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Kollektive Aufmerksamkeit


Soziologie


Basiswissen


In der Psychologie bezeichnet Aufmerksamkeit die kurzgetaktete Steuerung von Wahrnehmungs- und Denkprozessen[1] hin zu inneren oder äußeren Reizen, die momentan wichtig sind. Die Steuerung der Aufmerksamkeit ist weitgehend unbewusst. Wird die Aufmerksamkeit bewusst über länger Zeit an einem Inhalt gehalten, spricht man von Konzentration. Dieses Konzept kann auch auf kollektive von Individuen übertragen werden. Das ist hier kurz vorgestellt.

Kollektive Aufmerksamkeit am Beispiel von Spionage


Im Jahr 1915, der erste Weltkrieg hatte gerade begonnen, erschien in Großbritannien ein Buch über deutsche Spionen in England. Es wäre für das deutsche Reich bereits nützlich, wenn deutsche Spione dem deutschen Geheimdienst mitteilen, ob in einer bestimmten Hafenstadt abends viele Menschen oder eher weniger Menschen in den Hafenkneipen sind. Aus dieser Information könne man Rückschlüsse ziehen, ob am nächsten Tag ein größeres Kriegsschiff auslaufen wird oder nicht[5]. Geheimdienste liefern vielleicht gute Beispiele dafür, wie die Aufmerksamkeit verteilt operierender Agenten zu einem größeren Gesamtbild zusammengefügt werden kann. So können die folgenden Beobachtungen zu dem Bild zusammengesetzt werden, dass ein Staat möglicherweise bald einen Angriff auf einen Nachbarstaat ausführen wird: der potentielle Aggressor zieht eigene Staatsbürger aus dem möglichen Opferstaat ab. Geldvermögen aus potentiellen Gegnerstaaten wird abgezogen. Die Gaststätten in Hafen- und Garnisonsstädten entleeren sich, da die Soldaten in Bereitschaft sind. Satellitenbilder zeigen Truppenbewegung im Sinne eines Aufmarsches. Krankenhäuser legen Reserven an Medikamenten und Blutkonserven an. Die Rhetorik staatlicher Presseorgane ändert sich. Und so weiter. Die Bündelung über verschiedene Kanäle einlaufende Informationen betrachtet die Psychologie unter dem Stichwort kreuzmodale Aufmerksamkeit ↗

Kollektive Aufmerksamkeit am Beispiel eines Notfalls


Am 8. Oktober 2022 wurde in Norddeutschland ein Sabotageakt auf Glasfaserkabel des deutschen Eisenbahnnetzes verübt. Für längere Zeit musste der gesamte Zugverkehr in Norddeutschland eingestellt werden. In einem solchen Moment ist es sinnvoll, dass die Aufmerksamkeit von Personen gezielt auf einzelne Aspekte eines solchen Ereignisses gelenkt wird:


Kollektive Aufmerksamkeit als Gegenstand der Planung


Die Europäische Union veröffentlichte im Jahr 2021 ein mehrseitiges Dokument[3] in dem die Bewältigung von Krisen vor allem als eine geplante organisatorische Tätigkeit betrachtet wird: „When a disaster strikes, the first concern is to react quickly and properly. Proper crisis management can prove to be crucial in this first emergency phase, requiring pre-set structures for help, coordination and decisive action. In particular, it requires leadership to trigger that action: digesting various data, handling procedures…“. Wesentlich ist hier das Wort „pre-set“, was so viel heißt wie vorab fest verdrahtet. Hier wird noch einmal festgeschrieben, dass es nicht nur auf fähige Einzelpersonen ankommt, sondern auf eine kollektive oder organisationale Intelligenz. Siehe hierzu auch organisationale Intelligenz ↗

Was ist der Unterschied von kollektiver Aufmerksamkeit und kollektiver Konzentration?


Bei kollektiver Aufmerksamkeit geht es, wie im Beispiel mit dem Zugausfall, um die direkte, zeitlich kurzfristige Hinwendung von kollektiven Denk- und Wahrnehmungsprozessen. Diese Prozesse müssen oft schnell und zuverlässig ablaufen, etwa um unmittelbare Gefahren abzuwehren[1]. Sollen die kollektiven Denk- und Wahrnehmungsprozesse hingegen längere Zeit auf einem Thema gehalten werden, passt besser der Begriff kollektive Konzentration ↗

Mechanismen zur Steuerung kollektiver Aufmerksamkeit



Fußnoten