Globaler Organismus
Hypothesen
Basiswissen
Das Global Brain, Gaia oder Metaman: seit den 1960er Jahren werden vor allem durch naturwissenschaftliche und technische Analogien angeregte Hypothesen zu entstehenden globalen Überwesen formuliert. Global heißt hier meist so viel wie die Erdoberfläche in weiten Teilen umfassend. Diese Organismen werden wahlweise ganz aus Maschinen, ganz aus biologischen und sozialen Systemen oder in einer hybriden Mischung aus Maschinen und Biologie gesehen. Hier stehen einige Beispiele aus Literatur und Wissenschaft.
1928: Conan Doyles schreiende Erde
In seiner Kurzgeschichte „Als die Erde schrie“ beschrieb der Autor der Sherlock Holmes Geschichten, Sir Arthur Conan Doyle, wie ein selbstherrlicher Wissenschaftler seine Hypothese testet, dass die Erdrinde das Gehirn eines lebendes Wesen darstellt. Die Geschichte bleibt ganz im Rahmen eines kurz erzählten Abenteuers. Siehe auch When the World Screamed ↗
1955: Teilhard de Chardins eschatologischer Punkt Omega
Die Menschheit entwickelt sich mit deterministischer Zwanghaftigkeit auf ein planetares Kollektiv hin (Planetisation) und findet ihren spirituellen Endzustand in Nähe zu Gott. Diese Sicht formulierte der Jesuit Pierre Teilhard de Chardin 1955 aus[3]. Lies mehr dazu unter Der Punkt Omega ↗
1961: Stanislaw Lems unergründlicher Planet Solaris
Ein fiktiver Planet ist von einem Ozean bedeckt. Der Ozean als Ganzes scheint ein belebtes Wesen zu sein. Es kann beispielsweise die Erinnerungen von Raumfahren aus deren Gehirn und daraus dreidimensionale Körper bauen (etwa von einem erinnerten Kinderspielplatz). Lem drückt mit dem Roman unter anderem eine völlige und für uns ganz unverständliche Andersartigkeit von Leben aus. Siehe auch Solaris ↗
1965: James Lovelocks systemtheoretische Gaia
Unbeseelt aber mit vielen selbstregulatorischen Eigenschaften von Leben ausgestattet: James Lovelock interpretiert das Zusammenspiel der Erdoberfläche mit der Biosphäre naturwissenschaftlich-systemisch in Analogie zu einem lebenden Organismus. Mehr unter Gaia-Theorie ↗
1977: Carsten Breschs utopisches Monon
Der deutsche Molekularbiologe Carsten Bresch nennt seine Vision eines globalen Überorganismus MONON. Dieses biologistisch-systemtheoretisch gedachte „planetare Riesenwesen“ bietet den Rahmen für eine wundervolle, utopische Zukunft der Menschheit. Siehe mehr unter Monon ↗
1982: Peter Russells neutrales Global Brain
Der Global Brain Metapher zufolge bildet sich aus dem Internet eine weltweite Intelligenz heraus. Kommunikationsstrukturen und Computernetzwerke bilden dabei dessen Nervensystem. Mehr unter Global Brain ↗
1993: Gregory Stocks utopischer Metaman
1993 veröffentlicht, beschreibt das Buch „Metaman“ die Entstehung einer hybriden globalen Intelligenz aus Maschinen und Menschen. Der Tenor des Buches ist optimistisch bis euphorisch. Mehr unter Metaman ↗
1997: Joel de Rosnays utopischer Kybiont
Der Biologie Joel de Rosnay entwirft unter dem Namen Kybiont das Bild eines hybriden bewussten Lebewesens, das aus der Verschmelzung der Bio- mit der Technosphäre der Erde entsteht. Mehr unter Kybiont ↗
2001: Sadegh-Zadehs dystopische Machina sapiens
Der Mediziner Kazem Sadegh-Zadeh sah wie auch Carsten Bresch, Joel de Rosnay und andere einen globalen Überorganismus als Verbindung aus menschlicher Zivilisation, Technologie und irdischer Biologie entstehen. Seine Machina sapiens wird intelligent und beseelt sein und den Menschen „versklaven“. Sadegh-Zadehs Sicht ist dystopisch bis resigniert. Siehe dazu Machina sapiens ↗
Extrapolation hin zu beseelten Himmelskörpern
Verschiedene Autoren beschränkten mögliche Riesen-Lebewesen nicht auf die Erdoberfläche oder nur einen Planeten. Sie spielten Möglichkeiten durch, dass etwa auch planetare Nebel (Stapledon), Sonnen (Matloff) oder der ganze Kosmos (Thales) belebt und beseelt sind. Solche Welten werden hier zusammenfassend betrachtet unter dem Stichwort Solaris-Welten ↗
Kritik am Begriff globaler Organismus
Abgesehen von der Gaia-Hypothese und Solaris stehen alle anderen Begriffe für Gebilde, die zwar auf einer globalen Ebene - also erdumfassend - entstehen könnten, aber nicht zwingend müssten. Sowohl ein Global Brain, als auch der Metaman oder Kybiont wären auch mit bloß nationaler, regionaler oder sogar nur sehr lokaler Ausdehnung, etwa als lebende Organisation, denkbar. Für globale Organismen problematisch ist, dass die darwinistisch-evolutionäre Prozessedort nicht wirken würden. Es tritt dann die Frage auf, welche Prozesse, effiziente von weniger effizienten Ausprägungen herausselektieren sollten, Der nicht-notwendige Aspekt des Globalen wird vermieden durch den Begriff soziotechnisches System ↗
Fußnoten
- [1] Lorenz Oken: Lehrbuch der Naturphilosophie. Verlag Friedrich Frommann. Jena, 1831. Ab Seite 160 wird ein "planetarer Organismus" im Kapitel "Organognosie" beschrieben.
- [2] Kazem Sadegh-Zadeh: Als der Mensch das Denken verlernte: Die Entstehung der Machina sapiens. Burgverlag, Tecklenburg. 2000. ISBN: 3-922506-99-2. Siehe auch Machina sapiens ↗
- [3] Pierre Teilhard de Chardin: Der Mensch im Kosmos. Beck, München 1959, Neuauflage 2010: ISBN 3-406-60274-6 (Le Phénomène Humain, 1955).
- [4] Stanislaw Lem: Solaris. Polnische Erstveröffentlichung 1961. Siehe auch Solaris ↗
- [5] Arthur Conan Doyle When the World Screamed ↗ [1928]