Nürnberger Trichter
Didaktik
Basiswissen
Der Nürnberger Trichter war zunächst der Titel eines Poetik-Lehrbuches[1], durchaus ohne Ironie gemeint[2]. Später bezeichnet man auch ein Hörgerät als Nürnberger Trichter[3], sowie als Metapher und abwertend gemeint eine ineffektive, rein mechanische Lernmethode: damit ist vor allem die Vorstellung verbunden, ein Schüler könne sich fast ohne Aufwand und Anstrengung alles aneignen und ein Lehrer auch dem „Dümmsten“ alles beibringen.
Herkunft der Metapher vom Nürnberger Trichter
Das geflügelte Wort "Nürnberger Trichter" geht auf den Titel eines Poetiklehrbuchs des Nürnberger Dichters Georg Philipp Harsdörffer (1607 bis 1658) zurück, das unter dem Titel Poetischer Trichter "Die Teutsche Dicht- und Reimkunst, ohne Behuf der lateinischen Sprache, in VI Stunden einzugießen" 1647 in Nürnberg erschien[1]. Dabei war der Trichter keineswegs ironisch gemeint. Wie man bei Abfüllen von Wein sinnvollerweise einen Trichter verwendet, so sollte man auch beim Lernen einen Trichter verwenden, das heißt modern gesprochen eine effiziente Lernmethode. Erst später wurde aus dem Nürnberger Trichter eine herabsetzende Metapher für mechanische Lernmethoden.
Welche Vorwürfe werden heute mit dem Nürnberger Trichter verbunden?
- Man lernt rein mechanisch, ohne innere Zusammenhänge, Bedeutung oder Sinn, z. B. Bulimielernen ↗
- Man kann jedem Kopf jeden auch noch so schweren Inhalt eintrichtern Überakademisierung ↗
- Man glaubt, auch in kurzer Zeit viel in den Kopf drücken zu können, ohne Inkubationszeit ↗
- Man sucht eine einfache, mühelose Lernmethode, ähnlich der Illusion vom Königsweg ↗
Fußnoten
- [1] Georg Philipp Harsdörfer: Poetischer Trichter - Die Teutsche Dicht- und Reimkunst/ ohne Behuf der Lateinischen Sprache/ in VI Stunden einzugiessen. Nürnberg 1648–1653. (Reprografischer Nachdruck: Georg Olms Verlag, Hildesheim/ New York 1971, ISBN 3-487-04068-9)
- [2] Hans Recknagel, Rolf Veit: Wagenseils Nürnberger Trichter. Zur Geschichte einer Redensart. In: Mitteilungen der Altnürnberger Landschaft e. V. Heft 1, 2001, S. 571–581.
- [3] 1861, Hörgerät, Lernmethode: "Nürnberger Trichter, 1) trichterförmige Hörmaschine für Schwerhörende; 2) scherzweise eine Lehrmethode, wobei keine selbstthätige Bemühung des Lernenden nothwendig ist." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 162. Online: http://www.zeno.org/nid/20010532862
- [4] 1908, Hörgerät, Lernmethode: "Nürnberger Trichter, trichterförmige Hörmaschine für Schwerhörige; auch scherzhafte Bezeichnung einer äußerlichen Lehrmethode, die keine geistige Selbsttätigkeit, sondern nur gedächtnismäßige Aufnahme des eingegossenen Stoffes seitens des Schülers fordert. Die Spötterei von einem solchen pädagogischen Trichter wird von J. B. Schuppius schon aus der Zeit der Ratkeschen Reformversuche in Augsburg (1614; vgl. »Vom Schulwesen«, S. 121) berichtet. Auf Nürnberg ward sie, wie es scheint, übertragen infolge des Buches Harsdörfers (s. d.): »Poetischer [845] Trichter, die deutsche Dicht- und Reimkunst ohne Behuf der lateinischen Sprache in 6 Stunden einzugießen« (zuerst Nürnb. 1647–48, 2 Tle.). Vgl. Tittmann, Die Nürnberger Dichterschule (Götting. 1847); Bischoff, G. Ph. Harsdörfer (in der »Festschrift des Pegnesischen Blumenordens«, Nürnb. 1894)." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 845-846. Online: http://www.zeno.org/nid/20007167830
- [5] 1911, nur noch als Metapher: "Nürnberger Trichter, scherzweise für eine Lehrmethode, die keine selbständige Bemühung des Lernenden erfordert, nach dem Buch von Harsdörfer (s.d.): »Poet. Trichter, die Dichtkunst einzugießen«." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 291. Online: http://www.zeno.org/nid/20001399756
- [6] 1923, als Worte-Stopfen: "Die logische Folgerung ist aber undurchführbar, solange der Nürnberger Trichter für das Verständnis geläuterter Begriffe nicht erfunden ist. Man kann dem zweijährigen Kinde nicht klar machen, daß das Wort Hund oder Wauwau, womit es bisher den eigenen Hund benannt hat, eine ganze Art von Tieren bezeichne, daß aber der Artbegriff selbst, historisch oder morphologisch, ein fließender Begriff sei; man kann dem Realschüler, der die physikalischen Kräfte schon berechnen lernt, noch lange nicht klar machen, daß der Kraftbegriff eine Metapher aus dem menschlichen Selbstbewußtsein sei und der adjektivischen Wirklichkeitswelt gar nicht angehöre." Das Zitat stammt aus einer umfassenden Kritik des Schulwesen des frühen 20ten Jahrhunderts. Auch wenn die Sprache etwas veraltet wirkt, klingt der Artikel in seinem Befund doch erstaunlich modern. In: Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 2 1923, Band 3, S. 151-164. Online http://www.zeno.org/nid/20006181503