Hohlerde
Astronomie
Grundidee
Als Hohlerde, auf Latein terra cava, bezeichnet man eine Erde, die innnen hohl gedacht ist, also eine Hohlkugel. Mit dem Wort verbindet sich vor allem auch die Vorstellung, dass wir als Menschen die Innenseite der Kugelfläche bewohnen. Hier sind kurz einige einfache Beobachtungen vorgestellt, um diese Hypothese selbst zu prüfen.
Die Hohlerde als Spekulation in der Neuzeit
Die Spekulation einer innen hohlen Halbkugel als Erde, eine terra cava, ist spätestens für das Jahr 1608 nachgewiesen. Ein Holzschnitt[1] zeigt einen nach oben geöffneten Halbkreis, der als terra cava, auf deutsch hohle (ausgehölte, englisch cave) Erde beschriftet ist. Auf der Innenseite des Halbkreises sind zwei kleine menschliche Figuren gezeichnet deren Kopf zum Mittelpunkt des ergänzt gedachten Vollkreises zeigen und die beide jeweils senkrecht, also im 90°-Winkel auf dem Boden ihres Ortes in der Hohlerde stehen. Von jedem Männchen geht eine gerade Linie aus, die eine Linie endet links oben im Bild bei einer Sonne, die andere Linie endet oben rechts bei einem Stern. Nahe bei den Männchen kreuzen sich die Linien.
Die euklidische Geometrie als Grundannahme
Euklidisch nennt man die Geometrie, die man üblicherweise in den etwa 10 ersten Jahren an der Schule kennenlernt. Es ist die anschauliche, alltagsnahe Geometrie[3]. In der euklidischen Geometrie gibt es zum Beispiel nur eine kürzeste gerade Verbindungsstrecke zwischen zwei Punkten. Die hier diskutierte Hohlerde wird nur im Rahmen der euklidischen Geometrie betrachtet. Angeregt durch Einsteins Relativitätstheorien (1905 und 1916) wurden auch andere Geometrien ersonnen. Sie verbinden sich dann insbesondere mit der Idee von einem gekrümmten. Ob es eine Hohlerde in einer nicht-euklidischen Welt geben könnte, wird hier nicht diskutiert. Die Grundlage der Betrachtung hier ist nur die euklidische Geometrie ↗
Ideen zum Testen einer Hypothese
Will man eine Hypothese auf naturwissenschaftliche Weise testen, so geht man oft erst einmal davon aus, dass sie richtig ist. Eine in einem Gedankenspiel für wahr angenommene Hypothese nennt man dann auch eine Arbeitshypothese (man arbeitet damit) oder im Sinne der Logik auch eine Prämisse. Von der Prämisse ausgehend entwickelt man dann Vorhersagen, die zutreffen müssten, falls die Prämisse stimmt. Je mehr solche Vorhersagen sich dann an der Wirklichkeit bestätigen, desto wahrscheinlicher ist es dann auch, dass die Hypothese auf die Wirklichkeit passt. Findet man jedoch Vorhersagen, die deutlich von der Wirklichkeit abweichen, dann gilt die Hypothese als widerlegt. In diesem letzten Fall spricht man auch von einer reductio ad absurdum ↗
Variante I: die hohle Halbkugel
Die für das Jahr 1608 nachgewiesen Spekulation einer terra cava, einer hohlen Erde, zeigt eine Halbkugel. Diese Variante eröffnet die Möglichkeit, dass man vom Inneren den Halbkugel einen Blick auf die Umgebung der Halbkugel haben kann. Das heißt vor allem, dass die sichtbaren Himmelskörper außerhalb der Halbkugel angeordnet sein können, so wie auf dem Holzschnitt[1] aus dem jahr 1608 auch dargestellt ist. Ferner wird hier davon ausgegangen, in Überseinstimmung mit dem Bild aus dem Jahr 1608, dass "unten" für jeden Punkt innerhalb der Schale so viel heißt wie auf kürzestem Wege hin zur Schalenfläche. Von diesen Annahmen ausgehend kann man dann einige Folgerungen ableiten und an der Wirklichkeit testen.
- a) Die Welt hat einen Rand. Geht man immer in dieselbe Richtung weiter, müsste man irgendwann den Rand dieser Welt erreichen.
- b) Um das scheinbare Wandern der Gestirne über den Himmel zu erklären, könnte man die Gestirne um die Halbkugel wandern lassen oder man lässt die Halbkugel um sich selbst drehen.
- c) Der Sonnenauf- und der Sonnenuntergang müssten mit einem sehr schnellen Wechsel der Helligkeit verbunden sein, wenn nämlich die Sonne über den Rand der Schalenwelt auf- oder untergeht. Dazu im Widerspruch beobachtet man aber tatsächlich eine längere Zeit der Dämmerung ↗
- d) Von zwei voneinander entfernten Punkten auf der Innenseite der Halbkugelerde steht ein zeitgleich beobachteter Stern unter verschiedenen Winkeln zum Zenit oder zum Horizont. Diese Beobachtung schließt eine flache Erde (mit sehr weit entfernten Sternen) aus, würde aber nicht nur auf eine Halbkugelerde sondern auf jede andere beliebig gekrümmte Form der Erdoberfläche zutreffen.
- e) Lässt man von einem Punkt aus großer Höhe zwei Seile mit Gewicht an ihrem unteren Ende herabhängen, zwei Lote, also, dann müsste man die Lote dauerhaft so stabil ausrichten können, dass sie einen deutlich messbaren Winkel bilden, die zwei Seile also eine Form wie ein umgedrehtes V bilden. Siehe auch Lot (Werkzeug) ↗
- f) Umgekehrt, zwei senkrecht nach unten abgeteufte Schächte eines Bergwerkes müssten sich mit zunehmender Teufe (bergmännisch für Tiefe) immer weiter voneinander entfernen. (Tatsächlich aber nähern sie sich deutlich messbar immer weiter aneinander an.)
- g) Schiffe, die sich von einer Küste entfernen, erscheinen immer kleiner (das passt). Und je weiter weg sie von der Küste sind, desto mehr blickt man von oben auf sie (das passt überhaupt nicht). Was man tatsächlich sieht ist das Verschwinden von wegfahrenden Schiffen hinter dem Horizont ↗
- h) Mit einem ausreichend starken Fernrohr müsste man von jedem Punkt der Erde aus theoretisch jeden anderen Punkt der (innen gelegenen) Oberfläche in einer geraden Linie anpeilen können. Steigt man zum Beispiel einen hohen Turm an einer Küste hinaus, dürfte man keine weiteren Objekte auf der Meeresoberfläche erkennen, die man nicht auch schon von Strand aus gut sehen könnte. Das trifft überhaupt nicht auf die Wirklichkeit zu. Siehe dazu Horizontformel ↗
Variante II: die hohle Ganzkugel
Stellt man sich die Hohlerde als volle Kugel ohne wesentliche Öffnung vor, und leben wir als Menschen auf der Inneseite der undurchsichtigen Kugelfläche (fester Erdboden, die Ozeane mit dem Meeresboden), so müssten alle sichtbaren Himmelsobjekte ebenfalls im Inneren der Kugel angeordnet sein. Aus dieser Vorstellung leiten sich einige testbare Folgerungen ab.
- a) Die Welt hat keinen Rand. Geht man immer im Inneren der Hohlerde immer dieselbe Richtung (etwa nach Westen), kommt man irgendwann wieder an seinem Ausgangspunkt an. Das passt auf die Wirklichkeit. Das war eine Grundidee der berühmten Fahrt von Kolumbus ↗
- b) Die Gestirne, einschließlich Sonne und Mond, müssten alle im Inneren der Hohlwelt liegen. Jeder Himmelskörper, jeder Stern müsste von jedem Punkt der gedachten Oberfläche (von innen auf der Kugelfläche) immer auf einer direkten Sichtlinie liegen. Die Erde selbst dürfte niemals den Blick auf einen Himmelskörper verdecken. Aber genau das ist der Fall: bei eine Seereise auf einem Längengrad der Erde entlang werden allmählich manche Himmelskörper neu sichtbar (z. B. der Polarstern bei einer Fahrt von Kapstadt nach Hamburg), andere tauchen hinter dem Horizont unter und sind dann dauerhaft nicht mehr sichtbar (Kreuz des Südens bei einer Fahrt nach Norden).
- c) Der Auf- und Untergang der Sonne müsste irgendwie mit Objekten oder atmosphärischen Zuständen zwischen der Erdoberfläche im Inneren der Kugel und der Sonne erklärt werden. Diese Erklärung muss auch den scheinbaren Gang der Sonne von Horizont zu Horizont erklären. Beides dürfte sehr schwer bis unmöglich sein. Siehe auch Sonnenaufgang ↗
- d) Von zwei voneinander entfernten Punkten auf der Innenseite der Halbkugelerde steht ein zeitgleich beobachteter Stern unter verschiedenen Winkeln zum Zenit oder zum Horizont. Diese Beobachtung schließt eine flache Erde (mit sehr weit entfernten Sternen) aus, würde aber nicht nur auf eine Halbkugelerde sondern auf jede andere beliebig gekrümmte Form der Erdoberfläche zutreffen.
- d) Wie bei der hohlen Halbkugel: die zeitgleiche Beobachtung eines Sternes von verschiedenen Standpunkten aus ergibt verschiedene Winkel zum Zenit oder zum Horizont.
- e) Wie bei der hohlen Halbkugel: lässt man von einem Punkt aus großer Höhe zwei Seile mit Gewicht an ihrem unteren Ende herabhängen, zwei Lote, also, dann müsste man die Lote dauerhaft so stabil ausrichten können, dass sie einen deutlich messbaren Winkel bilden, die zwei Seile also eine Form wie ein umgedrehtes V bilden. Siehe auch Lot (Werkzeug) ↗
- f) Wie bei der hohlen Halbkugel: zwei senkrecht nach unten abgeteufte Schächte eines Bergwerkes müssten sich mit zunehmender Teufe (bergmännisch für Tiefe) immer weiter voneinander entfernen. (Tatsächlich aber nähern sie sich deutlich messbar immer weiter aneinander an.)
- g) Wie bei der hohlen Halbkugel: Schiffe, die sich von einer Küste entfernen, erscheinen immer kleiner (das passt). Und je weiter weg sie von der Küste sind, desto mehr blickt man von oben auf sie (das passt überhaupt nicht). Was man tatsächlich sieht ist das Verschwinden von wegfahrenden Schiffen hinter dem Horizont ↗
- h) Wie bei der hohlen Halbkugel: mit einem ausreichend starken Fernrohr müsste man von jedem Punkt der Erde aus theoretisch jeden anderen Punkt der (innen gelegenen) Oberfläche in einer geraden Linie anpeilen können. Steigt man zum Beispiel einen hohen Turm an einer Küste hinaus, dürfte man keine weiteren Objekte auf der Meeresoberfläche erkennen, die man nicht auch schon von Strand aus gut sehen könnte. Das trifft überhaupt nicht auf die Wirklichkeit zu. Siehe dazu Horizontformel ↗
Fazit zur (euklidischen) Hohlerde
Versucht man sich eine von innen bewohnte hohle Erde im Rahmen der anschaulichen euklidischen (alltagsüblichen) Geometrie vorzustellen, so treten bereits bei der Erklärung der Wanderung der Sonne über die Erde sowie spätestens beim Verschwinden von Schiffen "hinter dem Horizont" schwere Probleme auf. Eine Hohlerde im Sinne einer euklidschen Geometrie bedarf zu ihrer Widerlegung keine Bilder vom Raumschiffen aus. Bereits ohne technische Geräte, kann man sie für sich überprüfen und weitgehend verwerfen.
Die Hohlerde des Edmond Halley
Der englische Mathematiker und Astronom Edmond Halley (1656 bis 1742) kam aufgrund einer falschen Annahme Newtons über die Dichte der Erde zu der dann aber durchaus plausiblen Hypothese einer innen hohlen Erde[4]. Aufgrund von Berechnungen zu den Gezeiten der Meere (Ebbe und Flut) kam Newton zu der Annahme, dass das Verhältnis der Mond- zur Erddichte bei etwa 9 zu 5 läge. Demnach wäre das Material des Mondes fast doppelt so dicht wie das der Erde. Da Halley davon ausging, dass beide Himmelskörper aus demselben Material bestünden, folgerte er daraus, dass die Erde innere Hohlräume aufwiese. Diesen Gedanken verband Halley dann noch mit Beobachtungen zu Abweichungen der Magnetnadel und Veränderungen der angezeigten Nordrichtung über Jahrhunderte. Auch Nordlichter erklärte Halley mit seiner Hypothese einer Hohlerde: die Nordlichter seien aus der unterirdischen Welt ausgetretenes Licht. Halley ursprünglicher Gedanke war durchaus folgerichtig und begründet. Seine Spekulationen über mögliche Wesen und die Beschaffenheit der Hohlräume machte er als Spekulation kenntlich.
Die Bernal-Sphäre als künstliche Hohlerde
Im Jahr 1929 veröffentlichte der irische Kristallograph und Mathematik John Desmond Bernal (1901 bis 1970) eine Vision einer gigantischen künstlichen Kugel im Weltraum[3]. Diese Kugel sollte in ihrem weitgehend hohlen Inneren als Lebensraum für Menschen dienen. Ein so gedachtes Habitat, das heißt Lebensraum, im Weltraum bezeichnet man heute als Bernal-Sphäre ↗
Fußnoten
- [1] Drei Holzschnitte aus dem Jahr 1610 zeigen a) wie der Mast eines fortfahrenden Schiffes hinter dem Horizont der Erdkugel verschwindet, b) dass etwa eine pyramidenförmige Erde keinen runden Schatten auf den Mond werfen könnte, eine kugelige Erde aber sehr wohl, und c) dass die Erde weder kubisch sein kann noch eine Hohlerde (terra cava). In: Michael Maestlin: Epitome astronomieae. Göppingen 1598. Seite 68. DOI: https://doi.org/10.11588/diglit.30262
- [2] Franz Serafin Exner: Grundlagen der Naturwissenschaften. Deuticke Verlag. 1919. Hier vor allem das Kapitel 3: Die Euklidischen Axiome, Krümmungsmaß, mögliche Formen unseres Raume, unendlicher Raum. Siehe Grundlagen der Naturwissenschaften (Exner) ↗
- [3] John Desmond Bernal: The World, the Flesh & the Devil. An Enquiry into the Future of the Three Enemies of the Rational Soul. Foyle Publishing. 1929. Dort im Kapitel 2: The World. Siehe auch The World, the Flesh and the Devil ↗
- [4] Edmond Halley: An account of the cause of the change of the variation of the magnetical needle with an hypothesis of the structure of the internal parts of the earth: as it was proposed to the Royal Society in one of their later meetings. Philosophical Transactions of the Royal Society of London 17 (1692), S. 563–578. doi:10.1098/rstl.1686.0107