Verborgene Variablen
Physik
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Definition
Als verborgene Variablen, im Englischen hidden variables, bezeichnet man hypothetisch als real angenommene Eigenschaften von Quantenobjekten, die es erlauben a-kausal erscheinende Effekte, etwas im Zusammenhang mit dem Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon, letztendlich doch im Sinne einer kausalen, determinierten und realistischen Physik zu beschreiben. Der Begriff wurde von Johann (John) von Neumann verwendet, der die Existenz verborgener Variablen anzweifelt. Dass es verborgene Variablen geben könnte, zog unter anderem David Bohm in Betracht. Siehe auch Realismus ↗
Zitate
ZITAT:
David Bohm, 1952: "Die übliche Interpretation der Quantentheorie ist in sich konsistent, beinhaltet jedoch eine Annahme, die experimentell nicht überprüft werden kann, nämlich dass die vollständigste mögliche Beschreibung eines individuellen Systems durch eine Wellenfunktion erfolgt, die nur die wahrscheinlichen Ergebnisse tatsächlicher Messprozesse bestimmt. Der einzige Weg, die Wahrheit dieser Annahme zu untersuchen, besteht darin, nach einer anderen Interpretation der Quantentheorie in Bezug auf derzeit 'verborgene' Variablen zu suchen, die im Prinzip das genaue Verhalten eines individuellen Systems bestimmen..."[6]
ZITAT:
Louis de Broglie, 1952: "Durch eine berühmte Argumentation hat Herr von Neumann vor etwa zwanzig Jahren gezeigt, dass die Form der Wahrscheinlichkeitsgesetze der Wellenmechanik, die durch Experimente bestätigt wurden, mit der Existenz verborgener Parameter unvereinbar ist. Somit wären die Brücken endgültig abgebrochen: Es wäre unmöglich, rückwärts zu gehen und, indem man dem Korpuskel seine klassische Definition zurückgibt, das Formalismus der Quantenmechanik mit Hilfe verborgener Parameter zu interpretieren. Von Neumanns Beweis, abstrakt und elegant, ist sehr beeindruckend. Ich habe ihn lange Zeit für unwiderlegbar gehalten. Ich werde gleich sagen, warum ich heute Zweifel an seiner Gültigkeit habe."[5]
ZITAT:
John Stewart Bell, 1966: "Den quantenmechanischen Zustand eines Systems zu kennen, bedeutet im Allgemeinen nur statistische Einschränkungen der Messergebnisse. Es scheint interessant zu fragen, ob dieses statistische Element als entstanden betrachtet werden kann, wie in der klassischen statistischen Mechanik, weil die fraglichen Zustände Mittelwerte über besser definierte Zustände sind, für die die Ergebnisse individuell ganz bestimmt wären. Diese hypothetischen ‚dispersionsfreien‘ Zustände würden nicht nur durch den quantenmechanischen Zustandsvektor, sondern auch durch zusätzliche ‚verborgene Variablen‘ spezifiziert werden [...]"[8]
ZITAT:
Gerhard Grössing, 2005: "Heute spricht man von der »deBroglie-Bohm Interpretation« (dBBI) der Quantentheorie, die versucht, mittels so genannter »verborgener Parameter« (welche ihrerseits auf ein das Quanten-Vakuum erfüllendes hydrodynamisches »Medium« hinweisen, das manchmal auch – wieder – »Äther« genannt wird) die nichtlokalen wie alle anderen Effekte der Quantentheorie kausal darzustellen: Dabei werden diskrete »Teilchen« in einem wellenartigen bzw. kontinuierlichen »Führungsfeld« – je nach dieses Feld determinierendem experimentellen Kontext –, mithin »kausal«, in bestimmte Richtungen gelenkt."[10]
Fußnoten
- [1] Johann von Neumann, Die mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik, Springer 1932. Er diskutiert das Problem auf S. 109 und gibt seinen Unmöglichkeitsbeweis im Kapitel VI über den Meßprozess.
- [2] Die statistischen Ergebnisse der Quantenmechanik können keineswegs Mittelwerte eines zugrunde liegenden Satzes bestimmter ‘verborgener Variablen’ sein, wie dies in der klassischen statistischen Mechanik der Fall ist.“ In: Johann (John) von Neumann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik. Springer, Berlin 1932, S. 260. Online: https://archive.org/details/mathematischegr00vonn/page/260
- [3] Grete Hermann: 1935 Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenmechanik. Die Naturwissenschaften, Band 23, 1935, S. 718–721
- [4] Grete Hermann: 1937 Über die Grundlagen physikalischer Aussagen in den älteren und den modernen Theorien. Abhandlungen der Fries´schen Schule, N.F. Band 6, Heft 3 u. 4, S. 309–398. (auch als Sonderdruck bei Hirzel, Berlin).
- [5] Louis de Broglie ist 1952 noch überzeugt von der Widerlegung verborgener Variablen durch von Neumann: "Par un raisonnement célèbre, M. von Neumann a démontré, il y a une vingtaine d'années, que la forme des lois de probabilité de la Mécanique ondulatoire vérifiées par l'expérience est incompatible avec l'existence de paramètres cachés. Ainsi les ponts seraient définitivement coupés: il serait impossible de revenir en arrière et, en rendant au corpuscule sa définition classique, d'interpréter à l'aide de paramètres cachés le formalisme de la Mécanique quantique. La démonstration de von Neumann, abstraite et élégante, est très impressionnante. Je l'ai cru longtemps irréfutable. Je dirai tout à l'heure pourquoi j'ai aujourd'hui, des doutes sur sa validité." In: Louis de Broglie: La physique quantique restera‑t‑elle indéterministe?, Revue d’histoire des sciences et de leurs applications 5(4), 289–311 (1952). DOI 10.3406/rhs.1952.2967, S. 289. Online: https://www.persee.fr/doc/rhs_0048-7996_1952_num_5_4_2967
- [6] David Bohm, 1952: „The usual interpretation of the quantum theory is self‑consistent, but it involves an assumption that cannot be tested experimentally, viz., that the most complete possible specification of an individual system is in terms of a wave function that determines only probable results of actual measurement processes. The only way of investigating the truth of this assumption is by trying to find some other interpretation of the quantum theory in terms of at present ‘hidden’ variables, which in principle determine the precise behavior of an individual system…“ In: David Bohm: Physical Review 85, 166–179 (15 Jan. 1952). Online: https://doi.org/10.1103/PhysRev.85.166
- [7] John Stewart Bell, 1966: Bell: On the problem of hidden variables in quantum mechanics. Reviews of Modern Physics, Band 38, 1966, S. 447–452. Bell bezeichnete von Neumanns Beweis später sogar als dumm (foolish). Siehe dazu auch Jeffrey Bub, Von Neumann's 'No Hidden Variables' Proof: A Re-Appraisal, 2010.
- [8] John Stewart Bell, 1966: „To know the quantum‑mechanical state of a system implies, in general, only statistical restrictions on the results of measurements. It seems interesting to ask if this statistical element be thought of as arising, as in classical statistical mechanics, because the states in question are averages over better defined states for which individually the results would be quite determined. These hypothetical ‘dispersion‐free’ states would be specified not only by the quantum‑mechanical state vector but also by additional ‘hidden variables’…“ In: John Stewart Bell: Reviews of Modern Physics 38, 447–452 (July 1966). Online: https://doi.org/10.1103/RevModPhys.38.447
- [9 ] "Ein GHZ-Zustand zeigt bei Messungen im GHZ-Experiment aufgrund seiner Verschränkung Korrelationen, die nicht mit Hilfe von lokalen versteckten Variablen erklärbar sind." Daniel M. Greenberger, Michael A. Horne, Abner Shimony, Anton Zeilinger: Bell's theorem without inequalities. In: Am. J. Phys. 58, Nr. 12, 1990, S. 1131–1143 (doi:10.1119/1.16243), sowie die dort aufgeführten Referenzen.
- [10] Gerhard Grössing, 2005: "Heute spricht man von der »deBroglie-Bohm Interpretation« (dBBI) der Quantentheorie, die versucht, mittels so genannter »verborgener Parameter« (welche ihrerseits auf ein das Quanten-Vakuum erfüllendes hydrodynamisches »Medium« hinweisen, das manchmal auch – wieder – »Äther« genannt wird) die nichtlokalen wie alle anderen Effekte der Quantentheorie kausal darzustellen: Dabei werden diskrete »Teilchen« in einem wellenartigen bzw. kontinuierlichen »Führungsfeld« – je nach dieses Feld determinierendem experimentellen Kontext –, mithin »kausal«, in bestimmte Richtungen gelenkt." In: Grössing, G. (2005). Kontinuum: Die Geschichte einer Verdrängung, mit besonderem Augenmerk auf die Quantentheorie. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 16(1), 137–167. Online: https://doi.org/10.25365/oezg-2005-16-1-7
ZITAT:
David Bohm, 1952: "Die übliche Interpretation der Quantentheorie ist in sich konsistent, beinhaltet jedoch eine Annahme, die experimentell nicht überprüft werden kann, nämlich dass die vollständigste mögliche Beschreibung eines individuellen Systems durch eine Wellenfunktion erfolgt, die nur die wahrscheinlichen Ergebnisse tatsächlicher Messprozesse bestimmt. Der einzige Weg, die Wahrheit dieser Annahme zu untersuchen, besteht darin, nach einer anderen Interpretation der Quantentheorie in Bezug auf derzeit 'verborgene' Variablen zu suchen, die im Prinzip das genaue Verhalten eines individuellen Systems bestimmen..."[6]
David Bohm, 1952: "Die übliche Interpretation der Quantentheorie ist in sich konsistent, beinhaltet jedoch eine Annahme, die experimentell nicht überprüft werden kann, nämlich dass die vollständigste mögliche Beschreibung eines individuellen Systems durch eine Wellenfunktion erfolgt, die nur die wahrscheinlichen Ergebnisse tatsächlicher Messprozesse bestimmt. Der einzige Weg, die Wahrheit dieser Annahme zu untersuchen, besteht darin, nach einer anderen Interpretation der Quantentheorie in Bezug auf derzeit 'verborgene' Variablen zu suchen, die im Prinzip das genaue Verhalten eines individuellen Systems bestimmen..."[6]
ZITAT:
Louis de Broglie, 1952: "Durch eine berühmte Argumentation hat Herr von Neumann vor etwa zwanzig Jahren gezeigt, dass die Form der Wahrscheinlichkeitsgesetze der Wellenmechanik, die durch Experimente bestätigt wurden, mit der Existenz verborgener Parameter unvereinbar ist. Somit wären die Brücken endgültig abgebrochen: Es wäre unmöglich, rückwärts zu gehen und, indem man dem Korpuskel seine klassische Definition zurückgibt, das Formalismus der Quantenmechanik mit Hilfe verborgener Parameter zu interpretieren. Von Neumanns Beweis, abstrakt und elegant, ist sehr beeindruckend. Ich habe ihn lange Zeit für unwiderlegbar gehalten. Ich werde gleich sagen, warum ich heute Zweifel an seiner Gültigkeit habe."[5]
Louis de Broglie, 1952: "Durch eine berühmte Argumentation hat Herr von Neumann vor etwa zwanzig Jahren gezeigt, dass die Form der Wahrscheinlichkeitsgesetze der Wellenmechanik, die durch Experimente bestätigt wurden, mit der Existenz verborgener Parameter unvereinbar ist. Somit wären die Brücken endgültig abgebrochen: Es wäre unmöglich, rückwärts zu gehen und, indem man dem Korpuskel seine klassische Definition zurückgibt, das Formalismus der Quantenmechanik mit Hilfe verborgener Parameter zu interpretieren. Von Neumanns Beweis, abstrakt und elegant, ist sehr beeindruckend. Ich habe ihn lange Zeit für unwiderlegbar gehalten. Ich werde gleich sagen, warum ich heute Zweifel an seiner Gültigkeit habe."[5]
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John Stewart Bell, 1966: "Den quantenmechanischen Zustand eines Systems zu kennen, bedeutet im Allgemeinen nur statistische Einschränkungen der Messergebnisse. Es scheint interessant zu fragen, ob dieses statistische Element als entstanden betrachtet werden kann, wie in der klassischen statistischen Mechanik, weil die fraglichen Zustände Mittelwerte über besser definierte Zustände sind, für die die Ergebnisse individuell ganz bestimmt wären. Diese hypothetischen ‚dispersionsfreien‘ Zustände würden nicht nur durch den quantenmechanischen Zustandsvektor, sondern auch durch zusätzliche ‚verborgene Variablen‘ spezifiziert werden [...]"[8]
John Stewart Bell, 1966: "Den quantenmechanischen Zustand eines Systems zu kennen, bedeutet im Allgemeinen nur statistische Einschränkungen der Messergebnisse. Es scheint interessant zu fragen, ob dieses statistische Element als entstanden betrachtet werden kann, wie in der klassischen statistischen Mechanik, weil die fraglichen Zustände Mittelwerte über besser definierte Zustände sind, für die die Ergebnisse individuell ganz bestimmt wären. Diese hypothetischen ‚dispersionsfreien‘ Zustände würden nicht nur durch den quantenmechanischen Zustandsvektor, sondern auch durch zusätzliche ‚verborgene Variablen‘ spezifiziert werden [...]"[8]
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Gerhard Grössing, 2005: "Heute spricht man von der »deBroglie-Bohm Interpretation« (dBBI) der Quantentheorie, die versucht, mittels so genannter »verborgener Parameter« (welche ihrerseits auf ein das Quanten-Vakuum erfüllendes hydrodynamisches »Medium« hinweisen, das manchmal auch – wieder – »Äther« genannt wird) die nichtlokalen wie alle anderen Effekte der Quantentheorie kausal darzustellen: Dabei werden diskrete »Teilchen« in einem wellenartigen bzw. kontinuierlichen »Führungsfeld« – je nach dieses Feld determinierendem experimentellen Kontext –, mithin »kausal«, in bestimmte Richtungen gelenkt."[10]
Gerhard Grössing, 2005: "Heute spricht man von der »deBroglie-Bohm Interpretation« (dBBI) der Quantentheorie, die versucht, mittels so genannter »verborgener Parameter« (welche ihrerseits auf ein das Quanten-Vakuum erfüllendes hydrodynamisches »Medium« hinweisen, das manchmal auch – wieder – »Äther« genannt wird) die nichtlokalen wie alle anderen Effekte der Quantentheorie kausal darzustellen: Dabei werden diskrete »Teilchen« in einem wellenartigen bzw. kontinuierlichen »Führungsfeld« – je nach dieses Feld determinierendem experimentellen Kontext –, mithin »kausal«, in bestimmte Richtungen gelenkt."[10]