Empirische Wahrscheinlichkeit
Aus Versuch
Definition
Empirische Wahrscheinlichkeit heißt, dass die Wahrscheinlichkeit auf praktische Weise aus einem Versuch oder einer Beobachtung bestimmt wurde. Das Gegenteil einer empirischen Wahrscheinlichkeit ist eine theoretische Wahrscheinlichkeit. Empirisch heißt allgemein so viel wie „aus Erfahrung“ oder „durch Beobachtung“. Rechnerisch ist die empirische Wahrscheinlichkeit eng verbunden mit der relativen Häufigkeit.
Ein Beispiel aus der Geschichte
Vom 12. April 1981 bis zum 8. Juli 2011 gab es genau 135 Flüge der US-amerikanischen Raumfähre Space Shuttle. Von diesen 135 Flügen endeten zwei für die Besatzungen tödlich. Die empirische Wahrscheinlichkeit für ein tödliches Ende eines Fluges liegt damit bei 2/135 oder rund 1,5 Prozent. Umgekehrt kann man sagen, dass die Aussichten auf eine erfolgreiche Mission bei rund 98,5 % lagen. Wie man auf diese Zahlen kommt und dass sie nicht für eine hohe e Sicherheit der Raumfähre sprachen, wird nun erklärt.
Wie berechnet man die empirische Wahrscheinlichkeit?
Am Anfang steht immer ein Versuch oder eine Beobachtung mit Rohdaten. Man würfelt zum Beispiel sehr oft und zählt, wie viele Sechsen man gewürfelt hat. Die empirische Wahrscheinlichkeit für eine Sechs ist dann gleich der relativen Häufigkeit von Sechsen [1]. Das interessante ist, dass diese relative Häufigkeit vom Zahlenwert her umso stabiler wird, je öfters man würfelt (Gesetz der großen Zahl). Rein rechnerisch ist die empirische Wahrscheinlichkeit also dasselbe wie die relative Häufigkeit ↗
Sechsen-würfeln als Beispiel
- Man hat einen echten Spiel-Würfel aus Holz.
- Man will die Wahrscheinlichkeit für eine Sechs bestimmen.
- Die Wahrscheinlichkeit ist definiert als der Anteil ...
- von Sechsen bei sehr vielen Würfen. 100 mal Würfeln wäre sehr viel.
- Man würfelt also 100 mal und stellt fest, dass 18 Sechsen darunter waren.
- Der Anteil an Sechsen wäre hier also 18/100 oder 0,18 als Dezimalzahl.
- Diesen Anteil nennt man in der Stochastik auch die relative Häufigkeit ↗
- Das wäre die empirische (beobachtete) Wahrscheinlichkeit.
Theoretische Wahrscheinlichkeit als Gegenteil
- Anstatt wirklich zu würfeln, könnte man auch bloß nachdenken.
- Zu Beginn eines Nachdenkens stehen dann Annahmen, auch Prämissen genannt.
- Beim Würfel könnte man annehmen: alle Seiten kommen in etwa gleich oft.
- Das heißt auch, dass der Würfel vollkommen gleichmäßig gebaut ist.
- Unter dieser Annahme muss die Wahrscheinlichkeit für eine Sechs 1/6 sein.
- Diese Wahrscheinlichkeit heißt theoretische Wahrscheinlichkeit ↗
- Sie wäre aber irreführend am Beispiel gezinkter Würfel ↗
Was ist exakter: empirisch oder theoretisch?
- In den Naturwissenschaften gilt die emprische Wahrscheinlichkeit als sicherer.
- In der Theorie trifft man Annahmen, die man aber nicht überprüft hat.
- Beim Versuch überprüft man diese Annahmen und sieht, wie gut sie passen.
- Erst wenn die Theorie empirisch geprüft wurde, wird sie ernst genommen.
- Diese methodische Vorgehensweise nennt man Empirismus ↗
Praktische Versuche zur empirischen Wahrscheinlichkeit
- Etwa 10 Minuten, ab Klasse 7 Hundert-Würfel-Versuch ↗
- Etwa 10 Minuten, ab Klasse 7 Zwölf-Würfel-Versuch ↗
Wahrscheinlichkeiten und Politk: die Space Shuttle-Abstürze
Am 28. Januar 1986 explodierte 73 Sekunden nach dem Start in nur 14 Kilometern Höhe die US-Raumfähre Challenger. 7 Menschen kamen dabei ums Leben. An der späteren Untersuchung der Ursachen nahm auch der Nobelpreisträger der Physik Richard Feynman (1918 bis 1988) teil. Er stieß auf einen sehr bemerkenswerten Umstand.
Techniker hatten schon lange vor der Katastrophe die Wahrscheinlichkeit für einen gefährlichen Unfall als sehr hoch eingeschätzt. Sie meinten, dass von etwa 200 [2, Seite 177] bis 300 Flügen einer tödlich enden könne. Sie stützten sich dabei auf empirische Daten. Sie hatten dazu zum Beispiel die relative Häufigkeit von Fehlstarts bei den Raketen bestimmt, die auch bei der Raumfähre zum Einsatz kamen. Mit iher empirischen Wahrscheinlichkeit von 1:200 bis 1:300 kamen sie sehr nahe an die Wirklichkeit. Von 135 Flügen der Raumfähre Space Shuttle gab es zwei tödlich endende Missionen. 1986 explodierte die Challenger beim Start, 2003 verglühte die Columbia beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. Die empirische Wahrscheinlichkeit für Absturz lag tatsächlich bei 2/135 oder 1:270.
Manager der Raumfahrtbehörde NASA hingegen gaben die Wahrscheinlichkeit eines größeren Unfalls mit nur 1:100000 [2, Seite 174] an, also extrem viel niedriger als die Techniker. In seinem Abschlussbericht zur Unfallursache vermutete der Physiker Richard Feynman (1918 bis 1988), dass von der Politik und der Öffentlichkeit ein hoher Erfolgsdruck ausgehen. Hohe Manager der NASA müssten die Technologie nach außen unbedingt als sicher darstellen. Nur so können sie auch zukünftig auf eine weitere Finanzierung ihrer teuren Raumfahrtprojekte hoffen [2, Seite 207].
Das Beispiel der US-Raumfähren zeigt die große Bedeutung mathematischer Konzepte für praktische und politische Entscheidungen. Wer sich strikt an empirisch sauber ermittelte Wahrscheinlichkeit hält, kann damit das wirkliche Gesxchehen der Zukunft recht gut vorhersagen. Zur Raumfähre siehe auch den Artikel Space Shuttle ↗
Fußnoten
- [1] Sinngemäß nach: Lothar Papula: Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Grundstudium. Band 3. 14. Auflage, 2019. ISBN: 978-3-658-11923-2. Verlag Springer Vieweg. Seite 286.
- [2] Richard P. Feynman: Kümmert Sie, was andere Leute denken?. Neue Abenteuer eines neugierigen Physikers. Gesammelt von Ralph Leighton. Mit 41 Abbildungen. Piper Verlag. München. 1991. ISBN: 3-492-03371-7. Titel der englischen Originalausgabe: What Do You Care What Other People Think (1988). In dem Kapital "Phantatische Zahlen" beschreibt Feynman wie sehr unterschiedlich Manager (niedrige Unfallsgefahr) und Techniker (hohe Unfallsgefahr) die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe im Zusammenhang mit den NASA-Raumfähren einschätzten.