Opium-Paradoxon
Glückssuche
Grundidee
Was der Mensch wirklich will, ist letzten Endes nicht das Glücklichsein, sondern ein Grund zum Glücklichsein. Diese Worte Viktor Franks kann man sich mit einem einfachen Gedankenexperiment selbst in ihrer tiefen Bedeutung klarer machen. Das ist hier als Opium-Paradoxon kurz vorgestellt.
Die Rausch-Wirkung von Opium
Glaubt man den Schilderungen großer Literaten[1][2][5], dann ist mit im Zustand eines Opiumrausches wie im Paradies. Wie schlaftrunken weilt man in einer angenehm mystischen Welt und verliert jedes Interesse an der Wirklichkeit außerhalb dieser Traumzustände. Wohl zu Recht gelten Opiate als extrem gefährlich, da bereits ein einmaliger Rausch eine ewige Sehnsucht nach einer Wiederherstellung des scheinbar perfekten Zustandes bewirken kann.
Ein verlockendes Angebot?
In einem Gedankenexperiment stelle man sich nun vor, dass einem ein ewiger Zustand einer Opium-gleichen Glückseligkeit versprochen wird. Im Sinne eines Gedankenexperimentes gehen wir davon aus, dass das Angebot ehrlich und ohne verschwiegenen Nachteil ist. Die einzige Bedingung ist, dass man sich tatsächlich für ewig diesem Zustand hingeben muss. Es gibt kein Zurück. Würde man das Angebot annehmen?
Das Opium-Paradoxon
Man kann vermuten, dass die wenigsten Menschen ohne Not das Angebot eines ewigen und perfekten Opium-Rausches annehmen würden. Paradox daran ist, dass wir als Menschen ja eigentlich ständig nach Glücksgefühlen streben. Religionen wie das Christentum und der Islam versprechen den Gläubigen ein ewiges Paradies im Sinne ewiger Glückseligkeit. Es scheint in uns aber mehr zu geben als bloße Sehnsucht nach Glücksgefühlen. In den Worten Viktor Frankls: Was der Mensch wirklich will, ist letzten Endes nicht das Glücklichsein, sondern ein Grund zum Glücklichsein.
Ein verwandtes Problem: die Utopie
Es gibt viele gute Dystopien aber wenige gute Utopien. Das stellte der englische Schriftsteller George Orwell an den Anfang einer Frage nach der Erreichbarkeit von Utopien[4]. Auch kann ein Gedankenexperiment das Problem besser greifbar machen: kann man sich selbst eine Welt ausdenken, in die man anschließend für immer - ohne Rückkehrmöglichkeit - einziehen würde? Welchen Sinn würde es machen, in einer Welt zu leben, an der es nichts mehr zu verbessern gibt? Diese Paradoxon ist beschrieben im Artikel zur Unvorstellbarkeit der Utopie ↗
Ein umgekehrter Blick als Lösung?
Viktor Frank (1905 bis 1997) verlor als Jude seine gesamte engere Familie durch die deutsch-österreichische Terrorherrschaft von 1933 bis 1945. Er wurde von der US-Armee aus einem Konzentrationslager befreit und wanderte dann in die USA aus.[3] Dort baute er sich eine neue Existenz als Psychotherapeut auf. Frank setzte sich intensiv mit der Suche nach Sinn auseinander. Kennzeichnend für seine Lebensphilosophie ist, dass er die gängige Sinnfrage sozusagen umdreht.
- „Es kommt nie und nimmer darauf an, was wir vom Leben zu erwarten haben, viel mehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet.“
- „Die Frage ist falsch gestellt, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen. Das Leben ist es, das Fragen stellt.“
Fußnoten
- [1] Charles Baudelaire: Les Paradis artificiels. Ersterscheinung 1860.
- [2] Jean Cocteau: Opium. Tagebuch einer Entziehungskur. Kritische Poesie 2. Erstveröffentlichung 1930. ISBN: 9783596292103
- [3] Viktor Frankl: … trotzdem Ja zum Leben sagen. Drei Vorträge. Deuticke, Wien 1946.
- [4] George Orwell: Can Socialists be Happy? In: George Orwell. Essays. Everyman Library. 242. Herausgegeben von Alfred A. Knopf. 2002. ISBN: 978-1-85715-242-5. Seite 503-510.
- [5] Ernst Jünger: Annäherungen. Drogen und Rausch. Erstveröffentlichung 1970.