Benham-Scheibe
Farbwahrnehmung
Basiswissen
Als Benham-Scheibe oder Benham-Kreisel bezeichnet man eine eine rotierende Kreisscheibe mit schwarz-weißem Muster, welche bei geeigneter Drehung aber Farbeffekte erzeugt. Tatsächlich muss die Scheibe dazu an keiner Stelle farbig sein.
Versuche zur Benham-Scheibe
Beim Drehen einer schwarz-weißen Scheibe werden Bögen von Farben sichtbar. Das Farbeempfinden ist bei verschiedenen Personen unterschiedlich stark, auch werden von unterschiedlichen Personen verschiedene Farben wahrgenommen. Manche Leute sehen gar keine Farben. Der Effekt kann auch gefilmt und in Videos sichtbar gemacht werden.
Die Farbeffekte werden auch im Film sichtbar. Ein Screenshot zeigt jedoch, dass die zugrundeliegenden Pixel nur schwarz und weiß sind.[11]
Der Effekt ist abhängig von: a) dem Muster auf der Scheibe, b) der Rotationsgeschwindigkeit, c) der Rotationsrichtung (rechts, links) und d) der Neigung der Scheibe zum Betrachter. Psychologen vermuten die Ursache in der zeitlich verzögerten Reizverarbeitung in den drei Arten von Stäbchenzellen (Rot, Grün, Blau) in der menschlichen Netzhaut. Zu dem Film wurde eine eigene kleine Versuchsreihe durchgeführt[8]:
- 20. Mai 2024, 63 Jahre alt, weiblich: keinerlei Farbeffekte
- 20. Mai 2024, 85 Jahre alt, männlich: bei Rechtsdrehung innen "rot", bei Linksdrehung außen "rot". Blau nur bei angehaltenem Video in verwaschen hellgrauen Bereichen gesehen, nicht aber bei Drehung.
- 20. Mai 2024, 34 Jahre alt, männlich: bei Rechtsdrehung im äußeren Bereich der drehenden Scheibe eher bläulich, bei Linksdrehung entsprechend eher im inneren Bereich bläulich. Bei Stillstand wurden die verwaschen hellgrauen Bereiche mit einem darauf hin deutenden Finger als hellblau bezeichnet, von einer gleichzeitig anwesenden Frau jedoch als nur hellgrau.
- 20. Mai 2024, 31 Jahre alt, weiblich: keinberlei Farbeffekte
- 20. Mai 2024, 4 Jahre alt, männlich: keinerlei Farbeffekte
- 21. Mai 2024, 16 Jahre alt, weiblich: bei Rechtsdrehung innen rosa, sonst keinerlei Farbeffekte
- 21. Mai 2024, 14 Jahre alt, männlich: bei Rechtsdrehung innen grünlich, etwas violett. Bei Linksdrehung überall etwas bläulich. Violett und bläulich sahen sich sehr ähnlich, könnten auch dasselbe sein. Soweit am Monitor. Am realen Modell erschien bei Rechtsdrehung der Innenbereich bräunlich, der Außenbereich bläulich und dazwischen etwas gelblich. Bei Linksdrehung am realen Modell schien es innen bläulich und außen bräunlich mit dem gelben Bereich in der Mitte (etwa halbe Scheibenradius).
- 22. Mai 2024, 17 Jahre alt, männlich: bei Linksdrehung beim mittleren Radius leichte Braunfärbung. Bei echter Scheibe bei Rechtsdrehung im inneren Bereich Hautfarbe. Bei Linksdrehung keine Effekte.
- 22. Mai 2024, 17 Jahre alt, weiblich, Rechtsdrehung keine Farbeffekte, bei Linksdrehung am Rand des Schwarzen Bereiches ein radialer, mitrotierender Streifen grün. Im realen Modell: bei Linksdrehung derselbe radiale grüne Streifen, zusätzlich bei Rechtsdrehung sind die Kanten der inneren Streifen neongelb umrandet, bei Linksdrehung ist innen dunkelblau. In beiden Richtungen sind die mittleren Streifen pastellgrün, die äußeren ganz schwarz.
- 23. Mai 2024, 19 Jahre alt, männlich: keine Farberkennung am Monitor. Am echten Modell auch nicht. Bei Nennung der Farbeindrücke des Experimentators sah der Proband eine der Farben dann auch (Rechtsrehung innen blau, bei Linksdrehung außen blau).
- 23. Mai 2024, 17 Jahre, weiblich: am Monitor nur bei Linksdrehung: innen blau und außen rötlich-bräunlich. Bei Rechtsdrehung am Monitor kein Farbeffekt. Am echten Modell aber auch bei Rechtsdrehung: innen braun-rot, außen blau, Effekte nur bei sehr schnelle Drehung.
- 23. Mai 2024, 16 Jahre alt, männlich: am Monitor bei Rechtsdrehung außen ganz leicht bläulich. Am realn Modell ebenso, bei Linksdrehung zusätzlich in der Mitte, etwa beim halben Scheibenradius gelblich.
- 23. Mai 2024, 15 Jahre alt, männlich: am Monitor keine Farbeffekte. Am realen Modell, innerer Radius rot, mittlerer Radius gelb, äußerer Radius blau. Bei Linksdrehung innen blau, Mitte ist gelb, außen rot.
- 23. Mai 2024, 17 Jahre, weiblich. am Monitor (IPad): keine Farbeffekte. Am Modell bei Rechtsdrehung: innerer Radius braun, mittlerer Radius gelb, äußerer Radius blau. Bei Linksdrehung innererer Radius blau, mittlerer Radius gelbt, äußerer Radius braun. Bei erneuten Versuch am Monitor schwach auch dort die Farbeffekte gesehen.
- 27. Mai 2024, 14 Jahre, weiblich. Am Monitor radial hellbläulich vom Scheibenmittelpunkt bis zum Rand. Am echten Modell bei Rechtsdrehung: ganz außen pink und blau sich konzentrisch abwechselnd. Im mittleren Ring sieht es gelblich abwechelnd mit blau aus. Jede Farbe bildet einen kompletten Kreis. Bei Linksrehung bleiben vorher weiße Bereiche weiß, was im Stillstand schwarz wird grün, hellblau bis dunkelblau (von außen nach innen). Bei höherer Drehzahl (Linksdrehung) außen gelb, in der Mitte grün und ganz blau.
- 27. Mai 2024, 14 Jahre, weiblich, am Monitor außen nur bei Linksdrehung leicht bläuliche Streifen. Am echten Modell bei Linksdrehung bei den inneren Kreisen waren die weißen Streifen dunkleres Violett. Die scharzen waren dunkles Lila bis schwarz. Bei den Mittelgroßen bleiben die weißen weiß, die schwarzen werden grau (hell). Die äußeren Kreise zeigen kleine Lichteffekte: die weißen Streifen leichten gelb-weiß, die schwarzen Streifen werden helles braun. Bei Rechtsdrehung vertauschen sich die inneren und äußeren Farbmuster, nur dass das Weiß nicht mehr so stark leuchtet.
Die Ergebnisse zeigen, dass es zwar ein Häufung übereinstimmender Farbbeobachtungen gibt, individuell aber größere Abweichungen nicht selten sind.
Zur Geschichte der Benham-Scheibe
Erstmals beschrieben wurde der Effekt im Jahr 1838 von Gustav Fechner[1], dem Begründer der Psychophysik[2]. Um 1857 beschäftigte sich der schottische Physiker James Clerk Maxwell intensiv mit diesen Scheiben[3][4]. Der Effekt wurde spätestens im Jahr 1864 unter mit dem Namen Fechner-Farben bezeichnet[5]. Im Jahr 1894 veröffentlichte der englische Amateur-Wissenschaftler Charles Benham (1860 bis 1929) die von ihm konstruierte Version der rotierenden Scheibe in der anerkannten Zeitschrift Nature[6]. Obwohl es die rotierenden Scheiben schon länger gab, konnte Benham die Effekte sehr viel deutlicher erzeugen, indem er nicht so sehr große schwarze Flächen sondern eher feine schwarze Linienz verwendet. Kurz nach Fechners Veröffentlichung, im Jahr 1902 veröffentlichte die Psychologin Florence Bagley (1874 bis 1952) den Stand der damaligen Forschung[7], der aber keine abschließende Klärung brachte[8]. Noch heute ist der Effekt nicht vollständig erklärt[9].
Goethe und Farbtäuschungen
Johann Wolfgang von Goethe sah sich selbst als großen Naturforscher. Über 40 Jahre hinweg arbeitete mit viel Zeit an seiner Farbenlehre. Ein Leitgedanke darin war: Farben entstehen aus Dunkel-Hell-Effekten. Genau das zeigt auch die Benham-Scheibe: schwarz-weiß gibt bunt. Mehr dazu unter Goethes Benham-Versuch ↗
Das Ding an sich
Der Philosoph Immanuel Kant (1724 bis 1804) stellte sich die Frage, ob wir Menchen mit unseren Sinnesorganen überhaupt zuverlässig die Wirklichkeit erfassen können. Er kam zu einem negativen Ergebnis. Würden wir die Benham-Scheibe nicht anhalten können, blieben wir wahrscheinlich immer unter dem Eindruck, sie enthalte farbige Flecken, obwohl die Scheibe nur aus schwarzen und weißen Bereichen besteht. Einen für uns grundsätzlich nicht sicher erkennbaren Gegenstand aus der Wirklichkeit nannte Kant ein Ding an sich ↗
Fußnoten
- [1] Gustav Theodor Fechner: Über eine Scheibe zur Erzeugung subjectiver Farben. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 121, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1838, S. 227–232.
- [2] Als Psychophysik bezeichnete man früher die Psychologie der Sinneswahrnehmungen. Heute entspricht das in etwa der kognitiven Psychologie. Siehe auch Psychophysik ↗
- [3] James Clerk Maxwell: Experiments on Colour, as perceived by the Eye, with Remarks on Colour-Blindness. Transactions of the Royal Society of Edinburgh. 1857;21(2):275-298. Am Ende der Veröffentlichung findet sich eine Skizze zu den Farbscheiben sowie der Apparatur, mit der Maxwell sie in schnelle Drehung versetzen konnte. Online: https://zenodo.org/records/2041790
- [4] Die Farbscheiben (auf Englisch colour tops) mit denen James Clerk Maxwell arbeitete wurden aus Pappe und Metall hergestellt von James Mackay Bryson of Edinburgh (1824-94). Exemplare davon waren im Jahr 2024 ausgestellt im National Museum of Scotland, unter den Nummern T.1984.61, T.1999.363.2, T.1995.31.
- [5] Ernst Brücke, Ernst: Wiener Akad. Berichte, XLIX, I864. Dort soll laut Florence Winger Bagley die Bezeichung "Fechner colours" verwendet worden sein.
- [6] Benham, C. The Artificial Spectrum Top. Nature 51, 200 (1894). DOI: https://doi.org/10.1038/051200c0
- [7] Florence Winger Bagley: An investigation of Fechner's colors. In: American Journal of Psychology. 14 (4) 488–525. Veröffentlicht im Jahr 1902. Bagley weist unter anderem darauf hin, dass die Effekte auch beim schnellen Umblättern von Buchseiten mit schwarzer oder weißer Schrift auftreten können. Bagleys Artikel bietet viele Anregungen für jeden, der die Versuche mit einfachen Mitteln selbst nachstellen möchte. DOI: doi:10.2307/1412440. JSTOR 1412440. Online: https://www.jstor.org/stable/1412440
- [8] Ein Erklärungsversuch aus dem Jahr 1993: Pilz J, Marré E.: Musterinduzierte Flimmerfarben (MIFF). Eine augenärztliche Untersuchungsmethode. In: Ophthalmologe. 1993 Apr;90(2):148-54. PMID: 8490297.
- [9] Noch im Jahr 2023 ist der Effekt nicht abschließend erklärt: Nishiyama, Yutaka: A Dynamic Interference Model for Benham's Top. In: Journal of Osaka University of Economics. 74 (1): 99. arXiv:2303.04624. Veröffentlicht 2023. Online: https://arxiv.org/abs/2303.04624
- [10] Die Bildwiederholfrequenz des Monitors lag bei 60 Hertz.
- [11] Das Video entstand in der Mathe-AC Lernwerkstatt. Es ist näher beschrieben auf: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/ce/Benham-Scheibe.webm