Lienard-Wiechert-Potential
Physik
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Definition
Das sogenannte Liénard-Wiechert-Potential wurde aus der Idee entwickelt, dass eine bewegte elektrische Ladung ein elektrisches Feld erzeugt, welches dann von der Bewegung her nicht mehr mit dem Ladungsträger verbunden ist, sondern mit dem hypothetischen Äther des Lichts.[1] In der heutigen Deutung ist nicht mehr der Äther der Träger der Wellen, sondern der Raum. Während des Feld der Coulombkraft der Elektrostatik für die beschriebenen Effekte keine Bewegung beschreibt das Lienard-Wiechert-Potential der Elektrodynamik gerade solche elektrischen und magnetischen Effekte, die ohne Bewegung nicht entstehen könnten.
Problemstellung
Stellt man sich ein ruhendes Elektron als Quelle eines elektrischen Feldes vor, so erscheint es nach etwas Nachdenken offensichtlich, dass das vom Elektron hervorgerufene elektrostatische Coulombeld keine resultierende Kraft auf das erzeugende Elektron ausübt. Wäre das der Fall, müsste das Elektron sich bewegen, was es aber nicht tut.
Anders sieht es bei bewegten Elektronen, und ganz allgemein bewegten elektrischen Ladungen überhaupt aus. Das von der Ladung erzeugte Feld wird mit äußeren Feldern zu einem einzigen Feld[6], und kann damit zumindest theoretisch auf den Ladungsträger selbst zurück wirken[7]. Das wird problematisch, wenn der Ladungsträger ausgedehnt gedacht wird[8], etwa als Kugel[9]:
ZITAT:
Richard Feynman: "Wir können uns ein Elektron als eine geladene Kugel vorstellen. Solange sie in unbewegt ist, stößt jedes Stückchen Ladung jedes andere solche Stückchen ab, doch alle diese Kräfte gleichen sich paarweise aus, sodass keine netto-Kraft entsteht. Wenn jedoch das Elektron beschleunigt wird sind die Kräfte nicht mehr länger ausgeglichen, da der elektromagnetische Einfluss Zeit benötigt, um von einem Stückchen zum anderen zu kommen."[9]
Richard Feynman: "Wir können uns ein Elektron als eine geladene Kugel vorstellen. Solange sie in unbewegt ist, stößt jedes Stückchen Ladung jedes andere solche Stückchen ab, doch alle diese Kräfte gleichen sich paarweise aus, sodass keine netto-Kraft entsteht. Wenn jedoch das Elektron beschleunigt wird sind die Kräfte nicht mehr länger ausgeglichen, da der elektromagnetische Einfluss Zeit benötigt, um von einem Stückchen zum anderen zu kommen."[9]
Und weiter:
ZITAT:
Richard Feynman: "Sie [die Kräfte der Ladung] würden sich gegenseitig auslöschen bei einer gleichmäßigen Geschwindigkeit, obwohl auf den ersten Blick so aussieht, als müsste die Verzögerung auch hier eine unausgeglichene Kräftebilanz ergeben. Doch es zeigt sich, dass es keine netto-Kraft gibt, es sei denn, das Elektron wird beschleunigt. Mit Beschleunigung, wenn wir uns die Kräfte der einzelnen Teile des Elektrons [als Kugel gedacht] ansehen, dann sind Kraft und Gegenkraft nicht immer gleich groß, und das Elektron übt eine Kraft auf sich selbst aus, die die Beschleunigung zu behindern trachtet.[10]
Richard Feynman: "Sie [die Kräfte der Ladung] würden sich gegenseitig auslöschen bei einer gleichmäßigen Geschwindigkeit, obwohl auf den ersten Blick so aussieht, als müsste die Verzögerung auch hier eine unausgeglichene Kräftebilanz ergeben. Doch es zeigt sich, dass es keine netto-Kraft gibt, es sei denn, das Elektron wird beschleunigt. Mit Beschleunigung, wenn wir uns die Kräfte der einzelnen Teile des Elektrons [als Kugel gedacht] ansehen, dann sind Kraft und Gegenkraft nicht immer gleich groß, und das Elektron übt eine Kraft auf sich selbst aus, die die Beschleunigung zu behindern trachtet.[10]
Als Ergebnis kann man festhalten: Ein beschleunigtes Teilchen mit Ladung wie ein Elektron übt eine Kraft auf sich selbst aus.[11] Die genaue Kraft auszurechnen ist schwierig.[12] Die Mathematik zu den Liénard-Wiechert-Potentiale gibt die Möglichkeit, die elektrischen und magnetischen Felder einer beschleunigten Ladung zu berechnen.
Zur Historie
Historisch interessant ist, dass zumindest Wiechert ausdrücklich den Lichtäther in die Annahmen zu seinen mathematischen Herleitungen einbezog. Die von ihm und Lienard entwickelten Gleichungen haben noch heute Gültigkeit[3], doch gilt die Äthertheorie als überholt. Siehe auch Lichtäther ↗
Fußnoten
- [1] Im Jahr 1901 formuliert Emil Wiechert ausdrücklich, die Idee des Äthers als weiter zielführend für die Elektrodynamik: "Die neuere, sich auf Maxwell stützende Elektrodynamik ist durch die Unterscheidung zwischen Aether und Materie im Innern der sinnlich wahrnehmbaren Körper in so weitem Maasse zu den Ansichtn der ältere Schule urückgekehrt, dass der einstige Gegensatz nicht mehr besteht. Die 'elektrischen Teilchen' der alten Theorien sind wiederum zu Recht gelangt; wir haben aber gelernt,die Vermittelung ihrer Wechselwirkungen durch das Zwischenmedium zu verfolgen." Und: "H. A. Lorentz war der erste, der den Unterschied zwischen Aether und Materie in der Maxwell'schen Theorie mit Erfolg verwertete, und er machte dabei von vorneherein auf die Annäherung an die älteren Theorien aufmerksam, welche sich dann einstellt." In: Wiechert, E. (1901), Elektrodynamische Elementargesetze. Ann. Phys., 309: 667-689. https://doi.org/10.1002/andp.19013090403
- [2] Die originale Veröffentlichung von Alfred Lienard, Professor an der L'Ecoles des Mines: A. Liénard: Champ électrique et magnétique produit par une charge électrique concentrée en un point et animée d’un mouvement quelconque. Extrait de l’Éclairage électrique. 1898. 23 S. Online: https://modsys.narod.ru/Library/For_Stat/Lienard_A_1.pdf
- [3] Das Liénard-Wiechert-Potential ist die "Lösung der Maxwell-Gleichungen für beliebige bewegte Punktladungen e, die eine relativistische Verallgemeinerung des Coulomb-Potentials darstellt [...]" In: der Artikel "Liénard-Wiechert-Potential". Spektrum Lexikon der Physik. 6 Bände. Greulich, Walter (Hrsg.) Spektrum Akademischer Verlag. Heidelberg, Berlin. 1998-2000.
- [4] Dem Lienard-Wiechert-Potential ist in längeres, sehr mathematisch gehaltenes Kapitel, das "Chapter 14. Radiation by Moving Charges" gewidmet in: Jackson, John David. Classical Electrodynamics. 2nd ed., John Wiley & Sons, 1975.
- [5] Max Abraham: Prinzipien der Dynamik des Elektrons. In: Annalen der Physik (1903). 315, Nr. 1. S. 105–179.
- [6] "Nun gilt aber das Maxwell–Hertzsche Prinzip der Einheit der elektrischen und magnetischen Kraft. Dürfen wir diesem Prinzip vertrauen, so müssen wir die Unterscheidung eines von der Anwesenheit des Elektrons unabhängigen „äußeren“ und eines vom Elektron selbst erregten „inneren“ Feldes als eine künstliche ansehen. In Wirklichkeit gibt es immer nur ein einziges Feld von den Feldstärken 𝓔 + 𝓔ₕ, 𝓗 + 𝓗ₕ. Demgemäß stellen wir der äußeren Kraft eine innere, an dem Volumenelement dv des Elektrons angreifende Kraft gegenüber." In: Max Abraham: Prinzipien der Dynamik des Elektrons. In: Annalen der Physik (1903). 315, Nr. 1. S. 105–179.
- [7] "Jede Beschleunigung, die das Elektron einmal erfahren hat, wirkt in der Weise nach, daß von dem Orte, in dem das Elektron sich damals befand, elektromagnetische Kugelwellen mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum hinaus eilen." In: Max Abraham: Prinzipien der Dynamik des Elektrons, Annalen der Physik 315 (1903) S. 324. Volltext: https://de.wikisource.org/wiki/Prinzipien_der_Dynamik_des_Elektrons_%281903%29
- [8] Die Berechnung der Wirkung des vom Elektron erzeugten Feldes wird bei beschleunigten Bewegungen und als ausgedehnt angenommenen Elektronen mathematisch sehr schwer: "Es wird beim Beweise des Gesetzes das Elektron zunächst als räumlich ausgedehnt angesehen; seine Volumenelemente liefern zu den Feldern des skalaren Potentiales Φ und des Vektorpotentiales 𝔄 [großes A als Frakturschrift zur Bezeichnung eines Vektors] Beiträge, die mit Lichtgeschwindigkeit nach dem betreffenden Aufpunkte hineilen, und die wesentlich von der Geschwindigkeit des Volumenelementes abhängen. Wenn nun die Geschwindigkeit des Elektrons sich merklich geändert hat in der Zeit (2a/c-q), die das Licht braucht, um über das bewegte Elektron der Bewegungsrichtung parallel hinzustreichen, so sind für die einzelnen Volumenelemente verschiedene Geschwindigkeiten in Rechnung zu setzen, wenn man das Feld in demjenigen Aufpunkte ermitteln will, auf den das Elektron gerade hineilt. Es wird dann der Grenzübergang zur Punktladung unzulässig [...]" In: Max Abraham: Prinzipien der Dynamik des Elektrons, Annalen der Physik 315 (1903). Dort im Paragraph "§ 9. Ausstrahlung des beschleunigten Elektrons. Grenzen der quasistationären Bewegung."
- [9] "We can think of the electron as a charged sphere. When it is at rest, each piece of charge repels electrically each other piece, but the forces all balance in pairs, so that there is no net force. However, when the electron is being accelerated, the forces will no longer be in balance because of the fact that the electromagnetic influences take time to go from one piece to another." In: The Feynman Lectures. Volumen II. Electromagnetism and Matter. Chapter 28. Electromagnetic Mass. Siehe auch Feynman Lectures ↗
- [10] Wie die selbst-Kraft des Elektrons entsteht: "They [die Kräfte der Ladung innerhalb des Elektrons] would cancel for a uniform velocity, even though it looks at first glance as though the retardation would give an unbalanced force even for a uniform velocity. But it turns out that there is no net force unless the electron is being accelerated. With acceleration, if we look at the forces between the various parts of the electron, action and reaction are not exactly equal, and the electron exerts a force on itself that tries to hold back the acceleration. It holds itself back by its own bootstraps.
- [11] "The self-force on an accelerating electron is not zero because of the retardation." In: The Feynman Lectures. Volumen II. Electromagnetism and Matter. Chapter 28. Electromagnetic Mass. Siehe auch Feynman Lectures ↗
- [12] "It is possible, but difficult, to calculate this self-reaction force". In: The Feynman Lectures. Volumen II. Electromagnetism and Matter. Chapter 28. Electromagnetic Mass. Siehe auch Feynman Lectures ↗