Mikrozustand
Physik
Basiswissen
Das Wort Mikrozustand[1] ist das Gegenstück zum Wort Makrozustand. Die beiden Worte gehören in die sogenannte kinetische Gastheorie oder auch in die Thermodynamik. Sie spielen eine Rolle bei der Definition des Begriffes der Entropie. Das ist hier kurz vorgestellt.
Mikrozustände von Teilchen in einem Gas
Man stelle sich einen kleinen, rundum verschlossenen Behälter mit Luft vor. Luft besteht aus einer sehr großen Anzahl von Teilchen, den sogenannten Molekülen. Dabei haben die einzelnen Teilchen oft sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten und Flugrichtungen. Man spricht von einer sogenannten Zustandsverteilung[2]. Eine genaue Beschreibung des Zustandes aller einzelnen Teilchen für sich alleine genommen ist ein Mikrozustand. Wenn man also für jedes einzelne Teilchen für einen bestimmten Zeitpunkt angibt, wo es sich genau befindet und mit welcher Geschwindigkeit es sich in welche Richtung bewegt, so ist die Beschreibung oder auch dieser Zustand der Mikrozustand.
Mikro- und Makrozustände
Die Temperatur eines Gases entspricht der mittleren, das heißt durchschnittlichen kinetischen Energie aller Gasteilchen. Die kinetische Energie, auch Bewegungsenergie genannt, wiederum hängt eng zusammen mit der Geschwindigkeit der Teilchen. Hat ein Gas zu einem Zeitpunkt viele langsame und gleichzeitig auch viele schnelle Teilchen, so kann es damit dieselbe Temperatur haben, wie viele Teilchen die alle dieselbe Geschwindigkeit haben. Die Temperatur des Gases wäre dann ein Makrozustand. Zu diesem Makrozustand können dann sehr viele Mikrozustände gehören. Der Makrozustand 20 °C könnte zu aberbillionen von unterschiedlichen Mikrozuständen der einzelnen Teilchen des Gases gehören. Siehe mehr unter Makrozustand ↗
Mikrozustände beim Würfeln
Der österreichische Physiker Ludwig Boltzmann erklärte die Idee hinter den Mikro- und Makrozuständen anhand des Lotto-Spiels[2]. In der Schulmathematik werden oft Würfelspiele zur Erklärung von Begriffen rund um Wahrscheinlichkeiten genutzt. Angenommen man würfelt mit drei Würfeln. Ein konkreter Wurf wie etwa 2-4-1 wäre ein Mikrozustand. 4-4-4, also drei mal die Vier, wäre ein anderer Mikrozustand. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung, auch Stochastik genannt, bezeichnet man einen solchen Mikrozustand aller Einzelergebnisse auch als Ereignis ↗
Die Zählbarkeit der Mikrozustände
Im Zusammenhang der Definition der Entropie im Sinn der kinetischen Gastheorie wird oft davon gesprochen, dass man die Anzahl der möglichen Mikrozustände bestimmt, die zusammen zu einem bestimmen Makrozustand (z. B. 20 °C) gehören.[3] Dabei muss man aber bedenken, dass jedes einzelne Teilchen eine unendliche große Anzahl an Geschwindigkeiten einnehmen kann. Boltzmann entwickelte seine Idee zunächst modellhaft an fiktiven Gasteilchen, denen er nur eine endliche Anzahl von möglichen Geschwindigkeiten erlaubte. Später machte er dann einen mathematischen Grenzwertübergang hin zu unendlich vielen erlaubten Geschwindigkeiten.[4]
Fußnoten
- [1] Im Englischen spricht man auch von einem microstate und einem macrostate. Eine ausführliche Beschreibung von Boltzmanns Theorie der Mikro- und Makrozustände zur Definition der Entropie auf Englisch steht in: Tor Norretranders: The User Illusion. Penguin Books. Erstveröffentlichung 1991. ISBN: 0 14 02 3012 2 (Taschenbuch). Dort vor allem die Seiten 32 bis 35.
- [2] Zur Wahrscheinlichkeit von Mikrozuständen "Es ist klar dass jede einzelne gleichförmige Zustandsvertheilung, welche bei einem bestimmten Anfangszustande nach Verlauf einer bestimmten Zeit entsteht, ebenso unwahrscheinlich ist, wie eine einzelne noch so ungleichförmige Zustandsvertheilung, grade so wie im Lottospiele jede einzelne Quinterne ebenso unwahrscheinlich ist, wie die quinterne 12345." In: Ludwig Boltzmann: Über die Beziehung zwischen dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung respektive den Sätzen über das Wärmegleichgewicht. In: Sitzungsber. d. k. Akad. der Wissenschaften zu Wien II 76, S. 428 (1877). Nachdruck in Wissenschaftliche Abhandlungen von Ludwig Boltzmann, Band II., S. 164–223. Worauf Boltzmann hier abziehlt ist die Wahrscheinlichkeit für einen sogenannten Mikrozustand ↗
- [3] Zum Abzählen der Mikrozustände als Definition der Entropie: "Es gibt zwei äquivalente Möglichkeiten, die Entropieänderung eines Sstems zu definieren: (1) durch die Temperatur des Systems und die von dem System aufgenommene oder abgegebene Wärmeenergie, und (2) durch ein Abzählen aller Möglichkeiten, in der sich die Atome oder Moleküle eines Systems anordnen können." In: David Halliday, Robert Resnick, Jearl Walker: Halliday. Physik. Englischer Originaltitel: Fundamentals of Physics. Wiley-VCH Weinheim. 2007. ISBN: 978-3-527-40746-0. Dort die Seite 454. Siehe auch Entropie ↗
- [4] Ludwig Boltzmann schreibt: "Die Zahl der verschiedenen Geschwindigkeiten dagegen, deren jedes Molekül fähig ist, muss als mathematisch unendlich gross gedacht werden." Und das erschwert die Betrachtung: "Da namentlich der letztere Umstand die Rechnung sehr erschwert, so will ich im ersten Abschnitte dieser Abhandlung behufs leichteren Verständnisses des Folgenden den Grenzübergang in einer Weise bewerkstelligen, wie ich es schon in frueheren Abhandlungen öfters gethan habe […] Wir wollen zunächst annehmen, jedes Molekül sei nur im Stande, eine bestimmte endliche Anzahl von Geschwindigkeiten anzunehmen". Eine Lösung liefert Boltzmann im Kapitel " Die lebendigen Kräfte gehen continuirlich in einander über". Diese Lösung ist jedoch mathematisch sehr anspruchsvoll (Differentiale, Mehrfachintegrale). In: Ludwig Boltzmann: Über die Beziehung zwischen dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung respektive den Sätzen über das Wärmegleichgewicht. In: Sitzungsber. d. k. Akad. der Wissenschaften zu Wien II 76, S. 428 (1877). Nachdruck in Wissenschaftliche Abhandlungen von Ludwig Boltzmann, Band II., S. 164–223.
- [5] Was man heute als Mikrozustand bezeichnet, nannte Ludwig Boltzmann eine Complexion. Über die Verteilung der lebendigen Kraft (kinetische Energie) von Teilchen in einem Gas schrieb er: "Jede solche Vertheilungsweise, wobei das erste Molekül eine bestimmte, lebendige Kraft, z. B. 2ε, das zweite wieder eine bestimmte, z. B. 6ε u. s. w. bis zum letzten Moleküle hat, wollen wir eine Complexion nennen, und zwar versinnlichen wir uns jede einzelne Complexion leicht dadurch, dass wir der Reihe nach die (bequemlichkeitshalber durch ε dividirten) Zahlen aufschreiben, welche die lebendigen Kräfte der einzelnen Moleküle angeben." In: Ludwig Boltzmann: Über die Beziehung zwischen dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung respektive den Sätzen über das Wärmegleichgewicht. In: Sitzungsber. d. k. Akad. der Wissenschaften zu Wien II 76, S. 428 (1877). Nachdruck in Wissenschaftliche Abhandlungen von Ludwig Boltzmann, Band II., S. 164–223.
- [6] Bei einer Zustandsverteilung nach Boltzmann kommt es nicht darauf an, welche Teilchen welchen Zustand haben, sondern nur, wie viele: "Da es bei der Zustandsvertheilung nicht darauf ankömmt, welche, sondern bloss wie viele Moleküle eine bestimmte lebendige Kraft besitzen […]" In: Ludwig Boltzmann: Über die Beziehung zwischen dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung respektive den Sätzen über das Wärmegleichgewicht. In: Sitzungsber. d. k. Akad. der Wissenschaften zu Wien II 76, S. 428 (1877). Nachdruck in Wissenschaftliche Abhandlungen von Ludwig Boltzmann, Band II., S. 164–223.