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Wahlverwandtschaft


Metapher


Basiswissen


In der Chemie bezeichnet das Wort Wahlverwandtschaft seit spätetestens 1834 die Neigung verschiedener Elemente, sich bevorzugt mit bestimmten anderen Elementen zu verbinden[1]. Von Goethe wurde das Wort später in einem metaphorischen Sinn auch auf menschliche Beziehungen übertragen[2]. Beides ist hier kurz vorgestellt.

Wahlverwandtschaft in der Chemie


Schon früh [1] hatte man in der Chemie erkannt, dass Elemente aus einer Verbindung eben diese Verbindung bereitwillig verlassen, wenn ihnen scheinbar attraktivere Elemente von außen für eine Reaktion zur Verbindung stehen. Diese Beobachtung war zunächst eine reine Beobachtungstatsache, die man sich noch nicht näher erklären konnte. Eine Erklärung lieferte erst später das Konzept der Elektronegativität ↗

Ein einfaches Beispiel für chemische Wahlverwandtschaften


Verdünnte Salzsäure kann man als Reinigungsmittel kaufen. Schalen von Muscheln kann man am Strand finden. Wahlweise nimmt man einen möglichst hellen Kalkstein. In der Salzsäure ist Materie der Elemente Wasserstoff (H) und Chlor (Cl) enthalten, im Kalk (aus dem auch Muschelschalen bestehen) sind es Calcium (Ca), Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O). Bringt man Salzsäure (HCl) und reinen Kalk (CaCO₃) zusammen, wechseln die Partner in neue Beziehungen, sie gehen drei neue Wahlverwandtschaften ein: CaCO₃ + 2HCl → CaCl₂ + CO₂ + H₂O. Siehe auch Kalknachweis (Salzsäure) ↗

Wahlverwandschaft als Metapher


"Auf menschliche Beziehungen übertragen, was unter ausdrücklicher Beziehung auf das chemische Affinitätsgesetz zuerst Goethe (in dem Roman »Die Wahlverwandtschaften«, Buch 1, Kap. 4) getan hat, bezeichnet W. diejenige Form wechselseitiger Zusammengehörigkeit zwischen Personen (desselben oder verschiedenen Geschlechts), die weder, wie die (angeborne) Blutsverwandtschaft, auf gemeinsamer Abkunft (Einheit des Blutes) noch, wie die (gesetzlich, z. B. durch Eheschließung erworbene) bürgerliche Verwandtschaft, auf der Sanktion des (kirchlichen oder staatlichen) Gesetzes (Einheit vor dem Gesetz), sondern auf der (unwillkürlich und bewußtlos wirksamen) Anziehungskraft des gegenseitig sympathisierenden (physischen und psychischen) Gesamtnaturells der so Verwandten beruht und zwischen ihnen bei zufällig stattfindender Annäherung mit ungestümer Gewalt sich geltend macht."[2]

Wahlverwandtschaften und Goethes Naturphilosophie


Der Dichte Johann Wolfgang von Goethe (1749 bis 1832) sah sich selbst als großer Naturforscher. Tatsächlich hat er einen großen Teil seines Lebens auf das Studium der Geologie, der Biologie und insbesondere der Farbeffekte von Licht verwendet. Eine tiefe Erkenntnis sieht er in dem Gedanken, dass die Natur uns lehrt, nach welchem Prinzip die Welt eingerichtet ist. Er schreibt: "So mannigfaltig, so verwickelt und unverständlich uns oft diese Sprache
scheinen mag, so bleiben doch ihre Elemente immer dieselbigen. Mit leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die Natur hin und her, und so entsteht ein Hüben und Drüben, ein Oben und Unten, ein Zuvor und Hernach, wodurch alle die Erscheinungen bedingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten. Diese allgemeinen Bewegungen und Bestimmungen werden wir auf die verschiedenste Weise gewahr, bald als ein einfaches Abstoßen und Anziehen, bald als ein aufblickendes und verschwindendes Licht, als Bewegung der Luft, als Erschütterung des Körpers, als Säurung und Entsäurung, jedoch immer als verbindend oder trennend, das Dasein bewegend und irgendeine Art von Leben befördernd.[2]“ Goethe griff eine große Anzahl von Bildern aus der Natur (Farbenlehre, Polaritäten, Ginko-Baum etc.) auf, und übertrug sie als Metapher auf das Leben des Menschen, so auch den chemischen Begriff der Wahlverwandtschaften. Siehe mehr dazu unter Goethes Farbenlehre[3] ↗

Fußnoten