R


Bertozzi-Experiment


Physik


Grundidee


Elektronen werden in einem elektrischen Feld beschleunigt. Aus der durchlaufenen Beschleunigungsspannung kann man die Bewegungsenergie der Elektronen berechnen und darüber auf die Geschwindigkeit schließen. Diese Rechnung mit den Formeln der Newtonschen Mechanik ergibt Werte über der Lichtgeschwindigkeit. Das aber ist nach Einsteins Relativitätstheorie physikalisch nicht möglich. Das Bertozzi-Experiment bestätigt die Sicht Einsteins.

Einsteins Vorhersage: höchstens Lichtgeschwindigkeit


Einsteins Relativitätstheorie fußt auf dem Gedanken, dass nichts im Universum schneller sein kann als Licht in einem Vakuum. Für Materie mit Masse gilt noch strenger, dass diese niemals die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c erreichen kann, sondern sich dieser nur asymptotisch annähern kann. Sogenannte Tachyonen, materielle Teilchen mit mehr als Lichtgeschwindigkeit sind nach Einsteins Theorie damit unmöglich. Siehe auch Tachyon ↗

Bertozzis Idee: Überlichtgeschwindigkeit?


Im Jahr 1962 zeigte der Physiker Willima Bertozzi, dass Elektronen tatsächlich auch bei beliebig hoher Beschleunigungspannung niemals Lichtgeschwindigkeit erreichen sondern sich dieser nur asymptotisch annähern. Er beschleunigte die Elektronen in einem sogenannten Linearbeschleuniger auf 0,5 bis 15 MeV. Aufgrund dieser Beschleunigungsspannung konnte Bertozzi die nach klassisch-newtonscher Sicht erreichbaren Geschwindigeiten über E=½mv² vorausberechnen. Dabei ergaben sich Geschwindigkeiten weit über der erlaubten Lichtgeschwindigkeit. Bertozzis Idee war es nun, das experimentell, also empirisch zu überprüfen.

Der Versuchsaufbau zum Bertozzi-Experiment


Ein Van-de-Graaff-Generator wurde als Elektronenkanone genutzt. Die erzeugten Elektronen wurde durch eine kleine Metallröhre geführt und dort zeitlich gemessen. Anschließend gelangten die Elektronen in den Linearbeschleuniger (LINAC). Dort wurden sie auf bis zu 15 Megaeletronenvolt [MeV] Bewegungsenergie beschleunigt. Am Ende der Beschleunigungsstrecke, nach 8,4 Metern, schlugen die Elektronen auf eine Aluminumplatte, wo sie wieder zeitlich registriert wurden. Eine Zeichnung in Bertozzis Originalveröffentlichung[2] zeigt den Versuchsaufbau: der LINAC ist sowohl die Beschleunigungs- wie auch die Messstrecke von 8,4 Metern. Aus der Zeitdifferenz Δt zwischen dem Eintritt und dem Austritt aus der 8,4 Meter langen Beschleunigungs- und Messstrecke konnte die Geschwindigkeit der Elektronen berechnet und damit empirisch bestimmt werden.

Die Deutung der Beschleunigungsstrecke


Die Elektronen verlassen die Elektronenkanone mit bis zu 1,5 MeV Energie und werden dann im Linearbeschleuniger weiter beschleunigt. Bertozzi verweist darauf, dass die Elektronen über die gesamte Strecke des LINAC beschleunigt werden können, sodass der Term 8,4/t mit t als der Durchflugzeit nur die durchschnittliche Geschwindigkeit der Elektronen in der Beschleunigungsstrecke gibt. Siehe auch Beschleunigungsstrecke ↗

Energieverluste während der Beschleunigungsstrecke?


Bertozzi verweist auch darauf, dass die Elektronen beim durchfliegen der metallenen Röhre des Linearbeschleuniger Induktionsströme in den Röhren erzeugen. Die dadurch verloren gegangene Bewegungsenergie sei jedoch vernachlässigbar. Das wurde durch eine Deutung der Vorgänge an der Aufschlagplatte aus Aluminium am Ende der Beschleunigungsstrecke messtechnisch bestätigt. Die aufschlagenden Elektronen erhitzen die Platte, nur ein kleiner Teil der Bewegungsenergie wird in Bremsstrahlung in Form von Röntgenstrahlung (X-rays) verwandelt. Durch eine Messung der Anzahl aufgeschlagener Elektronen (Ladungsmenge) und der Erhitzung der Platte (Wärmemenge) könnte rückwirkend bestätigt werden, dass ein Großteil der Beschleunigungsarbeit des LINAC auch in Bewegungsenergie umgesetzt wurde und nicht über induzierte Ströme verloren ging.

Die Versuchsergebnisse


Die Tabelle unten stammt aus Bertozzis Originalartikel aus dem Jahr 1964[2] und zeigt die wesentlichen Versuchsergebnisse. Die Spalte links gibt die Beschleunigungsenergie in Megaelektronenvolt (MeV) an, also in Millionen (10 hoch 6) Elektronenvolt. Die Spalte rechts ist die Durchflugzeit in Sekunden, die die Elektronen nach der Beschleunigung für die Strecke von 8,4 Metern benötigten:


Fazit: Einstein hatte Recht


Stellt man die benötigte Flugzeit als Funktion der angelegten Beschleunigsspannung als Funktionsgraph dar, ergibt sich eine Kurve mit negativer Steigung, die sich mit wachsenden Spannungen asymptotisch der Flugzeit von um die 30 Nanosekunden annähert. Diese Flugzeit scheint eine untere Schranke zu sein. Das heißt, dass auch eine weitere Steigerung der Beschleunigungsspannung die Flugzeit nicht unter 30 Nanosekunden bringen kann. Mathematisch sind die 30 Nanonsekunden ein Infimum (größte untere Schranke). Das heißt weiter, dass es eine maximale obere Geschwindigkeit gibt, die trotz beliebig hoher Beschleunigungsspannung nicht überschritten werden, mathematisch ein Supremum (kleinste obere Schranke). Rechnerisch sind das bei 15 MeV im Beispiel hier rund 295774647 Meter pro Sekunde, also fast die Vakuumlichtgeschwindigkeit von rund 300 Millionen Metern pro Sekunde. Diese maximale Geschwindigkeit ist die von Einstein geforderte Maximalgeschwindigkeit im Universum, die Vakuumlichtgeschwindigkeit.

Was ist ein Experimentum crucis?


Wörtlich ein Kreuzversuch: so bezeichnet man in dem Naturwissenschaften einen Versuch, bei dem man am Ende entscheiden kann, ob eine Theorie korrekt sei kann oder nicht. Das Bertozzi-Experiment ist ein klassisches Beispiel. Es zeigt eindeutig, dass schnelle Elektronen auf die Theorie Newtons nicht passen sonder auf die Theorie Einsteins. Siehe auch Experimentum crucis ↗

Fußnoten