Organische Chemie
Philosophisch
Basiswissen
Ursprünglich stand organische Chemie für die Chemie der Stoffe, die typischerweise in der belebten Welt vorkommen[1] oder noch enger gefasst, von Stoffen, die nur von Lebewesen erzeugt werden können[2]. Heute versteht man unter organischer Chemie im Wesentlichen die Chemie rund um das Element Kohlenstoff[8]. Das ist hier kurz vorgestellt.
Die historische Entwicklung des Begriffes der organischen Chemie
Seit spätestens dem frühen 19ten Jahrhundert, unterteilte man die Chemie in eine organische und eine anorganische Chemie ein. Als organisch bezeichnet man die Chemie der Stoffe (damals auch Körper oder Substanzen genannt), die aus der Natur stammen[1] oder nur durch lebende Wesen erzeugt werden können[2]. Doch schon bald zeigte sich, dass viele der vermeintlich organischen Stoffe auf rein anorganischem Wege hergestellt werden können[2]. Statt dann die organische Chemie über die Herkunft ihrer Stoffe zu definieren, definierte man sie darber, dass notwendigerweise Kohlenstoff (C) darin vorkommen muss, und nicht zwingen notwendig aber oft typisch auch die Elemente Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor eine Rolle spielen[2]. Letztendlich durchgesetzt hat sich die Definition der organischen Chemie als Chemie des Elementes Kohlenstoff[4][5][8] ↗
Die organische Chemie als Chemie besonderer Gesetze?
Über Jahrtausende glaubte man, dass die in der Welt jenseits der Bahn des Mondes, in der translunare Welt, ganz andere Gesetze gelten als auf der Erde. Spätestens seit Aristoteles (384 bis 324 v. Chr.) ist die Idee klar überliefert, die Welt jenseits der Bahn des Mondes ewiglich, unveränderlich und göttlich ist[4]. Im Mittelalter Westeuropas, in der geistigen Strömung der Scholastik, verband sich diese antike Idee aufs Engste mit dem christlichen Weltbild. Als aber Denker wie Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543), Tycho Brahe (1546 bis 1601), Galileio Galilei (1564 bis 1642) und Isaac Newton (1742 bis 1727) zunehmend zu dem Schluss gelangten, dass die Naturgesetze des Himmels dieselben waren wie die auf der Erde, geriet auch das christliche Weltbild, unter anderem wegen seiner engen Bindung an Aristoteles, unter Druck. Für den Gedanken der organischen Chemie interessant ist hier, dass man die Welt überhaupt in zwei Bereiche des Seins mit zwei unterschiedlichen Arten von (Natur)Gesetzen eingeteilt hatte. Und so wie man den Kosmos zuvor zweigeteilt hatte in einen himmlischen und irdischen Bereich, so hat man Anfang des 19ten Jahrhunderts auch die Welt der Materie in zwei solche Seinsbereiche eingeteilt, den Bereich des Organischen und den Bereich des Anorganischen. Und auch dort vermutete, klar ausgesprochen oder nicht, möglicherweise unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten der Physik und Chemie. Die Unterscheidung wäre als nicht bloß entlang der Herkunft der Organischen Stoffe (aus Lebewesen entstanden[1]) oder bezüglich ihrer vorherrschenden Bausteine, etwas des Kohlenstoffs[4], sondern die Verschiedenheit würde dann auf möglicherweise gänzlich unterschiedliche Arten von Naturgesetzen abzielen. Diese Gedankenströmung akzeptierte zwar die "physikalisch-chemische Natur der Lebensprozesse, betont aber deren Eigenartigkeit gegenüber dem Anorganischen und die Notwendigkeit, gestaltende, dirigierende Kräfte, die erst innerhalb des Organismus auftreten[7]." So gesehen ließen sich die Phänomene des Lebens nicht mehr alleine aus der Physik oder der Chemie des Anorganischen herleiten, sondern sie müssten ein weiteres Prinzip mit hinzunehmen. Ein solches weiteres Prinzip, von außerhalb der Physik oder Chemie, könnten zum Beispiel die Regunge neines (freien) Willens von Lebewesen sein. Diese Idee, nämlich unterschiedlicher Gesetzmäßigkeiten für das Organische und Anorganische, gab man im 19ten Jahrhundert die Bezeichnung Vitalismus ↗
Fußnoten
- [1] 1837: "Je nachdem sich die Chemie mit zusammengesetzten Körpern aus der organischen Natur, d.h. aus dem Pflanzen- und Thierreiche, oder mit andern beschäftigt, welche nur außerhalb derselben vorkommen können, theilt man sie auch in die organische und unorganische" In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 407-408. Online: http://www.zeno.org/nid/20000818194
- [2] 1856, als Zirkeldefinition: "Organische Chemie befaßt sich mit der Zusammensetzung der organischen Stoffe; s. Chemie u. Liebig." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 412. Online: http://www.zeno.org/nid/20003456366
- [3] 1861, bestimmte Atomsorten als wesentlich: "Organische Chemie, ein Zweig der allgemeinen Chemie, welcher das Studium der organischen Körper umfaßt. Die Begriffsbestimmung der organischen Körper glaubte man früher von ihrer Entstehungsweise ableiten zu müssen u. betrachtete dieselben als Substanzen, welche ausschließlich unter dem Einfluß der Lebensthätigkeit in dem pflanzlichen u. thierischen Organismus gebildet werden u. nicht künstlich darstellbar seien, wogegen die unorganischen Verbindungen in der unbelebten Natur auftreten u. durch künstliche Mittel erzeugt werden könnten. Obgleich bis jetzt noch die meisten der organischen Verbindungen nicht künstlich aus unorganischen Körpern hergestellt werden können, so kann doch die Abstammung u. Entstehung eines Körpers jetzt um so weniger maßgebend für die Unterscheidung von organischen u. unorganischen Körpern sein, als nicht nur der thierische u. pflanzliche Organismus unorganische Verbindungen erzeugt, sondern auch neuerdings große Gruppen entschieden organischer Körper aus rein unorganischem Material hervorgebracht worden sind. Dagegen bietet die Betrachtung der elementaren Zusammensetzung ein Mittel zur Unterscheidung organischer Körper von unorganischen. Aus diesem Gesichtspunkt bezeichnet man die organischen Körper als Verbindungen, die in einem Atom 2 od. mehr Atome Kohlenstoff enthalten. Fast in allen organischen Verbindungen ist neben Kohlenstoff noch Wasserstoff, in sehr vielen auch Sauerstoff, in vielen Stickstoff enthalten; seltener kommen Schwefel u. Phosphor vor. Aus dieser kleinen Anzahl von Elementen setzt sich die unermeßliche Menge von organischen Verbindungen zusammen, indem sich diese Elemente nach den verschiedenartigsten Verhältnissen vereinigen, während die unorganischen Verbindungen aus sehr vielen Elementen, aber nach nur wenigen u. sehr einfachen Verhältnissen, gebildet sind." Und so weiter. In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 347-349. Online: http://www.zeno.org/nid/20010561420
- [4] 1905, nur Chemie des Kohlenstoffs: "Organische Chemie, die Chemie der Kohlenstoffverbindungen, s. Chemie." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 112. Online: http://www.zeno.org/nid/20007189834
- [5] 1911, nur Chemie des Kohlenstoffs: "Sie wird in die anorganische, die Lehre von den chem. einfachen Stoffen oder Elementen und ihren sog. mineralischen Verbindungen, und in die organische C., die Lehre von den organischen oder Kohlenstoffverbindungen, eingeteilt." Das Zitat stammt aus dem sehr viel längeren Artikel zum Stichwort Chemie. In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 329-330. Online: http://www.zeno.org/nid/20001008862
- [6] 1923, als unglückliche Wortwahl: " So z.B. sucht die Chemie gewiß, was man eine mechanische Erklärung der Dinge nennt; weil sie sich aber teils mit den Stoffen organischer Körper beschäftigt, teils mit den Stoffen toter Körper, hat man sie aus Bequemlichkeit in organische und unorganische Chemie eingeteilt, so daß in diesem Falle mechanisch leicht zu dem Gattungsbegriff werden kann, der in organisch und unorganisch zerfällt. An diesem Beispiel einer unglücklichen Namensgebung tritt aber nur besonders deutlich hervor, wie verwirrend der Gebrauch dieser Worte überhaupt geworden ist. Für die Naturwissenschaft bilden die Begriffe mechanisch und organisch keinen rechten Gegensatz mehr. Das Ziel ist, ob eingestanden oder verschwiegen, die Annäherung an eine mechanische Welterklärung; aber diese kennt neben der Mechanik auch die Organismen des Tier- und Pflanzenreichs und möchte also auch die Organismen mechanisch erklären." In: Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 1923, Band 2, S. 508-518. Online: http://www.zeno.org/nid/20006181287
- [7] 1904, Leben ist vitalistisch: "Der »Neo- Vitalismus« berücksichtigt die physikalisch-chemische Natur der Lebensprocesse, betont aber deren Eigenartigkeit gegenüber dem Anorganischen und die Notwendigkeit, gestaltende, dirigierende Kräfte, die erst innerhalb des Organismus auftreten, anzunehmen (s. Dominanten: REINKE). Rein mechanistisch ist das Leben (s. d.) nicht zu begreifen." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 651. Online: http://www.zeno.org/nid/20001809210
- [8] 1998, Chemie des Kohlenstoff: "Die organische C. befaßt sich mit den Verbindungen des Kohlenstoffs" In: Spektrum Lexikon der Chemie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. 1998. Abgerufen am 23. Oktober 2023. Online: https://www.spektrum.de/lexikon/chemie/chemie/1697
- [9] "Wenn ferner die Ortsbewegung des Himmels deshalb das Maß der (anderen) Bewegungen ist, weil sie allein kontinuierlich, gleichmäßig und ewig ist […]" IAristoteles schreibt recht redundant. Kernannahmen wiedreholt er mehrfach in seinem Werk. Die hier zitierte Stelle ist damit nur eine von mehreren mit derselben Aussage. In: Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Band 12. I. Teil III Über den Himmel. Übersetzt und Erläutert von Alberto Jori. Akademie Verlag. Berlin. 2009. ISBN: 978-3-05-004303-6. Dort 287a. Seite 62. Siehe auch translunar ↗