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Sozialwissenschaft


Definition


Basiswissen


Geschichte, Politologie oder Linguistik: das verbindende Merkmal aller Sozial- oder Gesellschaftswissenschaften ist, dass sie sich mit dem menschlichen Zusammenleben in Gesellschaften beschäftigen. Das ist hier kurz erläutert.

Die Soziologie als klassische Sozialwissenschaft


Eine klassische Sozialwissenschaft ist die Soziologie. Sie untersucht zum Beispiel die Frage, ob menschliche Fähigkeiten eher vererbt werden (Genetik)[1] oder ob sie eher durch die Lebensumstände der heranwachsenden Kinder geformt werden (Milieutheorie)[2]. Das Wesentliche für eine Sozialwissenschaft ist, dass zum Beispiel lernen nicht an einzeln betrachteten Menschen studiert wird, wie das zum Beispiel in der Psychologie möglich ist. Vielmehr werden immer die Einflüsse der Gesellschaft oder zumindest anderer Menschen auf Menschen mit betrachtet. Siehe auch Soziologie ↗

Die Sozialwissenschaften als Naturwissenschaften?


Der Franzose Auguste Comte prägte im 19ten Jahrhundert den Begriff der Soziologie. Er wollte die Soziologie, stellvertretend für alle Sozialwissenschaften, als streng naturwissenschaftliche Disziplin sehen. Es gelten nur Fakten und sichere Gesetzmäßigkeiten. Das Subjektive wurde ausgeklammert, also alles was nur im inneren Erleben erkennbar wird und nicht über die äußeren Sinnesorgane wahrgenommen werden kann. Innerhalb der Sozialwissenschaften gilt es heute als offen, ob der Mensch letztendlich zufriedenstellend alleine durch rein naturwissenschaftliche Begriffe beschrieben werden kann. Möglicherweise ist das wesentlich Menschliche gerade etwas, das sich einer naturwissenschaftlichen Beschreibung entzieht? Wo sich die Sozialwissenschafter aber ganz zu einer reinen Beobachtungswissenschaft machen, einer empirischen Wissenschaft also, dort unterscheiden sie sich letztendlich nicht mehr von einer reinen Naturwissenschaft. Die Positionen, nur objektiv feststellbare und formulierbare Fakten gelten zu lassen nennt man in der Wissenschaftstheorie Positivismus ↗

Die Sozialwissenschaften eher keine Naturwissenschaften?


Steine, Atome, Flugzeuge: in den Naturwissenschaften geht man von Dingen aus, die für sich alleine existieren können, ohne dass sie dabei durch unsere Beobachtung, unsere Wahrnehmung oder durch unsere Theoriebildungen beeinflusst werden müssen. Solche Dinge nennt man Objekte, die Vorstellung, dass es solche Objekte gibt heißt Objektivismus. In den Sozialwissenschaften hingegen muss man damit rechnen, dass jede Messung, jede Beobachtung oder jede Theoriebildung über Menschen von diesen Menschen wahrgenommen werden kann und alleine dadurch auf die Messung, Beobachtung oder Gültigkeit der Theorie zurückwirkt. Bilden Lehrer und Eltern etwa ausgesprochen oder unausgesprochen die Vorstellung aus, dass ein Kind es in der Schule ohnehin zu nichts bringen wird, dann kann das Kind gar nicht, mit Trotz und Selbstbehauptungswillen oder auch mit Selbstaufgabe reagieren. In den Sozialwissenschaften stellt diese oft unauflösbare gegenseitige Abhängigkeit der "Messgröße" von Messung ein grundlegendes Problem dar[4], das sich so in der sogenannten klassischen Physik nicht zeigt. Menschen, oft verallgemeinert zu allem Lebendigen, scheinen nicht mit denselben Methoden erforschbar zu sein, wie die Physik. Diese Sicht muss heute in Frage gestellt werden. Seit den 1920er Jahren geriet der Glaube an die jederzeit objektive Existenz von zum Beispiel Photonen stark unter Druck. In modernen Versuchen zur Quantenphysik kann nachgewiesen werden, dass Photonen erst dann einen konkreten Zustand annehmen, wenn sich ein Beobachter für eine bestimmte Art der Beobachtung entschieden hat. Dieses Phänomen wird beschrieben unter dem Stichwort Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon. Es hat nicht die Sozialwissenschaften näher an die Physik herangebracht, sondern umgekehrt: die Physik nimmt damit zwangsweise typische Züge der Sozialwissenschaften an. Einen dazu möglicherweise passenden Blick auf die Welt ist der Subjektivismus ↗

Fußnoten