent analysis, but, as given, is a unified whole that cannot be reduced to a collection of parts without destroying its essence."[4]
Whiteheadsche Kohärenz
Der englische Mathematik Alfred North Whitehead definierte mit dem Konzept der Kohärenz, das was später als Holismus bezeichnet werden sollte: Coherence,' as here employed, means that the fundamental ideas, in terms of which the scheme is developed, presuppose each other so that in isolation they are meaningless. Mehr unter Whiteheadsche Kohärenz ↗
Holismus und Evolution
Geprägt in seinem philosophischen Sinn wurde das Wort Holismus von dem südafrikanischen Politiker und Universaldenker Jan Christian Smuts. Smuts beschrieb einen Weltprozess, in dem sich kleinere Teile stufenartigen auf immer größeren Ebenen der Komplexität zusammenfügen. Mehr zu Smuts' Konzept unter Holismus und Evolution ↗
Zitate zum Holismus
- Rene Descartes: „Wer ernsthaft die Wahrheit der Dinge ergründen will, darf sich keiner einzelnen Wissenschaft verschreiben; denn alle Teile der Wissenschaft stehen im Verbund wechselseitiger Abhängigkeit.“[5]
Fußnoten
- [1] Zur Quantenphysik: Bohm, David: Die implizite Ordnung. Grundlagen eines dynamischen Holismus, Goldmann, München 1987, ISBN 3-442-14036-6.
- [2] Prägung des Wortes in seiner heutigen Bedeutung: Smuts, Jan Christiaan (1927). Holism and Evolution. Herausgeber: Macmillan and Co.
- [3] Zur sprunghaften Evolution: John Maynard Smith; Eörs Szathmáry: The Major Transitions in Evolution. Oxford University Press, New York 1995, ISBN 0-19-850294-X.
- [4] Zitiert nach: Henry Stapp, Mind, Matter, and Quantum Physics, Berlin Heidelberg 1993, Springer Verlag, ISBN 0-387-56289-3, im Kapitel "The Mind-Matter Problem", Seite 178.
- [5] Zitiert nach: Carsten Bresch: Zwischenstufe Leben. Piper & Co. Verlag München. 1977. ISBN: 3-492-02270-7. Vorwort.
- [6] Karl Popper: Das Elend des Historizismus. Tübingen 1971, S. 59–73. (Popper kritisiert dort auch den Holismus).
- [7] Spätestens das Konzept von Entropie aus dem 19ten Jahrhundert zwang die Naturwissenschaftler, nicht mehr nur eine Analyse kleinster Elemente zu treiben, sondern den Blick auch auf das Große und Ganze zu richten: "The Scientific Reaction from Microscopic Analysis. From the point of view of philosophy of science the conception associated with entropy must I think be ranked as the great contribution of the nineteenth century to scientific thought. It marked a reaction from the view that everything to which science need pay attention is discovered by a microscopic dissection of objects. It provided an alternative standpoint in which the centre of interest is shifted from the entities reached by the customary analysis (atoms, electric potentials, etc.) to qualities possessed by the system as a whole, which cannot be split up and located—a little bit here, and a little bit there. The artist desires to convey significances which cannot be told by microscopic detail and accordingly he resorts to impressionist painting. Strangely enough the physicist has found the same necessity; but his impressionist scheme is just as much exact science and even more practical in its application than his microscopic scheme." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", Seite 103. Siehe auch Zeitpfeil ↗
- [8] Organisation ist ganzheitlich: "in the study of the falling stone the microscopic analysis reveals myriads of separate molecules. The energy of the stone is distributed among the molecules, the sum of the energies of the molecules making up the energy of the stone. But we cannot distribute in that way the organisation or the random element in the motions. It would be meaningless to say that a particular fraction of the organisation is located in a particular molecule." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", Seite 103. Siehe auch Organisation ↗
- [9] Bei 1 und 1 muss auch das "und" mit betrachtet werden, das Ganze ist mehr als die Summe der Teile: "There is one ideal of survey which would look into each minute compartment of space in turn to see what it may contain and so make what it would regard as a complete inventory of the world. But this
misses any world-features which are not located in minute compartments. We often think that when we have completed our study of one we know all about two, because 'two' is 'one and one'. We forget that we have still to make a study of 'and'. Secondary physics is the study of 'and'—that is to say, of organisation." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", dort die Seiten 103 und 104.
- [10] "Suppose that we were asked to arrange the following in two categories — distance, mass, electric force, entropy, beauty, melody. I think there are the strongest grounds for placing entropy alongside beauty and melody and not with the first three. Entropy is only found when the parts are viewed in association, and it is by viewing or hearing the parts in association that beauty and melody are discerned." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", dort die Seite 104.
ZITAT:
Im 19ten Jahrhundert entwickelte sich "ein Standpunkt bei dem das Zentrum des Interesses sich abwandt vom analytisch gewonnenen Konzepten (Atome, elektrische Potentiale) hin zu Eigenschaften ganzer Systeme, die nicht aufgeteilt und lokal abgetrennt - etwas hier und etwas dort - werden können."[7]
Im 19ten Jahrhundert entwickelte sich "ein Standpunkt bei dem das Zentrum des Interesses sich abwandt vom analytisch gewonnenen Konzepten (Atome, elektrische Potentiale) hin zu Eigenschaften ganzer Systeme, die nicht aufgeteilt und lokal abgetrennt - etwas hier und etwas dort - werden können."[7]
ZITAT:
Entropie gehört in eine Kategorie mit dem Schönen und Melodischen, denn "Entropie findet man nur, wenn man die Teile in ihrem gegenseitigen Bezug betrachtet, so wie man auch Schönheit oder Melodie am Bezug der Teile untereinander erkennt."[10]
Entropie gehört in eine Kategorie mit dem Schönen und Melodischen, denn "Entropie findet man nur, wenn man die Teile in ihrem gegenseitigen Bezug betrachtet, so wie man auch Schönheit oder Melodie am Bezug der Teile untereinander erkennt."[10]