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Einsteins Induktionsparadoxon

Physik

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Basiswissen


Schon in der Schulphysik wird gezeigt, Wie man elektrischen Strom ganz einfach dadurch erzeugen kann, dass man eien Magneten durch eine Spule aus Metalldraht bewegt. Aber auch der umgekehrte Weg funktioniert: man kann die Spule auch um den Magneten bewegen.[1] Der Effekt ist seit spätestens 1839 beschrieben.[2] Solange der Unterschied der Geschwindigkeiten zwischen den zwei Objekten gleich bleibt, kommt auch immer dieselbe induzierte Stromstärke (Amperezahl) heraus. Dass das keineswegs logisch zwingend und offensichtlich so sein muss, war einer der zwei wichtigsten Ausgangspunkte von Albert Einstein für die Aufstellung seiner speziellen Relativitätstheorie im Jahr 1905.[3]



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Ein klassischer Versuch der Elektrodynamik, wie er in vielen Schulbüchern beschrieben wird: ein U-förmiger elektrischer Leiter (orange) wird über einen beweglichen Metallstab (braun) zu einem Stromkreis EFGH geschlossen. Bewegt sich der Leiter von links nach rechts, ändert sich die von Magnetfeld B durchflossene Fläche, wird eine Spannung U induziert, die die Elektronen e in dem Leiter antreiben. Eine Alternative Betrachtung ist, dass die Elektronen im beweglichen Leiter aufgrund der Lorentzkraft angetrieben werden. Beide Sichtweisen führen rechnerisch zu derselben Stromstärke. Das vermeintliche Paradoxon entsteht nach Albert Einstein dadurch, dass sich die Unterscheidung zwischen den zwei Sichten nur dadurch ergibt, was man als bewegt und was als ruhend annimmt. © Gunter Heim/ChatGPT ☛


Qualitative Erklärung


Sicht I: Induktion


Ruht der elektrische Leiter und bewegt man dazu den Magneten, so baut der Magnet um sich herum ein elektrisches Feld auf. Dieses elektrische Feld wird dann die frei beweglichen Elektronen im metallischen Leiter bewegen. Diese Elektronenbewegung im Leiter ist der messbare Strom.

  • Ruhender Leiter, bewegter Magnet:

Der physikalische springende Punkt ist hier, dass sich durch die Bewegung des Magneten in bestimmten Raumbereichen ständig die Form oder Stärke des Magnetfeldes ändert. Und dass sich ändernde Magnetfelder - egal ob zeitlich oder räumlich - in ihrem Einflussbereich eine Spannung und darüber oft auch einen Strom erzeugen, das heißt induzieren, nennt man elektromagnetische Induktion ↗

Sicht II: Lorentzkraft


Nun betrachten wir den umgekehrten Fall: der Magnet ruht und der elektrische Leiter wird an ihm vorbei geführt. Die Sichtweise ist jetzt, dass der Magnet ein Magnetfeld um sich hat, dass sich nicht ändert, weder räumlich noch zeitlich. Durch die Bewegung des Leiters erfahren die in ihm sitzenden Elektronen jedoch eine Lorentzkraft. Diese wirkt so, dass die Elektronen in dem Leiter eine Bewegung erfahren, also ein Strom fließt.

  • Ruhender Magnet, bewegter Leiter:
  • Um den Magneten gibt es kein elektrisches Feld, nur ein Magnetfeld ↗

Das Paradoxon


Aus der Zusammenschau der beiden Sichten I und II ergibt sich dann das Paradoxon: dass aus diesen Gedanken ein Problemen entstehen soll ist jedoch nicht ohne Weiteres klar. Aber für ein Verständnis der Relativitätsheorie ist es sehr hilfreich, erst einmal die Ausgangsprobleme, die Einstein lösen wollte, klar vor Augen stehen zu haben.

  • Bei ruhendem Leiter und bewegten Magneten entsteht erst ein elektrisches Feld und daraufhin eine elektrischer Strom.
  • Bei ruhenden Magneten und bewegtem Leiter entsteht erst ein elektrischer Strom und daraufhin eine elektrische Spannung.
  • Für beide Betrachtungen führen die Berechnungen aber zum denselben Werten für die Spannung und die Stromstärke.- Wesentlich für das korrekte Rechenergebnis ist nur die relative Bewegung von Leiter zu Magnet.

Aus diesen Befunden stellt sich die Frage, welche der möglichen physikalischen Prozesse den tatsächlich abläuft. Und es sollte auch verwundern, dass die zwei sehr unterschiedlich gedachten Prozesse zu denselben Rechenergebnissen für Spannung und Stromstärke führen.

Für eine Betrachtung im Sinne des klassischen Physik aus der Zeit vor Einstein macht es von der Logik her einen Unteschied, ob der Leiter oder ob der Magnet ruhend gedacht wird. Für das Rechenergebnis aber macht es keinen Unterschied. Diesen Befund stellte Albert Einstein ganz an den Anfang seiner berühmten Schrift aus dem Jahr 1905, die seine spezielle Relativitätstheorie begründete.

Die Lösung


Albert Einstein löste das Paradoxon der Induktion dadurch auf, dass er ganz auf die Idee der Ruhe verzichtete. Nach ihm gibt es kein Koordinatensystem, das gegenüber einem anderen Koordinatensystem irgendeinen Vorzug besitzt. Stellen wir uns vor, der Versuch wird auf einem fahrenden Schiff gemacht. Wäre dann der Leiter ruhend in einem Koordinatensystem das fest mit dem Versuchstisch verbunden ist, könnte der Leiter gleichzeitig als bewegt betrachtet werden, wenn man von einem Koordinaten fest verbunden mit einem Leuchtturm im Meer ausgeht. So betrachtet ist es unmöglich, einem Körper eine absolut definierte Ruhelage zuzusprechen. Es hängt alles vom gewählten Koordinatensystem ab. Das ist der Ausgangspunkt für Einsteins spezielle Relativitätstheorie ↗

Rechenbeispiel


Ein U-förmiger Leiterrahmen liegt fest auf einem Tisch. Zwischen den beiden parallelen Metallschienen (oben und unten) kann ein Leiterstab (z. B. aus Kupfer) frei und leitend gleiten. Auf der linken Seite verbindet ein fest installierter Draht die beiden Schienen elektrisch – dort kann z. B. ein Widerstand oder ein Messgerät (Voltmeter) angeschlossen sein.

Wenn der Leiterstab sich nach rechts bewegt, ändert sich die von der Leiterschleife umschlossene Fläche, was gemäß dem Induktionsgesetz eine Spannung erzeugt. Dank des geschlossenen Stromkreises kann dabei ein tatsächlicher Strom fließen, z. B. im Uhrzeigersinn.

Der bewegliche Leiterstab rechts (Länge L = 0,50 m) bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit v = 2,0 m/s senkrecht zu einem homogenen Magnetfeld (B = 0,20 T), das senkrecht zur Zeichenebene steht (nach "hinten", also in die Seite hinein). Die Enden des Stabs liegen auf zwei Metall-Schienen, sodass ein Stromkreis entstehen kann.

Ziel: Wie groß ist die induzierte Spannung?

Sicht I: Induktion

Die Fläche zwischen den Schienen wächst mit der Bewegung des Stabs.
Dadurch ändert sich der magnetische Fluss durch die Schleife.

Formel:
U = - dΦ/dt = - B · dA/dt = - B · (L · v)

Rechnung:
U = - 0,20 T · (0,50 m · 2,0 m/s) = -0,20 V

Betrag der Spannung:
U = 0,20 Volt

Sicht II: Lorentzkraft

Ladungsträger im Leiter bewegen sich mit dem Leiter durch das Magnetfeld.
Die Lorentzkraft lenkt die Elektronen seitlich ab und erzeugt ein elektrisches Feld im Leiter.

Formel:
U = v · B · L

Rechnung:
U = 2,0 m/s · 0,20 T · 0,50 m = 0,20 V

Ergebnis:
U = 0,20 Volt

Legende

  • U = induzierte Spannung in Volt [V]
  • v = Geschwindigkeit des Leiters relativ zum Magnetfeld [m/s]
  • B = magnetische Flussdichte [Tesla = T]
  • L = Länge des Leiterstabs, senkrecht zur Bewegungsrichtung [m]
  • Φ = magnetischer Fluss [Weber = Wb]
  • A = Fläche, die vom Stromkreis umschlossen wird [m²]
  • dΦ/dt = zeitliche Änderung des magnetischen Flusses

Fazit


  • Beide Sichtweisen führen auf denselben Wert: 0,20 Volt.
  • Das Minuszeichen im Induktionsgesetz zeigt nur die Richtung gemäß Lenz’scher Regel.
  • Es ist nicht nötig, beide Sichtweisen zu addieren.
  • Beide erklären denselben Effekt aus unterschiedlicher Perspektive.

Ähnlich: Feynmans Magnetfeldlinien


Die Lösung des Paradoxon liefert Albert Einstein in seiner speziellen Relativitätstheorie. Dass der Magnetismus überhaupt ein relativistisches - und nur ein solches - Phänomen ist, machte lange nach Einstein auch der Physiker Richard Feynman in den 1960er Jahren anhand eines einfaches Schulversuchs deutlich.

Mithilfe von dahingestreuten Eisenspänen werden zum Beispiel in Schulversuchen Magnetfeldlinien sichtbar gemacht. Es sieht ganz so aus, als seien diese Linien etwas Wirkliches, so wie vielleicht Wirbel in einem fließenden Fluss, die Blätter zu Mustern anordnen können. Der Physiker Richard Feynman allerdings hält dagegen, dass diese Feldlinien von der Bewegung des Beobachters abhängen, also nicht objektiv sondern vielleicht nur subjektiv existieren. Feynman betrachtet in einem Gedankenexperiment "zwei Ladungen", die sich "mit gleicher Geschwindigkeit und parallel zueinander im Raum bewegen." Er argumentiert dann:

ZITAT:

"Da sie [die zwei Ladungen] sich bewegen, verhalten sie sich wie zwei Ströme und haben ein magnetisches Feld um sich […]. Ein Beobachter aber, der mit den beiden Ladungen mitläuft, würde beide Ladungen als stationäre empfinden und behaupten, dass es dort kein magnetisches Feld gibt."[11]

Feynman argumentiert dann weiter, dass dieses Paradoxon ein Problem gibt: "Wer Feldlinien zeichnet ist in einer ähnlichen Schwierigkeit. Es ist nicht nur unmöglich zu sagen, ob sich die Feldlinien mit den Ladungen bewegen oder nicht - in manchen Bezugssystemen können sie sogar vollständig verschwinden."[11]

Um das Paradoxon zu lösen, betrachtet Feynman die Bewegung von Elektronen in einem elektrischen Leiter. Deren sogenannte Driftgeschwindigkeit[12] liegt bei nur etwa 0,1 mm/s oder 0,01 cm/s. Rechnet man diese Geschwindigkeit v mit den Formeln von Einsteins Relativitästheorie kommt man für v²/c² auf nur etwa 10 hoch -25. Doch obwohl dieser relativistische Korrekturfaktor sehr klein erscheint, führt er wegen der außerordentliche Stärke der elektrostatischen Kraft zu eben genau jenem Resteffekt der relativistisch gedachten elektrostatischen Kaft, die die magnetische Kraft ergibt. Siehe mehr unter Magnetismus ↗

Fußnoten


  • [1] Zu einer ausführlichen Anleitung wie man den Versuch mit einfachen Mitteln selbst durchführen kann, siehe den Artikel zum Induktionsversuch ↗
  • [2] Emil Lenz: Ueber die Gesetze, nach welchen der Magnet auf eine Spirale einwirkt, wenn er ihr plötzlich genähert oder von ihr entfernt wird, und über die vortheilhafteste Construction der Spirale zu magneto-elektrischem Behufe. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 110, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1835, S. 385-418. Siehe auch Emil Lenz ↗
  • [4] Schon James Clerk Maxwell hatte das Problem im Jahr 1865 benannt: "Thus the three terms on the right side of equation (D) may be described, from left to right, as the motional term, the transformer term, and the conservative term.” Maxwell Autor beschreibt hier scharf die beiden separaten Beiträge zur EMK: die durch Leiter-Bewegung im Magnetfeld (“motional EMF”) vs. die durch zeitliche Änderung des Feldes (“transformer EMF”). In: Maxwell, J. C. (1865). A Dynamical Theory of the Electromagnetic Field. Philosophical Transactions of the Royal Society of London, 155, 459–512.
  • [5] “Einstein learned from the magnet and conductor thought experiment how to use field transformation laws to extend the covariance of Maxwell’s electrodynamics. If he persisted in his use of this device, he would have found that the theory cleaves into two Galilean covariant parts, each with different field transformation laws. The tension between the two parts reflects a failure not mentioned by Einstein: that the relativity of motion manifested by observables in the magnet and conductor thought experiment does not extend to all observables in electrodynamics.” Anmerkung: EMF steht für electro-motive-force, die elektromotorische Kraft. In: Norton, J. Einstein’s Investigations of Galilean Covariant Electrodynamics Prior to 1905. Arch. Hist. Exact Sci. 59, 45–105 (2004). Online: https://doi.org/10.1007/s00407-004-0085-6
  • [6] Eine sehr ausführliche Erklärung der zwei Entstehungsweisen induzierter Ströme wird auf einer deutschsprachigen Seite behandelt. Dort heißt es zur Induktion ausdrücklich: "Beachte, dass die im faradayschen Induktionsgesetz beschriebene induzierte Spannung als Ursache eine Lorentzkraft (Bewegungsinduktion) oder ein zeitlich veränderliches Magnetfeld (oder einer Kombination aus beiden) haben kann." In: Physik Libre, Kapitel 13.6 – Elektromagnetische Induktion, Abschnitt 13.6.6–13.6.7. Abgerufen am 25. Mai 2025. Online: https://physikbuch.schule/electromagnetic-induction.html
  • [7] „In other electrical generators, the magnets move, while the conductors do not. In this case, the EMF is due to the electric force term in the Lorentz Force equation. The electric field in question is created by the changing magnetic field, resulting in an induced EMF called the transformer EMF, as described by the Maxwell–Faraday equation. Both of these EMFs, despite their apparently distinct origins, are described by the same equation, namely, the EMF is the rate of change of magnetic flux through the wire. (This is Faraday’s law of induction.) Einstein’s special theory of relativity was partially motivated by the desire to better understand this link between the two effects.“ In: englischer Wikipedia-Artikel “Lorentz force”, zuletzt abgerufen Mai 2025, Abschnitt “Electromotive force”. Online: https://en.wikipedia.org/wiki/Lorentz_force
  • [8] Es wird ein einfacher Schaltkreis vorgestellt, der zu unerwarteten Widersprüchen bei der Anwendung des Faradayschen Induktionsgesetzes führt: D. E. Tilley (1968), „Exceptions to the flux rule for electromagnetic induction“. In: American Journal of Physics 36 (5), S. 458–464.
  • [9] Die Induktionsgesetz führte zu einer Reihe von Scheinparadoxien: "Some unusual circuits have been devised which appear to produce a flux change without generating a corresponding induced potential difference, thus violating Faraday's law. What has been generated is a large amount of controversy and this article shows the cause of the dispute and its resolution." In: A. Nussbaum (1972), „Faraday’s Law Paradoxes“ Physics Education 7 (4), S. 231–237. Online: https://www.researchgate.net/publication/231042935_Faraday's_law_paradoxes
  • [10] Auch nach 150 Jahren sind noch nicht alle Fragen zum Induktionsgesetz geklärt: "The two forms of electromagnetic induction are generally referred to as motional and transformer induction, and although these phenomena have been observed and discussed for well over 150 years, certain aspects remain controversial in the scientific literature. " In: R. T. Smith, S. Taylor & S. Maher (2014), „Modelling electromagnetic induction via accelerated electron motion“ Canadian Journal of Physics 93 (7), S. 802–806. DOI 10.1139/cjp-2014-0366. Online: https://www.researchgate.net/publication/273346537_Modelling_electromagnetic_induction_via_accelerated_electron_motion
  • [11] Richard Feynman: Feymnan-Vorlesungen über Physik. Band 2. Elektromagnetismus und Struktur der Materie. Oldenbourg Verlag. 2007. ISBN:978-3-486-58107-2. Dort im Kapitel "1.5 Was sind Felder wirklich?", Seite 15.
  • [12] Die Durchschnittsgeschwindigkeit von Elektronen in einem elektrischen Leiter liegt in der Gegend von etwa 0,01 cm/s. Siehe mehr unter Driftgeschwindigkeit ↗
  • [13] Das Paradoxon verschwindet, wenn man Einsteins spezielle Relativitätstheorie anwendet. Albert Einstein dazu wörtlich: "Ist ein punktförmiger elektrischer Einheitspol in einem elektromagnetischen Felde bewegt, so ist die auf ihn wirkende Kraft gleich der an dem Orte des Einheitspoles vorhandenen elektrischen Kraft, welche man durch Transformation des Feldes auf ein relativ zum elektrischen Einheitspol ruhendes Koordinatensystem erhält." Und: "Analoges gilt über die 'magnetomotorischen Kräfte'. Man sieht, daß in der entwickelten Theorie die elektromotorische Kraft nur die Rolle eines Hilfsbegriffes spielt, welcher seine Einführung dem Umstande verdankt,daß die elektrischen und magnetischen Kräfte keine von dem Bewegungszustande des Koordinatensystems unahbängige Existenz haben." In: Albert Einstein: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. 1905. Siehe auch spezielle Relativitätstheorie ↗